E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Flottmann ud Hilgersen
Kramer Endstation Seeschleuse
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96041-653-1
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Küsten Krimi
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Flottmann ud Hilgersen
ISBN: 978-3-96041-653-1
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Klug, ungewöhnlich, mit feinem Humor ... und besonderem Lokalkolorit.
An der Husumer Au wird eine weibliche Leiche gefunden. Die Obduktion ergibt Parallelen zu dem Opfer eines kürzlichen Entführungsfalls. Hilgersen und Flottmann stoßen bei den Ermittlungen auf eine Gruppe, die sich mit Nahtoderfahrungen beschäftigt. Liegt hier der Schlüssel zur Lösung? Als der hochsensible Musiker Leon Gerber ins Visier des Täters gerät, spitzt sich die Lage zu. Doch der Entführer hat nicht mit Gerbers außerordentlichen Fähigkeiten gerechnet.
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In etwa so hatte Hauptkommissar Flottmann sich seinen Job vorgestellt. Der Einbruch in der Apotheke vor ein paar Monaten war die gravierendste Straftat der letzten Zeit gewesen. Ansonsten beschäftigten ihn und die Kollegen der Husumer Kriminalpolizei Wohnungseinbrüche, Autodiebstähle, Fälle von Körperverletzung und Vandalismus, Rezeptbetrug und eine Brandstiftung in der Kleingartenanlage. Alles in normalem Rahmen. Auch in diesem Jahr war die Anzahl registrierter Straftaten im Norden gesunken. Zudem hatte sich die Aufklärungsrate weiter verbessert, was Flottmann ganz unbescheiden unter anderem seinem eigenen Engagement zuschrieb. Privat lief ebenfalls alles zufriedenstellend. Die Beziehung mit Lena gestaltete sich weitgehend harmonisch, und sowohl sein Kater als auch er selbst hatten fast ein halbes Kilogramm abgenommen. Prozentual gesehen war Letzteres allerdings für Kater Bogomil eindeutig ein größerer Erfolg. Flottmanns Lebenserfahrung hatte gezeigt, dass in der Vergangenheit nach jedem lang anhaltenden Hoch ein Tief folgte, und das galt nicht nur für das norddeutsche Wetter. Auf seinem Tisch lag eine Vermisstenmeldung. Die zweiunddreißigjährige Daniela Herzog war spurlos verschwunden. Ihr Lebensgefährte hatte die Polizei aufgesucht und erklärt, dass sie in der Nacht nicht in das gemeinsam bewohnte Haus zurückgekehrt war. Die näheren Umstände ihres Verschwindens schlossen ein Verbrechen nicht aus. »Hübsche Frau.« Hilgersen war an Flottmanns Schreibtisch getreten und nahm das Porträtfoto aus der Aktenmappe. »Sie wurde zuletzt im Schlosscafé beziehungsweise an einem der Tische im Außenbereich gesehen. Sie war dort mit einer Freundin verabredet, Brigitte Koch. Nach Aussagen des Personals hat Frau Herzog das Café überstürzt verlassen, bevor ihre Freundin eintraf. Mehr wissen wir nicht.« »Dann sollten wir unser Wissen aufbessern. Ich kann das Lokal empfehlen. Wie wäre es heute Nachmittag mit Kaffee und Kuchen dort?«, fragte Hilgersen. »Ich bin auf Diät.« »Für den Diensteinsatz solltest du eine Ausnahme machen. Aber du könntest natürlich auch auf den Kuchen verzichten und nur einen Kaffee trinken.« »Ich nehme die Ausnahme.« »Sehr gut.