Kühn | Liebe ist die halbe Miete | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Kühn Liebe ist die halbe Miete

Roman
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8437-1753-3
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-1753-3
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eigentlich wollte Merle spätestens mit dreißig einen festen Job, einen Mann und eine gemeinsame Wohnung haben. Aber davon ist sie weit entfernt, seit Jahren wohnt sie in einer WG, unter anderem mit Ex-Punk Dose. Ihren Freund sieht sie nur alle paar Tage. Heirat ausgeschlossen. Immerhin: Die Sache mit dem Job hat geklappt. Als junge Lehrerin braucht Merle Nerven wie Drahtseile, was ihr auch privat zugute kommt, denn plötzlich steht ihr neuer Nachbar Philipp vor der Tür. Groß, gutaussehend - und leider ein totaler Schnösel. Er beschwert sich über den Lärm in der WG. Geht's noch spießiger? Doch als der Vermieter versucht, die Hausbewohner zum Auszug zu zwingen, erweist sich Philipp als Retter in der Not. Hat Merle sich in ihm getäuscht? Und wieso ist sie plötzlich so kurzatmig, wenn sie ihm im Hausflur begegnet?

Pia Kühn, geboren 1983 in Essen, ist Schriftstellerin, Hörspiel- und Drehbuchautorin. Sie lebt und arbeitet in Berlin, wo sie ihrer früheren Studenten-WG hin und wieder nachtrauert.
Kühn Liebe ist die halbe Miete jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1. Kapitel


Der Toast hüpfte aus dem Toaster. Merle fing ihn auf und legte ihn in den Brotkorb. Sie drehte sich zum gedeckten Tisch um. Es war alles da: Aufschnitt, Butter, Marmelade. Sie sah auf die Uhr. Wo blieben die anderen denn? Merle trank einen Schluck Kaffee, stellte ihre Tasse ab und steckte ihren Kopf aus der Küche.

»Hey!«, rief sie in den Flur. »Wir hatten sieben Uhr gesagt, ihr Schlafmützen!«

Simons Tür öffnete sich. Mit finsterem Blick sah er sie an. »Ich hasse dich.«

»Du hasst alles«, entgegnete Merle ihrem Mitbewohner lächelnd. »Die Welt, das Wetter, deinen Job, uns.«

»Nein, meistens seid ihr in Ordnung«, widersprach er. Seine Haare waren bereits frisiert, sein Hemd war gebügelt und auch die beige Chino zeigte keine Falte. Wie immer sah er mehr nach München aus als nach Berlin. Seine Fingernägel waren gepflegter als die seiner weiblichen Mitbewohner zusammen, und das, obwohl er Florist war. Sein Blick blieb finster. »Aber heute kann ich dich wirklich nicht leiden, Merle.«

»Jetzt komm frühstücken.«

Während Simon an ihr vorbeischlurfte und sich keine Mühe machte, der einen furchtbar quietschenden Diele des Holzbodens auszuweichen, klopfte Merle an die Zimmertüren ihrer restlichen Mitbewohner. »Aufstehen. WG-Frühstück.«

Simon sank auf seinen Stuhl am Fenster und seufzte schwer. Er sah nicht halb so verschlafen aus, wie er es gern gehabt hätte.

Merle drückte auf den Startknopf der Kaffeemaschine, der Duft von frisch gebrühtem Kaffee erfüllte die Küche. Sie hatten eine Padmaschine und eine alte Filterkaffeemaschine, aber Letztere benutzte nur einer von ihnen.

Aus dem Augenwinkel sah Merle, wie Simons Miene sich angesichts des Dufts aufhellte. Es war nur kurz, er merkte, dass sie ihn beobachtete, und ließ seine Mundwinkel wieder nach unten sinken. Sie stellte ihm die Tasse hin, er griff danach, aber sie ließ nicht los und sah ihn abwartend an.

»Vielen Dank«, brummte er.

Sie gab die Tasse frei. »Bitte, gern.«

»Ja, du machst alles gern. Immer gut gelaunt, immer wach …«

»Trink deinen Kaffee.«

»Ja, Mama.«

Sie grinste ihn an. »Trink ihn schweigend, wenn du nichts Nettes zu sagen hast.«

»Ich sag was Nettes, sobald die Welt auch nur ein einziges Mal nett zu mir war.«

Merle verdrehte die Augen, während sich draußen im Flur eine Tür öffnete. Dann fiel die Wohnungstür ins Schloss, das alte Treppenhaus knarzte unter Schritten, die man bis in die Wohnung hören konnte. Überhaupt konnte man in diesem alten Haus eigentlich alles hören.

