Kohröde-Warnken | Sterben kann man nicht üben | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 140 Seiten

Kohröde-Warnken Sterben kann man nicht üben

Geschichten am Ende des Lebens
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7615-7018-0
Verlag: Neukirchener
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Geschichten am Ende des Lebens

E-Book, Deutsch, 140 Seiten

ISBN: 978-3-7615-7018-0
Verlag: Neukirchener
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Angst, Friede, Abschiedsschmerz, Zufriedenheit, Reue, Vergebung - was geht in Menschen vor, die wissen, dass sie bald sterben werden? Welche Erinnerungen, Gedanken, Fragen, Hoffnungen bleiben? Was haben sie noch zu sagen? Und was bleibt ungesagt? Corinna Kohröde-Warnken besucht Menschen, die in einem Hospiz leben: Sie hört zu, was sie bewegt, und hilft dabei, letzte Briefe an liebe Menschen zu schreiben. In diesem Buch lässt sie uns teilhaben an diesen Geschichten und Begegnungen. Sie sind berührend und voller Menschlichkeit - mal heiter, mal nachdenklich, aber immer ein einzigartiger Einblick in ein Leben. Mit jeder der kurzen Geschichten wird klarer: In der letzten Lebensphase kann - neben allem Schweren - auch so viel Wertvolles, Klärendes und Heilsames liegen. Ein Buch, das bewegt, inspiriert und zum Nachdenken anregt - und das viel weniger vom Tod handelt, als von dem, was wirklich wichtig ist im Leben.

Corinna Kohröde-Warnken, geb. 1966, ist gelernte Pflegefachkraft für Anästhesie und Intensivmedizin, Diplom Pflegewirtin (FH) und Dozentin in dem Studiengang Pflegemanagement. Als Autorin, Bloggerin und freie Journalistin ist sie deutschlandweit unterwegs und arbeitet ehrenamtlich in einem Hospiz mit dem Projekt 'Schreib-(T)-Räume'.
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Willkommen im Hospiz

Ob die Frauen und Männer, Töchter, Söhne, Mütter, Schwiegermütter, Väter und Schwiegerväter freundlich, ehrlich, verantwortungsvoll oder „schwierig“ waren, spielt keine Rolle für die Menschen, die im Hospiz haupt- oder ehrenamtlich arbeiten. Das „Jetzt“ ist hier der Taktgeber. In der Nähe des Todes ist vieles anders, aber oft zum Glück ganz alltäglich.

Jedes Mal, wenn ich das Hospiz betrete, ist es wie der Beginn einer Reise. Alles ist möglich. Sonne, Regen, Blitz und Donner – Sandstrand, Bergpanorama oder Großstadtgetümmel. Hier findet unglaublich viel Leben statt – auch wenn das nicht zwingend der erste Gedanke bei dem Wort „Hospiz“ ist … und natürlich wird hier auch gestorben.

„Der Gute Hirte“ wurde im Sommer 2021 mit neun Gästezimmern in Betrieb genommen – mitten in der Pandemie. Die Zimmer sind alle in unterschiedlichen Farben gestrichen und haben passende lange Gardinen vor den doppelten bodentiefen Fenstern und Türen, die auf eine separate Terrasse führen. Die Gäst:innen dürfen eigene Bilder, Bettwäsche, Möbel und Deko mitbringen. Manche Zimmer sind kaum wiederzuerkennen – manchmal ist es etwas voll, denn einige haben zusätzlich noch Hilfsmittel wie ihren Rollstuhl, Infusionsständer, Sauerstoffgeräte, Rollatoren oder Ähnliches dabei, aber das ist egal, denn die Gäst:innen haben das Recht, ihr letztes Umfeld so zu gestalten, dass sie sich wohlfühlen.

„Ein Reisender kommt in ein Kloster. Dort hat er ein Zimmer gebucht. Es ist leer, keine Möbel sind darin. Der Reisende fragt, warum das so ist. Der Mönch fragt ihn im Gegenzug, warum er keine Möbel mitgebracht hat. Darauf sagt der Mann, dass er ja nur auf der Durchreise sei. Der Mönch lächelt und erwidert: „So wie wir …“

