Kohser-Spohn / Renken | Trauma Algerienkrieg | Buch | 978-3-593-37771-1 | sack.de

Buch, Deutsch, 348 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 434 g

Kohser-Spohn / Renken

Trauma Algerienkrieg

Zur Geschichte und Aufarbeitung eines tabuisierten Konflikts
1. Auflage 2006
ISBN: 978-3-593-37771-1
Verlag: Campus

Zur Geschichte und Aufarbeitung eines tabuisierten Konflikts

Buch, Deutsch, 348 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 434 g

ISBN: 978-3-593-37771-1
Verlag: Campus


1954 erhob sich in Algerien die Nationale Befreiungsfront (FLN), um mit Waffengewalt die Unabhängigkeit von Frankreich zu erzwingen. Bis 1962 mobilisierte die Kolonialmacht über zwei Millionen Soldaten, es kam zu Bombardierungen, Folter, Zwangsumsiedelungen und zur Hinrichtung von Gefangenen. Für Frankreich eine bittere Niederlage, wurde der Krieg in beiden Ländern lange tabuisiert. Mittlerweile ist das Schweigen gebrochen, doch hierzulande sind die Debatten kaum bekannt. In diesem Band werden die Geschichte des Krieges skizziert, die Erinnerungspolitik in beiden Ländern reflektiert und auch der Umgang der beiden deutschen Staaten mit dem Konflikt thematisiert.

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Weitere Infos & Material


Vorwort

Christiane Kohser-Spohn

I. Historische Einführung
Kleine Geschichte des Algerienkrieges
Frank Renken

II. Frankreich und der Algerienkrieg

Von Algerien nach Algerien
Jaques Floch

Die Geschichtswissenschaft und die späte Erforschung des
Algerienkrieges: Von einem konfliktbeladenen Gedenken zur
historiografischen Versöhnung?
Guy Pervillé

Die Geschichte des Algerienkrieges: Das Problem der Gewalt
Claire Mauss-Copeaux

Die Erinnerung an den Algerienkrieg in den Medien
Patrick Eveno

Staat - Zivilgesellschaft - Populärkultur: Zum Wandel des
Gedenkens an den Algerienkrieg in Frankreich
Dietmar Hüser

Die Erinnerung an den Algerienkrieg in Frankreich: Von der
politischen Verdrängung zur literarischen Bewältigung

Mechtild Gilzmer

Der Algerienkrieg in den französischen Schulbüchern:

Eine Zäsur in der Nationalgeschichte?

Sandrine Lemaire

III. Das unabhängige Algerien und
der nationale Befreiungskrieg

Die Erinnerung an den nationalen Befreiungskampf
zwischen Staatsdoktrin und Widerspruch
Werner Ruf

Die "Revolution" der FLN (1954-1962)

Gilbert Meynier

Die Erinnerung befragen? Die Geschichte des nationalen
Befreiungskrieges zwischen Pflicht zur Erinnerung und
Anspruch der Geschichte
Fouad Soufi

Der Algerienkrieg in Forschung und Lehre

Daho Djerbal

Die Geburt eines Schulfachs - Geschichte in Algerien

Tayeb Chenntouf

Nationaler Befreiungskrieg und Geschichtsunterricht
in der algerischen Schule

Hassan Remaoun

Vergangenheitsbewältigung und die Zukunft der
algero-französischen Beziehungen
Mourad Bencheikh

IV. Deutschland und der Algerienkrieg

Bedrohung für die deutsch-französischen Beziehungen?
Die Bundesrepublik Deutschland und der Algerienkrieg

Jean-Paul Cahn

Ideologie oder Macchiavellismus? Die Algerienpolitik der DDR
Fritz Taubert

V. Anstelle eines Fazits

Der Algerienkrieg: Mühselige oder erfolgreiche Anpassung?
Hartmut Elsenhans

VI. Anhang

Abkürzungen
Glossar
Wichtige Personen
Chronik ausgewählter Ereignisse
Personenregister
Ortsregister
Algerienkarte: "Wehrbezirke" (Wilayas) der Nationalen
Befreiungsfront 1954-1962


