Kruse Tod im Augustinerhof
1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-86913-312-6
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Frank Beauforts erster Fall - Frankenkrimi
E-Book, Deutsch, Band 1, 336 Seiten
Reihe: Frank Beaufort
ISBN: 978-3-86913-312-6
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dirk Kruse wurde 1964 in Geesthacht geboren. Nach einer Krankenpflegeausbildung in Hamburg studierte er in Erlangen Politikwissenschaft, Germanistik und Theaterwissenschaft. Seit 1995 ist er hauptberuflich für den Bayerischen Rundfunk (Studio Franken sowie Bayern 4 Klassik) als Literatur- und Theaterkritiker, Moderator und Nachrichtenreporter tätig. Dirk Kruse arbeitet außerdem als freier Moderator sowie als Dozent für Sozialkunde, Ethik und Deutsch in Erlangen und Nürnberg. Bei ars vivendi erschien 2008 sein Kriminalroman Tod im Augustinerhof, 2009 folgte Requiem.
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Dienstag, 7. Januar
Der Mann in der Jogginghose trat mit seinem Hund vor die Tür. Er hustete, spuckte aus und zündete sich eine Zigarette an. Es war fünf Uhr morgens, der Himmel war sternenklar, und es war kalt. Der Hund zerrte an der Leine, und der Mann setzte sich in Bewegung. Er bog in die Schustergasse ein, passierte das dunkle Gebäude der Industrie- und Handelskammer und ging zum Hauptmarkt, wo immer noch einige Christkindlesmarktbuden standen. An der Bushaltestelle steckte er 60 Cent in den roten Kasten, öffnete den Deckel und zog eine Zeitung heraus. Sie war dicker als üblich, denn wegen des Feiertags gestern waren manche Zeitungen nicht erschienen. Er überflog die Schlagzeilen: Ein Krieg im Irak wurde immer wahrscheinlicher, das Hochwasser in Franken war weiter gesunken, und Londoner Journalisten spekulierten über Eheprobleme des Kanzlers. Er faltete die Zeitung zusammen und schob sie in seine Jacke.
Wieder zog der Hund an der Leine, er musste sein großes Geschäft verrichten. Doch bis zum Maxplatz, einer kleinen Grünfläche mit einem Poseidonbrunnen in der Mitte, von den Hundehaltern im Viertel zum inoffiziellen Hundeklo degradiert, hatte der Mann noch ein Stückchen zu gehen. Vor ihm lag der Eingang zum Augustinerhof. Das verlotterte Areal mit den abbruchreifen Häusern diente nur noch als Parkplatz. Dieser wurde nachts normalerweise mit einem eisernen Schiebetor verschlossen, doch meistens war es nur zugeschoben und nicht verriegelt. So auch heute. Das brusthohe Tor stand einen Spalt weit offen. Ein Passant konnte bequem auf den Hof treten. Der Hund war kaum noch zu bremsen. »Kumm her«, herrschte der Mann das Tier an und zog es zwischen seine Beine. Dann machte er die Leine los und ließ den Hund mit einem Klaps hineinlaufen. Es war nicht das erste Mal, dass er das Tier in den Augustinerhof kacken ließ.
Der Mann wartete. Er rieb sich die Hände und hauchte darauf. Sein Atem war in der Luft zu sehen. Er stellte den Kragen seiner Windjacke hoch und schlug mit den Armen über Kreuz ein paar Mal gegen seinen Oberkörper. »Iich hädd an Schoal brauchd ba dera Saukäld«, dachte der Mann und pfiff nach seinem Hund. Keine Reaktion. »Kumm her«, brüllte er in den dunklen Hof, doch von seinem Hund war immer noch nichts zu sehen. »Bläida Köder«, murmelte er und ging hinein, um ihn zu suchen.
