Krisp Little Miss Ivy
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-15691-6
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 1, 320 Seiten
Reihe: Die Little Miss Ivy-Reihe
ISBN: 978-3-641-15691-6
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ivy Pocket, zwölfjährige Zofe adeliger Damen, ist eine wandelnde Katastrophe - die ihre Dienstherrinnen buchstäblich zum Wahnsinn treibt. Sie selbst sieht das allerdings ganz anders! Sie selbst findet sich nämlich einfach wunderbar. Nach einem unerhört peinlichen Auftritt mit ihrer letzten Arbeitgeberin greift das Schicksal ein: in Gestalt einer geheimnisvollen Baronin, die Ivy zu sich ans Totenbett rufen lässt, um ihr einen äußerst geheimnisvollen Auftrag zu geben. So beginnt Ivys Achterbahnfahrt von einem Abenteuer: voller Rätsel, Intrigen, Bösewichte, fataler Missverständnisse und haarsträubender Komik!
Caleb Krisp ist ein Pseudonym. Viel ist über den Autor nicht bekannt. Angeblich wurde er von Bibliothekaren großgezogen, die ihn mit Geschichten aus dem 19. Jahrhundert und zimmerwarmem Porridge fütterten. Nach dem Studium nahm er sich vor, ein gefeierter Dichter zu werden. Jahre der Entbehrungen folgten, bis er in eine verlassene Hütte tief im Wald zog, um die Abenteuer eines zwölfjährigen Dienstmädchens von äußerst geringer Wichtigkeit niederzuschreiben.
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Kapitel 1
Der Zettel mit der Nachricht lag auf dem Bett meiner Lady.
Darauf stand:
Ivy Pocket,
wie du siehst, bin ich weg. Folge mir nicht. Ich wiederhole: FOLGE MIR NICHT!
Ich segle nur aus einem einzigen Grund nach Südamerika, und zwar, weil es weit genug von Paris entfernt ist und ich sicher sein kann, dass ich dich nie wiedersehe. Die Hotelrechnung ist bereits bezahlt. Was deinen Lohn angeht, so habe ich unter Berücksichtigung des Kummers und der Qualen, die du mir bereitet hast, ein Pfund für dich hinterlassen. Was angesichts deines Verhaltens äußerst großzügig bemessen ist. Von nun an bist du auf dich allein gestellt.
Auf Nimmerwiedersehen,
Gräfin Karbunkel
Ich war verblüfft. Schockiert. Entsetzt. Hatte ich der Gräfin nicht stets als loyales und freundliches Dienstmädchen gedient? Hatte ich oder hatte ich nicht? Ich dachte lang und angestrengt über mein Verhalten nach und konnte keinen Fehler darin entdecken. Wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, dass Gräfin Karbunkel den Verstand verloren hatte, dann hielt ich ihn mit diesem Brief in der Hand. Keine Frage, die Frau war übergeschnappt.
Dabei hatte alles so vielversprechend angefangen. Gräfin Karbunkel hatte mich von einer wunderbaren Familie in London weggelockt. Die Midwinters waren herrlich exzentrisch und ich war bei ihnen sehr glücklich gewesen – bis Gräfin Karbunkel nach Midwinter Hall gekommen war. Sie hatte einen ganzen Monat dort verbracht und gesehen, wie ich meine Pflichten erfüllte und Ordnung und Freude brachte, wohin ich auch ging. Am Abend vor ihrer Rückkehr nach Paris hatte sie mich geradezu angebettelt, sie zu begleiten und in ihren Dienst zu treten.
Tatsächlich war ich nur ungern von Lady Prudence und ihren sechs Kindern weggegangen. Ich muss zugeben, sie waren eine hässliche Meute (der junge Herr Tobias hatte einen Kopf wie ein Schweinchen und Miss Lucy sah aus wie eine Erdkröte), aber Midwinter Hall war das erste richtige Zuhause, dass ich kennengelernt hatte.
Andererseits reizte mich die Vorstellung, zu reisen und die Welt zu sehen, sodass ich dieses Angebot einfach nicht ausschlagen konnte.
Paris. Wir waren in Paris. Die Stadt war wundervoll und ich war es auch. Ich war größer in Paris und auch hübscher. Und da ich ein zwölfjähriges Dienstmädchen allererster Güte war, vertraute Gräfin Karbunkel mir voll und ganz. Ich war stets an ihrer Seite, Tag und Nacht, um ihr alle Wünsche von den Lippen abzulesen.
