E-Book, Deutsch, 778 Seiten
König Natalis Domini
14. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7575-7774-2
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 778 Seiten
ISBN: 978-3-7575-7774-2
Verlag: epubli
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Morle, ein Dorf in der Wetterau zur Zeit des Stauferkaisers Friedrich Barbarossa. Der junge Morler Konrad hat den größten Teil seines bisherigen Lebens in der Fremde verbringen müssen. Nach Jahren in der Benediktinerabtei Lorsch und einer aufregenden Zeit in der aufstrebenden Stadt Frankfurt am Main, kehrt er zurück in sein Dorf im Usbachtal. Hier hofft der junge Mann wieder mit offenen Armen aufgenommen zu werden. Sein Wunsch ist es, die alte Küferwerkstatt seines Vaters zu neuem Leben erwecken zu können. Die Dorfgemeinschaft empfängt den Rückkehrer mit Wohlwollen; doch muss Konrad rasch erkennen, dass sich die Zeiten geändert haben. Ein neuer Dorfpfaffe ist ihm gegenüber unerklärlich reserviert und spinnt urplötzlich abstruse Intrigen. Als Konrads Bruder Wilhelm sich in zwielichtige Geschäfte verwickelt und durch den Friedberger Burggrafen Roderich mit dem Galgen bedroht wird, zwingen die Umstände den Heimkehrer das Dorf umgehend wieder zu verlassen. Er will versuchen, Fürsprache beim Lehnsherren der Mörler Mark, Graf Siegfried, im österreichischen Peilstein einzulegen. Ein Abschied, der umso schmerzlicher fällt, als da just in diesen Tagen ein Mädchen namens Juliane seine Wege kreuzt ...
Der Autor studierte an der TH in Darmstadt Informatik, arbeitete zunächst als Softwareentwickler und wechselte später in die Qualitätssicherung von Computersystemen für die pharmazeutische Industrie. Seine Leidenschaft fürs Geschichtenerzählen entdeckte er bereits in der Schulzeit. Doch erst kurz vor seinem 39. Lebensjahr entschloss er sich zu einem ersten Roman. Unter dem Pseudonym Tim Goonshake, einem Anagramm seines bürgerlichen Namens, verfasste er mit Natalis Domini ein historisches Familien-Epos und siedelte es in seiner unmittelbaren Heimat, der Wetterau des 12. Jahrhunderts, an. Eine Überarbeitung der Urfassung veröffentlichte er nun unter seinem eigenen Namen.
Autoren/Hrsg.
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Erinnerungen
Heiß brannte die Sonne auf die Felder des Usbachtales. Die Gegend schien von jeglichem Leben verlassen. Alle Kreaturen hatten sich in ihre schattenspendenden Behausungen zurückgezogen. Selbst am wolkenlos blauen Himmel, wo man sonst immer Bussarde ihre Kreise ziehen sah, war kein einziger Vogel auszumachen. Bereits die fünfte Woche währte nun schon die ungewöhnliche Hitze. Sie setzte den Getreideäckern der ansässigen Reichsbauern heftig zu. Viel zu früh überzog die Felder ein goldener Teint; und dies, obwohl die heilige Mutter Kirche erst nächste Woche den Gedenktag der Apostel Peter und Paul feierte, von dem der Volksmund behauptet, dass er dem Korn die Wurzeln faulen ließe. Die Ähren waren angesichts der trockenen Tage nur spärlich gefüllt, sodass die Anwohner sich auf eine karge Ernte gefasst machen mussten. Menschen, Tiere und Pflanzen lechzten sehnsüchtig nach einem erfrischenden Sommerregen. Der Reiter, der sein Ross aus der schützenden Kühle des Waldes lenkte, wirkte müde und abgespannt. Dennoch schien er den Anblick des sich vor ihm ausbreitenden Usbachtales zu genießen. Von der Höhe des Eichbergs aus streifte sein Blick über den Großteil des Mörler Grundes. Dieser gehörte zur Grafschaft von Morle–Peilstein, die sich zwar erheblich weiter nach Norden erstreckte, als das Auge von hier zu blicken vermochte, doch bildete das Dorf Morle mit seinem Gerichtsplatz das Kernstück des hiesigen Teils der Doppelgrafschaft. Herr