Kühn Goethe zieht in den Krieg
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-10-403437-9
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine biographische Skizze
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-10-403437-9
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieter Kühn, geboren 1935 in Köln, starb 2015 in Brühl. Für seine Biographien, Romane, Erzählungen, Hörspiele und hoch gerühmten Übertragungen aus dem Mittelhochdeutschen (das ?Mittelalter-Quartett?) erhielt er den Hermann-Hesse-Preis, den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und zuletzt die Carl-Zuckmayer-Medaille. Zu seinen Werken gehören große Biographien (über Clara Schumann, Maria Sibylla Merian, Gertrud Kolmar sowie sein berühmtes Buch über Oswald von Wolkenstein), Romane (?Geheimagent Marlowe?), historisch-biographische Studien (?Schillers Schreibtisch in Buchenwald?) und Erzählungsbände (?Ich war Hitlers Schutzengel?). Zuletzt erschienen die beiden autobiographischen Bände ?Das Magische Auge? und ?Die siebte Woge? sowie sein Theaterbuch ?Spätvorstellung?. Literaturpreise (Auswahl): Hermann-Hesse-Preis Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste Nominiert für den Deutschen Bücherpreis 2002 Carl-Zuckmayer-Medaille 2014
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Literaturwissenschaft Deutsche Literatur
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Kultur- und Ideengeschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Europäische Geschichte
- Geisteswissenschaften Literaturwissenschaft Einzelne Autoren: Monographien & Biographien
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Militärgeschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Geschichte der Revolutionen Französische Revolution
Weitere Infos & Material
Weiter im Text …! Goethe, der von Carl August bei insgesamt drei militärischen »Kriegsoperationen« (so der Herzog) mitgenommen wurde – es wäre sinnvoll (etwa an dieser Stelle), ein Kapitel über den Fürsten und Freund einzurücken. Nun habe ich ja meist in Wien, Rom, Dresden gelebt, ich bin kein Kenner der hiesigen Hofgeschichte, will mich, kann mich, möchte mich in diese Materie auch gar nicht einarbeiten, und doch sind hier Kenntnisse notwendig, sonst wird die Geschichte nicht richtig erzählt.
In dieser Notlage habe ich mich wieder einmal vertrauensvoll an Schuchardt gewendet, den früheren Registrator der Großherzoglichen Bibliothek, den Erarbeiter des zweibändigen Katalogs von Goethes Kunstsammlungen, des dritten Bandes über seine Natursammlungen – selbstverständlich im Hause Frommann gedruckt! Zur Zeit ist Schuchardt auch noch Direktor der hiesigen Zeichenschule. Ich erwähne das, um mir plausibel zu machen, weshalb Schuchardt einerseits der richtige Mann ist, weshalb er aber seinerseits einen Zulieferer suchte. Er fand ihn in der Bibliothek: ein Veteran der Befreiungskriege, damals verwundet. Ich hielte es für ein Gebot der Fairneß, seinen Namen zu nennen, doch er möchte bescheiden im Hintergrund bleiben. Eventuell werde ich in der definitiven Fassung dieses Buchs einen Weg finden, ihm meinen Dank für die ausführlichen Notizen zu erstatten, die ich dieser Skizze zugrundelege.
Ich muß hier freilich eine Auswahl treffen. Von Kindheit und Jugend des Herzogs berichte ich nicht weiter. Ich will höchstens erwähnen, daß seine Mutter für ihn (und seinen jüngeren Bruder) einen heute berühmten Mann als Erzieher aussuchte, Christoph Martin Wieland. Als weiterer Erzieher Graf Götz, der mit dem jungen Mann ein halbes Jahr in Paris lebte – pädagogische Erweiterung des Horizonts …
Zum Erstaunen seiner resoluten Mutter, die sich an die Regentschaft gewöhnt hatte, bestand Carl August darauf, pünktlich am 18. Geburtstag das hohe Amt zu übernehmen. Vier Wochen später fand die Hochzeit statt mit Luise von Hessen. Einen Monat darauf traf Goethe in Weimar ein.
