E-Book, Deutsch, 152 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
Konrad Selbstgesteuertes Lernen ermöglichen
Originalausgabe 2023
ISBN: 978-3-15-962163-0
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
[Bildung und Unterricht] - Konrad, Klaus - Methoden; Grundlagen; Kompetenzen - 14296
E-Book, Deutsch, 152 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
ISBN: 978-3-15-962163-0
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine immer wichtigere Form des Unterrichts: Selbstgesteuertes Lernen steht schon seit den Reformpädagogen im Fokus, wurde in der Corona-Krise unverzichtbar und gehört angesichts des rasanten technologischen und gesellschaftlichen Wandels zu den »21st century skills«, die die UNESCO ermittelt hat. Dieser Band legt den Schwerpunkt auf die Lehrkräfte: Welche Kompetenzen benötigen sie, welche Haltung und welches Verhalten sollten sie an den Tag legen und was können sie tun, um Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf dem Weg in selbstgesteuertes Lernen zu begleiten? E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.
Klaus Konrad ist Professor für Pädagogische Psychologie an der Pädagogischen Hochschule Weingarten.
Autoren/Hrsg.
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4.4 Weitere Kernaufgaben der Lehrperson
Abseits der bislang genannten Aufgaben im Rahmen des Sandwich-Unterrichts, des WELL oder der Kognitiven Meisterlehre kommen auf die Lehrperson im selbststeuerungsoffenen Unterricht zentrale Aufgaben zu. Damit [46]einhergehend haben sich bestimmte Fähigkeiten, Haltungen und Einstellungen als wertvoll herausgestellt. Die Lehrperson agiert als selbstgesteuert handelndes Individuum Will die Lehrperson selbstgesteuertes Lernen vermitteln oder sogar fördern, ist es hilfreich, wenn sie selbst über entsprechende Strategien und Wissenselemente verfügt (Paris & Winograd, 2003). Zumindest vier Gründe sprechen für diese Empfehlung (Götz, Frenzel, Dresel & Pekrun, 2017): Neuere Studien zur Belastung im Lehrerberuf liefern besorgniserregende Ergebnisse. Hohe Anforderungen, große Klassen, Leistungsdruck durch Output-Orientierung und anderes mehr lassen es notwendig erscheinen, die eigenen Ressourcen zu aktivieren und nach Möglichkeiten der Prävention Ausschau zu halten (z. B. Burnout-Prävention; Götz et al., 2017). Hier setzen die Kompetenzen der Selbst- und Handlungsregulation an: Planung und Monitoring von Zeitressourcen sowie Fähigkeiten zur Emotionsregulation leisten einen bedeutenden Beitrag zur Lehrergesundheit. Heute kann niemand mehr erwarten, in der Jugendzeit so viel Wissen anzusammeln, dass es für ein ganzes Leben reicht. Davon ausgehend sind Lehrende angehalten, nach den Prinzipien des prozessorientierten Lernens ihre Kontrolle in Teilen auf die Lernenden zu übertragen. In Lernumgebungen, die Eigenverantwortung und Selbstinitiative verlangen, sollten sich die Schüler*innen [47]besser auf komplexe zukünftige Herausforderungen vorbereiten können. Selbstgesteuertes korrespondiert mit lebenslangem Lernen. Beide Perspektiven des Lernens sind für Lehrkräfte vor allem deshalb hoch relevant, weil es ihre Aufgabe ist, Schüler*innen ein mündiges und erfolgreiches Leben in dynamischen, komplexen Gesellschaften zu ermöglichen. Auf sich wandelnde Anforderungen adäquat reagieren zu können stellt eine der Kernkompetenzen im Lehrerberuf dar. Nicht nur den Lernenden, auch den Lehrenden wird