E-Book, Deutsch, 189 Seiten
E-Book, Deutsch, 189 Seiten
ISBN: 978-3-17-036010-5
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Weitere Infos & Material
Einklang – Therapeutische Annäherung an den Tod, das Kind und die Lebenskraft
»Der Tod kommt!« Mit diesen Worten leitet ein achtjähriger, von zahlreichen Ängsten geplagter und melancholisch erscheinender Junge in der Frühphase seiner psychoanalytischen Kindertherapie eine unserer Begegnungen ein. »Oha, da muss ich mich ja in Acht nehmen«, erwidere ich spontan mit einem leichten Lächeln im Gesicht. Bereits beim gemeinsamen Hineingehen vergeht mir mein Lächeln ziemlich rasch und es folgen Überlegungen über sein mögliches Befinden und wie gefährlich-böse bzw. tödlich er sich fühlen mag. Oder erlebt er gar mich und meinen angebotenen Raum als so bedrohlich? Kaum im Praxiszimmer angekommen fragt der Junge bedeutungsvoll und unmittelbar an mich gerichtet: »Was glaubst Du, wann kommt der Tod?«, um sich dann umgehend den Spielzeugautos zu widmen. »Ich weiß es nicht«, lautet meine mehr als beeindruckte und aufrichtige Antwort, »aber das scheint Dich arg zu beschäftigen!« Diese verdichtete Eingangsszenerie mag einstimmen auf die folgenden Gedanken und Ausführungen, die um etwas kreisen, das uns alle – Groß und Klein – unmittelbar betrifft. Unermessliche Gestaltungen vom absolut bösen Vernichter bis zum heiligen Erlöser haben ihn begleitet. Und doch scheint es ein »Unthema«, eine »Unerfahrung«, ja ein »Unding« zu sein, für das es nichts Begreifbares, keine Worte und auch keinerlei Symbole oder Repräsentanzen zu geben scheint. Der Tod ist, wie ein fünfjähriges Mädchen einmal meinte: »Da und nicht da!« Jener Dualismus treibt die bewusstseinsfähige Menschheit seit ihren Anfängen um, wobei das vorliegende Buch eine Einladung an den Leser darstellt, sich dieser essenziellsten Urspaltung aus einer psychodynamischen Sicht gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen spielerisch anzunähern. Als tragendes Fundament dient hierbei das integrative Credo, dass jegliche Auseinandersetzung mit dem Tod eine unmittelbare Beschäftigung mit dem Leben bedeutet. Dynamik soll in ihrer originären Bedeutung als unser aller »Ur-Kraft« aufscheinen, wie sie u. a. Otto Rank verstanden hat, wobei Spiel und Spielerisches gleichsam in ihrer tief menschlichen Komponente Bedeutung finden sollen. »Peng! Du bist tot!« Diese Aussage eines Grundschulkindes steht beispielhaft für unzählige Spielsituationen mit verschiedensten Heranwachsenden und ich könnte nicht mehr ermessen, wie oft ich in meiner psychotherapeutischen Arbeit bereits spielerisch gestorben bin. Im Kern der Dinge geht es um unser aller Blackbox, wobei wir uns originär psychoanalytisch dem – inneren – Kind nähern wollen, um gemeinsam mit dem Gedanken zu spielen, dass wir eines Tages nicht mehr sein werden. Der Begriff der Annäherung wird hierbei essenziell und leitend sein, er umfasst etwas Grundlegendes, gerade im psychodynamischen Denken: Wie nah kann, darf oder soll schließlich irgendetwas zu irgendetwas Anderem sein? Das Ich zum Du? Das Selbst zur Welt? Der Körper zur Seele? Das Bewusste zum Unbewussten? Das Gute zum Bösen? Der Traum zur Realität? Die Realität zur Phantasie? Die Wahrheit zur Wirklichkeit? Der Raum zur Zeit? Der Anfang zum Ende? Das Leben zum Tod? In seiner namenlosen Gestalt und seinem endlosen Lebensgehalt ist der Tod in seinem tiefsten Grunde einfach. Nur schreckt und überwältigt den Menschen als dualistisches Wesen wohl nichts so sehr wie diese Ein(fach)heit. Jung benennt es unmittelbar: »Das Einfache aber ist immer das Schwierigste« (Jung, 1994, S. 124). Diesem unheimlich Einfachen scheint besonders das Kind – auch als inneres Wesen beim Erwachsenen – seelisch sehr nah zu sein. Für ein verständnisreiches Annähern an diese einfachen Bereiche kommt den originären psychoanalytischen Themenkomplexen höchste Gewichtung zu, vorausgesetzt man betrachtet und verwendet diese in ihrer konstruktiven Vielfalt. Als wissenschaftliche Basis kann hierzu ein spielerischer und an der ursprünglichen Empirie als Erfahrungsdisziplin orientierter Ansatz dienen (»émpeiria« steht im Griechischen für »Erfahrung« bzw. »etwas wagen« und nicht etwa für »gesichertes Wissen«). Da hier ohnehin nicht der Ort sein kann für ausführliche