Kraushaar | Verena Becker und der Verfassungsschutz | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 203 Seiten

Kraushaar Verena Becker und der Verfassungsschutz

E-Book, Deutsch, 203 Seiten

ISBN: 978-3-86854-527-2
Verlag: HIS
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Hat Verena Becker, die verdächtigt wird, an der Ermordung des Genenaralbundesanwalt Buback beteiligt gewesen zu sein, bereits vor 1977 für den Verfassungsschutz gearbeitet? Das klingt nach einem Politthriller und doch geht es hier nicht um irgendeine Verschwörungstheorie. Es geht um konkrete Verdachtsmomente, die es verdienen, näher überprüft zu werden.
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Wer erschoss den Generalbundesanwalt?
Keine andere Frage hat im Zusammenhang mit der RAF die deutsche Öffentlichkeit in den vergangenen drei Jahren stärker bewegt. Die Versuche, darauf eine Antwort zu finden, muten inzwischen längst wie eine nicht enden wollende Schnitzeljagd an. Von den Medien sind häppchenweise Informationen von unterschiedlicher Bedeutung ans Tageslicht gebracht worden, ohne dass damit immer ein wirklicher Erkenntnisgewinn zu verzeichnen gewesen wäre. Die Vielzahl und Heterogenität der Informationen fügt sich partout nicht zu einem kohärenten Bild. Wie absurd dabei die Suche nach dem Todesschützen mitunter werden kann, hat das Politmagazin »Report« in einem satirischen Beitrag anschaulich dargestellt. Bereits im Frühjahr 2007 hatte die Kunstfigur »Lisa« ihren Senf dazu abgegeben, wer als Täter infrage komme: »Wer es denn nun wirklich war und wer nicht und wer vielleicht doch? Bis jetzt war klar, auf dem Motorrad saßen der Sonnenberg und der Folkerts. Und der Folkerts war es. Der Klar saß im Auto. Oder der Klar und der Sonnenberg auf dem Motorrad und der Folkerts im Auto. Oder der Klar und der Folkerts oder so … Aber jetzt ist alles anders. Der Spiegel sagt jetzt: Der Wisniewski war es. Weil das der Boock gesagt hat. Und dem hat das auch jemand gesagt, sagt er. Wer, will er aber nicht sagen. Und wenn es der Wisniewski war, kann es der Klar nicht gewesen sein. Das hat zwar niemand gesagt, ist aber auch egal. Trotzdem soll der Klar jetzt nicht begnadigt werden. Auch wenn er es ja nicht war. Der Folkerts kann’s auch nicht gewesen sein. Weil der war in Amsterdam, sagt die Maier-Witt. Der Wisniewski aber auch, sagt der … ähm … die Generalbundesanwalt. Deshalb kann es der Folkerts trotzdem gewesen sein. Oder der Wisniewski. Das sagt die Verena Becker, sagt der Spiegel. Und der Boock. Und wenn der Boock das sagt, stimmt das. Sagt die Maier-Witt und der Spiegel. Sonst sagt es aber niemand. Deshalb sagt der Spiegel jetzt, die Becker war es. Die Becker sagt dazu gar nichts. Und der Wisniewski auch nicht. Und alle anderen auch nicht. Der Einzige, der was sagt, ist der Boock. Aber der sagt ja jeden Tag was anderes. Aber jetzt ist es wohl klar, wer es war.«1 Der Fall Buback, der unter der Hand immer mehr zu einem Fall Becker geworden ist, hat in der Tat Züge eines absurd anmutenden Verwirrspiels angenommen. Nicht ohne Grund herrscht unter den Beobachtern und Kommentatoren eine regelrechte Kakophonie vor. Doch seitdem das ehemalige RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock im April 2007 Michael Buback, den Sohn des Ermordeten, angerufen hatte, um ihm mitzuteilen, wer seiner Erinnerung nach dessen Vater ermordet hat, ist in dem ungeklärten Kriminalfall eine ungeahnte Dynamik in Gang gekommen. Sie ist vermutlich größer als jene, die unmittelbar nach der Karlsruher Mordtat im April 1977 zu beobachten war. Inzwischen sind über den Göttinger Chemieprofessor mehr Artikel geschrieben und Filme gedreht worden als drei Jahrzehnte zuvor über die Ermordung seines Vaters, des einstmals höchstrangigen Staatsanwalts der Republik. Das ist überaus erstaunlich. Fast scheint es, als müsse erst ein gehöriger historischer Abstand eingetreten sein, bevor sich die Öffentlichkeit an ungeklärte Fälle dieser Dimension überhaupt heranwagt. Michael Bubacks ebenso simple wie verzwickte Frage lautet: »Wer hat meinen Vater erschossen?« Damit begibt er sich im Hinblick auf die Aufklärung von RAF-Verbrechen in eine entscheidende Differenz zu seinem Vater. Während es diesem durch die Befürwortung einer Erweiterung des § 129 zum § 129a darauf ankam, dass RAF-Täter bereits wegen ihrer bloßen Mitgliedschaft strafrechtlich belangt werden konnten und es noch immer können, ist genau dies seinem Sohn wiederum ein Dorn im Auge. Michael Buback will möglichst genau wissen, wer seinen Vater ermordet hat. Ihm kommt es nicht auf eine abstrakte Zurechnung und indirekte Mitverantwortung an, sondern auf die ganz konkrete individuelle Verantwortlichkeit. Man könnte sagen: Während Buback senior das Recht vertrat, vertritt Buback junior die Moral. Die konkrete Frage nach dem Mörder ist zweifelsohne der Motor gewesen, der 2007 den Diskussionsprozess in Gang gebracht und immer wieder aufs Neue vorangetrieben hat. Es hat den Anschein, als habe