Kröhnert | Sozialraumanalyse in der Praxis | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 195 Seiten

Kröhnert Sozialraumanalyse in der Praxis

Grundlagen, Methoden, Umsetzung
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-17-040834-0
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Grundlagen, Methoden, Umsetzung

E-Book, Deutsch, 195 Seiten

ISBN: 978-3-17-040834-0
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sozialraumanalysen untersuchen Lebensräume mithilfe von empirischen und partizipativen Forschungsmethoden. Doch wie können Fachkräfte in Sozialer Arbeit, Ortsentwicklung oder Quartiersmanagement dies umsetzen? Das Lehrbuch vermittelt ein systematisches Vorgehen anhand klar definierter Arbeitsschritte: Was möchte ich wissen und warum (Entwicklung einer Forschungsfrage)? Wodurch kann ich das ermitteln (Operationalisierung)? Wie kann ich vorgehen (Methodenauswahl und -umsetzung)? Dabei wird Leserinnen und Lesern ein "Baukastensystem" vorgeschlagen, bestehend aus quantitativen, qualitativen und partizipativen Methoden. Diese können je nach Fragestellung, Kontext und Zielgruppen kombiniert werden. Zudem wird gezeigt, wie Untersuchungsergebnisse ausgewertet und interpretiert werden können. Das Lehrbuch unterstützt so beim Durchführen von Sozialraumanalysen in der Praxis.

