E-Book, Deutsch, Band 46, 240 Seiten
Reihe: Blutiger Osten
Kotte Falsche Ideale
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-95958-782-2
Verlag: Bild und Heimat Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fünf wahre Verbrechen
E-Book, Deutsch, Band 46, 240 Seiten
Reihe: Blutiger Osten
ISBN: 978-3-95958-782-2
Verlag: Bild und Heimat Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Henner Kotte, geboren 1963, studierte Germanistik in Leipzig, Moskau und Dresden und lebt heute als Schriftsteller, Redakteur, Theaterkritiker und Stadtführer in Leipzig. Zuletzt erschienen bei Bild und Heimat u. a.: Flucht über die Todeszelle (Blutiger Osten, 2017), Populäre sächsische Irrtümer (2017), Der Opfermord von Belmsdorf (2018) und Die Tote aus dem Zöffelpark (2018).
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Der unentrinnbare Schoß oder Vaters Ideale
Der Fall Lissy Rehdanz, Plauen 1956
Die Empfindung des Einsamseins ist schmerzlich,
wenn sie uns im Gewühl der Welt,
unerträglich jedoch,
wenn sie uns im Schoß unserer Familie überfällt.
Marie von Ebner-Eschenbach
Dr. Thaddäus Rehdanz zählt sich zur besseren Gesellschaft in Plauen. Er ist Zahnarzt und der Stadt Prominenz. Man spricht über ihn. Der Herr Doktor besitzt fachlich sehr guten Ruf und sein Leumund könnte besser nicht sein. Die Praxis im Stadtzentrum: Bänkegäßchen 2–4, nah zum e.o.plauen-Haus, Vogtland- und Stadtmuseum. Die Straße ist nur von einer Seite aus zu erreichen, Sackgasse, verkehrsberuhigt. Glücklich verheiratet, seine drei reizenden Kinder geben Anlass zu größten Hoffnungen.
Osterwoche 1956. Mittwoch, der 28. März. Mit dem Abend zieht in Rehdanz’ schönes Haus das Grauen ein. Über der Idylle liegt fortan tiefer Schatten, Schrecken und Erschütterung. Eine Tragödie hatte sich ereignet. Der Vater äußert im polizeilichen Verhör, »daß er ein großes Teil der Schuld habe, daß seine Tochter eine derartige Handlung durchgeführt hat. Hinterher, immer wenn es zu spät ist, sieht man es ein, kann es dann aber nicht mehr ändern, sagte er. Er sei in der Erziehung an die einzelnen Dinge herangegangen, so daß er im Laufe der Zeit seine Tochter mißmutig machte und sie vor den Kopf stieß. Er hat ihr gegenüber viele Fehler gemacht, die er heute offen zugibt, und vor allem einsieht. Seine Tochter sei gar nicht so, daß sie in dieser Form, wie er es tat, behandelt werden mußte. Er ist eben sehr aufgeregt und nervös, und dadurch kommt es, daß er oft Worte sagt, die er hinterher gar nicht so gemeint haben wollte usw. Die Mutter führte an, daß die Lissy sehr kinderlieb sei, also Kinder furchtbar gern habe. In ihrem Beruf als Erzieherin sei sie förmlich aufgegangen. Sie habe es auch verstanden, die Kinder entsprechend zu behandeln.« Dr. Thaddäus Rehdanz, Gattin und Lissys Geschwister können es nicht fassen: Ein Kind ist tot. Lissy hat es umgebracht – Stefanie.
Oft glaubt ein Vater, sein Kind zu lieben, und liebt nur seine eigenen Ansichten, seine eigenen Erwartungen in ihm. Dann maßt er sich eine vollkommene Tyrannei über den Geist des Kindes an … er verhindert, jene Fähigkeiten zu entwickeln, die ein junges Wesen wie Schwingen stark und selbstsicher durch das Leben tragen.