Merle setzte sich und nahm eine Scheibe Toast, sie bestrich sie mit Frischkäse und sah auf die Uhr. In einer Viertelstunde musste sie los. Die Wohnungstür öffnete sich wieder, die laute Diele knarzte – und dann stand Dose in der Küche.

Eigentlich hieß er Daniel, aber seit seiner frühen Jugend nannte man ihn Dose. Er war Punk gewesen, was seine Spuren hinterlassen hatte. Er trug ein T-Shirt mit Löchern und eine alte, schwarze Lederhose. Seine Haare waren schwarz gefärbt und standen in alle Richtungen ab. Von Natur aus war er eher dunkelblond, zumindest vermutete Merle das. Sie hatte seine echten Haare noch nie gesehen. Vielleicht waren sie auch schon grau, Dose war Mitte vierzig. Das Schwarz jedenfalls machte ihn sehr blass. Ein Effekt, den Dose aber natürlich erzielen wollte.

»Sie haben sie mitgenommen«, schimpfte er und riss die Packung Kaffeefilter aus dem Schrank. Er stopfte einen Filter in die Maschine und bewarf ihn mit Kaffeepulver, dann schlug er mehr auf die Maschine ein, als dass er den Knopf drückte. »Schon wieder.«

»Das tut mir leid«, sagte Merle und biss in ihren Toast.

»Das waren die konservativen Säcke aus der vierten Etage.«

»Was sollen die denn mit deiner linken Zeitung anfangen, Dose?«

»Sie verbrennen.«

»Ich glaube nicht, dass die beiden Manager aus der fünften Etage mitten in der Nacht runter zum Briefkasten schleichen, um dein linkes Kommunistenblatt zu klauen und es dann oben auf ihrem Balkon zu verbrennen.«

»Oder dieser Schnöselarzt. Die haben einen Kamin in ihren Scheißkapitalismuswohnungen. Die haben alles da oben.«

»Aber doch nicht deine Zeitung. So eine Mühe machen die sich im Leben nicht, Dose«, sagte Merle und sah wieder auf die Uhr. »Sie wissen bestimmt nicht mal, dass der Rote Anzeiger existiert.«

»Niemand weiß, dass der Rote Anzeiger existiert«, sagte Simon.

Dose baute sich vor ihm auf. »Das ist ein sehr wichtiges Blatt mit großer Reichweite.«

Simon hob die Schultern und nippte an seinem Kaffee. »Trotzdem sinnlos. Als würde eine Zeitung was ändern.« Er schnaubte. »Als könnten Politiker was ändern.«

»Wie bitte?«, fragte Dose empört und atmete tief ein. Bevor er zu einem seiner Vorträge über die Macht und Verantwortung jedes Bürgers ansetzen konnte, stand Merle auf und sagte schnell: »Das könnt ihr später alles in Ruhe besprechen. Der Neue kommt heute.« Sie drehte den Kopf und sah in den Flur. »Ich wünschte wirklich, dass Tinia aufstehen würde.«

»Und ich wünschte, ich hätte ausgeschlafen«, sagte Simon. »Oder dass ich Tinias Schlaf hätte.«

»Das ist nur eine Frage der richtigen Pillen. In der richtigen Dosierung«, sagte Dose.

»So oder so«, Simon seufzte, »ich hab die falsche Dosierung.«

»Ja, ja. Genug gejammert jetzt.«

»Ich jammere nicht«, widersprach Dose. »Ich kämpfe.«

Merle verdrehte die Augen. »Aber nicht beim Frühstück.«

»Doch immer.«

Merle rieb sich die Augen und sah erschrocken auf ihre Finger. Sie hatte ihre Wimperntusche verschmiert. »Verdammt, jetzt muss ich mich noch mal neu schminken. Ihr macht mich fertig.«

»Und wenn du schon dabei bist, kannst du die Frisur auch noch mal überdenken«, sagte Simon und belegte ein Brot mit Käse.

