Krüger | El Camino und weiteres | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 186 Seiten

Krüger El Camino und weiteres


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7693-8375-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 186 Seiten

ISBN: 978-3-7693-8375-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Es sind verrückte Zeiten. Warum läuft soviel schief? Wir sind doch alles Gutmenschen. Wir sind sensibel. Hat nicht jeder schon mal zur Dusche gesagt, sie soll aufhören zu weinen. Die Augen müssen offen bleiben, die Herzen weit, der Verstand klar. Wenn ich recht habe, hat auch der Gegenüber recht (er hat recht in seinem Sinne). Auch so eine Spiegelweisheit. Spiegelbilder können deckungsgleich werden. Das wünsche ich mir.

Ekkehard Krüger ist überzeugter Wiederholungstäter der schreibenden Zunft. Hiermit setzt seine literarische Reise fort, der oft widersprüchlichen Zeit und Welt ein wenig tieferen Sinn zu entlocken.

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Wert
1. “Die deutsche Sprache ist eine schwere Sprache. Man kann sich jeden Tag das Hirn oder die Zunge brechen.” Lamine, Jamal und Kylian sitzen auf einer Bank vor der Volkshochschule Lichtenberg. Sie sind Migranten und vor zehn Monaten nach Deutschland gekommen. Jetzt besuchen sie einen Deutschkurs. Alle drei kamen allein, ohne Familie. Sie sind froh, daß sie sich als Freunde gefunden haben. Über ihnen rauschen die Pappeln. Der schwache Wind verspricht keinen Regen, er bringt nur ein wenig Abkühlung. Die Mittagspause hat gerade erst angefangen. “Was würdest du geben, um das Endspiel am Wochenende im Stadion zu sehen?” fragt Kylian unvermittelt Jamal. Jamal ist ein schmaler Bursche mit blauen Augen. Er ist Syrer, keine 18 Jahre alt, sein Körper ist zierlich, ein Wunder, daß er eine so weite Strecke geschafft hat. “Was soll ich geben? Hab’ kein Geld für eine Karte. Aber es wäre mir schon viel wert.” Lamine mischt sich ein: “Gestern hörte ich im Radio, daß eine 100,-€ Karte für ein Rammstein Konzert für über 5000,-€ gehandelt wird. Ist die das wert?” Gleichgültige Gesichter blicken ausdruckslos in die Ferne. Keine Antwort. Eine Karte für Taylor Swift wird für weniger gehandelt. Lamine stammt aus dem Kongo. Er ist klein, untersetzt, hat einen kräftigen Körper. Seine grasgrünen Augen stechen aus dem dunkelhäutigen schwarzen Gesicht. Das runde Gesicht wirkt weich, fast träumerisch. Sein Weg führte ihn über Spanien und Frankreich nach Deutschland. Die beiden anderen staunen, woher er Rammstein kennt. “Warum über Geld reden? Es ist doch außer Reichweite. Oder hast du welches?” Damit stößte er Kylian an. Der ist Marokkaner, ebenfalls dunkelhäutig, doch weniger als Lamine. Kylian ist mit 19 Jahren der älteste. Sein flaches hohes Gesicht verrät keinen Gedanken, er wirkt verschlossen. Der lange Weg hat ihn ernüchtert, die Illusionen sind verflogen. “Ich hab’ alles nach Hause geschickt. Fußball im Stadion sehen ist Luxus. Nicht mein Ding.” Die drei unterhalten sich weiter über Fußball. Einen guten Fernseher zu finden ist heute die Herausforderung. Doch noch sind sie in der Volkshochschule und lernen deutsch. 