Hin und wieder war sie jedoch unauffindbar. Eines Morgens entdeckte ich sie, wie sie, ein Laken über dem Kopf, hinter einer Kommode kauerte. Als sie mich ein andermal kommen sah, tat sie so, als sei sie eine Stehlampe. Ich führte dieses merkwürdige Verhalten auf die Tatsache zurück, dass Gräfin Karbunkel eine Adelige und daher nicht ganz bei Trost war.
Wie verrückt sie tatsächlich war, stellte sich erst nach dem großen Desaster heraus.
Es war gegen Ende unserer ersten Woche in dieser magischen Stadt. Gräfin Karbunkel hatte zu einem Festmahl in unserem Hotel geladen. Die Allergroßartigsten der französischen Gesellschaft wurden erwartet.
Anfangs hatte die Gräfin mich nicht dabeihaben wollen. »Ich möchte nicht, dass du bei diesem Abendessen anwesend bist, hast du gehört?«, hatte sie mich angeblafft und dabei versucht, mich aus dem Aufzug zu stoßen. »Guter Gott, wie konnte ich mich nur von Lady Prudence beschwatzen lassen, dich zu nehmen? Sie wusste, dass ich ein neues Dienstmädchen brauchte, und schlau wie der Teufel hat sie die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, um dich loszuwerden. Egal wer, habe ich zu ihr gesagt, egal wer, bloß nicht Ivy Pocket! Aber sie hat Stein und Bein geschworen, dass du nicht annähernd so unerträglich bist, wie du aussiehst. Was bin ich doch für eine Närrin!«
»Nun ja, natürlich sind Sie eine Närrin«, sagte ich und zwängte mich an ihr vorbei in den Aufzug. »Überlegen Sie, Gräfin. Dieses Abendessen ist eine äußerst bedeutende Angelegenheit und Sie sind blind wie eine Fledermaus. Sehen Sie der Tatsache ins Auge, meine Liebe – Sie brauchen mich.«
Gräfin Karbunkel schnaubte, aber ich sah, dass der Kampfgeist sie verlassen hatte. »Wenn du mich blamierst, dann kostet dich das deinen Kopf.«
Das Esszimmer funkelte im Glanz von Silberkandelabern und Hunderten frischer Orchideen, und das Abendessen begann in feierlicher Stimmung. Gräfin Karbunkel saß zwischen dem Präsidenten von Frankreich (dick, mit Glatze) und einer Prinzessin aus Rumänien (klein, Haare am Kinn). Ich machte mir Sorgen. Und zwar wegen der Schildkrötensuppe. Die Gräfin kam mit Suppe gar nicht gut zurecht. Meistens ging etwas daneben.
Als meine Lady den ersten Löffel zum Mund führte, stand ich bereit. Sie schnaufte wie ein Walfisch und beim Schlürfen der Suppe rannen ihr ein paar Tropfen übers Kinn. Mit geradezu herzerweichender Diskretion eilte ich an Gräfin Karbunkels Seite, zog leicht ihren Kopf zurück und tupfte mit dem Saum meiner Schürze ihr Kinn ab.
»Geht es Ihnen gut, Gräfin?«, fragte der Präsident spöttisch. »Sie scheinen Schwierigkeiten mit Ihrem Dienstmädchen zu haben.«
»Alles bestens, Herr Präsident«, versicherte die Gräfin und zog eine fürchterliche Grimasse. Sie drehte sich zu mir und schlug meine Hände weg. »Geh!«, zischte sie. »Verschwinde von hier!«
»Beruhigen Sie sich, meine Liebe«, sagte ich. »Kleckern ist kein Verbrechen. Ich bin sicher, Ihre Mutter hat gekleckert und Ihr Vater ebenso!«
Die Gräfin Karbunkel funkelte mich mit ihren wässrigen grünen Augen wütend an, aber ich sah auch die Angst in ihrem Blick. Meine Lady brauchte eindeutig Hilfe.