wissenschaftstheoretische Diskussionen mit akademisch geleiteten Abhandlungen über Hermeneutik, Heuristik oder Falsifikation, wird es mehr um Aspekte des Da-Seins, des Berührt-Seins und des Gehalten- Seins gehen. Auch erkenntnisphilosophische Begriffe wie Ontologie, Transzendenz und Immanenz werden im Folgenden nicht auftauchen. Ausdrücklich sei dabei darauf hingewiesen, dass es mir nicht um eine etwaige Verleugnung wissenschaftlicher Zugangswege und Erkenntnisse geht. Vielmehr möchte ich die empirische Stellungnahme wagen, dass insbesondere die psychodynamische Herangehensweise in ihrer Vielfalt etwas sehr Wertvolles in Bezug auf die Annäherung an den Tod und somit an das Ungewisse schlechthin, gerade auch mit Kindern und Jugendlichen, bedeuten kann. Es ist wohl der kindlich spielerische Forschergeist in uns allen, der Wissen schafft. Bereits Hermine Hug-Hellmuth als Pionierin der Kinderanalyse konstatiert: »Insbesondere sind Anfang und Ende des Lebens, Eintritt und Hingang des Einzelnen die nie versiegende Quelle aller Wie und Warum des Kindes« (Hug-Hellmuth, 1912, S. 286–287). So werden meine theoretischen Ausführungen immer wieder von Beispielen aus der Praxis mit Kindern, Jugendlichen, aber auch Erwachsenen begleitet. Beides werde ich durch Beschreibung meiner Gegenübertragungsgefühle bzw. meiner persönlichen Empfindungen organisch zu verbinden versuchen. Daraus sollen schließlich Inspirationen für eine mögliche Haltung und einen stimmigen, hilfreichen psychotherapeutischen Umgang mit diesen Grenzbereichen für alle Interessierten gewonnen werden. Selbstredend muss hierbei die Ansicht gegenüber dem Tod als elementarstem Koordinator des menschlichen Lebens nicht in vollem Umfang geteilt werden. Auch ohne diese Ausrichtung lassen sich Anregungen für den eigenen therapeutischen Alltag gewinnen, insbesondere über die Schilderungen, in denen sich der Tod beispielsweise durch einen konkreten oder nahenden Verlust oder suizidale Tendenzen direkt zeigt und nach konkreten Handlungsschritten verlangt. So können dann auch die für diese Reihe charakteristischen Zusammenfassungen am Ende eines Kapitels und die anschließenden weiterführenden Fragen ihre angemessene Berechtigung als orientierungsgebende Pfeiler finden. Jene Orientierung wird es im zu begehenden Terrain mitunter brauchen, da im Weiteren auf keinen Fall der Ansatz unternommen werden soll, Psychodynamik exakt zu definieren. Die genaue Bestimmung dürfte genauso fehlschlagen und am eigentlichen Ziel vorbeiführen wie eine Begriffsdefinition vom Leben oder gar dem Tod. Hinzuweisen wäre hier auf die »Thanatopsychologie«, die sich in umfangreicher und bewundernswerter Weise dem Sterben und dem Tod aus einem klassischen und streng wissenschaftlichen Paradigma heraus annähert (Wittkowsky, 2003). Darin wird u. a. differenziert zwischen dem Sterben als noch im Leben befindlichen Vorgang und dem endgültigen Tod. Diese Unterscheidung wird in der vorliegenden Arbeit eine vereinzelte, aber keine wesentliche Rolle spielen. Auch wenn wir alles Erdenkliche dafür tun (müssen), dies zu vergessen bzw. abzuwehren, so sind wir vom Anbeginn unserer Existenz im Sterbeprozess und absolut niemand weiß, wann das Ende naht. Der Tod ist der Horizont, der ausschließlich vom Schiff des Lebens aus erkundet werden kann. Die vor allem von Kindern – besonders in den Anfangsbegegnungen – gestellten Fragen: »Wohnst Du hier?«, »Hast Du auch Kinder?« oder »Wo kommst Du her?« wurden in der analytischen Kindertherapie bereits unzählige Male interpretiert und gedeutet. Ein sechsjähriges Mädchen fragte mich während eines Puppenspiels einmal, ob ich auch geboren wurde! Man kann diese Aussagen natürlich auf verschiedenste psychodynamische Art konstruktiv interpretieren und deuten. Ich möchte auf den dynamisch-existenziellen Gehalt dieser Worte hinweisen und mich zusammen mit den kindlichen Fragestellern damit beschäftigen, ob darin auch Hinweise auf deren Suche nach basalen Lebensfragen enthalten sind. Solch eine Haltung kann unter wahrlicher Achtung der Abstinenz die eigenen psychischen Abwehr- bzw. Bewältigungsanteile in den therapeutischen Prozess integrieren. Manchmal antworte ich darauf: »Ich wohne hier … auf der Erde« oder »Also, ich war auf jeden Fall auch mal ein Kind« und »Ja, ich bin so wie Du – und so...