« Hilgersen grinste und ging zurück an seinen Arbeitsplatz. Flottmann kämpfte seit Ewigkeiten mit seinem Gewicht. Allerdings tat er das nicht besonders konsequent. Es passierte schon mal, dass er am Abend eine Tüte Chips aß und eine Flasche Bier trank. Er entschuldigte sich damit, dass er unbedingt den Jo-Jo-Effekt vermeiden wollte, den ein kurzzeitiges und übermäßiges Diäthalten oder gar Fasten zwangsläufig mit sich brachte. Hilgersen, mit neununddreißig zehn Jahre jünger als Flottmann, war nicht nur einen Kopf kleiner als dieser, sondern auch ein Leichtgewicht. Offenbar konnte er essen, was er wollte, ohne zuzunehmen. Diese Ungerechtigkeit stieß Flottmann besonders auf, wenn der Kollege bei einer Besprechung ungeniert einen Keks nach dem anderen verdrückte. Flottmann griff zum Telefon und rief Daniela Herzogs Lebensgefährten David Friedrichsen an. »Herr Friedrichsen, mein Name ist Hauptkommissar Flottmann, Kripo Husum. Ich ermittle in der Vermisstensache. Sie wurden gebeten, uns die Kontaktdaten Ihrer Partnerin zu übermitteln.« »Ich hab alles zusammengestellt und bereits an die Polizei geschickt. Daniela hat nicht viele Freunde und Bekannte. Die meisten habe ich bereits angerufen. Von einigen kenne ich die Telefonnummer nicht.« »Das ist kein Problem. Hat Frau Herzog ihr Mobiltelefon dabei?« »Ja. Das nimmt sie immer mit. Aber es ist ausgeschaltet. Die Nummer hab ich Ihren Kollegen bei der Anzeige bereits mitgeteilt.« »Wissen ihre Eltern Bescheid?« »Ihre Mutter ist gerade bei mir. Wir machen uns große Sorgen. Daniela würde nie über Nacht wegbleiben. Es muss etwas passiert sein.« »Haben Sie sich gestritten, oder ist irgendetwas anderes vorgefallen?« »Nein, nein, gar nichts.« Friedrichsens Stimme klang aufgebracht. »Wir sind seit sechs Jahren zusammen. Wir wollen bald heiraten.« »Sie verstehen, dass ich solche Fragen stelle?« »Ja, natürlich. Aber es ist völlig ausgeschlossen, dass sie freiwillig weggegangen ist. All ihre Sachen sind noch hier. Sie hat sich auch nicht bei ihrer Mutter gemeldet.« »War sie mit einem Pkw unterwegs?« »Nein. Sie ist zu Fuß gegangen.« Hilgersen kam herbei und legte Flottmann den Ausdruck einer E-Mail auf den Tisch. Darauf befanden sich die von Friedrichsen zusammengestellten Kontaktdaten. »Bitte melden Sie sich, falls Sie etwas von Ihrer Lebensgefährtin hören. Und wir melden uns ebenfalls, wenn wir etwas Neues erfahren oder weitere Fragen haben. Auf Wiederhören, Herr Friedrichsen.« »Wiederhören.« Flottmann klappte die Akte zu. »Gibt es auch Frühstück dort?« »Klar.« »Dann sollten wir sofort los.« »Hast du so einen großen Hunger?« »Abgesehen davon, dass ich seit gestern Mittag nichts mehr gegessen habe, scheint mir die Vermisstensache dringlich zu sein.« »Dein Bauchgefühl?« »Mehr als das. Was Friedrichsen sagt, klingt glaubhaft. Ich bestelle die Freundin Brigitte Koch für heute Nachmittag ins Büro. Vielleicht weiß sie etwas, das uns weiterhelfen kann.« Flottmann wählte die Telefonnummer ihrer Arbeitsstelle. Eine Viertelstunde später fuhren sie durch die Einfahrt des Schlosshofs, die von zwei Löwen aus Sandstein bewacht wurde, und stellten den Wagen ab. Sie stiegen aus und fanden einen freien Tisch im Außenbereich des Cafés. Roséfarbene Kletterrosen verzierten die Backsteinwände des Gebäudes. Die roten Sonnenschirme waren aufgespannt, obwohl sich die Sonne hinter Wolken versteckte. »Das Ambiente hat was.« Flottmann sah sich um und bewunderte das dreiflügelige Schloss mit dem markanten Mittelturm. »Warum heißt es Schloss vor Husum?