E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Kreslehner Nils geht
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7022-3844-5
Verlag: Tyrolia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-7022-3844-5
Verlag: Tyrolia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gabi Kreslehner, geb. 1965 in OÖ, Autorin, Lehrerin, Theaterpädagogin. Schreibt für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Ihr Jugendroman 'Charlottes Traum' wurde unter dem Titel 'Beautiful Girl' (2015) verfilmt. Beim Tyrolia-Verlag ist von ihr bereits der Jugendroman 'PaulaPaulTom ans Meer' (2016) sowie das Bilderbuch 'Duhuu? Hast du mich lieb?' (2017; Illustration: Verena Ballhaus) erschienen.
Autoren/Hrsg.
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ERSTE BEFRAGUNG // SARA AUSTER
Montag, neunzehnter Juni, Beginn: vierzehn Uhr dreißig
Hallo Sara!
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Ist es in Ordnung, wenn ich unser Gespräch aufnehme?
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Gut. Sagst du mir deinen ganzen Namen, bitte?
Sara Auster.
Gut, Sara, dann fangen wir jetzt an. Magst du mir erzählen, was passiert ist?
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Ich geh jetzt!
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// CUT //
ERSTE BEFRAGUNG // JOHANNES »JO« BELLMANN
Montag, neunzehnter Juni, Beginn: vierzehn Uhr dreißig
Hallo Jo!
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Ist es in Ordnung, wenn ich unser Gespräch aufnehme?
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Mir doch egal!
Gut. Sagst du mir deinen Namen noch einmal, bitte?
Wieso? Kennen Sie doch!
Stimmt! Also dann erzähl mir, was passiert ist, Jo!
Wozu? Ich hab doch alles gesagt! Was wollen Sie noch von mir? Ich bin das Opfer! Nicht der Täter! Was wollen Sie also von mir?
Dir helfen, Jo.
Mir helfen?
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Brauch ich nicht! Echt nicht!
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// CUT //
ZWEITE BEFRAGUNG // SARA AUSTER
Dienstag, zwanzigster Juni, Beginn: neun Uhr
Guten Morgen, Sara. Wie geht es dir?
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Weiß nicht. Besser. Nein. Keine Ahnung.
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Magst du heute erzählen?
Weiß nicht.
Was soll ich denn erzählen?
Was dir einfällt. Fang einfach an. Wir haben Zeit.
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Haben wir? Zeit? Stimmt doch gar nicht!
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Ich bin gestern noch im Wald gewesen. Weiß nicht, wie lang. Bis meine Mutter angerufen hat. Die war völlig hysterisch. Wo ich bin. Dass es spät ist. Dass ich heimkommen soll. Dass das nix bringt.
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Ich hab geglaubt, ich find den Nils. Irgendwo im Wald zwischen den Bäumen. Dass er da sitzt. Aber der war nirgends. Ich weiß nicht, wo der ist.
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Wissen Sie es? Haben die ihn gefunden?
Nein.
Nicht? Scheiße …
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// CUT //
ZWEITE BEFRAGUNG // JOHANNES »JO« BELLMANN
Dienstag, zwanzigster Juni, Beginn: neun Uhr
Guten Morgen, Jo. Wie geht es dir?
Wie es mir geht? Pffff…
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Scheißfrage! Der wollte mich umbringen! Wie soll’s mir da gehen! Der wollte MICH abstechen, der Scheiß-Nils!
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Ihr kapiert das einfach nicht! Ihr kapiert das nicht!! ICH Opfer – ER Täter!! Nicht umgekehrt!! Ach Scheiße …
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Ich geh jetzt. Sie können mich nicht zwingen zu bleiben.
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Seine Mutter schläft nicht mehr, hab ich gehört. Sagen die.
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Stimmt das?
Ja.
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Okay … na ja … ist ja erst eine Nacht.