»Darf ich um Aufmerksamkeit bitten«, sagte ich und legte besorgt den Arm um meine Herrin. »Wie viele wahre Aristokraten hat auch die Gräfin eine hängende Unterlippe und ein fliehendes Kinn. Die Aufnahme von Suppe wird dadurch zu einem eher unerfreulichen Vorgang – auch für die Zuschauer.«
Die Gräfin schnappte nach Luft und knirschte mit den Zähnen. Ihre Nasenflügel bebten wie bei einem angriffslustigen Stier. Dann fing sie an mich zu beschimpfen, was kein gutes Zeichen war. »Ich habe in meinem Leben schon sehr viele Dienstmädchen gehabt, Ivy Pocket, aber bis zu diesem Moment habe ich nie den Drang verspürt, eines von ihnen in eine Kanone zu stopfen, diese aufs Meer hinaus zu richten und abzuschießen! Kurzum: Ich kann dich nicht ausstehen!«
Die Arme war wie von Sinnen. Jetzt hieß es, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Schnell wie der Blitz – denn nicht umsonst besitze ich den natürlichen Instinkt eines Notarztes – packte ich die Gräfin am Nacken und tunkte ihr Gesicht in den Fruchtpunsch. Das war die einzig denkbare Behandlung bei ihrem Gehirn-Fieber.
Die Gräfin Karbunkel tauchte nach Luft schnappend wieder auf, plärrte wie ein Esel und fing an zu schluchzen. Ein gutes Zeichen, fand ich. Da ich nicht wollte, dass die Gräfin zum Gespött der Leute wurde, warf ich eine Serviette über ihren Kopf und trocknete ihr Gesicht ab. Als Antwort bedachte mich die Gräfin mit einer Reihe sehr unschöner Namen und flehte die Prinzessin von Rumänien an, eine Muskete zu holen und mich zu erschießen.
Inzwischen war der ganze Saal in schallendes Gelächter ausgebrochen. Was höchst merkwürdig war. Gräfin Karbunkel machte dem ein Ende, indem sie laut kreischend zur Tür hinausrannte – was mir die Möglichkeit gab, mich würdevoll zurückzuziehen und ihr zu folgen.
Als ich ihre Suite betreten wollte, war die Tür verriegelt. Ich klopfte natürlich. Rief laut den Namen der Gräfin. Hämmerte gegen die Tür. Nichts. In jener Nacht schlief ich draußen im Gang. Es war herrlich bequem. So bequem, dass ich erst wieder aufwachte, als die Sonne längst aufgegangen war. Leider musste ich feststellen, dass Gräfin Karbunkel in den frühen Morgenstunden aus dem Hotel geflohen war. Ihre Suite war leer bis auf den Zettel mit der Nachricht auf dem Bett.
Ich holte meine Reisetasche aus dem Schrank und setzte mich ans Fenster. Die Lage war ernst und meine Möglichkeiten waren eher beschränkt. Ich besaß gerade einmal ein Pfund. Ich hatte keine Anstellung und keinen Fahrschein für die Rückfahrt nach England. Meine Aussichten waren mehr als düster.
In Krisenzeiten bin ich sehr gewitzt – denn nicht umsonst besitze ich den natürlichen Instinkt eines Kriegsministers –, daher dauerte es nicht lange und ich hatte mir einen Plan zurechtgelegt. Ich überwand meine Befürchtungen und ließ einen Funken Hoffnung zu. Die Reisetasche in der Hand eilte ich in die Hotelhalle. In den Straßen von Paris warteten Abenteuer und neue Herausforderungen auf mich. Ich würde geradezu über günstige Gelegenheiten stolpern. Oder ich würde als Bettlerin enden, hungernd und ohne Freunde. Was höchst unerfreulich wäre. Andererseits aber auch wunderbar tragisch!
In der Hotelhalle herrschte reges Treiben. Die Menschen kamen und gingen und eilten hin und her. Ich hielt einen Augenblick inne, um den Anblick auf mich wirken zu lassen, und in diesem Moment kam mir die zündende Idee. Ich hatte die Antwort auf meine Fragen direkt vor der Nase. Ein Hotel wie dieses beherbergte viele englische Gäste, Männer und Frauen – und wer konnte sie besser bedienen als ein echtes englisches Dienstmädchen? Ich würde beim Hoteldirektor des Grand Hotels vorsprechen und mich um eine Anstellung bewerben.
Er würde gewiss entzückt von mir sein.
»Wir haben keine freien Stellen«, sagte Mr Gateau entschieden und...