« »Weil es früher außerhalb der Stadtgrenzen lag. Es ist übrigens das einzige Schloss an der schleswig-holsteinischen Westküste. Im Südflügel hatte Theodor Storm einst seinen Arbeitsplatz als erster preußischer Amtsrichter. Es wurde im 16. Jahrhundert im Stil der niederländischen Renaissance errichtet, ist dann aber oft umgebaut …« »Ich hatte nur nach dem Ursprung des Namens gefragt, Gustl, nicht nach Husums kompletter Geschichte.« »Ich wollte dir eine ausführliche Antwort geben. Übrigens kannst du hier auch heiraten, kirchlich in der Schlosskapelle oder als Atheist wie du standesamtlich im Fortunasaal. Ich wäre bereit, dir als Trauzeuge zu dienen.« »Danke, das ist nett von dir.« Flottmann betrachtete den runden Tisch, an dem sie saßen. Dort stand kreisförmig geschrieben: »Unser Schlosscafé ist ein Lernort für die hauswirtschaftliche Ausbildung im Theodor-Schäfer-Berufsbildungswerk Husum.« In einem inneren Kreis waren die Zeichen des Fingeralphabets abgebildet. »Die meisten, die hier arbeiten, sind hörbehindert«, sagte Hilgersen, während er die Karte studierte. »Das Frühstücksbüfett kann ich empfehlen. Aber ich hab Appetit auf etwas Süßes. Ich nehme zwei Stück Friesentorte.« »Gleich zwei?« »Klar. Und du? Es gibt bestimmt auch kalorienarme Sachen hier.« Flottmann las laut: »Eisgewordener Kaffeegenuss trifft leckeres Bourbon-Vanille-Eis, gekrönt mit Sahne.« »Das ist nicht dein Ernst.« »Das steht hier.« Flottmann klappte die Mappe zu. »Du hast doch gesagt, dass ich für den Diensteinsatz eine Ausnahme machen soll.« Ein junger Mann kam mit einem Schreibblock herbei und fragte nach den Wünschen der Gäste. Er hatte offenbar keine Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Ob er nicht hörgeschädigt war oder von den Lippen ablas, konnte Flottmann nicht erkennen. »Wir sind von der Husumer Polizei.« Er zog ein Foto aus seiner Jackentasche. »Kennen Sie diese Frau?« Der Angesprochene nahm das Bild in die Hand und betrachtete es einige Sekunden. »Ja. Ich habe ein gutes Personengedächtnis. Sie war gestern Nachmittag hier. Dort drüben saß sie.« Er zeigte auf einen Tisch in der Nähe, an dem ein älteres Ehepaar saß. »War sie alleine?« »Ja, aber ich glaube, sie wartete noch auf jemanden. Deshalb hat sie nur einen Kaffee bestellt.« »Haben Sie gesehen, dass eine Person an ihren Tisch getreten ist und mit ihr gesprochen hat?« »Nein.« Der junge Mann gab Flottmann das Foto zurück. »Aber vielleicht fragen Sie drinnen nach. Ich war gestern ja nicht alleine hier.« »Das werde ich machen. Vielen Dank.« Die beiden Kommissare mussten nicht lange auf das Bestellte warten. So einen angenehmen Lokaltermin gab es nicht alle Tage. Noch bevor Flottmann mit dem Eiskaffee fertig war, hatte Hilgersen beide Kuchenstücke verdrückt. »Sollten wir öfter machen«, sagte er und lehnte sich entspannt zurück. »Wir sind nicht zum Vergnügen hier. Einer von uns geht jetzt rein und fragt, ob jemand etwas beobachtet hat.« »Mach du das. Dann kannst du auch gleich bezahlen.« Hilgersen überreichte seinem Kollegen die Rechnung, die auf dem Tisch lag. »Bezahlt wird hier an der Kasse.« »Willst du nicht …?« »Nee, du bist der Boss.« Widerwillig stand Flottmann auf und ging zum Eingang des Gebäudes. Der ehemalige Küchentrakt des Schlosses mit den gewölbten Räumen verströmte eine historische Atmosphäre. Auch zur Winterszeit konnte er sich hier ein romantisches Treffen mit Lena vorstellen. Vielleicht ließ sich ein Platz am offenen Kamin reservieren. Flottmann befragte das Personal. Einer der Angestellten hatte beobachtet, dass sich Daniela Herzog kurz mit einem Mann unterhalten hatte, konnte ihn aber nur sehr...