E-Book, Deutsch, 216 Seiten
Korte Hirngeflüster
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-95890-290-9
Verlag: Europa Verlage
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie wir lernen, unser Gedächtnis effektiv zu trainieren
E-Book, Deutsch, 216 Seiten
ISBN: 978-3-95890-290-9
Verlag: Europa Verlage
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die geburtenstarken Jahrgänge kommen in die Jahre und sorgen sich um ihre Gedächtnisleistung. Aber auch jüngere Semester versuchen, ihr Gehirn auf Höchstleistung zu bringen, denn im internationalen Wettbewerb bedeutet jeder Lern- und Wissensvorteil individuellen – und damit ökonomischen – Gewinn. Doch wie bringen wir unser Gehirn in Schwung? Und welche Art des Gedächtnistrainings funktioniert wirklich? In "Hirngeflüster" erklärt Neurobiologe Martin Korte, warum uns nicht alle Formen des Gehirnjoggings weiterbringen und was wir wirklich tun können, um unsere Gedächtnisleistung dauerhaft zu erhalten und zu verbessern.
Sudoko, das Memorieren von Zahlenreihen oder der berühmte Knoten im Taschentuch – um unserem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, gibt es zahlreiche Methoden. Doch viele der gängigen Techniken trainieren nur Spezialfähigkeiten, die uns zwar so manche Aufgabe leichter erledigen lassen, aber sich nicht auf andere kognitive Tätigkeiten auswirken. Vor allem aber verjüngen sie weder unser Gehirn noch verbessern sie unser Gedächtnis als Ganzes. Dazu kommt, dass jeder Mensch anders lernt und somit auch unterschiedliche Merkhilfen benötigt. Echten Erfolg hat nur, wer versteht, wie unser Gedächtnis funktioniert und welche Faktoren unsere Gehirnleistung beeinflussen. Wissenschaftlich fundiert und praxisorientiert zugleich erklärt Martin Korte, welche Erinnerungstechniken uns in welchen Lebensbereichen weiterbringen, warum der Student sein Gehirn anders trainieren sollte als der Rentner und wie äußere Faktoren wie Ernährung, Sport, Schlaf und soziales Miteinander unsere Gehirnleistung beeinflussen.
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Lernen: schneller, weiter, tiefer, länger
Wie eingangs erwähnt, ist unser Gedächtnis nicht trainierbar wie ein Muskel – ein Muskel ist eben ein Gewebe aus Muskelzellen und ein Gehirn ein Netzwerk aus Neuronen und Gliazellen. Dennoch lassen sich neuronale Netzwerke in einem gewissen Maß trainieren, allerdings ist dies schwieriger als erwartet. Das hat zum einen damit zu tun, dass es »das« Gedächtnis in unseren Köpfen nicht gibt, sondern es gibt Subsysteme, die von verschiedenen Netzwerken bestimmter Gehirnareale unterstützt werden. Dies erklärt auch, warum beliebte Übungen ganz gezielt nur einzelne Areale des Gehirns trainieren; dies gilt für Kreuzworträtsel, Sudokus und für die meisten Lern-Apps auf Handy und Tablet, die »Gehirnjogging« im Untertitel führen. Auch diese haben einen Trainingseffekt, allerdings werden wir hier nur darin besser, spezifische Aufgaben zu lösen. Weder wird dadurch unser Zahlengedächtnis noch unser Faktengedächtnis verbessert, und vor allem wirkt sich dieses hochspezialisierte Training nicht auf andere Denktätigkeiten aus. Auch sind das keine Übungen, die das Gehirn verjüngen oder gar das Gedächtnis als Ganzes stärken. Gleiches gilt auch für ein ganz spezielles Gedächtnistraining, denn wer Zahlenreihen oder Wortlisten auswendig lernt, wird diese Zahlen und Wörter danach besser erinnern, nicht mehr und nicht weniger (wer die Zahl Pi auf 1000 Stellen auswendig lernt, kann dann genau das und nicht mehr!). Wer dagegen trainiert, wie man sich Zahlen und Vokabeln, Fachbegriffe und vollständige Abläufe besser merken kann, der trainiert ganze Gedächtnissysteme – und genau auf diese Trainingslehre des Gedächtnisses im Besonderen und des Gehirns als übergeordnete Instanz im weiteren Sinne wollen wir in den folgenden Kapiteln eingehen. Assoziation ist Trumpf!
