E-Book, Deutsch, 180 Seiten
Koenig Operculum
2. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7412-2137-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das verschwundene Medaillon
E-Book, Deutsch, 180 Seiten
ISBN: 978-3-7412-2137-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eigentlich wollte Tom mit seiner Familie einen gemütlichen Urlaub in Kroatien verbringen. Sonne, Meer und jede Menge Lesestoff im Handgepäck. Doch wer war dieser mysteriöse Alte? Als eines Nachts auch noch Toms Bruder spurlos verschwindet und Tom plötzlich durch Wände stolpert, geht das Abenteuer erst richtig los. Seltsame Dinge geschehen. Und dann ist da auch noch Lilly...
Xara Koenig, geboren 1975, lebt und arbeitet mit Mann, Kind, Schaf und Huhn in der Nähe von München. Schon seit ihrer Jugend ist sie mit Begeisterung durch viele Länder gereist - nicht nur in Europa. Von einer dieser Reisen hat sie ein Operculum mitgebracht und ist seither auf der Suche nach einem geheimen Durchgang.
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2
PERO
»In sieben Stunden sind wir voraussichtlich am Ziel«, sagte Papa, als sie um drei Uhr in der Früh ins Auto stiegen. »Wir müssen durch Österreich, Italien und Slowenien fahren. Dann kommen wir an die kroatische Grenze.« Er fuhr los. »Ist ja Wahnsinn, durch wie viele Länder man fahren muss, bis man endlich in Kroatien ist!«, rief Tom und kurbelte das Fenster herunter. Er streckte seinen rotblonden Haarschopf hinaus und ließ sich die kühle Nachtluft ins Gesicht blasen. Tom war kein bisschen müde. Obwohl er sein dickes Kissen mitgenommen hatte, war er zu aufgeregt, um zu schlafen. Toms Vater sah in den Rückspiegel und nickte lächelnd. »Musst mal in den Atlas schauen, Tommy. Das wäre vielleicht auch mal ein interessantes Buch für dich.« Doch Tom winkte ab und hielt sein Abenteuerbuch in die Höhe. »Den kannst du selber lesen, Papa. Aber ich kann dir ja mal mein Buch leihen.« An der kroatischen Grenze musste sich Papa erst einmal strecken. Mama sah zu ihm hinüber. »Soll ich dich ablösen? Du fährst schon die halbe Nacht durch.« Doch Herr Lahmel winkte ab. »Nein, nein, alles gut. Ruh du dich nur aus. Wir sind eh gleich da.« Er wollte wohl endlich mal seinen neuen Wagen ausfahren. Marc und Louis schliefen tief und fest auf der Rückbank. Ihre Smartphones, die sie beide von Oma zu Weihnachten bekommen hatten, hielten sie noch in der Hand. Ein alter Mann begrüßte sie, als sie ihr Auto vor dem Ferienhaus abstellten. »Eine wunderschöne gute Morgen! Dobar dan. Familia Lahmel?« »Ja. Dobar dan«, erwiderte Papa, streckte dem Herrn die Hand zur Begrüßung entgegen und fügte nach kurzem Überlegen hinzu: »Koliko je sati?« Gespannt wartete er auf eine Antwort. Aber der Mann sah nur in den Himmel und hielt kurz inne. Nach einiger Zeit antwortete er: »Ich denke, neun Uhr. Kommen Sie mit, kommen Sie mit, ich zeige Ihnen diese Haus!« Der ältere Herr stützte sich auf seinen Stock und schlurfte die Treppe zum Garten hinunter. Die Kinder folgten ihm. Papa sah dem Alten verdutzt nach. »Ich wollte eigentlich wissen, wie es ihm geht und er sollte antworten: ›Danke, gut‹. So jedenfalls steht es im Reiseführer.« Er rieb sich das Kinn und blickte dem Alten nach. »Vielleicht bist du in der Zeile verrutscht, Schatz. Komm, lass uns das Haus ansehen«, sagte Mama. »In der Zeile verrutscht?« »Na, in deinem Sprachführer. Ich denke, dass du ihn nach der Uhrzeit gefragt hast. Nun komm schon.« Mama ging ebenfalls die Treppe hinab und Papa folgte ihr kopfschüttelnd. Auf der Terrasse wartete der Mann auf sie. Der Ausblick war gigantisch. Tom blickte über Felder, auf denen Unmengen von Weinreben in Reihen standen, und Äcker mit rötlicher Erde. Noch nie in seinem Leben hatte er rote Erde gesehen. Weiter unten breitete sich das türkisblaue Meer aus, umrahmt von Olivenhainen und Zypressenwäldern. Tom konnte das Meer riechen. Er spürte, wie sich ein leicht salziger Geschmack auf seine Zunge legte. Direkt neben der Terrasse wuchsen Mandel- und Olivenbäume und noch andere Gehölze, die Tom noch nie gesehen hatte. Direkt daneben stand ein riesiger Feigenbaum. Seine Früchte waren so prall gefüllt, dass Tom sie am liebsten gleich gepflückt hätte. Bis jetzt kannte er diese Früchte nur aus dem Supermarkt. »Cool«, murmelten Marc und Louis fast gleichzeitig. »Ah schön, Zwillinge«, stellte der ältere Herr fest. »Nein!«, riefen Marc und Louis wie aus einem Munde. »Nein, Geschwister. Sie sind nur vom Alter her nicht weit auseinander«, versuchte Mama zu erklären. »Ah verstehen. Ich bin Pero.