Der Platz war groß und unübersichtlich. Er war umgeben von leer stehenden vier- und fünfstöckigen Gebäuden. Kaputte Fensterscheiben, mit Brettern vernagelte Türen und abgebröckelter Putz zeugten vom verwahrlosten Zustand der Häuser. Auch der Boden des Augustinerhofs sah nicht gepflegter aus. Er war zum Teil mit schadhaftem Asphalt bedeckt, bestand aber überwiegend aus festgestampftem Lehm mit zahlreichen Schlaglöchern, in denen Wasser stand. Eine Eisschicht hatte sich auf den Pfützen gebildet. Es hatte gefroren. Kein Wunder, dass ihm so kalt war. Im Hintergrund sah der Mann drei geparkte Autos. Er bog langsam um die Ecke und ging tiefer in den Hof hinein.
Dort, mitten auf dem Platz, trotz der Dunkelheit deutlich zu erkennen, war sein Hund. Das Tier stand bei einer Gestalt, die auf dem Boden lag. Sie gab kein Lebenszeichen von sich. Ängstlich sah der Mann sich um und ging zögernd näher. Die Gestalt lag auf dem Rücken, die Arme und Beine x-förmig von sich gestreckt. Um sie herum war ein Kreis in den Boden gezogen. Es war ein älterer Mann in einem grünen Lodenmantel. Er war tot. Sein graues Haar war blutig, und der Kopf sah merkwürdig deformiert aus. Jemand hatte ihm den Schädel eingeschlagen. Der Hund, der am Kopf des Toten lauerte, schaute zu seinem Herrchen hoch. Als keine Reaktion kam, widmete sich das Tier erneut dem Kopf der Leiche. Hirnmasse war hervorgequollen, und der Hund leckte sie auf.
Erst in diesem Moment löste sich der Mann aus seiner Erstarrung. Mit ein paar Schritten taumelte er auf den Hund zu, riss ihn am Halsband von der Leiche weg und schlug ihn voller Zorn mit der Leine, die er noch immer in der Hand hielt. Als der Hund vor Schmerz winselte, hörte der Mann abrupt auf. Schweiß stand auf seiner blassen Stirn und ihm war speiübel. Er leinte den Hund an und zerrte ihn vom Hof. Ohne nach links und rechts zu schauen, eilte er durch die leeren Straßen. »Allmächd, Allmächd«, murmelte er die ganze Zeit. Krämpfe durchzuckten seinen Unterleib. Als er seinen Hauseingang erreichte, zitterte er. Nur mit Mühe konnte er den Schlüssel ins Loch stecken und die Haustür öffnen. Die drei Stockwerke zu seiner Wohnung rannte er fast hoch, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Der Hund sah das als Spiel an und wuselte um ihn herum, wobei der Mann beinahe über ihn gestolpert wäre. Doch der hatte keine Zeit, um sich aufzuregen. Nachdem er seine Wohnungstür endlich geöffnet hatte, stürmte er geradewegs auf die Toilette. Schon im Gehen öffnete er den Gürtel, zog kurz vorher die Hosen runter und ließ sich, keine Sekunde zu spät, auf die Brille fallen. Mit einem Geräusch, ähnlich dem Knall eines Korkens aus einer Sektflasche, entleerte sich sein Darm unter Krämpfen. Gleichzeitig übergab er sich ins Waschbecken neben dem Klo. Es stank abscheulich, doch er fühlte sich erleichtert.
Etwa fünf Minuten später reinigte er Gesicht und Hintern gründlich mit warmem Wasser, zog sich wieder an und wischte das Waschbecken aus. Dann ging er den Flur zurück zur Wohnungstür, die immer noch offen stand, und schloss sie. Er hatte sich wieder einigermaßen gefangen. In der Küche lag der Hund in seinem Korb und nagte an einer Gummiente. In jäh aufwallendem Zorn packte er den Hund, zerrte ihn in die Badewanne und duschte das sich sträubende Tier ab. Es jaulte auf, als der Mann sein Maul mit Shampoo einseifte, und versuchte zu beißen, aber er hatte den Hund fest im Griff. Als sich das Tier mehrfach beleidigt geschüttelt und der Mann es oberflächlich abgetrocknet hatte, ging er zurück in die Küche. Mit spitzen Fingern nahm er die Gummiente und warf sie in den Mülleimer. Dann wusch er sich die Hände, ging ins Wohnzimmer, setzte sich ans Telefon und wählte die Notrufnummer der Polizei. Es klingelte nur einmal, ehe sich ein Beamter meldete.
