E-Book, Deutsch, 284 Seiten
Kohout Die Einfälle der heiligen Klara
1. Auflage 2015
ISBN: 978-87-11-46136-5
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 284 Seiten
ISBN: 978-87-11-46136-5
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
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II
Woran man einen anständigen Bürger erkennt. – Denunziation als Unterrichtsfach. – Vierzig Verhöre und ... – Hilft eine lebhafte Phantasie beim Rechnen? – Die Tochter eines Polizeibeamten muß den anderen ein Vorbild sein. – ... und ein Verrat! – Ist es möglich, daß Mandelaugen abgebrüht lügen können? – Nicht nur Betrug, sondern auch Einbruch! – Jeder hat andere Einfälle.
Es gibt Länder, deren Regierung behauptet, jeder anständige Bürger müsse wenigstens einmal im Leben im Knast gesessen haben. Diese Behauptung ist berechtigt, sofern die Zahl der Bürger, die nicht im Knast gesessen haben, nicht einmal zur Bildung der Regierung ausreicht, in der dann eben auch Knastbrüder sitzen müssen.
Unbedingt gilt jedoch für fast alle Länder, daß gegen jeden anständigen Bürger zumindest einmal im Leben ermittelt wird. Auch darauf werden die künftigen Bürger von der Schule vorbereitet. Will sagen, daß den praktischen Übungen in diesem Fach viel mehr Zeit gewidmet wird als etwa dem Unterricht in Empfängnisverhütung.
In den Ermittlungsstunden, ob nun vom Verlust des Klassenbuchs oder vom Rauch in der Knabentoilette veranlaßt, wird alles eingeübt und abgefragt, womit der Schüler in Berührung kommen und was man von ihm im praktischen Leben erwarten wird: geschicktes Herauswinden und hartnäckiges Abstreiten, väterlicher Zuspruch, der in existentiellen Druck mündet, Denunziation als mildernder Umstand und Geständigkeit als Hauptbeweis für die eigene Schuld.
Die Ermittlung in Sachen des epochalen Erfolgs der Klasse 8 a fand im Direktorzimmer statt. Der Mathematiklehrer rief einen nach dem anderen in alphabetischer Reihenfolge und ohne Ansehen des Geschlechts herein. Schulwart Coufal gab auf dem Korridor acht, daß keine Absprachen stattfanden. Seine Lunge gierte unentwegt nach Nikotin, so daß er immer wieder Patrouillengänge um die Ecke des Korridors vortäuschte, um an der Zigarre ziehen zu können, die hinter der Büste eines Volkstumsbarden versteckt war.
Absprachen erübrigten sich. Alle wußten, daß die Gefahr erst ganz am Ende des Alphabets lauerte. Um Bašus bis Tikal bangte keiner.
– Bašus,
sagte Direktor Plavec, hinterm Schreibtisch sitzend, genau unter dem Bild des Präsidenten der Republik, der bedeutungsvoll irgendwohin ins Abseits schaute, als wollte er damit Plavecens Autorität unterstreichen,
– du hast es doch nicht nötig, zu schwindeln, du ganz gewiß nicht, hab ich recht?
Er duzte die Schüler grundsätzlich, damit sie um so eher begriffen, daß er ihr zweiter Vater war.
Bašus nickte bescheiden. Er war ein ernster Knabe mit starker Brille, und in seiner Freizeit verifizierte er daheim die Richtigkeit der Formeln, die Einstein zur Relativitätstheorie geführt hatten. Mathematiklehrer Brunát nahm ihn seit einiger Zeit lieber nicht mehr dran.
– Ich würde fast glauben,
fuhr der Direktor geradezu freundschaftlich fort und neigte den scharfgespitzten Bleistift, der bis dahin auf Bašusens Brust gezielt hatte,
– daß du ihnen das ausgerechnet hast, wenn’s nicht einhundertzwanzig Beispiele wären. Einhundertzwanzig Spickzettel schreiben, das zahlt sich für niemanden aus, was meinst du?
Bašus zuckte höflich die Achseln.
– Also, weißt du was davon oder nicht?
Bašus schüttelte bedauernd den Kopf.
Der Direktor hatte keinen Grund, ihm nicht zu glauben, aber ebensowenig, ihm zu glauben. Beides gab er ihm zu verstehen.
– Nun, ich danke dir. Du kannst gehen, einstweilen.
– Batková!
rief der Mathematiklehrer auf den Korridor hinaus.
Bašus nahm auf der Schwelle die Brille ab, um seiner Mitschülerin aufmunternd zublinzeln zu können.
Das zweite bis vierzigste Verhör lief, von Abweichungen abgesehen, in denselben Bahnen.
– Batková,
sagte Direktor Plavec, den Bleistift auf sie gerichtet, den er jedoch sofort senkte, als er bemerkte, daß der Mädchenbrust neuerdings ein weiblicher Busen entsprossen war,
– gib zu, ich kenne dich lange genug, um über dich Bescheid zu wissen. Die Beispiele muß dir jemand gegeben haben!
– Wirklich nicht ...
behauptete die Batková.
– Tikal,
sprach Direktor Plavec, nach einer Stunde schon heiser geworden,
– ich weiß, du hast eine lebhafte Phantasie, aber beim Rechnen hat sie dir nie viel genützt. Du mußt das abgeschrieben haben!
– Ehrlich nicht ...
beteuerte Tikal.
Dabei kippte ihm so merkwürdig die Stimme um, daß es ihn kalt überrieselte. Er hatte immer gedacht, radfahren und lügen verlerne man nicht.
Aber die Direktor deutete nur zum vierzigstenmal resigniert mit dem Bleistift auf die Tür.