Der junge Fürst der kleinen Residenz (etwa 6000 Einwohner) und des kleinen, territorial nicht einmal zusammenhängenden Landes (etwa 120000 Bewohner) war in seiner Mentalität nicht kleinstädtisch und kleinstaatlich, er arbeitete hin auf die Bildung größerer Konstellationen. Als erster unter den Fürsten kleinerer Länder trat Carl August dem Gründungs-Dreierbund von Preußen, Sachsen, Hannover bei. Er träumte davon, daß sich alle Fürsten der 49 deutschen Kleinstaaten und Staatsbildungen dem Bund anschließen würden; man sah in Carl August bald so etwas wie einen Kurier im Deutschen Fürstenbund. Er hoffte, daß der Zusammenschluß zu einer Reichsreform fuhren würde, zu einer neuen Verfassung, aber so weit kam es damals noch nicht – eine der großen Enttäuschungen im politischen Leben dieses Fürsten.
Auch als Soldat, als Offizier dachte er in größeren Dimensionen als die meisten seiner Amtskollegen, er projektierte ein gemeinsames »stehendes Heer« des Fürstenbundes, mit der Zentralgarnison Mainz. Er wurde hier aktiv: »Durch nützliche Gespräche die Lähmung meiner Existenz vermindern« …
Gleichsam als Vorübung schloß sich der Befehlshaber der Weimarer Infanterie, Kavallerie, Artillerie und des Scharfschützenbataillons dem damals größten militärischen Verband an, der preußischen Armee. Offenbar ergab sich bei Gesprächen ein guter Kontakt mit dem Nachfolger Friedrichs des Großen, mit Friedrich Wilhelm II. Der ernannte Carl August zum Generalmajor und übertrug ihm noch im selben Jahr 1787 die Führung des 6. Kürassier-Regiments.
Dies wurde von leitenden Beamten in Weimar nicht einhellig begrüßt, denn es war zu befürchten, ja zu erwarten, daß sich der begeisterte Soldat etwas zu oft in der Garnison, etwas zu wenig in der Residenz aufhalten würde. Die Weimarer Residenz, die Garnison zu Aschersleben (südlich von Magdeburg): zwei Brennpunkte einer Ellipse.
Eine weitere Befürchtung der Administration: Als Generalmajor einer preußischen Einheit werde der Fürst künftig teilnehmen müssen an militärischen Unternehmungen, die von König und Kabinett in Berlin beschlossen werden.
Schon im selben Jahr wurde denn auch eine geheime Reise nach Berlin notwendig: der Herzog und der Vorsitzende des Militärausschusses wollten rechtzeitig erfahren oder erkunden, ob – wie es hieß – ein Krieg geplant wurde, der Weimar in Zugzwang bringen konnte. Wenige Maitage mit gedrängtem Programm, es überwog Militärisches. In Potsdam Besichtigung des sogenannten Exerzierstalls – ein großes Gebäude, das in seiner simplen Ausführung einem Stall glich. Auch in übertragener Bedeutung war dies eine treffende Bezeichnung: Soldaten der glorreichen friederizianischen Armee wurden wie Vieh behandelt und mißhandelt – die bekannte Erbarmungslosigkeit der preußischen Militärmaschinerie. Gequälte, getretene, geschlagene, geschundene Soldaten – wie sollten sie motiviert sein? Ja, im Exerzierstall konnte man eigentlich schon sehen, was in Frankreich zur Niederlage beitragen wird.
Nach dem Exerzierstall das Militärwaisenhaus, ebenfalls in Potsdam: etwa fünftausend Zöglinge im riesigen Bau! Und Goethe nahm, mit dem Herzog, an einem Manöver teil, schaute zu bei einer Parade, ging ins Zeughaus, inspizierte Geschütze und Gewehre, ließ sich eine Gewehrfabrik zeigen … Goethe nach diesen Inspektionen an Frau von Stein: »Es ist ein schön Gefühl, an der Quelle des Krieges zu sitzen in dem Augenblick, da sie überzusprudeln droht.«
Der bayerische Erbfolgekrieg zwischen Preußen und Österreich fand jedoch nicht statt, dafür ein Ersatzkrieg weiter nördlich: der frisch ernannte Generalmajor wurde mit seiner Einheit in den Niederlanden eingesetzt. Carl August aber konnte sich keine Orden verdienen, der Feldzug wurde, wie man damals gern sagte, zu einer militärischen Promenade. Sie wurde beendet mit der kampflosen Kapitulation von Amsterdam – vielleicht eine Erfahrung, die beim Koalitionskrieg allzu leichtfertige Erwartungen auch beim Herzog wecken wird.