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1 Was ist ein Sozialraum?
Unter »Raum« verstehen wir üblicherweise den sich in drei Dimensionen ausbreitenden physischen Raum. Er kann, als physikalisch-materielle Gegebenheit, durch objektiv messbare Distanzen beschrieben werden. Er wird durch physische Barrieren strukturiert und ist in der Regel planerisch-baulich gestaltbar. Die Sphäre des »Sozialen« hingegen definiert sich über die Kommunikationen und Interaktionen zwischen Menschen. Sie umfasst sowohl einmalige Interaktionen zwischen Individuen als auch wiederkehrende oder dauerhafte Muster solcher Interaktionen, etwa soziale Rollen und soziale Netzwerke bis hin zur Sozialstruktur einer Gesellschaft. Soziale Interaktion spielen sich im physischen Raum ab. Und auch die Gestaltung des physischen Raums, die Gestaltung von Straßen, Plätzen, Gebäuden, Räumen wirken sich auf das Erleben und Verhalten von Menschen aus. Hat man also das Ziel, das Agieren von Menschen zu analysieren oder darauf einzuwirken, ist es sinnvoll, beide Raumdimensionen, die physische und die soziale, zusammenzudenken und zu analysieren. Unter einem Sozialraum soll deshalb hier die Struktur von sozialen Interaktionen und Kommunikationen im physischen Raum verstanden werden. 1.1 Sozialräume und ihre Grenzen
Differenzen gibt es in der Praxis bei der Frage, was einen Sozialraum begrenzt. Während bei manchen sozialarbeiterischen Interventionen unter dem Sozialraum einer Klientin oder eines Klienten der Bereich seiner alltäglichen Interaktionen verstanden wird, ist im Quartiersmanagement oder der Stadtentwicklung ein Sozialraum häufig mit einem Ortsteil oder Stadtbezirk identisch. Mitunter werden Begriffe wie Sozialraum, Lebenswelt oder Quartier scheinbar austauschbar verwendet. Tatsächlich gibt es unterschiedliche Sichtweisen auf Sozialräume. Wichtig im Kontext von sozialraumbezogener Arbeit und Sozialraumanalysen ist es, diese Unterschiede zu kennen und sich ihrer bei der Arbeit bewusst zu sein. Es scheint sinnvoll, drei unterschiedliche Perspektiven auf Soziale Räume zu unterscheiden. Damit sollen aber nicht »drei verschiedene Sozialräume« unterschieden werden. In allen Fällen bleibt es dabei, dass sich Sozialräume durch Interaktionen und Kommunikationen bilden. Sie sind keine »Behälter« mit festen Grenzen und sie existieren nicht unabhängig von Interaktionen. Aber in der Praxis unterscheidet sich, mit welchem Fokus man Soziale Räume betrachtet und analysiert. Sozialraum I: Individueller Sozialraum
Aus einer individuumzentrierten Sichtweise kann man den Sozialraum als jenen physischen Raum beschreiben, in dem sich ein Individuum bewegt, einschließlich der Art, Dichte und Qualität der in diesem Raum stattfindenden Interaktionen zu anderen Menschen oder zu Institutionen. In diesem Sinne hat jeder Mensch einen individuellen Sozialraum, der sich von allen anderen unterscheidet. Zu diesem individuellen Sozialraum gehört dann zunächst die eigene Wohnung und die Beziehungen zu Familienangehörigen, mit denen dieser Mensch zusammenlebt. Doch die Person geht auch in die Schule oder zu einem Arbeitsplatz und interagiert dort mit Mitschülerinnen und Mitschülern, Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen oder Kundinnen und Kunden. In der Freizeit ist die Person vielleicht in einem Verein engagiert. Sie sucht regelmäßig bestimmte Behörden oder Arztpraxen auf, eine Bibliothek oder ein Jugendzentrum. Ein so definierter Sozialraum hat keine festen physischen Grenzen, ist also nicht etwa auf den Wohnort beschränkt, auch wenn dort die meisten Interaktionen stattfinden. Beziehungen können punktuell auch zu weit entfernten Orten und Regionen gepflegt werden. Über digitale soziale Medien entstehen zusätzlich Interaktionen, die keinem physisch begrenzten Raum mehr zuordbar und dennoch für das Individuum relevant sind (? Abb. 1). Der individuelle Sozialraum ähnelt am ehesten dem älteren Konzept der »Lebenswelt«. Vor dem Aufkommen von sozialraumorientierten Ansätzen in der Sozialen Arbeit existierte bereits das Konzept der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit, das im Wesentlichen von dem Tübinger Erziehungswissenschaftler und Sozialpädagogen Hans Thiersch geprägt wurde: »Lebenswelt meint die gegebenen Sozialräume, die regionalen, lokalen und straßenbezogenen sozialen Netze, Zusammengehörigkeiten und Spannungen. Lebenswelt meint zum Zweiten die in diesen gegebenen Verhältnissen geltenden Verständnis- und Handlungsmuster, also die Selbstverständlichkeiten, die Interpretationen, die Traditionen, die Routinen und Typisierungen, in denen Verhältnisse gesehen und gelebt werden, in denen Menschen sich ihre Verhältnisse erklären, um in ihnen zu agieren.