– Urbanová!
rief der Mathematiklehrer auf der Schwelle.
Tikal beeilte sich. Als er an der Urbanová vorbeikam, war er weit genug von Brunát entfernt, um drohend flüstern zu können:
– Daß du bloß keinen Pieps machst!!
Da dies auch die anderen flüsterten, ergab sich ein menschenunähnliches Gezisch, von dem Grauen ausging.
Das pummelige Mädchen aus der dritten Bank stolperte in das Direktorzimmer. Die Klasse schaute ihr voll banger Vorahnung nach. Man kannte sie gut, sie und ihren Vater.
Ebensogut kannten sie der Direktor und der Mathematiklehrer. Sie blickten einander an und wußten: jetzt oder nie.
– Urbanová!
hub der Direktor streng an, und die scharfe Spitze des Bleistifts zielte ohne Scheu auf ihre Brust, die stufenlos in ein rundliches Bäuchlein überging,
– du als Tochter deines Vaters kannst doch nicht so eine Lumperei decken! Also heraus damit! Wer hat da alles seine Hand im Spiel? Wir wissen’s ohnehin schon!
Der klassische Trick aller Ermittler verfing jedoch erstaunlicherweise nicht. Die Urbanová entsann sich der einundvierzig Gesichter, die ihrer auf dem Korridor harrten. Sie raffte sich zu verzweifeltem Widerstand auf.
– Ich weiß nicht ... Ich hab’s ausgerechnet ...
– Behaupte von mir aus, du hättest Amerika entdeckt. Jedenfalls glaube ich dir das eher, als daß du diese Beispiele allein ausgerechnet hast!
– Vorgestern hab ich den ganzen Abend dran herumgerechnet!
Der Mathematiklehrer verließ seinen Platz an der Tür und sprang auf sie zu, mit der Energie des erfolgreichen Jägers. Aus seiner ganzen Höhe dröhnte er auf sie herab.
– Ah! Jetzt haben Sie sich verplappert! Wie konnten Sie vorgestern abend wissen, welche Beispiele ich Ihnen gestern morgen aufgeben würde?
Er siezte die Schüler grundsätzlich, damit sie merkten, daß sie es nicht mit ihrem Onkel zu tun hatten.
Die Urbanová verlor vor Schreck die Sprache und bewegte lautlos die Lippen.
– Also, paß auf,
ließ der Direktor sich vernehmen und stand auf, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen,
– fassen wir zusammen. Zweiundvierzig fehlerlose Arbeiten, und vierzig Mitschüler haben hier vor dir behauptet, es ist ein Zufall. Wenn du als einzige jetzt einen Betrug zugibst – und den hast du zugegeben! –, dann bist du auch als einzige dafür verantwortlich, hab ich recht? Ich rufe jetzt deinen Vater an, der soll die Befragung selbst weiterführen.
Die Urbanová ächzte.
– Nein! Nein, bitte nicht ...
Polizeihauptmann Urban war allgemein als Mann und Vater bekannt, der strengstens auf die Einhaltung der Gesetze achtete und noch strenger auf die Erziehung seiner Tochter. Dies entsprang der Überzeugung, die Tochter eines Polizeibeamten müsse allen anderen ein Vorbild sein. Die Striemen, welche die Hinterbacken der Urbanová nach jedem Vergehen, nach jedem Zeugnis zierten, waren das einzige, was ihr in der Klasse eine kurzlebige Sympathie verschaffte. Ansonsten stand sie im Ruf einer Heulsuse und Petzerin.
– Andernfalls,
ging der Direktor zum Angriff über,
– sagst du uns nun klipp und klar, wie’s gewesen ist! Also??
Er stand jetzt unmittelbar neben dem Präsidenten. Der Urbanová flimmerte es vor den Augen. Der Präsident schaute zwar ins Abseits, aber er hörte alles. Sie begriff, ihm durfte man nicht ins Gesicht lügen. Aber sie dachte auch an die draußen und jammerte los.
– Die werden nicht mehr mit mir reden ...
– Warum werden sie nicht mehr mit dir reden?
– Wir haben geschworen ...
Die beiden Pädagogen tauschten vielsagende Blicke. Die Jagd neigte sich dem Halali entgegen. Der Direktor tönte wieder väterlich.
– Aber Urbanová! Ein erzwungener Schwur zählt doch nicht. Und wenn du Angst hast, dann schwören wir dir beide, der Genosse Brunát und ich, daß niemand es von uns erfährt. Schau, wir verhören jetzt noch die Zimová, und dann geben wir einfach bekannt, wir hätten’s von Anfang an gewußt! Na also, Urbanová, wer hat euch die Beispiele verraten?
Auf dem nahen Staatsgut fingen die Hähne an zu krähen. Die Urbanová schniefte kurz und ward zur Verräterin.
– Die Zimová ...
Das war der letzte Name, den sie erwartet hatten.
– Die Zimová?
wiederholte der Direktor ungläubig.
– Aber die Zimová konnte doch nicht ...
hielt der Mathematiklehrer mitten im Satz inne.
Die Freude über den Blattschuß wechselte mit Enttäuschung. Statt einer wilden Bestie hatte man ein Kaninchen erlegt. Der Direktor faßte sich.
– Dann fragen wir sie eben!
Eingedenk seines Schwurs nickte er der unglücklichen Urbanová huldvoll zu.
– Schon gut. Warte draußen.
– Zimová!
rief an der Tür der Mathematiklehrer. Er konnte nicht verhindern, daß es feierlich klang.
Zum Direktorzimmer schritt das grazile Mädchen mit dem...