Siegfried hatte die Güter nach dem Tode seines Vaters durch die Krone als Reichslehen überantwortet bekommen. Wenngleich der Graf auch die meiste Zeit im niederösterreichischen Peilstein, dem anderen Bestandteil seiner Besitztümer verbrachte, so hegte er doch eine gewisse Vorliebe für die fruchtbaren Auen der westlichen Wetterau und übertrug diese nicht selten auch auf die Bewohner dieses Dorfes. Neben Morle gehörten mit Buseck, Cleeberg und Hüttenberg noch drei weitere Gerichtsplätze zur Grafschaft. Doch außerhalb der ertragreichen Gebiete gelegen, schenkte der Graf ihnen nicht immer die gleiche Wertschätzung wie dem Dorf im Usbachtal. Das hatte Eifersüchteleien zufolge, denn Neid war zu keiner Zeit Vater ungetrübter Nachbarschaft. So hatten die Weiler rund um Morle für die Bewohner des Dorfes nur Spott und Missgunst übrig. Der Schimpfname Könige machte bald die Runde, um die Bevorzugung der Morler durch den Grafen anzuprangern. Konrads Blick verriet innere Unruhe, die ihn umso stärker erfasst hatte, je näher er dem Dorf gekommen war. Nun ragte vor ihm im Nordosten die Burg des benachbarten Herrengeschlechts zu Münzenberg über die Baumwipfel und gab untrügerisch Kunde von der Nähe der Heimat. Hier wurde er vor nunmehr achtzehn Jahren, Anno Domini 1151, geboren und hatte bis zu seinem achten Lebensjahr eine sorglose, wenn auch bescheidene Kindheit verleben dürfen. Das Ende dieser glücklichen Tage war unverhofft und plötzlich über ihn hereingebrochen. Alles hatte mit der Geburt seiner jüngsten Schwester Eva angefangen. Vor seinem geistigen Auge erschienen die Gesichter seiner Eltern Josef und Agnes. Sein Vater, eine gutmütige Seele, arbeitete im Dorf als Küfermeister. Die kleine Werkstatt führte Josef bereits in der dritten Generation. Sie ernährte die junge Familie redlich, sodass die Kinder wahre Not nie gekannt hatten. Agnes, seine Mutter, stammte nicht aus der Gegend. Sie ließ sich irgendwann hier nieder und Vater hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt und bald darauf geheiratet. Das Bild seiner Mutter erweckte in Konrad weniger anheimelnde Erinnerungen, was jedoch ausschließlich auf jene schrecklichen Ereignisse im Jahre 1158 zurückzuführen war. Er war gerade einmal sieben Jahre alt, als sie im Kindbett starb. Eine lausig kalte Januarnacht war vorausgegangen. An diesem Tag hatte das Unglück seinen Lauf genommen. Eva hatte drei Tage zuvor das Licht der Welt erblickt. In der Nacht auf das Dreikönigsfest wurden die Kinder vom Vater geweckt, um zu ihren einzigen Verwandten gebracht zu werden. Hannes, Wilhelm und Margarethe waren nach Josefs Meinung noch zu klein, um bei einer Geburt anwesend zu sein. Sie hätten der Hebamme nur im Wege gestanden und die zu erwartenden Qualen der Mutter hätte die Kinder wohl zu sehr geängstigt. Bei Großmutter Hedwig und Oheim Walther, Vaters jüngerem, unverheirateten Bruder, waren sie besser aufgehoben. Walther lebte mit seiner Mutter auf einem Hof in der Weisgasse unmittelbar gegenüber der Kirche und Konrad musste seine Geschwister durch die sternklare Nacht dorthin bringen. Die Erinnerung an jene Nacht ließ den Reiter trotz der augenblicklich herrschenden Sommerhitze frösteln. Er spürte plötzlich wieder den Schnee unter seinen Füßen und ihm war, als könne er sogar das Knirschen der einzelnen Kristalle vernehmen, die sich unter ihren mit Lumpen und Leder umwickelten Füßen zusammenpressten. Auf dem Rückweg klopfte er bei Gretel, der Wehmutter des Dorfes. Er erinnerte sich genau an das mürrische Gesicht der Alten, als er sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf holte. Gretel hatte zwar eine raue Schale, war aber im Grunde eine hilfsbereite Frau; vor allem aber war sie eine geübte und erfahrene Kindsfrau. Als sie sich mit Konrad dem Haus der Gebärenden näherte, konnten sie schon das Wehklagen der Mutter hören. »Muss sie große Schmerzen ertragen?