Am 20. Juni 2000 erschien auf der Titelseite der Tageszeitung Le Monde ein kurzer Bericht von Florence Beaugé. Die Journalistin beschrieb darin den Leidensweg der Louisette Ighilahriz, die im September 1957 als Mitglied eines Kommandos der algerischen Nationalen Befreiungsfront (FLN) in die Hände der französischen Armee gefallen war. Zu jener Zeit hielten vier Regimenter der 10. Fallschirmjägerdivision unter General Jacques Massu einen permanenten Belagerungszustand über die algerische Hauptstadt aufrecht.
Ighilahriz schilderte, wie es ihr als Gefangene der französischen Armee erging:

"Ich wurde nackt hingelegt, immer nackt. Sie konnten ein-, zwei- oder dreimal pro Tag kommen. Sobald ich ihre Stiefel im Gang hörte, fing ich an zu zittern. [.] Massu war brutal, widerlich. Bigeard war nicht besser, aber der schlimmste war Graziani. Er war unbeschreiblich, ein Perverser, der am Foltern Spaß hatte. Das waren keine Menschen. [.] Während dieser Monate hatte ich nur ein Ziel: mich selbst zu töten. Doch das schlimmste aller Leiden ist es, wenn man sich umbringen will und keine Möglichkeit dazu findet. [.] Sie haben meine Eltern verhaftet und fast alle meine Brüder und Schwestern. Meine Mutter durchlitt die Qualen der Badewanne drei Wochen in Folge. Eines Tages brachten sie das jüngste ihrer neun Kinder, meinen kleinen dreijährigen Bruder, und hängten ihn vor ihren Augen auf."
Der Artikel über Ighilahriz löste in Frankreich eine ungeahnte Flut an Kontroversen um die algerische Vergangenheit aus. Das heißt, insbesondere um die algerische Vergangenheit der französischen Armee. Knapp vierzig Jahre nach dem Rückzug aus der letzten großen Kolonie in Nordafrika wurden die Methoden der kolonialen Kriegsführung zum nationalen Skandal. Dabei war es bei weitem nicht das erste Mal, dass die Folter in aller Öffentlichkeit thematisiert worden ist. Doch etwas Entscheidendes hatte sich in der französischen Gesellschaft verändert: Die lange Zeit starr stehenden, ideologischen Nachkriegsfronten hatten sich verschoben. Innerhalb des einst verantwortlichen Offizierskorps traten plötzlich Differenzen in der rückblickenden Beurteilung zutage. Die Spaltung an der Spitze der Gesellschaft öffnete den Raum für eine breite Debatte, die vor allem über die Massenmedien ausgetragen wurde.
Le Monde gelang es im Anschluss an den zitierten Artikel, die von Ighilahriz persönlich angegriffenen, noch lebenden Generäle Bigeard und Massu zum Sprechen zu bringen. Marcel Bigeard, der 1957 als Oberstleutnant in Algier das 3. Koloniale Fallschirmjägerregiment kommandierte und später unter Präsident Giscard d'Estaing in den Rang eines Staatssekretärs beim Verteidigungsministerium aufstieg, reagierte in vertrauter Weise. Ighilahriz habe nichts als ein "Lügengespinst" gewoben. Massus Äußerungen gegenüber Le Monde klangen indes anders. Er bestätigte die Anwendung von Folter im Allgemeinen, und dass "im Fall Louisette Ighilahriz die Dinge wirklich sehr weit gegangen zu sein scheinen".

Angesichts der lebhaften Reaktion auf diese Veröffentlichungen wurde Beaugé durch die Chefredaktion von Le Monde ermutigt, am Thema dranzubleiben. Im November 2000 erschienen zwei lange Interviews mit Massu und dem bis dahin wenig bekannten General Aussaresses, der während der Schlacht um Algier als Geheimdienstler zusammen mit Oberst Trinquier und Massu eine klandestine Parallelführung zur regulären militärischen Hierarchie bildete. Beide bestätigten erneut, dass die Folter ein reguläres Instrument im Kampf gegen die FLN gewesen war, doch im Unterschied zu Massu verteidigte Aussaresses derartige Methoden offensiv. Er selbst habe persönlich 24 Gefangene getötet. Und er würde es wieder tun, wenn er noch einmal vor derselben Situation stünde.


Christiane Kohser-Spohn ist Historikerin am Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung in Braunschweig. Frank Renken ist Politikwissenschaftler am Centre Marc Bloch in Berlin.



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