Buch, Deutsch, Band 64, 578 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 214 mm, Gewicht: 714 g
Reihe: Campus Historische Studien
Textus - Opus - Feudalismus
Buch, Deutsch, Band 64, 578 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 214 mm, Gewicht: 714 g
Reihe: Campus Historische Studien
ISBN: 978-3-593-39738-2
Verlag: Campus
Das Mittelalter ist eine merkwürdige und spannungsreiche Zeit und fordert gerade deshalb Historiker stets neu heraus. Ludolf Kuchenbuch entfaltet hier das Programm einer Reflexiven Mediävistik. Anhand der drei Felder Schriftkultur (Textus), Arbeit (Opus) und Feudalismus zeigt er auf, wie eine solche sich selbst und ihren Gegenstand fortwährend reflektierende Mittelalterforschung aussehen kann.
Aus dem Inhalt: Vom Mönchslatein zum Schriftdeutsch – Sind mediävistische Quellen mittelalterliche Texte? – Vom Brauchwerk zum Tauschwert: Überlegungen zur Arbeit – Zur mittelalterlichen Vorgeschichte der Arbeitsgesellschaft der Moderne – Feudalismus: Über die Gebrauchsstrategien eines wissenspolitischen Reizworts
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Literaturwissenschaft Klassische Literaturwissenschaft Mittel- & Neulateinische Literatur
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Kultur- und Ideengeschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtswissenschaft Allgemein Geschichtswissenschaft: Theorie und Methoden
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Mentalitäts- und Sozialgeschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Alte Geschichte & Archäologie Mittelalterliche, neuzeitliche Archäologie (Europa)
