E-Book, Deutsch, Band 31, 148 Seiten
Reihe: Edition ITP-Kompass
Künstliche Intelligenz oder kritische Vernunft
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-9819845-7-6
Verlag: Edition ITP-Kompass
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie Denken und Lernen durch die Digitalisierung grundlegend verändert werden
E-Book, Deutsch, Band 31, 148 Seiten
Reihe: Edition ITP-Kompass
ISBN: 978-3-9819845-7-6
Verlag: Edition ITP-Kompass
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Digitalisierung von Bildungsprozessen ist in vollem Gange. Und sie erscheint notwendiger denn je. Aber das bedeutet nicht, dass man sich dieser Digitalisierung ausliefern muss. Schon gar nicht, wenn Bildung ihren emanzipatorischen Kern nicht aufgeben will. Für den neoliberalen globalen Kapitalismus scheint das digitale Subjekt als Idealvorstellung am Horizont auf. Für eine befreiende Pädagogik darf das nicht so sein.
Was ist zu tun und was müssen wir vor allem verstehen, wenn wir uns diesen Prozessen nicht widerstandslos unterwerfen wollen?
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2.5 Digitalisierung und Didaktik Alles, was in der Schule passiert, muss pädagogisch begründet werden! Das zumindest sollte man wissen, wenn man es im weitesten Sinne mit Schule zu tun hat. Oft genug gilt das in der Schule nicht. Es gibt viele Entscheidungen, die organisatorisch, ökonomisch oder sonst wie begründet werden. Im Kontext der Digitalisierung von Schulen wird dies auf die Spitze getrieben. Die Begründung dafür, dass die Digitalisierung von Bildung vorangebracht werden muss, ist schlicht die Existenz der Digitalisierung selbst. Dabei könnte prinzipiell eine Begründung gegeben werden – und sie existiert ja im Hintergrund: Wir bewegen uns in einem unaufhaltsamen Prozess, der es notwendig macht, alles dafür zu tun, dass diejenigen, die unser formales Bildungssystem verlassen, so gut wie irgend möglich für die digitale Welt gerüstet sind. Und dazu müssen alle Register gezogen werden. Man muss so früh wie möglich damit beginnen, Kindern diese Welt zu eröffnen. Dieses Ziel aber müsste offen deklariert werden. Und genau das geschieht nicht. Es gibt keine pädagogisch-didaktischen Begründungen für die Digitalisierung von Bildung. Gäbe es solch eine Begründung, so könnte man zumindest dagegen argumentieren: Um in einer durch und durch digitalisierten Welt klarzukommen, benötigen Kinder eine Phase der Entwicklung, die aus verschiedenen Gründen gerade nicht von Digitalisierung durchdrungen ist. Das Beispiel aus dem Silicon Valley könnte ein Hinweis darauf sein, dass etwas daran ist. Menschen, die erst nach ihrer Pubertät damit beginnen, sich die digitale Welt zu erschließen, müssen nicht notwendig außen vor bleiben. Die Gründerfiguren der Digitalisierung zeigen es. Hier stellen sich uns folgende didaktisch-pädagogischen Fragen: Welche Effekte wird die frühzeitige Überflutung mit Digitalisierung haben? Was für Subjekte bringt die Digitalisierung hervor? Die plausibelste Antwort ist die einfache: Die Subjekte, die der digitale Kapitalismus braucht. In diesem Sinne erfüllt die Schule ihre zentrale Aufgabe, die darin besteht, die Verhältnisse, die sind, wie sie sind, zu reproduzieren, einen gegebenen Status quo – der ein festgeschriebener Status eines spezifischen Entwicklungsmodells ist – aufrecht zu erhalten. Wenn man dem eine andere didaktisch-pädagogische Grundoption entgegensetzt, dann bietet sich eine ganz andere Möglichkeit, mit den derzeit ablaufenden Prozessen umzugehen, eine pädagogische Option zu entwickeln und in diesem Sinne auch tatsächlich handlungsfähig zu werden. Diese Option orientiert sich an dem, was noch immer grundlegend sein muss für das, was in der Bildung, der Schule und im Unterricht geschieht: alle alles ganz zu lehren24 und damit Menschen eine Möglichkeit bereitzustellen, autonome, sich selbst bestimmende, emanzipierte, sich von äußeren Herrschaftsansprüchen befreiende, und damit solidarische, für andere und mit anderen handlungsfähige Menschen zu werden. Wenn man diese Option für Bildungsprozesse noch immer für relevant und gültig hält, müssen die gerade ablaufenden Prozesse sehr kritisch beobachtet werden. Eine Auseinandersetzung mit Prozessen der Digitalisierung in der Bildung macht es notwendig, die Frage nach damit verbundenen Macht- und Herrschaftsprozessen einer neuen Art zu stellen. Und sie zeigt, wie wichtig es ist, dass Schüler_innen nicht nur zu findigen Nutzern der Gegebenheit werden, sondern vielmehr eine notwendige Distanz zu diesen Prozessen und Verstrickungen gewinnen, die es ihnen erst ermöglicht, souverän mit der digitalen Welt umzugehen und sich in ihr zu bewegen. Dass damit ein Verstehen und die Fähigkeit, all das Gegebene zu gebrauchen, verbunden sind, steht außer Frage. 