2. In der oberen Etage der Volkshochschule begrüßt Frau Röhle die Teilnehmer des neuen Philosophiekurses. Es ist ihr erster Kurs, sie ist aufgeregt. Frau Röhle ist Anfang sechzig. Vor zwei Jahren hatte sie einen Burnout, sie hatte sich übernommen bzw. konnte nicht nein sagen, als immer mehr Aufgaben auf ihrem Schreibtisch in der Schulverwaltung abgeladen wurden. Sie ist eine hochgewachsene schlanke Person, die immer geschlossen und zugeknöpft daher kommt. Sie wirkt ruhig, hört geduldig zu, ihre schmalen Lippen bringen kein lautes Wort hervor. Sie ist sich sicher, ihre zurückhaltende Art war ihr bisher nicht sehr dienlich. Im Klassenzimmer der Volkshochschule sitzen neun Erwachsene. In der ersten Reihe drei Frauen, Hanka, Gabi und Christine. Dahinter sitzen zwei Männer und eine Frau, Wolfgang, Peter und Ivon. In der letzten Reihe haben ein Mann und zwei Frauen Platz genommen, Rudolf, Manuela und Kerstin. Es scheint, Frauen haben eine größere Affinität zur Philosophie. Vom Alter her sind alle Rentner. Sie hätten sich sonst nicht die Zeit für den Philosophiekurs freigenommen. Frau Röhle stellt sich vor die Klasse hin und verschränkt die Hände. “Ich möchte heute mit Ihnen den philosophischen Diskurs mit dem Wort Wert beginnen. Was fällt Ihnen spontan zum Wert ein?” Nachdenkliche Stille. Wolfgang startet als Erster. “Der Wert drückt sich im Preis aus. Ich habe letztens das Buch von Mariana Mazzucato “Wie kommt der Wert in die Welt?” gelesen. Da wird genau beschrieben, wie der Wert eines Produktes gebildet wird. Sehr interessant und empfehlenswert.” Christine in der ersten Reihe meldet sich. Sie ist eine zierliche Person, die selbstbewußt nach vorn schaut. Ihre blonde Mähne türmt sich über ein markant geschnittenes Gesicht. “Der Wert bemißt sich für mich am Nutzen. Wenn ich zuhause für den Kuchen Mehl brauche kaufe ich welches in der Halle für 5,-€. Die Lebensmittel haben ihren Wert.” So geht es munter weiter. Frau Röhle läßt der Diskussion ihren Lauf, der ökonomische Wert wird ausführlich behandelt. Die Preise werden an vielen Stellen verglichen. Butter, Strom, Kleidung. Die Angebote von Temu aus China sind allerdings unklar. Das Preis – Leistungsverhältnis passt überhaupt nicht, viel zu billig. Als danach die Reisebüropreise kritisch hinterfragt werden beschließt Frau Röhle, die erste Kurseinheit zu beenden. Sie ist zufrieden, der Auftakt ist gelungen. Sie überlegt, Wert ist nicht gleich Preis, das muß sie als nächstes herausarbeiten. 3. Eine Woche später sitzen Lamine, Jamal und Kylian wieder vor der Volkshochschule. “So ein Mist. Die ganzen Wörter sind doch viel zu schwer” jammert Kylian. Ihre Lehrerin hatte ihnen in der letzten Stunde zum Abschluß ein Blatt mit Wörtern überreicht. Sie sollten als Hausaufgabe versuchen, den Sinn der Wörter zu finden. Mensch / Haus / Himmel / Kriegstüchtigkeit / Ersatz / Revolution / Frieden / Ameise / Tod / Gesundheit / Berg / Muskel / Toleranz / Brüderlichkeit / Essen / Empathie / Leistungsbereitschaft / Stärke / Wasser / Partei / Klimaschutz / Freundlichkeit / Zelle / Fehler / Staat / Freiheit / Durchsetzungsvermögen / Fahne / Eis / Trümmer / Politik / Individualrecht / Zuversicht / Verband / Glück / All / Dauer / Neid / Haß / Karton / Sexualität / Atavismus / Nation / Zahl / Gesellschaft / Garten / Solidarität / Haut / Kreis / Umfang / Unverletzbarkeit / Sprache / Mut / Küste / Euro / Ärger / Selbstgefälligkeit / Sicherheit / Sauberkeit / Luft / Talent / Dorf / Heil / Grab / Heimweh / Verlust / Zufall / Los / Kälte / Batterie / Handy / Freude / Ausland / Teil / Stein / Gefahr / Leitkultur / Redseligkeit / Kooperationsbereitschaft / Ast / Locken / Grausamkeit / Tapferkeit / List / Werk / Stolz / Tatendurst Jamal beruhigt ihn: “Das meiste haben wir ja gegoogelt. Und die restlichen Wörter brauchen wir bestimmt nicht, also sind sie wertlos für uns. Die Lehrerin wird schon alles erklären. Habt ihr das EM- Endspiel gesehen?” Damit steckt er das Blatt mit den Substantiven ein. Die anderen legen ebenfalls schnell ihre Blätter beiseite. Lamine blüht auf. Er fährt sich mit der Hand durchs Haar und beginnt einen ausführlichen Fußballbericht. Als er endet bemerkt Kylian trocken: “Das Endspiel war Klasse. Die cleveren Spanier sind top und die besten. Nach dem Kurswert der Spieler hätten aber die Engländer gewinnen müssen. Ihr Kader ist 1.5 Milliarden Euro wert, die Spanier bringen nur 900 Millionen auf den Platz.” Jamal konstatiert nüchtern: “Geld schießt keine Tore, ein gutes Spiel ist noch kein Garant für einen Sieg.” Damit stehen sie auf und laufen zu ihrem Kurs in die Schule. Das EM- Endspiel ist schon fast vergessen. 4. In der folgenden Stunde will Frau Röhle den Begriff Wert genauer eingrenzen. Was ist der Wert? Das Wort ist erstmal neutral. Es wird meist positiv gebraucht, dies ist aber nicht korrekt. Das Positive im Einzelfall ist, daß der Betreffende Werte besitzt, sich dessen bewußt ist und dafür einsteht. Wert ist das, was den Menschen bewegt, was ihn antreibt. Der Mensch stellt eine Kosten – Nutzen – Rechnung an. Was bekomme ich, wenn ich, wenn ich etwas erwerben will, mich einschränke oder etwas aufgebe? Wenn ich mein essen diszipliniere und mich bewege bekomme ich einen sportlichen Körper. Also hat Disziplin einen Wert. Wieviel Geld muß ich einsetzen, damit ich das Auto kaufen kann? Werte werden oft auf ethische Werte reduziert, auf Moralvorstellungen. Dabei resultieren tradierte Werte aus Sitten und Gebräuchen, sie sind Teil der Tradition. Überzeugungen, Haltungen, Bedürfnisse werden in Begriffen oder Idealen kondensiert und bilden die Grundlage für die Moral. Sie symbolisieren Sittlichkeit. Aber das ist nicht vollständig. Werte umfassen mehr. Wo taucht der Begriff Wert überall auf? Frau Röhle schlägt vor, reihum soll jeder einen Wertebegriff nennen, der letzte hat gewonnen. Hanka fängt an: Werturteil. Christine ergänzt: Wertebasis. Gabi ruft Wertvorstellung. So geht es eine ganze Weile, einer nach dem anderen schießt ein Wort nach vorn. Wertesystem, Wertekanon, Werteskala, Referenzwert, wertvoll, wertfrei, wertlos, unwert, Wertsachen, Wertorientiertheit, Wertehaltung, Wertewende, Wertungsprozeß, Wertegemeinschaft, hoher Wert, höherer Wert, Wertekrise, Wertmaßstab, Wertschätzung, Tauschwert, vollwertig, liberale Werte Werteveränderung, umwerten, verwerten, aufwerten, bewerten, entwerten, auswerten, Stellenwert, Grenzwert, ewiger Wert, heiliger Wert. Als die Worte versiegen kürt Frau Röhle Kerstin zur Siegerin und nimmt ein Wort heraus. Wertekanon. Hat jeder Mensch gleichviele Werte? Und stellen sich alle das Gleiche unter einem konkreten Wert vor? Sie schaut zur Uhr, die Stunde ist schon um. Als Hausaufgabe gibt sie jedem Teilnehmer...



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