Koytek / Stein | Wien kann sehr kalt sein | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Koytek / Stein Wien kann sehr kalt sein

Kriminalroman
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-16861-2
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

ISBN: 978-3-641-16861-2
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Bühne, Blut und kleiner Brauner: Mord am Wiener Burgtheater.

Wien in der Weihnachtszeit: Am Burgtheater wird eine modernistische Hamlet-Inszenierung gegeben. Als der Claudius-Darsteller blutüberströmt von Lanzen aufgespießt wird, klatscht das Publikum Beifall, doch der bekannte Burgschauspieler Meersburg stirbt tatsächlich einen grausamen Tod auf der Bühne. Nach einer kurzen Untersuchung durch die Behörden wird verkündet, dass er Opfer eines tragischen Unfalls wurde. Paula Kisch von der Wiener Kripo hat allerdings ihre Zweifel und bittet ihren Ex-Kollegen, Privatdetektiv Conrad Orsini, zu ermitteln. Als Komparse »undercover« eingeschleust, erkennt Orsini schnell: Neid und Missgunst vergiften das Klima auf allen Ebenen, vom Bühnenarbeiter bis zum Direktorium. Und dann gibt es einen zweiten Toten.
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Prolog

Am Rand der Welt gibt es eine Schwärze, die in die Luft eingebrannt ist.

Ob er die Augen offen oder geschlossen hatte, es machte keinen Unterschied – er sah so gut wie nichts und wusste auch nicht mehr, wo er war.

Eine salzige Schweißperle löste sich über den Falten seiner Stirn und suchte sich einen Weg. So langsam, dass er schreien wollte. Als Nächstes würde sie in den Winkel seines linken Auges tropfen, er aber war nicht einmal in der Lage, einen Finger zu rühren, um sie wegzuwischen.

Die Wand hinter seinem Rücken fühlte sich unangenehm kalt und klebrig an, dennoch drückte er sich an sie. Oder wurde an sie gedrückt. So genau konnte er das nicht mehr unterscheiden. In seinen Ohren dröhnte es unerträglich, obwohl irgendetwas in ihm darauf beharrte, dass es hier still sein musste.

Nur als das kleine Giftfläschchen aus seinen Fingern glitt und zu Boden fiel, hörte er einen Aufprall, der echt sein musste. Gedämpft, von der schwarzen Luft im Fall gebremst.

Und dann überfiel ihn die Gewissheit: Er würde ersticken. Jetzt. Sein Hals verengte sich, klebte zusammen, als würden die Schleimhäute keinen Atemzug mehr durchlassen können. Oder wollen.

Alles war vorüber, alles ihm bisher Bekannte aufgesaugt in dieses unendliche Dunkel.

Als die kräftige Hand nach ihm griff und ihn mit sich zog, ließ er es willenlos geschehen. Ein Stück des schwarzen Vorhangs streifte sein Gesicht. Die kantigen Finger der anderen Hand öffneten die Druckknöpfe seines Jacketts, dann den Reißverschluss seiner Hose. Zogen sie grob hinunter.

»Das ist die falsche Seite!«, zischte die vorwurfsvolle Stimme nah an seinem Ohr. »Wie soll ich Sie da finden?« Dann spürte er eine Flasche an seinem Mund, Wasser. Er trank, um nicht zu verdursten. Unfähig zu antworten.

Die Hände hatten ihm inzwischen die Kleider vom Leib gezerrt und zwängten ihn nun in Hemd und Hose. So eng anliegend, dass es ihm erneut den Atem abschnürte. Er versuchte zu protestieren, doch kein Laut kam über seine Lippen.

»Noch zwei Minuten, höchstens!«, hörte er wie von weit entfernt.

Dann wurde er weitergezogen, stolperte über irgendetwas am Boden, wurde aufgefangen, bekam nochmals zu trinken. Die Jacke wurde zurechtgerückt, die Hose glattgestrichen.

Die Zeit ist aus den Fugen, schrie es immer lauter in seinem Kopf, als die Hände ihn unnachgiebig vorschoben. Er hatte Angst vor dieser lauernden Schwärze.

Plötzlich ein heller Spalt.

Starkes, blendendes Licht.

Schlafwandlerisch ging er darauf zu, seine Füße fühlten sicheren Boden unter den Sohlen, die Augen fanden sich erleichtert zurecht.

Wie weggewischt war die drängende Finsternis.