« (Thiersch 1997: 3) Auch wenn Thiersch bei der Erläuterung des Lebensweltkonzepts stets von der Mehrzahl (den Menschen) schreibt, scheint doch durch, dass letztlich die »Netze und Zusammengehörigkeiten, die Verständnis- und Handlungsmuster« konkreter Adressaten der Sozialen Arbeit von Interesse sind. Diese mögen bei den Angehörigen einer Adressatengruppe Ähnlichkeiten aufweisen, aber sie sind nicht identisch. Auch der Sozialraumbegriff des SGB VIII fokussiert auf individuelle Sozialräume. Bei den Vorgaben zur Jugendhilfeplanung wird etwa formuliert, dass Leistungen so geplant werden sollen, dass Kontakte in der Familie und im sozialen Umfeld erhalten und gepflegt werden können oder dass junge Menschen und Familien in gefährdeten Lebens- und Wohnbereichen besonders gefördert werden (§ 80 Abs. 2). In Hilfeplangesprächen mit Jugendlichen werden dann üblicherweise auch Informationen zum sozialen Umfeld, zu den Beziehungen und Kontakten erhoben, um Ressourcen und Gefährdungen herauszuarbeiten und die Jugendlichen entsprechend unterstützen zu können. Aspekte der individuellen Sozialräume werden folgerichtig auch in Hilfeplangesprächen thematisiert. In den Empfehlungen zu Qualitätsmaßstäben in der Hilfeplanung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter wird beispielsweise herausgearbeitet, was Ressourcen im sozialen Umfeld sein können: Ressourcen von Verwandten und Freunden, von Nachbarn, Arbeitgebenden und Ärztinnen und Ärzten, von Mitarbeitenden der Kindertagesstätten, von Schulen, Freizeiteinrichtungen und Beratungseinrichtungen usw. (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter 2015: 32). Abb. 1:Individueller Sozialraum
Der individuelle Sozialraum beschreibt die Interaktionen und Kommunikationen einer Person im Raum. Dazu gehören die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und die Qualität dieser Interaktionen, etwa mit Familienangehörigen, Freunden, Kolleginnen und Kollegen oder Dienstleistern. Auch virtuelle Sozialkontakte können zu einem individuellen Sozialraum gehören. Der individuelle Sozialraum eines Menschen kann sowohl Ressourcen bereitstellen als auch Herausforderungen und Probleme in sich bergen. Unterstützende Eltern zu haben, die richtigen Leute zu kennen, eine Arbeit zu haben, die als sinnvoll erlebt wird, eine gute Arztpraxis in der Nähe, einen Sportverein um die Ecke: All dies sind soziale Ressourcen, die zum Wohlbefinden und zur guten Lebensgestaltung des Individuums beitragen. Auf der anderen Seite können Interaktionen in Sozialräumen problematische Elemente enthalten: Gewalt in der Familie, Mobbing auf der Arbeit, Leben in einer Vorstadt ohne soziale Infrastruktur, Freunde, die einen immer wieder in Schwierigkeiten bringen. Vor diesem Hintergrund kann eine Sozialraumanalyse auch für individuelle Problembearbeitungen hilfreich sein. Denn sie kann im besten Fall entwicklungshemmende und mögliche entwicklungsförderliche Faktoren des individuellen Sozialraums herausarbeiten, um, darauf aufbauend, Impulse zu deren Veränderung zu entwickeln. Sozialraum II: Institutioneller Sozialraum
Wo Menschen aufeinandertreffen, bilden sich Schnittmengen individueller Sozialräume. Etwa in der Familienwohnung, in Schulen, Kitas, Unternehmen, Vereinen, in Krankenhäusern und Pflegeheimen, in Einkaufszentren oder Sozialstationen. Legt man den Fokus der Sozialraumbetrachtung auf Institutionen, handelt es sich nicht prinzipiell um andere Interaktionen oder Kommunikationen als bei individuellen Sozialräumen, nur ist die Betrachtungsweise eine andere. Hier steht im Mittelpunkt, was in der Institution und um diese herum geschieht. Deren Sozialraum umfasst die Interaktionen der Menschen in der Institution selbst und den Bereich, in dem sich ihre Klientinnen und Klienten oder Kundinnen und Kunden bewegen einschließlich deren sozialstruktureller Merkmale und Interaktionsstrukturen. Von welchen Personen wird die Einrichtung genutzt? Welche Wünsche und Bedürfnisse haben diese? Was ist das Einzugs- oder Wirkungsgebiet dieser Einrichtung? Wie ist die räumliche Umgebung und deren bauliche Gestaltung? Schließlich kann auch interessant sein, mit welchen anderen Institutionen Beziehungen bestehen und wie diese gestaltet sind. Gibt es Konkurrenzen, Kooperationen oder Arbeitsteilung? In der jüngeren Vergangenheit wurde vor allem der Blick auf die institutionellen Sozialräume der stationären Altenhilfe und der Kindertagesstätten gestärkt. In der...


Dr. Steffen Kröhnert ist Sozialwissenschaftler und Professor für das Lehrgebiet Demografischer Wandel und Soziale Arbeit an der Hochschule Koblenz.



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