abverlangt, dass sie neugierig und lernwillig bleiben. Sie sollen Menschen sein, die jeden Tag bereit sind, mit und von ihren Schüler*innen Neues zu lernen und die bestehende Praxis infrage zu stellen. Hohe individuelle Selbststeuerungskompetenz erleichtert auch den Umgang mit diagnostischen Instrumenten. Lehrende sehen sich (z. B. mit Hilfe von Lerntagebuch, Portfolio und lautem Denken) in der Lage, die selbstregulatorischen Aktivitäten der Schüler*innen zu erkennen und einzuordnen (Paris & Winograd, 2003). Die Basis für gezielte Interventionen ist damit gelegt. Wie die vorgelegten Argumente nahelegen, ist es für Lehrkräfte von Vorteil, wenn sie selbstgesteuertes Lernen nicht nur bei ihren Schüler*innen, sondern auch bei sich selbst entwickeln. Die raschen Veränderungen in unserer Welt verlangen, dass Angehörige pädagogischer Berufe ihre Kenntnisse und Fähigkeiten ständig erweitern und auf den neuesten Stand bringen. Lebenslanges Lernen ist entscheidend für die Fähigkeit, sich an veränderte berufliche Anforderungen anzupassen. [48]Zum Nachdenken: In welchen Bereichen können Sie sich weiterentwickeln? Wie beurteilen Sie Ihre Kompetenzen zum selbstgesteuerten Lernen im Hinblick auf Ihren Unterricht? • Setzen Sie sich im beruflichen, aber auch im privaten Kontext konkrete Ziele? Falls ja: Sind diese in der Regel angemessen oder eher zu hoch bzw. zu niedrig angesetzt? • Kennen Sie Ihre Stärken und Schwächen hinsichtlich strategischer Aktivitäten? Wie verläuft beispielsweise Ihre Unterrichtsvorbereitung? • Können Sie gut planen? Überwachen Sie regelmäßig Ihre Pläne? Regulieren Sie rechtzeitig, wenn Sie merken, dass Dinge nicht optimal verlaufen? • Wie schätzen Sie insgesamt Ihre Kompetenzen als selbstgesteuert Lernende*r auf einer Skala von 1 (geringe Kompetenz) bis 5 (hohe Kompetenz) ein? Sind Sie mit diesem Wert zufrieden? Welchen Wert streben Sie (realistisch) an? (Götz et al., 2017). Die Lehrperson betrachtet und fördert individuelle Lernprozesse und -strategien Aus der aktuellen Lehr-Lernforschung resultieren einige Anregungen für notwendige Initiativen und Aktivitäten der Lehrperson im Unterricht. Von besonderem Interesse ist dabei die differenzierte Lernförderung. Hauptaufgabe der Lehrperson in einem selbststeuerungsoffenen Unterricht ist ein möglichst individuelles Training. Eine dazu passende Lernumgebung erfordert neue [49]Aufgaben und Rollen sowohl seitens der Lehrperson wie auch für die Schülerinnen und Schüler. Die notwendigen Aktivitäten lassen sich gut am Verlauf eines typischen Unterrichts veranschaulichen: Am Anfang einer Lernsequenz bedarf es einer intensiven Unterstützung und Anleitung durch die Lehrperson, da die Lernenden zumeist nur wenig in der Lage sind, eigenverantwortlich ihr Lernen zu regulieren. Mit fortschreitender Kompetenzentwicklung wird den Lernenden sukzessiv die Verantwortung für den eigenen Lernprozess übertragen und die Lehrperson agiert zurückhaltender; sie relativiert ihre Rolle als Anleiterin und wird zur Moderatorin des Lernens der Schülerinnen und Schüler. Mehr und mehr werden Lernende in das Unterrichtsgeschehen handelnd einbezogen und zu Mitgestaltern des gemeinschaftlichen Lernens (Ehlert, Maag Merki & Werner, 2011). Eine konsequente Schüleraktivierung ist zentral für die von Bildungsexperten zunehmend geforderte Lern- und Begabungsförderung. Besonders betroffen von den genannten Entwicklungen ist die Qualität des