Wie kann man, während man etwas lernen muss oder eine knifflige Aufgabe lösen soll, die Mechanismen und Hebel des Denkens und Lernens optimal nutzen, um so seine Gehirnleistung zu steigern? Das A und O ist hierbei, die assoziative Kraft von neuronalen Netzwerken in unseren Gedächtnissystemen zu nutzen. Dies ist ebenso elementar wie alt, und auch wenn es äußerst komplex ist, generelle Regeln zu formulieren, die unsere Gedächtnis- und Lernfähigkeit verbessern könnten, so gibt es Methoden in der langen Lerngeschichte der Menschheit, die immer wieder erfolgreich angewendet wurden. Noch heute zählen dazu Lern- und Erinnerungstechniken, die unser überragendes Gedächtnis für Orte und Bilder verwenden. Hierbei wird unser Raumgedächtnis eingesetzt, um Bezugspunkte im Raum (Landmarken) festzulegen – das können Straßen in einer Stadt, die man im Geiste entlanggeht, das eigene Haus mit seinen Zimmern und Möbeln oder sogar der eigene Körper sein. Es werden also Einkaufslisten, Lehrsätze, Abfolgen in einer frei gehaltenen Rede, Argumente für ein wichtiges Gespräch etc. jeweils mit einem definierten Ort in Verbindung gebracht und miteinander assoziiert. Je bildlicher dies erfolgt, umso besser. Für Zahlen allerdings gilt, dass man jede Zahl von 1 bis 10 besser mit einem Bild versieht, also zum Beispiel die 0 mit einem Spiegelei, die 1 mit einem Speer (Zahnbürste), die 2 mit einem Schwan, die 3 mit einem Dreizack, die 4 mit einem Stuhl, die 5 mit einer Hand (mit ihren 5 Fingern), 6 wäre ein Würfel, 7 die sieben Zwerge, 8 ein Schneemann (oder eine Brezel), 9 ein Luftballon (mit Band dran). Um sich jetzt Zahlenfolgen zu merken, verwebt man die Wörter mit einer Geschichte, und schon kann man sich seinen 6- bis 8-stelligen Pincode problemlos merken, wenn man nur die dazu passende Geschichte abruft. Nehmen wir an, es seien nur 6 Zahlen: eine 2 schwimmt wie ein Schwan im Pool des Vorgartens, eine 8 liegt gleich am Anfang im Flur wie eine Brezel, eine 9 macht sich als Luftballon an einem Sessel ganz gut, und daneben steht die 4 als Stuhl, die 3 hängt wie ein Dreizack in der Küche und die 1 liegt als Zahnbürste im Bad. 289431 – verknüpft über Orte, die man abgeht im Haus, und über Bilder, wie und wo die Zahlen als welcher Gegenstand hängen. Sie können natürlich gänzlich andere Bilder und Erinnerungsstützen bei Ihrer PIN-Gedächtnisreise verwenden (und bitte nehmen Sie andere Zahlen!). Wenn wir nun im Geiste durch unser Haus gehen, sobald wir den Pin benötigen, nutzen wir eine tatsächliche Stärke unseres Gedächtnisses: sowohl unser Bild- als auch unser räumliches Gedächtnis sind überragend (nur so konnten unsere evolutiven Vorfahren weite Strecken zurücklegen und Orte in einer komplexen Umgebung wiederfinden). Diese Loci-Methodik (lat. locus = Ort) der Gedächtnisschulung macht sich also zwei überragende Eigenschaften unseres Gedächtnisses zunutze: zum einen den evolutiven Ursprung unseres räumlichen Gedächtnisses im Hippocampus, zum anderen die assoziative Kraft, mit der Synapsen Informationen abspeichern und auslesen. Rauminformationen werden assoziiert mit Fakten, und dadurch werden Speicherorte im Gehirn angelegt, die auch sicher wiedergefunden werden können. Hinzu kommt der Umstand, dass dieser Raumbezug visualisierbar wird – man kann den Ablauf eines wichtigen Vortrages oder Referates in seiner Wohnung hinterlegen. Hält man dann die Rede, den Vortrag oder das Referat, geht man im Geiste seine Wohnung ab und sammelt die Argumente, die man nennen will, wieder ein. Ähnlich haben es schon römische oder griechische Redner in der Antike gemacht. So wirkmächtig diese