Das Credo des Hospizes ist es: „Niemand muss alleine sterben.“ Das wird umgesetzt, wenn die Gäst:innen es wünschen. Sehr oft sind Angehörige oder andere Zugehörige da. Sie dürfen über Nacht bleiben. Dann wird auf Wunsch ein weiteres Bett ins Zimmer gestellt oder es gibt ein separates Gästezimmer, das genutzt werden kann. Wenn das nicht gewünscht oder möglich ist, sind die Pflegefachkräfte da oder Ehrenamtliche, die auch in der Nacht dafür sorgen, dass Sterbende sich nicht alleingelassen fühlen. Wenn jemand verstorben ist, wird ein türkisfarbenes Herz an die Zimmertür gehängt und eine Erinnerungskerze im Eingangsbereich entzündet. Diese brennt so lange, bis der Verstorbene das Hospiz durch die Eingangstür für immer verlassen hat. Dort liegt auch ein Buch, in dem an die Verstorbenen erinnert wird. Angehörige und Freunde können dort einen letzten Gruß hinterlassen. Dieses Buch wird genutzt, um bei den Dienstbesprechungen für uns Ehrenamtliche (im Vier-Wochen-Rhythmus) an die Verstorbenen zu erinnern, eine Kerze zu entzünden und zu erzählen, was für Begegnungen man mit ihnen hatte. Es ist ein Ritual, das allen hilft, Abschied zu nehmen und weiterzumachen. Einmal im Jahr gibt es im „Guten Hirten“ der einen Erinnerungsgottesdienst gleichnamigen Kirche, zu dem alle Angehörigen der Verstorbenen eingeladen werden. Nicht alle Eingeladenen kommen. Es werden alle Namen von den in diesem Jahr Verstorbenen mit Todesdatum verlesen und ein individuell bemalter Stein an den Kerzen niedergelegt. Die Zugehörigen dürfen ihn später mit nach Hause nehmen. Es ist ein sehr wichtiges Ritual – nicht nur für Verwandte und Freund:innen, sondern auch für alle Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen.

Wenn ein:e Gäst:in verstorben ist, kann auf Wunsch eine Aussegnung durch ein:e Seelsorger:in stattfinden. Die Verstorbenen dürfen bis zu 36 Stunden im Hospiz verbleiben, bevor sie vom Bestatter abgeholt werden. Auch dafür gibt es wichtige Rituale. Die Verstorbenen werden schön angezogen – häufig haben sich die Gäst:innen extra ein Outfit dafür ausgesucht. Rosenblätter werden auf die Bettdecke gestreut, und es brennt eine Kerze am Bett. Kuscheltiere, Kissen oder andere wichtige Gegenstände werden den Verstorbenen beigelegt. Wer möchte, kann sich verabschieden. Wenn der Bestatter kommt, wird die oder der Verstorbene durch dieselbe Tür aus dem Hospiz gebracht, durch die sie oder er hereingekommen ist, und eine kleine „Prozession“ folgt dem Sarg, bis der Leichenwagen den Vorhof verlassen hat. Hier schließt sich dann der (Lebens-)Kreis …

Zu Beginn der Arbeit musste sich ein komplett neues Team fin den, und es roch in den ersten Wochen noch ein bisschen nach Farbe. Das ist nach über drei Jahren natürlich nicht mehr der Fall. Viele denken, es riecht dort nach Tod (wie riecht der denn?). Das stimmt aber ganz und gar nicht, denn eigentlich riecht es dort immer nach Kuchen – den die fleißigen Hauswirtschafter:innen oder FSJler:innen zaubern, denn immer kocht, backt oder brutzelt dort jemand unermüdlich die leckersten Gerichte, Waffeln, Kuchen, Spiegeleier, Milchreis und alles, was die Gäst:innen sich wünschen. Das gemütliche, sehr helle Wohnzimmer mit der offenen Küche ist quasi der „Marktplatz“ des Hospizes. Ein riesiger wunderschöner Holztisch mit eleganter Maserung steht für alle möglichen Aktivitäten bereit. An ihm wird gegessen, gefeiert, gebastelt, geredet, geweint und gelacht. Dort trifft man fast immer irgendjemanden. Meistens sind es absichtslose Gespräche – wie in einem Café, in dem man mit der Person vom Nachbartisch zufällig ins Gespräch kommt. Eines aber eint die Menschen, die hier am Tisch sitzen: Sie beschäftigen sich – jeder auf seine Weise – mit dem Tod.

Ich habe dort ebenfalls schon viel Zeit verbracht. Nicht immer sind meine Besuche im Zimmer der Gäst:innen. Das Wohnzimmer ist das Zentrum – für mich das Herzstück des Hospizes. Vor dort hat man durch die riesige Fensterfront, die auf die großzügige Terrasse führt, einen herrlichen Blick auf die niedersächsischen Wiesen und Wälder. Die Gästezimmer haben ebenfalls jeweils eine eigene Terrasse mit einem Tisch und mehreren Stühlen. Insgesamt sind alle Räume sehr liebevoll und mit schönen Farben gestaltet. Am Ende des Ganges gibt es einen „Raum der Stille“, der bewusst neutral gehalten ist, da sich dort Menschen aller Konfessionen zurückziehen können. Er ist in einem warmen Orange gehalten, und es steht ein kleiner, runder, ebenfalls sehr schöner Holztisch darin und zwei gemütliche Drehsessel. Die ehrenamtliche „Blumenfee“ stellt jede Woche ein neues, von ihr kreiertes Blumenkunstwerk auf den Tisch. Es gibt also viele Orte der Begegnung, aber auch Räume für den Rückzug und die Stille.

