E-Book, Deutsch, 236 Seiten
Köster-Lösche Jagd im Eis
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95824-342-2
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 236 Seiten
ISBN: 978-3-95824-342-2
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kari Köster-Lösche, 1946 in Lübeck geboren, Tierärztin und Wikingerexpertin, hat einen Großteil ihrer Jugend im schwedischen Uppsala, dem Zentrum der nordischen Kultur, verbracht. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Nordfriesland. Kari Köster-Lösche veröffentlicht bei dotbooks ihre historischen Romane »Die Erbin der Gaukler«, »Jagd im Eis«, »Die Wagenlenkerin«, »Die Hexe von Tondern«, »Die Reeder«, »Die Heilerin von Alexandria« und das Kinderbuch »Stille Nacht, eisige Nacht«. Auch bei dotbooks erscheint ihre WIKINGER-SAGA: »Der Thorshammer«, Band 1 »Das Drachenboot«, Band 2 »Die Bronzefibel«, Band 3 Sowie ihre SACHSEN-SAGA: »Das Blutgericht«, Band 1 »Donars Rache«, Band 2 »Mit Kreuz und Schwert«, Band 3
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2. Kapitel
Die Reeder
Namen Rickmers betrachtete mit Staunen das Gewimmel in der Stadt. Man konnte meinen, sie würde mit jedem Jahr voller: mehr Leute, mehr Karren, mehr Kutschen, mehr Geschrei ... Mühsam bahnte er sich seinen Weg vom Hafen in die Altstadt. Man bereitete sich auf den Frühling vor, das war zu spüren, nicht nur die Walfänger wurden ausgerüstet, auch die Handelsschiffe. Unaufhörlich schaukelten die beladenen Karren zum Binnenhafen und ließen Fußgängern kaum Platz zum Durchkommen.
»Bester Herr«, jammerte eine Person, und als er erschrocken hinunterblickte, sah er eine in Lumpen gehüllte Gestalt zu seinen Füßen liegen.
Peinlich berührt, wollte er sich davonstehlen, aber die Bettlerin packte seinen Fuß mit männlich hartem Griff und hielt ihn am Boden fest. Dazu paßte gar nicht die unterwürfige Stimme, mit der sie bettelte.
Der Commandeur griff trotz allem mitleidig in die Tasche, und die Frau hob siegessicher ihr Gesicht zu ihm hoch. Es war über und über von Narben bedeckt, und der Kapitän erschrak zutiefst. Pocken! Er warf ihr eine Münze hin, riß sich los und floh ...
Als die Entstellte ihn schon längst aus den Augen verloren haben mußte, hörte er noch ihr hämisches Lachen – schadenfroh über den Dummen vom Lande, verzweifelt wegen des eigenen Schicksals? Er wußte es nicht, aber er konnte die ausgemergelte, kranke Frau lange nicht aus seinen Gedanken verbannen. Um so weniger, als er einige Straßenzüge weiter mehrere Lastwagen erblickte, die stumme Männer, heulende Weiber und sich festklammernde Kinder gewaltsam wegfuhren. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er den Karren nach. Nie war ihm bewußter geworden, wie grausam die Stadt zu ihren Einwohnern sein konnte.
»Die werden zum Pesthof am Heiligengeistfeld gekarrt«, drängte ihm ein Passant die Information auf, um die er gar nicht gebeten hatte. »Die haben wieder eine Razzia gemacht!« Der gesprächige Hamburger blies die Auskunft hinaus, als ob er froh sei, daß die kranken Bettler endlich aus seinem Gesichtsfeld verschwänden.
Der Commandeur hatte nichts weniger im Sinn, als sich auf eine Diskussion mit ihm einzulassen; er dankte flüchtig und eilte weiter durch die überfüllten, von Abfall übersäten Straßen, in die der Gestank aus den Fleeten hochwallte wie eine Nebeldecke. Dreistöckige Häuser, vierstöckige Häuser, über den Fleeten an die Häuser angeklammerte Bretterverschläge, die ein weiteres Stockwerk ergaben, aufgehängte Wäsche und dürre Kinder. Gegen dieses Elend war Nordfriesland ein Paradies.