« Der Mann wechselte den Stock von der rechten in die linke Hand und zog galant den Hut. Tom schätzte den Mann vielleicht auf achtzig. Seine dunklen Augen blitzten schelmisch aus seinem von Sonne und Wind gegerbten Gesicht. Trotz seiner schon fast jugendlichen Ausstrahlung merkte man, dass er ein alter, gebrechlicher Mann war. Er konnte sich nur mit Hilfe seines Stocks auf den Beinen halten. Der Stock war Tom sofort aufgefallen. Es war kein gewöhnlicher Stock, wie ihn alte Leute bei ihnen zu Hause verwendeten. Dieser war aus einem ganz besonders feinen Holz. War das Olivenholz? Am oberen Ende befand sich ein Griff aus goldgelb glänzendem Metall, der die Form eines Löwenkopfes hatte. Tom neigte den Kopf nach vorne, um ihn besser sehen zu können. Dies bemerkte der Alte und hielt ihm den Stock entgegen. »Du interessierst dich für diesen Stock?«, fragte Pero und sah Tom prüfend an. Tom winkte verlegen ab. »Nein, äh«, stotterte er. »Ich wollte nur mal schauen.« »Hier«, erwiderte der Alte und hob den Stock hoch, damit Tom ihn besser sehen konnte. Tom fiel auf, dass Pero nun einen sicheren Stand hatte und im Gegensatz zu vorher kein bisschen schwankte. »Schau, dieser Löwenkopf ist das Wappen unserer Familia. Ich bin der letzte Nachkomme einer langen Reihe von Ahnen. Wir besaßen viele Ländereien und Häuser, ja das halbe Dorf gehörte meiner Familia. Doch durch ein Unglück verloren wir vieles und nun habe ich nur noch dieses Haus und vermiete es an Touristen, die hier, wie sagt man bei euch, Urlaub machen wollen. So, genug geredet, kommt herein und schaut in diese wunderbare, verwunschene Haus.« Mit einer Handbewegung lud Pero alle ein, ihm zu folgen. Das Haus war nicht sehr groß. Der untere Raum wurde in der Mitte durch eine Treppe, die nach oben führte, unterteilt. Rechts war die Küche und links das Wohnzimmer, in dem eine sehr gemütlich aussehende Couch und ein kleiner Beistelltisch standen. Außerdem gab es noch eine kleine Anrichte mit Geschirr und eine Kommode mit einer Stereoanlage darauf. Marc und Louis stürzten sich natürlich sofort auf die Couch. »Platz da, hier liege ich!« Louis sprang mit einem Satz auf die Couch und Marc versuchte ihn unsanft vom Gegenteil zu überzeugen. »Ich glaub, du spinnst. Das ist mein Platz für die nächsten zehn Tage.« Mama platzte der Kragen und wies sie an, die Koffer aus dem Auto zu holen. »Immer diese Streiterei! Ich verstehe das nicht. Können sich die nicht einmal wie zwei vernünftige Menschen aufführen?« Fragend drehte sie sich nach Papa um, aber der hatte bereits ein anderes Objekt im Blick. Zielstrebig steuerte er auf die alte Standuhr zu. Sie sah aus, als wäre sie hier versehentlich hineingestellt worden. Irgendwie passte sie überhaupt nicht zum restlichen eher modernen Mobiliar. Alle Möbel waren aus Kiefernholz gefertigt und wirkten leicht und luftig. Die Standuhr aber hatte etwas Schwermütiges an sich. Der Uhrenkasten war aus altem Eichenholz und in der Mitte hing ein schweres, eisernes Pendel. »Sie ist wohl kaputt?«, fragte Papa Pero. Doch dieser winkte ab. »Nein, sie ruht nur.« »Aber das Pendel bewegt sich nicht.« »Wenn die Zeit kommt, dann wird sich das Pendel in Gang setzen und die Zeit wird sich zurückdrehen«, antwortete Pero und seine Mundwinkel formten sich zu einem geheimnisvollen Lächeln. »Die Zeit wird sich zurückdrehen?«, fragte Papa verwirrt und drehte sich nach dem Alten um. Doch dieser war spurlos verschwunden. »He, wo ist er hin?« Verwundert ging Herr Lahmel zu seiner Frau in den Nebenraum, wo sich das Bad und die Toilette befanden. »Ist er bei dir?« »Wer? Thomas?« »Nein, Pero, der Alte.« »Du hast doch gerade noch mit ihm geredet.« »Ja, und plötzlich war er verschwunden.« Papa schüttelte den Kopf und sah sich um. »Wenn du Thomas suchst, er sieht sich die Schlafzimmer oben an und Marc und Louis holen die Koffer aus dem Auto, wenn sie nicht wieder irgendwelchen Unsinn machen.« Tom stand in einem der oberen Zimmer und blickte aus dem Fenster, als plötzlich Pero neben ihm stand. »Du gefällst mir«, sagte der Alte zu Tom und griff in seine Tasche. Dann zog er einen kleinen, grünlich schimmernden Gegenstand heraus, der aussah wie ein glatter Stein. Er hielt ihn Tom unter die Nase und drehte ihn geschickt zwischen den Fingern, sodass Tom ihn von allen Seiten betrachten konnte. »Das hier ist ein Operculum. Eine Muschelart oder besser gesagt der hornige Deckel einer Schnecke. Es sieht aus wie ein Stein und beschützt denjenigen, der stark und mutig genug ist, etwas zu verändern. Es öffnet die Augen für die Wahrheit. Aber nicht jeder kann es benützen.« Pero nahm Toms Hand und drückte den Stein in seine Handfläche. Dann verschloss er sie wieder und murmelte leise vor sich hin. Tom verstand nicht, was er sagte. Wie angewurzelt stand er da und starrte den Alten mit großen Augen an. Er wusste nicht, was er tun sollte. Sollte er irgendetwas antworten, sich bedanken oder ihn fragen, was er gerade in einer ihm unbekannten Sprache vor sich hin gemurmelt hatte? Bewegungslos stand Tom da und starrte...