Weitere Infos & Material
Inhalt
Vorausworte im Nachhinein 11
Textus
1. Alteuropäische Schriftkultur
Ausgangsdimensionen und Grundtatsachen 41
2. Vom Mönchslatein zum Schriftdeutsch
Über die Dynamik der Schriftkultur im Mittelalter 55
3. Pragmatische Rechenhaftigkeit?
Kerbhölzer in Bild, Gestalt und Schrift 64
4. Teilen, Aufzählen, Summieren
Zum Verfahren in ausgewählten Güterverzeichnissen
des 9. Jahrhunderts 98
5. Numerus vel ratio
Zahlendenken und Zahlengebrauch in Registern der
seigneurialen Güter- und Einkünftekontrolle im
9. Jahrhundert 123
6. Register und rekenschap
Schriftordination in der Wirtschaftsführung der
Abtei Werden (12. bis Anfang 16. Jahrhundert) 169
7. Sind mediävistische Quellen mittelalterliche Texte?
Zur Verzeitlichung fachlicher Selbstverständlichkeiten 184
8. Zwischen Improvisation und Text
Schriftanthropologische Erwägungen eines Jazzamateurs
und Mediävisten zur Musikhistorie 217
Opus
9. Vom Brauch-Werk zum Tauschwert
Überlegungen zur Arbeit im vorindustriellen Europa 249
10. Opus feminile
Das Geschlechterverhältnis im Spiegel von
Frauenarbeiten im früheren Mittelalter 279
11. "Arbeit" und "Gesellschaft" vom späten 10. zum
frühen 12. Jahrhundert
Bemerkungen anhand vorwiegend urbarialer Überlieferung
nördlich der Alpen 316
12. Die dreidimensionale Werk-Sprache des Theophilus presbyter
"Arbeits"-semantische Untersuchungen am Traktat
De diversis artibus 341
13. Zurück zu Kunst und Werk?
Ein mediävistischer Essay zur mittelalterlichen
Vorgeschichte der modernen Arbeitsgesellschaft 402
Feudalismus
14. Feudalismus
Versuch über die Gebrauchsstrategien eines
wissenspolitischen Reizworts 419
15. Mediävalismus und Okzidentalistik
Erinnerungskulturelle Funktionen des Mittelalters und
das Epochenprofil des christlich-feudalen Okzidents 452
16. Das Huhn und der Feudalismus 479
17. Censum dare
Vorstudien zur herrschaftlichen Aneignungssprache im
Deutschen Reich im Spiegel von Besitz- und Zinsregistern
(12. bis 15. Jahrhundert) 485
Mediävistische Anthropologie
18. Zwischen Lupe und Fernblick
Berichtspunkte und Anfragen zur Mediävistik als
historischer Anthropologie 537
Veröffentlichungen und Manuskripte 568
Alles historische Arbeiten kommt um die Frage des Überliefertseins der Zeugnisse, die zu untersuchen sind, als primärer Aufgabe nicht herum. Die Materialität und Form der mittelalterlichen Schriftstücke (scripta), die Art ihrer Herkunft, ihres Status als schriftliche, bildliche oder figürliche Stücke (die beschriftet sind), sowie die Wege ihrer Überlieferung bilden das Feld, ohne dessen Aufklärung keine weitere Untersuchung fruchten kann. Aber warum konnte für die Betitelung dieser Problemlage nicht der Begriff der Schrift bzw. der Quelle oder des Textes genügen, warum wurde der lateinische Begriff textus gewählt? Nur die ganze erste Sektion des Buches selbst kann hierzu ausreichend antworten. Nur so viel sei hier angedeutet: Das lateinische Wort textus (und später auch das deutsche Fremdwort Text) ist im Verständnis des langen Mittelalters kein Passepartout für jedwedes Schriftstück. Es wird selten benutzt, und wenn, dann nahezu exklusiv für die Heilige Schrift als liturgischer Gegenstand (Evangelienbuch) bzw. für die visuelle Ordnung und den inneren Sinn wortlautstabiler Schriften (wie der Bibel). Die Folgerung: Im Mittelalter sprach man kaum von textus - wenn, dann übertragen aus diesem engen Ausgangsbereich. Was aber sind dann die unzähligen scripta eigentlich, und welche materialen, formalen, inhaltlichen Wandlungen sind bei ihnen erkennbar, in welchen Verständigungsforen wirken sie, wer hat den Nutzen von ihnen? Dieser ganze Teil des vorliegendes Bandes ist also Text-Kritik, zielt auf die Differenz zwischen den mittelalterlichen Schriftstücken und dem modernen Textverständnis, das ja durchgehend die Forschungsmethodik leitet: der modernen (Text-)Hermeneutik. Ohne Historisierung des Textes und die Gebrauchsanalyse der scripta keine Mediävistik - so lautet die Devise.
Die Reihe der acht Beiträge beginnt mit Bestimmungen der Basiselemente der alphabetischen Schriftkultur insgesamt und geht dann zum Bestand derjenigen Charakteristika über, ohne welche die lateineuropäische Schriftkultur, ihr Machtpotential und ihre enorme Wandlungsdynamik im Mittelalter - einschließlich der aufkommenden vernakulären Schriftwerke - nicht verständlich wird (1). Die entscheidenden Wandlungsetappen dieser sozial begrenzten Klerus-Literalität werden im anschließenden Beitrag, darauf aufbauend, von der Spätantike bis zur Reformation möglichst anschaulich dargelegt (2). Danach folgen vier Detailstudien über Schriftstück-Typen bzw. -Gattungen, mit deren Hilfe regiert werden konnte: Kerbhölzer (3); Besitz- und Einkunftsregister, Urkunde, Rechtsbuch, Rechnung (4,5 und 6). Sie alle verdanken sich dem mündlichen Wissen an der lokalen Sozialbasis (Verschriftung durch Visitation und Inquisition) und wurden von den Herrschaftsbeauftragten für interne Zwecke bearbeitet (Verschriftlichungen). Beiden Vorgängen wohnten Möglichkeiten eines verbesserten Umgangs mit allen Elementen des Schriftstücks inne (Rolle/Kodex, Seiten-Layout, Figur, Buchstabe, Ziffer, Zeichnung, Zeichen usf.), der langfristig auf stumm lesbare Aneignung und effektivere Nutzung hinauslief. Es ging um visuelle und kalkulatorische Ordinations-Gewinne durch kleinschrittige Verdeutlichungen, Ergänzungen und Formalisierungen. Umgekehrt, von heute aus gesagt: Es ging um Beiträge zur Genealogie der modernen Rationalisierung und Numeralisierung des Schreibens, Denkens und Rechnens bei der Erfassung und Manipulation der sozialen Wirklichkeit (Herrschaftspraxis). Diese Ausrichtung der Beiträge auf den Schriftmachtwandel verstehe ich als Korrektiv zu dem in der Mediävistik vorherrschenden Interesse an Literalitätstypen und -praktiken in Kultus und Kultur der geistlichen und weltlichen Aristokratien. Eine kritische Auseinandersetzung mit mediävistischen Text- und Textualitätskonzepten dient daher im folgenden Beitrag dazu, ausgehend von einigen mittelalterlichen textus-Geschichten gängige Indienstnahmen des modernen Text- und Quellen-Begriffs für die mediävistische Arbeit zu hinterfragen (7). Seit der Entstehung dieses Textes im Jahre 2000 meide ich beide Begriffe bei der mediävistischen Arbeit. Den Abschluss dieses ersten Teils bildet ein Spagat zwischen der Form und Rolle von Notaten im Amateur-Jazz und der Frage nach der schriftkulturellen Differenz zwischen cantus und musica im 12./13. Jahrhundert. Damit habe ich die Klangaufzeichnung (Musikschrift) in mein Historisierungsfeld einbezogen. Unterbrochen wird der Spagat durch einen musikgeschichtlichen Rückwärtslauf von der heutigen Musik zur mittelalterlichen musica. In diesem Zusammenhang ergab sich die Notwendigkeit, das dreidimensionale Sinn-Feld von textus, scripta und usus zu schematisieren und auf seine inneren Bewegungsformen hin zu deuten (8). Soweit das Profil der Beiträge - auf Vieles musste verzichtet werden.