Prentice Mulford
Die Erfahrungen lehren: »Alle ungünstigen Instinkte und Triebe, die der Erwachsene entfaltet, müssen in der Anlage bereits beim Kinde vorhanden sein.« So streben Wissenschaftler und Lehrpersonal seit jeher nach den Methoden der Erziehung, die das Gute im Kinde befördern und das Böse unmöglich machen. Dem eingedenk verfasste 1915 der Dresdner Jurist Erich Wulffen (1862–1936) ein »Erziehungsbuch« zu einer vorbeugenden »Kriminalpädagogik« und stellte fest: »Wir machen in unserer Erziehung so viele Fehler, daß ihre Resultate uns entsetzen müßten, wenn nicht die Natur mit ihren eigenen und selbsttätigen Erziehungswegen so vieles wieder ausgliche. Daher kommt es auch, daß das Endergebnis im großen und ganzen so leidlich ausfällt. Weshalb eignen sich so wenige Eltern zu Erziehern? Weil sie erstens selber nicht erzogen sind und zweitens keine Zeit haben, sich gelegentlich für die Erziehung ihrer Kinder zu Erziehern auszubilden. Erfolgreiche Erzieher gehen nämlich meist selber gleichzeitig diesen Bildungsweg. Wie kann man von Eltern, die den ganzen Tag auf Arbeit außer dem Hause oder aber im Haushalte beschäftigt sind, erwarten, daß sie in den kurzen Stunden, da sie ermüdet und vielfach sorgenvoll ihrer Häuslichkeit gehören, Zeit, Neigung und Fähigkeit finden, ihre Kinder angemessen zu leiten und zu bilden? Aber wir brauchen nicht bis zum Proletariat hinabzusteigen, wir können das Leben des Beamten, des Rechtsanwaltes und Arztes, des Kaufmanns betrachten, um festzustellen, daß ihnen allen, die ihre schulpflichtigen Kinder den Tag über überhaupt nicht sehen, viel zu wenig Gelegenheit zur Anleitung, Beaufsichtigung und Erziehung verbleibt. Hier liegt ein großes soziales Problem.« Und so formulierte der Staatsanwalt im Falle Lissy Rehdanz: »Die Angeklagte hatte zu Hause unter äußerst mißlichen Verhältnissen gelebt und war aus diesem Grunde ausgezogen.«
Bestimmt hättest du dieses Mädchen
ein bißchen gern haben können,
aber du gabst ihm nie eine Chance
Ute Maria Seemann: Anhalten! Fetthaarkontrolle!
Die blonden und die violett getönten Jahre der Ute S. aus D.
Die Fernsprechmitteilung erreichte die Kriminalpolizei am 28. März 1956: »Gegen 20.25 teilt der Operativstab des VPKA Plauen, VP-Komm. Hubschmidt, mit, daß er soeben von einem gewissen Rehdanz, wohnh. in Plauen, Bänkegäßchen 2–4, die Mitteilung erhielt, daß zu ihm sofort einmal ein Angestellter der Kriminalpolizei kommen soll. Obwohl Rehdanz erst nicht sagen wollte, daß es sich um ein neugeborenes Kind handelt, welches nicht mehr am Leben ist.
Um Aufnahme der Ermittlungen wird ersucht.«
Kriminalpolizeilicher Ermittlungsbericht: »Unmittelbar nach Erhalt der Mitteilung begibt sich Unterzeichneter zu Familie Rehdanz, wobei es sich um den Zahnarzt Rehdanz handelt. Neben ihm ist noch seine Ehefrau und die 3 Kinder anwesend, welche alle in erregtem Zustand sind. Im Beisein seiner Frau und einer Tochter schildert Rehdanz, daß er soeben von seiner Tochter erfahren habe, daß sie ein Kind geboren hatte und dieses Kind nach der Geburt verbrannt hat. Im Allgemeinen schildert er noch, daß er mit seiner Tochter etwas zerfallen war und sie deshalb nicht mehr zu Hause wohnte. Er selbst wußte nicht, wo sie wohnte, und war auch nicht orientiert, wann seine Tochter zu entbinden hatte. Heute sei sie nun gekommen, um den Eltern zu beichten, was sie angestellt hatte. Hierbei haben sie zum ersten Male erfahren, daß sie ihr Kind schon geboren hat, und weiter, daß sie das Kind nach der Geburt in den Ofen gesteckt haben will. Als dies Rehdanz erfahren hatte, sagte er seiner Tochter, daß er da die Kriminalpolizei verständigen muß, was er dann auch sofort getan hat.
