Köpf | Die Legende von Montecassino | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Köpf Die Legende von Montecassino


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-99200-312-9
Verlag: Braumüller Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-99200-312-9
Verlag: Braumüller Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die einen sprechen vom größten Kunstraub aller Zeiten, die anderen von einer außergewöhnlich mutigen Aktion zur Rettung abendländischer Kulturgüter. Was ist mit der Sammlung des italienischen Benediktinerklosters Montecassino, gegründet von Benedikt von Nursia, wirklich geschehen? Ein alter Mönch erzählt die von Historikern unterschiedlich gedeutete Geschichte aus seiner Sicht, denn er war als junger Mann Augenzeuge, ehe die Abtei von alliierten Bombern dem Erdboden gleichgemacht wurde. Und er ist darüber hinaus persönlich verstrickt in die Frage, ob es Kunstraub war oder Kunstrettung. Jetzt, im hohen Alter, legt er bei einem Journalisten seine Beichte ab, aber niemand weiß, ob er dabei lügt oder die Wahrheit sagt, denn Wahrheit und Lüge sind manchmal nur eine Frage der Blickrichtung.

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AUFNAHME 2. TAG
Die Realität existiert von dem Moment an, in
dem du in der Lage bist, sie zu dokumentieren.
Aber die dokumentierte Realität ist nur die
offizielle Version: geschrieben von Richtern,
von Historikern und solchen, die sich mit
wohlfeilen Beweisen zufrieden geben … Fabrizio Gatti:
Der amerikanische Agent Wenn ich zurückdenke und versuche zu überschauen, was mir im Leben widerfahren ist, dann komme ich zu dem Schluss, dass es ganz anders gelaufen ist, als ich es ursprünglich vorhatte. Viele Weichen sind umgestellt worden, während der Zug bereits unterwegs und nicht mehr aufzuhalten war. Als kleiner Junge wollte ich Lokomotivführer werden, wenig später dann schon lieber Stationsvorsteher mit roter Mütze und grünem Täfelchen mit der Aufschrift Freie Fahrt. Die Wunschwechsel wurden im Laufe der Kindheit und Jugend immer schneller. Vom Holzfäller in Kanada über den Archäologen bis zum Arzt war alles vertreten. Zunächst hat jedoch der Wunsch meiner Mutter meinen Weg bestimmt. Ich wurde Klosterschüler und bereitete mich auf das vor, was sie stets ein geistliches Amt nannte, wobei sie oft genug geistlich mit geistig gleichsetzte. Schon in jungen Jahren war ich so erfolgreich, dass mich ein Begabtenstipendium nach Rom führte, um an der Pontificia Universitas Gregoriana zu studieren. Ich betrachtete es als herausragendes Privileg, an der von Ignatius von Loyola gegründeten Hochschule Vorlesungen hören zu dürfen. Als ich nach Rom kam, war die Universität kurz vorher auf die Piazza della Pilotta verlegt worden, zwischen der Piazza Venezia und der Fontana di Trevi, wo sie sich heute noch befindet. In dem Gebäude, das bis dahin das Collegio Romano beherbergte, wurde das Jesuitenkolleg eingerichtet. Ich habe dort eine wunderbare Zeit verbracht und war liebend gerne Student. Die jesuitisch geführte Universität ist heute meines Wissens in vier Institute und sechs Fakultäten sowie drei Ausbildungszentren unterteilt. Gelehrt werden Theologie, Kirchenrecht, Philosophie und Kirchengeschichte sowie Missions- und Sozialwissenschaft. Als ich dort studierte, wurden alle Vorlesungen in lateinischer Sprache abgehalten. Seit den 70er-Jahren ist die Unterrichtssprache Italienisch, jedoch werden auch Lehrveranstaltungen auf Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch angeboten. Ich weiß noch, wie eingeschüchtert