Lehrer-Schüler-Dialogs. Die kompetente Lehrkraft macht Lehr-Lernprozesse transparent und formuliert angemessenes, d. h. konstruktives Feedback (siehe S. 53 ff.). Im Zuge der Bearbeitung einer Aufgabe bietet die Lehrkraft persönliches Coaching an, das keinesfalls trivial ist, sondern komplexe Aktivitäten umfasst. Erfolgreiche Lehrer*innen [50]haben eine gute Auffassungsgabe, sind offen für die Bedarfe der Lernenden, reagieren empathisch, verfügen über fundierte Vorstellungen zu den psychologischen Grundlagen der Entwicklung ihrer Schüler*innen. Die Notwendigkeit des individuellen Coachings wurde bereits in Verbindung mit den Phasen der Kognitiven Meisterlehre thematisiert (siehe Abschnitt 4.3). Die Lehrperson macht Lernen sichtbar John Hattie (2015) sieht die Lehrperson als Regisseurin, die eine klare Vorstellung davon hat, welche Resultate Unterricht und Lernprozesse genau hervorbringen sollen und auf welchen Wegen die Lernenden dorthin gelangen können. Sie kennt den Leistungsstand und das Lernvermögen ihrer Kinder oder Jugendlichen und ermutigt sie dazu, ihre Potenziale optimal zu entwickeln. Wie in einem Theater die Schauspieler*innen ausschlaggebend sind und in einem Orchester die Musiker*innen kommt die Performanz dafür von den Lernenden selbst. Will die Lehrperson diese Leistungen hervorheben und unterstützen, stehen ihr verschiedene Strategien zur Verfügung. (1) Erstens können Visualisierungen des Lernens im Unterricht wertvolle Dienste leisten (Konrad & Bernhart, 2017). Zu erwähnen ist der Einsatz von Mind Map, Konzept-Map und Advance Organizer. Bei der Anwendung von Konzept- und Mind Maps im Sinne von Organisations- oder [51]Elaborationsstrategien erhalten Lernende die Chance, neue Inhalte oder Themen mit vorhandenen Wissensbeständen zu vernetzen. Dies alles geschieht im Rahmen einer konstruktiven Lehrer-Schüler-Beziehung. Um die Qualität des Unterrichts zu stärken, sind Lehrkräfte angehalten, ihre Beziehungsarbeit zu den Schüler*innen zu verbessern und ihre didaktisch-methodischen Kompetenzen zu erweitern (Literacy GAINS, 2008). (2) Ein zweites Hilfsmittel, das dazu beitragen kann, »Lernen sichtbar zu machen«, geht mit einer positiven Veränderung von Metakognitionen einher: »Metacognition is a powerful phenomenon that enables students to set goals, plan, problem solve, monitor progress, and evaluate their own thinking effectiveness. It provides the means for adolescents to oversee thinking as it happens, to determine what they know, to appraise what they need to know, and to orchestrate what they should do in a learning situation.« (Beamon, 2001; Literacy GAINS, 2008) Der Aufbau metakognitiver Strategien – und damit ein zentrales Anliegen des selbstgesteuerten Lernens – geschieht, wenn Schüler*innen ihre Lernprozesse und -ergebnisse veranschaulichen. Dazu gehört, dass die Beteiligten ihr eigenes Wissen (z. B. über persönliche Stärken und Schwächen) und ihre Lernwege kennenlernen. (3) Des Weiteren erfolgt das Sichtbarmachen im Prozess des wechselseitigen Lehrens von Schüler*innen, also in der hörbaren Vermittlung von Zusammenhängen. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, ist das Dreiergespräch. [52]Anregungen für die Praxis: Dreiergespräch Das Dreiergespräch soll die Schüler*innen befähigen, einen Zusammenhang nicht nur konzentriert darstellen, sondern auch anderen konzentriert zuhören zu können. Zu diesem Zweck werden Rollen...