Der Tochter des Rehdanz wird mitgeteilt, daß sie sich fertig machen soll, da sie zur Sache eingehend in der Dienststelle gehört werden muß. Da das Dienstfahrzeug mit dem Bereitschaftsdienst der Abtl. K sofort nach dem Absetzen des Unterzeichneten am Altmarkt weitergefahren ist, muß Unterzeichneter die Zuführung mit einer Taxe durchführen.
In der Dienststelle wird die Verdächtigte zur Sache gehört, und nach eingehender Schilderung des Tatbestandes muß festgestellt werden, daß die Genannte nach der Geburt das uneheliche Kind vorsätzlich getötet hat. Es handelt sich hierbei um eine Kindestötung gemäß § 217 StGB, weshalb die Rehdanz vorläufig festgenommen wird und der U-Haftanstalt zugeführt wird. Nach Rücksprache mit dem Leiter der Abtl. K, P-Komm. Händel, ordnet dieser an, die protokollarische Vernehmung am folgenden Tag durchzuführen.«
… wie du das Leben schenktest, bringst du den Tod. Das ist die Allmacht der Mutter gegenüber ihrem kleinen Kinde, aus ihrem Antlitz strahlt allumfangende Liebe, strahlt aller Zorn mit Kälte und Tod. Sie ist der unentrinnbare Schoß.
Heinrich Zimmer: Die indische Weltmutter
»Plauen 29.3.1956
Da die Rehdanz bei der Schilderung der Tat angab, daß sie die Kindsleiche in dem Garten der Eltern vergraben hatte, wird sie zum Zwecke der genauen Bezeichnung der Grabstelle aus der Haftanstalt mitgenommen und in das Grundstück Nr. 852 geführt. Das Grundstück ist an die linke Seite des Schwimmstadions angrenzend und von der Vorderseite zugängig. Es ist mit einem defekten Drahtzaun umgeben. Die Größe des Grundstücks beträgt ca. 100 m x 50 m. An der linken Seite, nicht ganz am Gartenzaun, steht ein massives Gartenhaus. Sonst ist der Garten nur mit Büschen, Laub- und vereinzelten Nadelbäumen bewachsen. Ungefähr in der Mitte des Grundstückes steht eine einzelne Blautanne, deren untere Äste bis auf den Boden reichen. Hier wird von der Rehdanz die Stelle bezeichnet, wo sich die Kindesleiche befinden soll. Vor der Exhumierung werden vom VP-Komm. Schulte, Komm. KT, fotografische Aufnahmen gefertigt.
An der Erdoberfläche der bezeichneten Stelle ist nichts zu bemerken, wo sich das Grab befindet. Sie ist mit Tannennadeln überzogen. Nach Beginn der Ausgrabungstätigkeit kann bereits bei einer Tiefe von ca. 5 cm festgestellt werden, daß hier die Leiche in Zeitungspapier und einem buntkarierten Kopftuch eingepackt liegt. Die Leiche liegt auf dem Rücken, der Kopf zeigt in Richtung Westen. Das Erdreich sowie auch die Leiche fühlen sich sehr kühl an. Die Zeitung, welche zur Verpackung Verwendung fand, stammt vom Dienstag, den 20.3.1956.
Nachdem bereits vor der Exhumierung die Täterin zum VPKA gebracht worden war, wird die Leiche ebenfalls nach hier gebracht, um fotografische Aufnahmen anzufertigen.«
Nach dem Auffinden des Leichnams des getöteten Kindes erfolgt die weitere »Vernehmung eines Beschuldigten
Datum:29.3.1956
Zeit:22.00–23.45 und 10.45–17.45
Vernehmender:Loose
Name:Rehdanz, Lissy, Maria, Thekla
geb.:am 17.4.1936, Plauen
wh., letzter
Aufenthalt:Plauen, Darwinstr. 4
jetzige
Tätigkeit und
Arbeitsstelle: Rat der Stadt Plauen, 8. Städtischer
Kindergarten,...