2.6 Digitale Kompetenzen Um dem Prozess der Digitalisierung der Bildung eine Orientierung zu geben, hat die Kultusministerkonferenz im Jahr 2016 ein Strategiepapier vorgelegt, dass diesen Prozess steuern soll. Wir empfehlen, dieses Papier in der Schule zu lesen und es auf das hin zu untersuchen, was darin nicht vorkommt. Zunächst zu dem, was vorkommt. Es beschreibt die Digitalisierung als eine Gegebenheit, die aus sich heraus ihre Gültigkeit und Berechtigung hat. Bildung könne darauf nur reagieren. Zugleich aber soll sie die mit der Digitalisierung verbundenen Möglichkeiten nutzen. Diese sind die Individualisierung von Lernprozessen und die Etablierung von mehr Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Dazu trügen digitale Lernumgebungen bei und die individuellen Potenziale könnten so ausgeschöpft werden. Das Ziel des Ganzen: „… zunehmend mehr digitale Bildungsmedien in Lehr- und Lernprozessen.“25 Zwei Aspekte ergänzen dieses Ziel und werden im Strategiepapier explizit erwähnt. Um dieses Ziel zu erreichen, soll auch die Möglichkeit für Public-private-Partnership gegeben werden. Damit wird der Privatisierung und auch der ökonomischen Vereinnahmung von Bildung ein weiteres Tor geöffnet. Zudem wird explizit darauf hingewiesen, dass Elternrechte bei der Digitalisierung Grenzen gesetzt sind. Denn das Elternrecht sei kein „Abwehrrecht“. Die Digitalisierung der Schule wird also zu einer hoheitlichen Aufgabe. So wie mit dem Lesen, Schreiben und Rechnen haben wir es bei der Digitalisierung mit einer neuen Kulturtechnik zu tun, die grundlegend zu akzeptieren sei. Abschließend wird noch auf die Geschwindigkeit vorbereitet, mit der der Prozess voranschreitet. Digitalisierung ist ein Prozess, „ … dessen Geschwindigkeit weiter zunehmen wird.“26 All das, was die KMK hier als Strategie propagiert, ist erstaunlich begründungslos. Die zwischen den Zeilen zu lesende, immer wiederkehrende Begründung ist einzig, dass es so ist. Die Gegebenheiten sind auf eine erschreckende Weise zur Norm geworden, was darauf verweist, dass Bildung, so verstanden, tatsächlich ihre Autonomie verloren hat. Doch wird an einigen wenigen Stellen des Papiers das Gegenteil behauptet: „Der Umgang mit der Digitalisierung im Schulbereich – wie im Bereich der Hochschullehre auch – folgt dabei dem Primat des Pädagogischen und muss in pädagogische Konzepte eingegliedert sein, in denen das Lernen im Vordergrund steht.“27 Genau das wäre der notwendige Ausgangspunkt für eine pädagogische Auseinandersetzung mit Digitalisierung, aber genau dieser Punkt bleibt eine Leerstelle. Da sie nicht gefüllt wird, liest sich der Rest wie das Aufgeben des Vorrangs der Pädagogik: Die Gegebenheiten höhlen die Pädagogik aus! Dementsprechend sind die Rahmenkompetenzen, die das Papier vorschreibt, Einübungen in die Akzeptanz der digitalen Welt. 2.7 Entscheidend ist, was fehlt Die oben angesprochene Leerstelle im Strategiepapier wird zuallererst sichtbar, wenn es um die Gefahren des Digitalen geht. Es gibt zwei Punkte, auf die das Papier verweist. Zum einen sind es die „Risiken und Gefahren in digitalen Umgebungen“, zum anderen sind es die „Suchtgefahren“.28 Die Antwort darauf ist mittlerweile altbekannt: Individualisierung des Problems, Verantwortungsübernahme des Einzelnen. Keine Rede von der Aufgabe von Bildung, gesellschaftliche Entwicklungen zu reflektieren, zu problematisieren und sich auf die Suche zu begeben, ihren spezifischen Teil zu dieser Entwicklung beizutragen. Keine Rede davon, als Bürger_innen zu Datenproduzent_innen für die Big Five zu werden. Und keine Rede davon, dass die Digitalisierung der Gesellschaft sehr grundlegende Fragen aufwirft, die zentrale Bildungsfragen sind und sein müssen! In diesem Sinne muss das Papier tatsächlich auf das hin gelesen werden, was fehlt. Nun könnte man sagen, dass mit diesem Strategiepapier zumindest ein wichtiger Schritt getan worden ist, um der Verantwortung der Bildung gerecht zu werden. Alles andere könnte ja noch kommen. Wir behaupten, genau das Gegenteil ist notwendig, um von Bildung zu sprechen und um nur ansatzweise der Herausforderung der Situation gerecht zu werden. Das wird deutlich, wenn man im nächsten Schritt einen Blick in die Medienkompetenzrahmen wirft, die auf Länderebene für die Schulen Gültigkeit haben. Denn diese beziehen sich auf das Grundsatzpapier der KMK, übernehmen die Kompetenzen und füllen die Lücken gerade nicht. Der Medienkompetenzrahmen NRW ist ein Beispiel dafür. Ganz in der Weise, wie sich Bildung unter den Bedingungen eines neoliberalen Kapitalismus ausrichtet, funktioniert auch der Medienkompetenzrahmen. Er ist eingebettet in ein Kompetenzschema, das Schüler_innen zu kritischen Anwender_innen machen soll. Das muss zu wenig sein. Allein, wie soll das geschehen, wenn dabei ein entscheidender Aspekt grundsätzlich vernachlässigt wird. Denn an keiner Stelle wird der Versuch unternommen, die Auseinandersetzung um digitale Medien in einen geschichtlich-gesellschaftlichen Kontext einzubinden. Wenn Bildung darauf abzielt, Menschen zu einer eigenständigen Persönlichkeit werden zu lassen bzw. hierfür die Möglichkeiten bereitzustellen, wenn also Bildung ihren Beitrag zur Autonomie und Emanzipation von Menschen leistet, dann müssen sie durch Bildung...