Dose schlürfte Kaffee. »Du solltest dich eh nicht schminken. Ich sag nur: Tierversuche.«

»Nur?« Simon lachte. »Wann hast du je nur ein einziges Wort gesagt?«

Dose stützte sich auf den Tisch und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf Simon. »Wenn du deinem Leben endlich eine politische Richtung geben würdest, dann wärst du auch nicht immer so schlecht gelaunt.«

»Ich bin schwul. Ich bin eine Minderheit. Das ist genug Politik für mein Leben.«

»Papperlapapp. Du bist eine faule Sau.«

Merle sank gegen den Türrahmen und stieß mit ihrem Kopf leicht gegen das alte Holz, an dem der Lack absplitterte. Eigentlich müssten sie streichen. Und zwar alle Tür- und Fensterrahmen in dieser heruntergekommenen Altbauwohnung, aber keiner von ihnen konnte sich dazu aufraffen.

Und eigentlich wollte Merle auch besprechen, wann der neue Mitbewohner kam und was zu tun war. Sie hatte Pläne für heute Abend, die sie ungern verschieben wollte. Aber Dose und Simon diskutierten über den Sinn des Lebens und zeigten wenig Interesse an akuten Fragen.

Es klingelte.

»Wer ist das denn?«, fragte Simon.

Dose hob die Schultern und goss sich Kaffee nach. Merle ging zur Tür. Sie öffnete und sah eine große Umzugskiste. Jemand lugte darüber und sah sie fröhlich an.

»Hi. Merle? Richtig?«

»Ja«, sagte sie und starrte den jungen Typen an. Er hatte einen albernen Undercut, genau so, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Er sah betont hip und extra stylish aus, was sie ebenfalls so abgespeichert hatte. Woran sie sich nicht erinnerte, war dieses wahnsinnig attraktive Lachen. Das war ihr beim Mitbewohnercasting irgendwie entgangen.

»Ich bin Fridolin. Der Neue«, erklärte er. Wohl, weil sie ihn verständnislos ansah. »Ich ziehe heute ein.«

»Jetzt schon?«

»Klar, das habe ich Dose doch gesagt. Und er meinte, das sei gar kein Problem, ihr wärt alle früh wach und könntet mir beim Reintragen helfen.«

»Meinte er das?«

Fridolin nickte.

»Dose!«, rief Merle den Flur entlang.

Er kam angelaufen, Simon folgte ihm langsam und gähnend, seine Kaffeetasse noch in der Hand.

»Hast du Fridolin gesagt, dass er um sieben Uhr kommen kann und wir ihm beim Reintragen helfen?«

»Dafür bin ich nicht passend angezogen«, murmelte Simon.

»Wahrscheinlich. Ich weiß nicht mehr«, sagte Dose leichthin. Er hob die Schultern. »Ist doch alles kein Problem.« Er nahm Fridolin die Kiste ab, ging über den Flur und stellte sie in das leere Zimmer. »So. Siehst du, Merle. Kein Grund, großes Aufheben darum zu machen. Wir gehen da jetzt alle runter und räumen sein Auto leer.«

»Nein, ich fahre in die Schule. Heute ist der Erste, schon vergessen?«

»Ach ja. Du bist ab heute ja Konrektorin.« Simon hob seine Kaffeetasse prostend an. »Glückwunsch.«

»Danke.«

»Heißt das, du kannst nicht helfen?«, fragte Dose.

»Ganz genau. Ich muss in die Schule. Ich muss an jedem Werktag in die Schule. Der Unterricht beginnt um 8:05. Das weißt du doch.«

»Zu früh.« Dose schüttelte missbilligend den Kopf. »Es ist nicht gut für die Kinder, wenn man sie zum Lernen zwingt. Schulen dürfen keine Institutionen mit militärischer Disziplin sein. Du weißt, ich halte gar nichts davon. Auch diese Diktatur des frühen Aufstehens ist die reine Qual für die freie Entfaltung der Kleinen. Jedes Kind sollte zur Schule kommen, wenn...


Kühn, Pia
Pia Kühn, geboren 1983 in Essen, ist Schriftstellerin, Hörspiel- und Drehbuchautorin. Sie lebt und arbeitet in Berlin, wo sie ihrer früheren Studenten-WG hin und wieder nachtrauert.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.