Als erwachte er aus einem bösen Traum, trat er zwischen den Gassenschals hervor, unter die grellen Scheinwerfer, und wischte sich gleichzeitig mit einer geübten Handbewegung den Schweiß aus dem Gesicht. Räusperte sich kaum hörbar, befreite so seine Stimme und war wieder er selbst.

Kühn, als sei nichts gewesen, legte er dem jungen Kollegen seine Hand auf die Schulter und tauchte in das Stück ein. Ganz in der Rolle.

Vergessen der Albtraum.

*

Kaum eine Viertelstunde später beugte Josef Meersburg sich über die Brüstung der rechten Feststiege im Wiener Burgtheater und sog die frische Luft in sich auf wie ein trockener Schwamm. Erleichtert sah er auf seine Uhr. Zwanzig Minuten Pause, immerhin.

Was war vorhin mit ihm geschehen? Eine Halluzination? Hatte ihm jemand etwas in sein Getränk gemischt? Vor allem: War er tatsächlich auf der falschen Seite gestanden? In seiner gesamten Laufbahn war ihm noch nie ein solcher Fehler unterlaufen!

Sein Blick löste sich vom roten Teppich, auf den ursprünglich niemand als der Kaiser seinen Fuß setzen durfte, und wanderte nach oben zu den Büros. Verächtlich schnaubend stieß er die Luft aus den Lungen.

Wieder holte ihn der Augenblick am Bühnenrand ein. Was reine Routine hätte sein sollen – das Umkleiden zwischen zwei Szenen –, war mehr als bizarr gewesen. Eine vergleichbare Angst hatte er so noch nie erlebt. Dabei kannte er das Stück zur Genüge … Wenn nur die debilen Einfälle dieses unfähigen Regisseurs nicht wären! Als Anspielung auf den Mord, dessen er, Meersburg, im Stück bezichtigt wurde: mit einem giftgrünen Fläschchen im Hintergrund wortlos auf einem Stein hocken! Es war einfach nur erniedrigend.

So gesehen kein Wunder, dass er sich aufregte …

Aber wenn seine Informationen stimmten, würde sich hier demnächst ohnehin vieles ändern. Gute Kontakte hin oder her. Nötigenfalls würde er höchstpersönlich dafür sorgen!

Er streckte sich und nickte der Statue schräg gegenüber verschwörerisch zu – Richard Burbage. Das war Shakespeares erster Mann gewesen, wenn es um Premieren ging, ein herausragender Schauspieler. Damals hatte man eben noch etwas vom Theater verstanden, im Gegensatz zu heute!

Meersburg machte ein paar bedeutsame Schritte auf dem roten Teppich und versuchte sich in seiner zukünftigen Rolle außerhalb des Stücks. Die Schultern breit, das Kinn hochgereckt, der Blick weit und durchdringend. Sie würden gar nicht umhinkönnen, ihn zum neuen Direktor zu ernennen.

Hoch über ihm blickten inzwischen die Gestalten aus Klimts Deckengemälden ungerührt auf ihn herab. Leben und Sterben, helles Licht und düstere Schatten, ein ewiger Kreislauf.

*

Zwei Stockwerke tiefer lehnte er sich bald darauf erleichtert an die Theke der Kantine und sah zu, wie sich sein Glas füllte.

»Einmal die Spezialmischung, wie üblich, Herr Meersburg – bitte sehr!«

Mit einem Nicken nahm er das Glas entgegen und trank. Eines nach dem ersten Akt, das zweite während der TotengräberSzene. Durch diese Einteilung wurde das Stück gerade noch erträglich.

»Prost!« Ein Ellbogen stieß ihn an.

»Wie bitte?«, murmelte er und sah demonstrativ in eine imaginäre Ferne.

»Durst?«

Langsam drehte Meersburg sich um und starrte den jungen Mann neben sich an. Einer der Tontechniker. Die löchrige Hose und die abgelatschten Stiefel ließen Meersburg innerlich einen Schritt zurücktreten. Diese Typen hatten keinen Anstand und waren unglaublich von sich eingenommen. Dabei war er ein Niemand! Weniger noch! Hatte keinen blassen Schimmer vom Schauspiel, und wenn man etwas wirklich dringend brauchte, dauerte es eine Ewigkeit. Noch dazu war der unsympathische Kerl in Begleitung der Neuen aus der Requisite. Wie sie ihn anhimmelte! Hatten die nichts Besseres zu tun?