Viele Ehrenamtliche sind im Hospiz tätig. Jede:r mit eigenen Fähigkeiten und Talenten. Eine tolle Gemeinschaft, die von den Pflegefachkräften und den Leitungskräften informiert und unterstützt werden. Supervisionen und Fortbildungen werden regelmäßig angeboten und immer ist das Pflege- und Leitungsteam für uns Ehrenamtliche ansprechbar. Ich fühle mich dort willkommen und zugehörig.

Schreib(T)Räume – Wie das Projekt entstand

Seit ich denken kann, schreibe ich Tagebuch. Ich hatte zuerst ein kleines, grünes Büchlein, das man abschließen konnte. Ich habe es bis heute. Später schrieb ich viele tagebuchähnliche Briefe, und noch etwas später wurden Briefe an Gott und ein Buch daraus („Mein pinkfarbenes Leben mit Gott und Krebs“).

Als ich davon erfuhr, dass in meiner Nachbarschaft ein Hospiz gebaut wird, wusste ich sofort, dass dort eine Aufgabe auf mich wartet, und noch heute werde ich oft gefragt, warum ich das mache und ob es dort nicht ganz schrecklich traurig wäre. Durch meine Vorgeschichte hatte ich eine Ahnung, wie Sterben „gehen könnte“, in der Begleitung der vielen Gäst:innen habe ich dennoch sehr viel gelernt, denn Sterben kann man nun mal nicht üben.

Ich hatte den Gedanken und die Hoffnung, das, was ich gerne tue, möglicherweise nutzbringend für die Gäst:innen einbringen zu können: schreiben. Nach und nach kristallisierte sich eine konkretere Idee heraus und kurz vor der Eröffnung führte ich mein erstes Vorstellungsgespräch mit der Sozialarbeiterin, die für uns Ehrenamtliche zuständig war. Es gab eine Reihe von Fragen, die ich als Bewerberin beantworten musste. Eine davon war, inwieweit ich mich selbst mit dem Tod beschäftigt hätte. Fast musste ich lachen, denn ich hätte mir genau dieselbe Frage gestellt.

Seit ich 2007 das erste Mal eine Krebsdiagnose, 2008 ein Rezidiv und 2012 eine palliative Diagnose erhalten hatte, musste ich mich zwangsläufig mit meiner eigenen Endlichkeit auseinandersetzen. Da ich seit meinem achtzehnten Lebensjahr in Krankenhäusern arbeitete, war meine professionelle Betrachtung hilfreich. Fast zehn Jahre war ich auf verschiedenen Intensivstationen quer durch Deutschland tätig – unter anderem auf einer kardiologischen Transplantations-Intensiv in einem Herzzentrum. Tatsächlich habe ich (sehr junge) Menschen erlebt, die „nur“ noch durch ein hochtechnisiertes Kunstherz am Leben waren. Ich durfte bei einer Transplantation mit in den OP – es ist seltsam, wenn eine Maschine komplett „das Leben“ übernimmt … Wenn das neue Herz dann anfängt zu schlagen, ist es ähnlich wie bei einer Geburt. Ein neues Leben kann beginnen. Nicht zu vergessen ist natürlich, dass ein anderer Mensch gestorben ist, wenn eine Herztransplantation stattfindet – Leben und Tod sind dabei immer eins. Ich bin unendlich dankbar, das erlebt zu haben, und diese Erfahrungen haben mir immer bei der Kommunikation mit meinen behandelnden Ärzt:innen geholfen. Ich konnte viele Fachfragen stellen und so zusätzliche Informationen erhalten.

Ich hatte also die Idee, hier im Hospiz das anzubieten, was mir selbst...


Kohröde-Warnken, Corinna
Corinna Kohröde-Warnken, geb. 1966, ist gelernte Pflegefachkraft für Anästhesie und Intensivmedizin, Diplom Pflegewirtin (FH) und Dozentin in dem Studiengang Pflegemanagement. Als Autorin, Bloggerin und freie Journalistin ist sie deutschlandweit unterwegs und arbeitet ehrenamtlich in einem Hospiz mit dem Projekt "Schreib-(T)-Räume".



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