sogenannte Loci-Technik auch ist, so wenden sie doch nur wenige Menschen im Alltag an. Der Grund ist einfach: Man muss zur Beherrschung dieser Lerntechnik ordentlich trainieren. Das kostet Zeit und dauert relativ lange, bis man die ersten Früchte erntet. Man muss sich Wege, Metaphern und Assoziationen zurechtlegen, die Wege mit ihren Assoziationen häufig in Gedanken abgehen, damit sich die neuronalen Wege verfestigen und man tatsächlich beliebige Dinge entlang eines solchen räumlichen Gebildes ablegen kann (und dann auch zuverlässig erinnert, was wo liegt). Aber die Vorteile sind immens, sodass es sich lohnt, diese Zeit in das Üben von Lerntechniken zu investieren: Was man hierbei im Gehirn verändert, ist nicht die Menge an Fakten, die wir speichern, sondern die Wege, wie wir neue Informationen speichern und sicher wieder abrufen. Unsere Gedächtnissysteme ändern ihre Netzwerkstruktur. So konnte man bei Gedächtnis-Großmeistern feststellen, dass schon beim ersten Lernen vermehrt Strukturen des Langzeitgedächtnisses mit in den Lernprozess eingebunden werden. Wer also die richtige assoziative Lerntechnik anwendet, verbessert auch die Haltbarkeit des Gelernten. Aber noch wichtiger ist, dass der Abruf verbessert wird. Jeder weiß von sich, dass es leichter ist, etwas zu erinnern, wenn man einen Hinweisreiz bekommt. Es ist viel einfacher, aus einer vorgegebenen Liste die richtige Antwort zu erkennen, als diese ohne Abrufreiz zu benennen. Auch was das Erinnern von Namen angeht, reicht es oft schon aus, den Vornamen zu nennen, um den kompletten Namen zu vervollständigen; manchmal genügt es schon, einen Freund des Gesuchten zu erwähnen, um den Namen dann sofort sagen zu können. Unsere Erinnerungen bestehen aus Verknüpfungen von neuronalen Verbindungen, und ein bestimmtes Netzwerk, eine Gedächtnisspur, muss re-aktiviert werden, damit wir etwas erinnern. Dafür müssen ganze Netzwerke von Neuronen Muster erkennen, die zumindest einem Teil des ursprünglichen Speichervorgangs entsprechen. Und genau dies gelingt besser, wenn wir mit den zu erinnernden Fakten, Namen, Abläufen, Formeln oder Ereignissen etwas assoziieren. Besonders gut können unsere Gedächtnissysteme das bei Orten, das heißt bei räumlichen Bezügen, und bei visuellen Objekten, und beides kann man beim Lernen selbst und beim Erinnern einsetzen, um sein Gedächtnis deutlich zu verbessern. Man muss nur trainieren und üben, das ist der Preis für ein generell verbessertes Gedächtnis. Wer diesen Trainingsaufwand scheut, der muss weiter zu Zettel und Stift greifen, was bei Einkaufslisten eine echte Alternative ist. Für PIN-Nummern, Geheimzahlen und Passwörter stellt dies allerdings keine sichere Variante dar. Auch ein gut vorbereiteter Vortrag gelingt besser, wenn man die Abfolge im Kopf hat und für die Diskussion die wichtigen Argumente in strukturierter Reihenfolge nennen kann. Genau mit dieser Technik – und nachweislich nicht aufgrund eines genetisch vorgegebenen herausragenden Gedächtnisses – schaffen es Gedächtnis-Weltmeister innerhalb von 20 Sekunden, ein komplettes Skatspiel in der korrekten Kartenfolge einzuspeichern oder in wenigen Minuten 200 Namen zu memorieren. Und das alles nur durch Training! Ein deutsch-holländisches Forscherteam konnte zeigen, dass in gerade mal sechs Wochen Laien, die in die Loci-Methode eingeführt wurden, von anfänglich 20 Wörtern (von 72) am Ende des Trainings 62 neue Wörter memorieren konnten! Und der verbesserte Lerneffekt war auch noch Monate nach dem Training messbar – nicht, weil der Hippocampus oder sonst eine Hirnstruktur gewachsen war, sondern weil die...