Wortlos wandte Meersburg sich wieder von ihnen ab und leerte mit gequälter Miene sein Glas.

»Noch eines, bitte … ausnahmsweise!«

Als neuer Direktor würde er aufräumen! Langhaarige Handlanger hätten unter seiner Führung garantiert keine Zeit, während der Vorstellung einer Blondine ins Dekolleté zu stieren!

So würdevoll wie möglich, griff er schließlich nach seinem Getränk und rauschte erhobenen Hauptes aus der Kantine. Im Vorübergehen schenkte er dem Tontechniker noch einen kurzen, vernichtenden Blick.

*

Während seine Finger über die glatte Oberfläche der kleinen Figur in seiner Hosentasche glitten, sah er über sich in die Höhe. Wie viele Meter waren es bis zum Dach? Etwas weiter darunter, am Schnürboden, hatten sie ein Licht angelassen. Er grinste. Es hielten sich also doch nicht alle an die Verdunkelungs-Anweisungen des Herrn Regisseur …

Vor ein paar Jahren war er von dort aus noch zwischen den Seilen, an denen die Kulissen hingen, in die Tiefe gesprungen. Es hatte ihm nichts ausgemacht. Bungee-Jumping gewissermaßen. Zwar auch so eine beschissen moderne Inszenierung, aber wenigstens eine abwechslungsreiche!

Als hätte jemand seine Gedanken gehört, erlosch das funzelige Licht über ihm. Stattdessen umhüllte ihn erneut das erbärmliche Schwarz.

… brecht euch selbst den Hals!, hörte er aus dem winzigen Lautsprecher, seiner einzigen Verbindung zur gespielten Realität.

Plötzlich, vom hinteren Teil der Bühne her, ein Flüstern, scharf und eindringlich. Dann wieder nichts. Wollte jemand etwas von ihm? Je näher sein Auftritt rückte, desto schwerer ging sein Atem. Dazu das Zittern in den Händen und seltsamerweise auch in seiner Brust. Nervös holte Meersburg die kleine Figur aus der Hosentasche und hielt sie sich dicht vors Gesicht. Eigentlich war es lächerlich, einen solchen Talisman zu brauchen. Aber jedes Mal, bevor er auf die Bühne ging, steckte er ihn dann doch ein.

Eine schattenhafte Bewegung in seiner Nähe ließ ihn kurz zögern. Es ist Zeit, dachte er, betrat mit wenigen, kurzen Schritten die Drehbühne, auf der seine Kollegen schon warteten, und glitt gemeinsam mit ihnen nach vorne ins Licht.

Fast ohne sein Zutun verließen dann die Worte seinen Mund, reihten sich aneinander, füllten den Raum zwischen ihnen und dem Publikum. Was er eigentlich sagen wollte – du arroganter, junger Idiot! Was glaubst du, wer du bist!? –, würgte er mühsam hinunter. Im Stück war er dabei, den Idioten nach England zu schicken. Wäre es doch nur tatsächlich so!

Dieser junge Geck mit seinen noch jüngeren weiblichen Fans, die beim Portier nach der Vorstellung auf ihn warteten, um ihn anzuhimmeln! Überhaupt hätte er am liebsten laut hinausgeschrien: Man kann doch nicht einen TV-Serienstar für das wichtigste Bühnenstück verpflichten, das jemals geschrieben worden ist!

Stattdessen zischte er ihm mit so viel Süffisanz, wie er...


Stein, Lizl
Lizl Stein wurde 1961 in Wien geboren und wuchs in Österreich und England auf. Sie studierte in Wien Komposition, klassisches Klavier, Jazzklavier und Rhythmik. 1980 gründete sie die Band »Liszl«, produzierte u. a. die erfolgreiche CD »Talk about Job-Sharing« und gab zahlreiche Konzerte. Seit 1990 unterrichtet sie Klavierimprovisation an der Universität für Musik in Wien.

Koytek, Georg
Georg Koytek wurde 1964 in Wallsee/Donau geboren. Er studierte Audio-Engineering an der Universität für Musik und der SAE. Er arbeitete 16 Jahre lang als Tontechniker am Burgtheater in Wien und betreute unter anderem Produktionen wie »Hamlet«, »Woyzeck« und Heldenplatz". Seit einigen Jahren ist er als freischaffender Maler tätig.



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