ich war, als ich die lange Liste berühmter Studierender und Gelehrter las, die an diesem Ort gewirkt haben. Als junger Theologe und angehender Mönch wurde ich im Sommer 1943 an die Abtei Montecassino, das erste Haus des Benediktinerordens, circa 130 Kilometer südöstlich von Rom beordert, um dort dem Bibliothekar zur Hand zu gehen und meine Studien in Kirchengeschichte voranzutreiben. Der Tag, an dem ich das Kloster betrat, veränderte mein Leben. Ich hörte auf, Geschichte zu studieren. Stattdessen wurde ich ein Teil von ihr. Es war Krieg, und die Zeiten waren alles andere als romantisch. Die Abtei glich einem militärisch herausragenden Punkt auf der Landkarte, aber sie hatte nichts Militärisches an sich. Kein Soldat bewegte sich in ihr. Pioniere der deutschen 10. Armee hatten seit Herbst 1943 mit Unterstützung tausender italienischer Zivilisten an der engsten Stelle des italienischen Stiefels zwischen Neapel und Rom eine rund 150 Kilometer lange Stellung errichtet, die sogenannte Gustav-Linie. Das Gelände bot dafür die besten Voraussetzungen: Zur Adria hin gab es mit gut 20 Kilometern nur ein schmales flaches Küstenland um die Orte Chieti und Pescara, das zudem durch den völlig unpassierbaren Hochgebirgszug des Apennins von Rom abgeschlossen war. Von hier aus konnte man aufgrund der damaligen Geländebeweglichkeit der Verbände nur schwer in die italienische Hauptstadt gelangen. Die Küste hin zum Tyrrhenischen Meer war zu steil für eine durchgehende Straße. Selbst die antike Via Appia, längst zur Staatsstraße ausgebaut, führte an den Küstenorten Vendicia und Formia auf einem äußerst schmalen Stück Küstenland entlang. Nördlich schlossen sich die Aurunker Berge an, ein Kalksteinmassiv mit bis zu 1533 Meter Höhe, dann folgte das Tal des Flusses Liri, und an dessen Nordseite erhob sich schon der Apennin. Um einem von Süden her angreifenden Heer den Weg nach Rom zu versperren, mussten lediglich das kaum 500 Meter breite Flachland des Ortes Formia sowie das acht Kilometer breite Lirital zwischen San Giorgio a Liri und Cassino gesperrt werden. Aus Sicht der Pioniere ideale Bedingungen. Vor dem Sperrgürtel der Gustav-Linie hatte die 10. Armee eine „tote Zone“ geschaffen: Alle Brücken und Straßen waren gesprengt. An taktisch wichtigen Punkten standen Panzerabwehrkanonen. Minenfelder und MG-Stellungen waren weitere Hindernisse. Wie eine Krone obenauf saß das Kloster Montecassino. Die Alliierten wollten ab Januar 1944 die Gustav-Linie frontal attackieren. Eine Woche später sollten eine britische und eine amerikanische Division bei Anzio, etwa 50 Kilometer südlich von Rom, im Rücken der Gustav-Linie an Land gehen. Die Schlacht um Montecassino begann im Januar 1944. Die Gustav-Linie hielt mehr als vier Monate den Angriffen der zahlenmäßig und materiell drückend überlegenen Alliierten stand. Weil das Landemanöver von Anzio beinahe scheiterte, dauerte es noch Monate, bis Briten, Amerikaner, Polen und andere alliierte Einheiten Rom erreichten. Ich war Zeuge dieses Geschehens, und genau um diese Zeit ereignete sich etwas, das mein weiteres Leben bestimmen sollte. Den Tageslauf und alles andere hatte immer die Ordensregel festgelegt, bis eines Tages das streng reglementierte klösterliche Leben durcheinandergeriet. Ich erinnere mich deshalb besonders gut, weil mit diesem Durcheinander für mich eine neue Ordnung entstand, die sich freilich erst nach und nach in meinem Inneren herausbildete, ehe sie sich als Struktur meines Lebens erwies. Meine Geschichte, die nur eine kleine Episode in