Endlich schien ihm, als ob die Zahl derjenigen, die die Stadt ausgespuckt hatte, weniger würden. Statt der Bettler, der Krüppel und Siechen, sowie der Betrunkenen wurden die Menschen in anständiger Kleidung zahlreicher, geschäftige Knechte und eilige Mägde überholten ihn, der es ganz so eilig nicht hatte; er hörte Ausrufer und stand plötzlich auf einem Markt, dem Hopfenmarkt. Er wäre wohl sonst nicht über den Markt geschlendert, aber nach dem Erlebnis mit der Bettlerin brauchte er etwas, das ihn auf andere Gedanken bringen konnte. Ein Krug kam mitten am Tage nicht in Frage!
Und so ließ er sich schieben, schob selber, drängte sich dicht an die Stände mit dem leckersten Ochsen, Kalb und Schaffleisch, das man sich nur denken konnte.
Wer weiß, die Schafe kamen vielleicht von den Deichen zu Hause. Sinnend betrachtete er die blaßroten Schlachtkörper, deren aufgebogene Rippen einen Blick in das leergeräumte Innere gaben, und aus deren abgeschnittenen Hälsen von Zeit zu Zeit dunkelrote, zähe Blutstropfen auf das Marktpflaster kleckerten. Der zarte Salzgeschmack der Schafe war ein Leckerbissen für die verwöhnten Hamburger. Auch die ersten Milchlämmer des Jahres mit ihren weichen Schenkelchen und den runden Köpfen wurden bereits feilgeboten. Die fetten Ochsen aber, gelblich schimmernd, wo die Haut ihnen abgezogen worden war, konnten noch nicht diejenigen sein, die im Frühjahr den langen Ochsenweg von Jütland herunterwanderten. Die kamen erst später.
Auch Enten, Gänse, Hühner, Tauben und Schnepfen hingen an langen Balken, bereits gerupft und ausgenommen. Herrn Rickmers Blick wanderte langsam von den schlaksigen, langen Gänsehälsen zu der kleinen, quirligen Marktfrau, deren Kropf sich wie eine dicke Beule aus dem Umhang herauswölbte. Schon hielt sie ihm geschäftstüchtig ein Bündel Täubchen unter die Nase, aber er lehnte kopfschüttelnd ab.
Ein leckerer Duft durchzog die Stände, und der Kapitän wurde bis an den Ursprung des Geruches gezogen: Da standen die Kastanienrösterinnen, warfen mit einer Hand die Kastanien in Kupferpfannen und rührten mit der anderen.
»Kastanien, Röstkastanien, Rrrröstkastanien !« schrien sie gellend.
Plötzlich schmiegte sich eine Frau dicht an ihn und blickte ihm mit harten, berechnenden Augen aufmerksam ins Gesicht. »Du gefällst mir«, flüsterte sie. »Möchtest du mich?«
Er schüttelte stumm den Kopf. Sie schlängelte sich widerspruchslos und eilig in die Menge und war im Augenblick verschwunden. Der Kapitän sah ihr mit Abscheu nach. »Hübschlerinnen« ohne Lizenz waren noch unmoralischer als die mit den Hauben. Aber Gott sei Dank war man sie schnell wieder los, weil sie Angst hatten, zu lange an einem Ort zu bleiben.
Als er endlich in der Großen Reichenstraße ankam, war es viel später, als er gedacht hatte; erschrocken stellte er fest, daß er beinahe zwei Stunden vertan hatte.
***
Mit Verwunderung blickte der Commandeur dem unscheinbaren Buchhalter des Ratsherrn, Kaufmanns und Reeders Carl Been nach, der durch die nächst erreichbare Tür schlüpfte, kaum, daß er den Kapitän in der Diele des großen Patrizierhauses erblickt hatte.
»Was ist denn mit dir los?« dachte er und schüttelte den Kopf. »Ich bin doch nicht mein eigener Geist!«
Danach mußte der Commandeur mehr als eine halbe Stunde auf die Unterredung warten, obwohl der Reeder im Haus war. Namen Rickmers zuckte mit den Schultern.