Der zog jedes Frühjahr, jeden Herbst zu den drei Garnisons-Städtchen seines Regiments: nach Aschersleben, Oschersleben, Kroppenstedt. Er inspizierte die Exerzierübungen seines »Völkchens«, legte aber auch großen Wert auf militärische Übungen.
April 1789 war er wieder in Aschersleben, seinem Hauptquartier. Sein Troß respektive »Train« war auch diesmal schon vor ihm zur Garnison gezogen. Der Lebens- und Selbstdarstellungsstil eines Barockfürsten wirkte nach; er reiste mit einem Kämmerer, einem Kammerdiener, mit fünf Hofbedienten, einem Schreiber, einem Garderobendiener, einem Mundkoch, einem Küchenburschen, einer Küchenmagd, einer Bettmagd, zwei Jagdkutschern, einem Reitknecht, zwei Leibhusaren – meist 16 Personen.
Der Herzog blieb meist sieben bis acht Wochen in der Garnison. Hinzu kamen jeweils einige Wochen in der zweiten Jahreshälfte: Herbstmanöver, Herbstparaden. Er fühlte sich wohl unter Soldaten, Offizieren. Goethe gebraucht hier den bekannten Vergleich vom Fisch im Wasser, Carl August formulierte das etwas origineller, schrieb von seinem »kentaurischen Leben« am Vormittag. Die Zäsur zwischen Pferd und Mensch dann mittags. Zum Essen lud er Offiziere seines Regiments ein; auch abends der »Offizierstisch«. Dem Herzog lag sehr an persönlichem Kontakt mit seinen Offizieren. Das war ihm so wichtig, daß er diesen Punkt ausformulierte in einem der Reformvorschläge, die er nach oben reichte – und die jeweils zu den Akten gelegt wurden.
Von Aschersleben oder Oschersleben ritt er gelegentlich zum Herzog von Braunschweig, in die Garnison Halberstadt. Oder er besuchte den Fürsten von Anhalt in Dessau.
Das alles schien, aus der Ferne gesehen, nicht uninteressant. So schrieb Goethe 1789 dem Herzog, er würde gern bei einer der Paraden (»Revuen«) zuschauen. »Das Programm, das Sie mir mitschicken macht mir Lust, auch so etwas einmal zu sehen. Es ist unerlaubt, daß ich noch keine Revue gesehen habe. Es ist doch eines der merkwürdigsten Dinge, welche die Welt hat und gehabt hat.« Bereits im Herbst dieses Jahres reiste Goethe nach Aschersleben, als Begleiter der Herzogin Luise und ihrer Hofdame. Eine gute Woche lang blieb man in der Garnisons-Kleinstadt, beschaute und bestaunte Paraden und Übungen.
Der zweiunddreißigjährige Herzog und sein vierzigjähriger Gefolgsmann, von einem Erfurter Buchhändler skizziert in einer Aufzeichnung dieses Jahres: »Jetzt trat er herein – in seiner Regimentsuniform, weiß und rot, mit großen, mächtigen Reitstiefeln. Der berühmte Geheime Rat Goethe war sein Begleiter. Goethe geht nicht mehr so geniemäßig einher wie ehmals – hat sich ganz nach Hofetiquette geformt. Er kam in einem zimtbraunen Bratenkleide, Chapeau bas, mit dem Degen an der Seite dahergeschritten – machte Komplimente wie der steifste Hofjunker. – Der Herzog trägt einen recht venerablen Bauch vor sich her – und sein Gesicht ist wie ausgestopft – er schreitet mit steifen, ernsten Heldenschritten – kaum, daß man ihn lächeln sieht.« So machte der Herzog sichtbar, daß er sich »zum Soldaten geboren« fühlte, wie Goethe es formuliert, daß er »in seinem militaristischen Wesen recht zu Hause« war.
Ein Auftritt im Jahre 1789. Im folgenden Jahr wurde es – beinah – ernst: der Feldzug nach Schlesien. Eine militärische Einschüchterungsgeste an der...