meinem langen Leben darstellt, spielt in der Zeit zwischen Herbst 1943 und Mitte Februar 1944. Ich spreche von einem Ereignis, das die einen für den größten Kunstraub aller Zeiten, die anderen für die größte Kunstrettungsaktion aller Zeiten halten. Wer ist im Recht? Oder irren sich beide? Es ist eine Frage des Standpunktes, denn es haben immer die Sieger das Sagen, gleichviel, ob es sich um Kriege handelt oder um andere Wettkämpfe. Recht wird von jeher immer zuerst von ihnen gesprochen. Ob es dann auch wirklich Recht ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Frage, wem Kunst gehört, hat bekanntlich nicht nur eine juristische, sondern auch eine philosophische und ethische Komponente. Gehört Kunst nur einem, der sie sich leisten kann und sie rechtens erworben hat, oder gehört sie der Allgemeinheit? Kann man einen Kunstraub dadurch legitimieren, indem man behauptet, dass man dadurch Kunst geschützt hat? Wovor? Was ist höherwertig: Das Prestige des Kunstsammlers oder die durch Kunst geprägte Identität eines Landes? Jene Juristen, die sich intensiv mit dem Schicksal und Verbleib von Kunstwerken während und nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt haben, stimmen wenigstens darin überein, dass sich die Einstellung der Sieger zur Kultur der Besiegten in den vergangenen 2000 Jahren gewandelt hat. Noch in der Antike war es selbstverständlich, Kunstgegenstände des besiegten Volkes in die Kriegsbeute aufzunehmen und sie nach Hause zu bringen, um sie als Trophäen auszustellen. Schließlich demonstrierte man damit, den Feind nicht nur militärisch besiegt zu haben, sondern man konnte ihn durch die Wegnahme seiner kultischen und künstlerischen Schätze zusätzlich demütigen. In unseren Tagen strengt man sich vermehrt an, solche „Beutekunst“ dem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Aber wem gehört Kunst? Dem Künstler? Dem Auftraggeber oder Mäzen? Dem Käufer? Dem Sammler? Dem Liebhaber, der sie zu schätzen weiß? Der ganzen Nation? Diese Frage beinhaltet viele Fragestellungen und ist nicht so einfach zu beantworten. Um konkret zu werden: Wem gehören die Kunstwerke aus dem Kloster Montecassino? Die Rettung des Archives und der Klosterschätze im Herbst 1943 durch deutsche Soldaten ist eine historische Tatsache. Während die alliierte Propaganda und jüngere Historiker von Plünderung und Kunstraub sprachen, konnten die evakuierten Güter unbeschadet dem Vatikan übergeben werden. Der deutsche Botschafter in Rom, Dr. Rudolf Rahn, hatte sich eigens die Zustimmung Hitlers dafür geholt. Am 8. Dezember traf die Wagenkolonne mit dem kompletten, im Materiallager der „Panzerdivision Hermann Göring“ in Spoleto zwischengelagerten Nationalarchiv beladen in Rom ein, wie bezeugt wurde. Ich weiß, dass es namhafte und universitär bestallte Historiker gibt, die davon ausgehen, die Aktion in Montecassino sei von vorneherein ein übler Coup der Wehrmacht gewesen mit dem alleinigen Zweck und Ziel, Hitlers und Görings Kunstsammlungen mit Werken von unschätzbarem Wert zu bereichern. Als Augenzeuge sind für mich viele dieser...


Gerhard Köpf, 1948 geboren, ehemaliger Literaturprofessor an verschiedenen Universitäten des In- und Auslandes, danach Gastprof. an der Psychiatr. Klinik der LMU München; diverse Literaturpreise für sein literar. Werk (u. a. 1983 Preis der Jury beim Ingeborg-Bachmann- Preis; 1989 Förderpreis Berliner Akad. der Künste, 1990 Raabe-Preis); spielte kleine Rollen in Film und Theater (Münchner Kammerspiele).



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