»Guten Morgen«, begrüßte ihn dann endlich Herr Been. Er trug den gefältelten Kragen und den hohen Hut seines Standes, und sein Gehabe war seinem Amt als Ratsherr durchaus angemessen. Dennoch wirkte er heute noch abweisender als sonst, fand der Commandeur im stillen. Der Ratsherr ließ sich ein Glas Wein bringen, prüfte per Augenschein und mit der Zunge und schien endlich bereit, sich zu äußern. Namen Rickmers mußte sich zusammennehmen, um nicht aufzubrausen. Aber seinem Reeder gegenüber zeigt man keinen Unwillen.
»Ist der Witte Falcke fertig ausgerüstet?« fragte der Commandeur endlich und wußte mit einem Schlage, daß etwas nicht stimmte.
Herr Been ließ die gespreizten Finger aufeinander vibrieren, räusperte sich und suchte augenscheinlich nach den rechten Worten. »Tja«, sagte er gedehnt, »Ihr seid ja von Anfang an für mich gefahren, aber Eure Fahrten für uns haben nunmehr ihr natürliches Ende gefunden. Das letzte Jahr war das letzte Mal.« Er seufzte und fuhr dann kurz angebunden fort: »Das Schiff ist verkauft.«
»Das Schiff ist verkauft?« wiederholte der Commandeur fassungslos. »Und Ihr habt es nicht für nötig gehalten, mir das mitzuteilen?«
»Es kam ganz überraschend, auch für mich.«
Namen Rickmers schwieg. In der Stille waren Kirchenglocken zu hören, wohl von Sankt Nicolai oder der Domkirche, und das Rumpeln von Karrenrädern auf der Straße. »Na, dann ...« Der Commandeur stand auf, und auch der Reeder erhob sich, erleichtert, wie es schien. »Dann habt Ihr Euch wohl aus dem Walfanggeschäft zurückgezogen«, sagte Namen Rickmers leise, nur weil er irgend etwas sagen mußte, um seine Enttäuschung zu verbergen.
»Eigentlich nicht«, erwiderte der Reeder, »es ist so, ich habe mir ein neues, größeres Schiff bauen lassen.«
»Wer führt es denn?« fragte der Commandeur überrascht und unterdrückte die Bemerkung, daß ein Schiffsneubau einem Reeder ja wohl nicht ganz so überraschend ins Haus stand, wie dieser es darzustellen versuchte.
»Ja nun, ein Hamburger, Ihr kennt ihn nicht.«
Hellhörig, wie Rickmers nun war, merkte er, daß der andere am liebsten nicht darüber gesprochen hätte. »Woher wißt Ihr das?« begehrte er auf. »Ich kenne alle Commandeure, die von Hamburg aus fahren, und noch etliche andere dazu.«
»Er ist noch nicht als Commandeur gefahren«, wand sich der Reeder.
»Und da wollt Ihr ihm gleich ein großes Schiff anvertrauen?« fragte der Commandeur entsetzt. »Wieviele Lasten hat es denn?«
Dem Reeder war die Angelegenheit so peinlich, daß er, ohne sich zu besinnen, » 150 Lasten, 7 Schaluppen«, murmelte.
»Euch brauche ich doch nicht zu erzählen, wie gefährlich die Fahrten sind«, fuhr der Commandeur vorwurfsvoll fort.
»Macht Euch keine Sorgen«, erwiderte der Reeder knapp und hatte sich endlich gefaßt. »Ich habe vollstes Vertrauen zu Peter Burmester.«
Rickmers wurde aufmerksam. »Ach, so ist das«, sagte er langsam. »Ist er nicht ebenfalls Ratsherr?«
»Nein, sein Vater ist der Ratsherr, und der junge Mann ist mein zukünftiger Schwiegersohn.« Der Ratsherr zog eine silberne Taschenuhr hervor, und der Commandeur verstand, daß die Unterredung beendet war. Aber er war so erbittert, daß er das Signal ignorierte.
»Aber der Sohn eines Kaufmanns führt doch keinen Walfänger«, wandte er ein.
»Doch, in diesem besonderen Fall schon«, erklärte der Ratsherr mit schmalen Lippen. »Er kann schließlich keine Weisungen von einem Angestellten entgegennehmen, wenn er schon an Bord ist. Aber jetzt muß ich Euch bitten zu gehen«, sagte er dann...