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// CUT //
DRITTE BEFRAGUNG // SARA AUSTER
Mittwoch, einundzwanzigster Juni, Beginn: neun Uhr
Du kennst den Nils schon länger, Sara?
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Schon ewig. Schon immer.
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Ja. Schon immer. Da waren wir noch Kinder und ich mochte seinen Namen. Nils. Von Nils Holgersson. Der Junge, der fliegen konnte. Der Winzling aus dem Buch, aus dem Film. Kennen Sie den?
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Ja.
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Ja. Den kennt jeder.
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Aber … der Nils … der andere Nils … unser Nils …
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… der war nicht wie der Nils Holgersson, der war nicht so, dass man ihn bewundern konnte. Nein. Den konnte man nicht bewundern.
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Oder doch! Doch. Ja. Als wir klein waren. Kinder.
Da hab ich ihn bewundert.
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Hatte ich vergessen.
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Aber dann, als die sich gegenüberstanden, der Jo und der Nils, da ist es mir wieder eingefallen.
Was ist dir wieder eingefallen?
Dass wir gespielt haben als Kinder. Ritter und Schaf. Er war der Ritter und ich war das Schaf, ein silberner Ritter war er in einem silbernen Harnisch und mit einem silbernen Schwert und jedes Mal hat er mich vor dem Drachen gerettet.
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Ich kniete am Boden mit einem Schaffell, das hatte zwei Ausschnitte für die Arme, damit man es anziehen konnte wie einen Mantel. Und auf dem Kopf trug ich einen Haarreifen, da waren Ohren dran und dann war ich das Schaf.
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Wir haben das gebastelt, der Nils und ich mit unseren Müttern, genauso wie das Schwert und den Harnisch für Nils, die waren aus Karton und Alufolie.
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Also ich kniete am Boden und machte: Mäh! Mäh! Und tat ängstlich, als ob ich mich fürchten würde. Und Nils stellte sich vor mich hin mit weit geöffneten Armen. Er hielt das Schwert und glänzte stolz und silbern, und er kämpfte gegen den Drachen und immer gewann er.
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Manchmal hat er mich gefragt, ob ich der Ritter sein will und er das Schaf. Aber das wollte ich nie.
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Wissen Sie, seine Mutter ist die beste Freundin meiner Mutter. Schon immer. Da waren die noch in der Schule. Also waren wir ständig zusammen. Bei denen daheim. Bei uns daheim. Am Spielplatz. Da hatte sie immer Verbandszeug dabei. Wenn einer von uns sich die Knie aufgeschlagen hatte, holte sie es raus, tupfte mit irgendeinem Wunderzeug, da brüllten wir noch mehr, denn das brannte wie die Hölle. Aber sie ist Ärztin, da muss sie ja wissen, was sie tut. Und die Hölle … das weiß ich jetzt …
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… die Hölle brennt ganz anders.
// CUT //
DRITTE BEFRAGUNG // JOHANNES »JO« BELLMANN
Mittwoch, einundzwanzigster Juni, Beginn: neun Uhr
Keine Nacht! Fuck!
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Scheiße, die soll sich Tabletten krallen! Zum Beruhigen! Die muss das doch wissen, die ist doch Ärztin! Die kippt doch sonst um! Und was dann? Fuck!
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Mein Alter brüllt jetzt ständig rum. So nach dem Motto: Du lebst unter meinem Dach und stellst deine Füße unter meinen Tisch!
Und ich darauf: Aber ich bin fünfzehn! Du kannst mir nichts mehr erzählen!
Und er: Solange du …
Und ich: Aber ich bin …
Und so weiter und so weiter.
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Was?!
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Wieso sagen Sie nichts?
Ich hör dir zu.
Ach fuck, lassen Sie mich doch in Ruhe!
// CUT //
DRITTE BEFRAGUNG // SARA AUSTER
Mittwoch, einundzwanzigster Juni, Beginn: neun Uhr
Aber irgendwie war der Nils immer komisch. Ein kleiner Wicht, der sich...