»Horchns amol, dou liechd a Douder«, sagte der Mann in breitem Fränkisch ins Telefon. »Der hodd alle Viere vo sich gstreckt. Dou liechd a Douder im Augustinerhuuf.«
Es war genau 5.38 Uhr.
*
Rote Rosen, roter Wein, Kerzenlicht und Mondenschein.
Alles hab ich schon probiert, doch leider ist noch nichts passiert.
Nackt und mit Schaum vor dem Mund stand Frank Beaufort vor dem Waschbecken. Er sah müde aus. Während er die Zahnbürste kreisen ließ, betrachtete er seine leicht geschwollenen Tränensäcke. Er war wieder mal spät ins Bett gegangen, fühlte sich aber ausgeruht. Sein Haar war verstrubbelt und musste geschnitten werden.
Dieses Mädchen macht mich heiß, doch sie hat ein Herz aus Eis.
Wenn die Sehnsucht mich verbrennt, sagt sie völlig ungehemmt
immer nur denselben Spruch:
Beaufort spülte den Mund aus, wusch sein Gesicht und trocknete es ab. Die Schläfen fingen langsam an, zu ergrauen. Er überlegte seit einiger Zeit, ob er mit dem Tönen beginnen sollte. Aber das ständige Nachfärben würde ihm bei seinem starken Haarwuchs lästig fallen. Und außerdem hatten graue Schläfen bei einem Enddreißiger durchaus etwas Attraktives, fand er.
Schatzi nein, lass das sein.
Heute darf das noch nicht sein.
Viel lästiger war der kleine Rettungsring, der sich in den vergangenen Monaten um seine Körpermitte gebildet hatte. Beaufort war sehr groß und wirkte eher schlank, aber der Wohlstandsbauch ließ sich nur noch schlecht verstecken. Süßigkeiten gehörten zu seinen Leidenschaften. Er betastete seinen Hüftspeck und zog seinem Spiegelbild eine Grimasse.
Es ist Mitternacht, und ich geh nach Haus. Bye, bye Belinda.
Hab genug von dir, denn das Spiel ist aus. Bye, bye Belinda.
Ich kenn keinen Mann, der länger warten kann. Bye, bye Belinda.
Bleib doch ungeküsst, bis du hundert bist. Bye, bye Belinda.
Außerdem nervte ihn die Musik. Den Sender hatte seine Haushälterin Rita Seidl eingestellt, eine bekennende Bayern 1-Hörerin und sogar Mitglied in einem Fanclub. Sie musste gestern in der Wohnung gewesen sein, um sauber zu machen. Beaufort hasste es, von Geräuschen und Gerüchen des Putzens belästigt zu werden, und so hatte er mit ihr das Abkommen geschlossen, dass sie nur dann staubsaugen und die Waschbecken mit ihren Reinigungsmitteln säubern solle, wenn er nicht da war.
Die pfundigen Flippers waren das. Mit so fetziger Musik bringen wir Sie heute Morgen bei dieser Kälte bestimmt richtig in Schwung. Aber jetzt gibt’s erst mal die Schlagzeilen aus der Nachrichten-
redaktion und danach das Neueste aus Ihrer Region.
Da Frau Seidl unten im Erdgeschoss wohnte, war das kein Problem. Beaufort sagte ihr, wenn er wegging, aber das bekam sie sowieso mit. Sie war neugierig wie ein Boulevardjournalist und thronte dort unten als eine Art Concierge. Das nahm er in Kauf, weil sie zuverlässig war, er ihr vertrauen konnte und sie außerdem noch hervorragend kochte – solange es sich um fränkische Gerichte handelte.
Berlin – Im Tarifstreit im öffentlichen Dienst wollen die Arbeitgeber heute ein neues Angebot vorlegen. Das sei die letzte Chance, den Konflikt einvernehmlich zu lösen und einen drohenden Streik abzuwenden, sagte Verdi-Chef Frank Bsirske.
Sie hielt...