der öffentliche Druck dafür gesorgt, dass sich die Bundesanwaltschaft bewegen musste. Nach langem Lavieren ist sie 2009 aktiv geworden und hat ein neues Ermittlungsverfahren im Mordfall Buback und Begleiter in Gang gebracht. Allein Michael Buback und seiner in der ganzen Angelegenheit nicht weniger unermüdlichen Frau ist es zuzurechnen, dass mit Verena Becker die nach wie vor am dringendsten Tatverdächtige vorübergehend in Untersuchungshaft gesteckt und nun mit einer Verspätung von nicht weniger als 33 Jahren vor Gericht gestellt worden ist. Doch nicht – wie die Bundesanwaltschaft inzwischen klargestellt hat – als Tatverdächtige, sondern nur als Beihelferin, wenn nicht sogar nur als Mitwisserin. Die von Michael Buback aufgeworfene, für ihn so zentrale Frage dürfte, das ist jetzt schon abzusehen, in dem Verfahren nicht beantwortet werden. Denn es soll dort gar nicht darum gehen, ob Verena Becker die Todesschützin gewesen ist. Fast scheint es, als könnte ein weiteres Mal, im vorliegenden Fall vermutlich zum letzten Mal, die Chance verwirkt werden, Licht in den Mordfall zu bringen. Doch geht es den Behörden überhaupt um die vom Sohn des Ermordeten aufgeworfene und so hartnäckig wiederholte Frage? Zweifel daran sind jedenfalls durchaus angebracht. Zweifel, die im Übrigen von Michael Buback selbst seit Langem genährt worden sind und immer noch genährt werden. In seinem Ende 2008 erschienenen Buch »Der zweite Tod meines Vaters«, in der mit kriminalistischem Spürsinn die vielen ungeklärten Fragen detailliert nachgezeichnet worden sind, bewegen sich die von ihm angestellten Überlegungen zum Tathergang und den Tätern in einem Schlagschatten, der übermächtiger zu sein scheint als die konkrete Nennung eines einzelnen Namens. Am Ende des Bandes rückt mit geradezu magnetischer Kraft die Frage ins Zentrum: Ist die Hauptverdächtige gedeckt worden, wenn ja, weshalb, und vor allem, durch wen? Buback hält fest: »Wir wissen jetzt, daß der Geheimdienst in Verbindung mit einer dringend tatverdächtigen Person stand und dass es im Rahmen der Ermittlungen Kontakte zwischen dem Geheimdienst und der Spitze der Bundesanwaltschaft gab, die uns erschrecken. Beiträge staatlicher Stellen zur Unterstützung der Verbrecher, etwa durch Gewährung von Deckung und Schonung für Karlsruher Täter, sind in meinen Augen ein Verrat an meinem Vater, der mit all seiner Kraft für den Rechtsstaat eingetreten ist und dafür sein Leben gelassen hat. Für mich ist es wie ein zweiter Tod meines Vaters, wenn diejenigen, die ihn und seine Begleiter ermordeten, von staatlichen Stellen vor Bestrafung geschützt wurden. Wie unsagbar bitter, wenn im Tausch gegen Informationen für Geheimdienste auf Strafverfolgung der Mörder verzichtet worden wäre, wenn man meinen Vater wie eine Handelsware benutzt und missbraucht hätte. Das wäre eine ungeheuerliche Beschädigung der Würde der Opfer, und ich müsste mich fragen, ob die beteiligten Ämter oder Dienste dieselbe Verfassung schützen, für die mein Vater gearbeitet und gelebt hat und für die er und seine Begleiter gestorben sind. Verena Beckers Tatbeitrag sollte vordringlich untersucht werden, vor allem auch der Beginn und die Dauer ihrer Kontakte zu Geheimdiensten.«2 Und die von Michael Buback gehegte Vermutung, die unzähligen Schwierigkeiten, den Mordfall aufzuklären, könnten daher rühren, dass Verena Becker bereits zur Tatzeit und nicht erst – wie inzwischen bekannt ist – zu Beginn der achtziger Jahre für den Verfassungsschutz tätig war? Dieser Verdacht stellt eine solche Ungeheuerlichkeit dar, dass es schwerfällt, die Hypothese auch nur explizit zu formulieren.3 Die RAF-Frau, die verdächtigt wird, den obersten Staatsanwalt der Bundesrepublik erschossen zu haben, soll für den Verfassungsschutz gearbeitet haben. Das klingt ganz nach einem Plot für einen Politthriller, den sich ein John le Carré, Frederick Forsyth oder Philip Kerr ausgedacht haben könnte: Der Geheimdienst eines Staates, dem die Aufgabe obliegt, die Verfassung zu schützen, führt eine Frau in ihren Diensten, die entweder über das Karlsruher Mordkomplott informiert oder an ihm beteiligt ist, oder aber er beauftragt sie – womit sie in die Rolle einer Agentin übergewechselt wäre – sogar damit, den Generalbundesanwalt eigenhändig zu erschießen. Das wirkt so bizarr, dass sich als erste Reaktion beinahe zwangsläufig ein Abwehraffekt einstellt und die Vermutung, es könne sich dabei nur um eine Verschwörungstheorie handeln. Diese Reaktion jedoch könnte voreilig sein. Denn die Hypothese verdient es bei aller Distanz gegenüber ihren Implikationen durchaus, näher geprüft zu...


Wolfgang Kraushaar ist promovierter Politikwissenschaftler und arbeitet seit 1987 am Hamburger Institut für Sozialforschung. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt in der Erforschung von Protestbewegungen in der Zeit des Kalten Krieges. 2004 nahm er eine Gastprofessur an der Beijing Normal University in Peking wahr.


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