«, fragte Konrads besorgt, als die Wehmutter ihre Schritte merklich beschleunigte. »Ach Junge, was weißt du schon vom Kinderkriegen! Kein Mannsbild kann sich vorstellen, was es heißt, so einen Balg aus dem Leib zu drücken.« Sie machte eine theatralische Handbewegung. »Aber komm, wir müssen uns beeilen!« Gut, dass ich einmal ein Mann werde. So bleibt mir das Kinderkriegen erspart, dachte Konrad erleichtert. Konrads Elternhaus war ein einfaches fränkisches Dreiseit–Gehöft. Der östliche Flügel bestand aus dem schlichten, zweiräumigen Wohnhaus mit Schlafkammer und Küche. Ihm gegenüber lag im Westflügel ein Stall für Ziegen, Schafe und Hühner. Der übrige Raum diente Vater als Werkstatt und Lager für das Daubenholz. Verbunden wurden die beiden Gebäudeteile durch eine Scheune, bei der Josef einen Raum als Schlafstätte für Tagelöhner abgetrennt hatte. Die Hauskonstruktion wurde durch ein Fachwerk gestützt, welches im Wohnbereich von glaslosen Fenstern durchbrochen wurde. Bei Regen und Sturm verhängten seine Eltern die Öffnungen mit geölten Tierhäuten, um das Wetter abzuhalten. Im Winter hielten zusätzliche Holzläden die Kälte, aber auch Licht von der Wohnung fern. Konrad hasste die Dunkelheit, welche sich dadurch im ganzen Haus ausbreitete. Licht spendete dann nur noch das Feuer in der Küche oder die rußigen Kienspäne, die Vater gelegentlich entzündete. Der Rauch zog über eine Luke im Giebel nach draußen, doch blieb immer ein beißender Geruch im Haus zurück. Als sie die Kammer betraten, ging Gretel schnurstracks zur Mutter, schob ihr das Gewand hoch und befühlte, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ihren unförmigen Bauch. Konrad beobachtete, wie Gretels geschickte Finger Mutters Leib abtasteten. Die offensichtliche Fertigkeit der Wehmutter tröstete den Jungen. Er kannte kein Kind im Dorf, das Gretel nicht auf die Welt geholt hatte, sich selbst und seine Geschwister eingeschlossen. Doch Gretels ernste Miene ließ nichts Gutes erwarten. »Dein Kind liegt verkehrt. Es will mit dem Arsch zuerst raus. Hol mir heißes Wasser, Küfer, ein paar saubere Tücher und das schärfste Messer, das du im Haus hast!« Das waren die letzten Worte, die Konrad zu hören bekam, bevor Vater ihn sanft aber bestimmt aus der Kammer in die Küche drängte. Konrad glaubte, in den Augen seines Vaters eine Träne erkannt zu haben. Seltsam, dachte er, ich habe Vater noch nie weinen sehen. Die Einsamkeit in der Küche brachte dem Knaben die Müdigkeit zurück. Konrad nickte mehrere Male ein. Doch immer wieder schreckten ihn entsetzliche Schreie auf. – Oder waren es Albträume, die ihn in den kurzen Schlafphasen quälten? Konrad lauschte! Nun war wieder alles still. Er beschloss, den Albträumen vorzubeugen und nicht wieder einzuschlafen. Um dem erwarteten Familienzuwachs einen angenehmen Empfang zu bereiten, entschied er sich das Herdfeuer kräftig zu schüren und noch ein paar Holzscheite nachzulegen. Es sollte warm sein, wenn Gretel sein neues Brüderchen in die Küche brachte. Bald flackerte ein munteres Feuer unter dem Rauchfang. Die Wärme ergriff wohlig seinen Körper. Erschrocken fuhr Konrad herum. Ein markerschütternder Schrei durchschnitt die Nacht. »Mama!«, schrie Konrad auf und wollte in die Schlafstube stürzen. Doch hielt er jäh in seiner Bewegung inne. Ein zweiter Schrei ertönte. Weit angenehmer als der vorherige. Es war der Schrei eines Neugeborenen, das seine ungeübten Stimmbänder zum ersten Mal erprobte. Ein Schauer der Erleichterung strich über den Rücken des Jungen und erzeugte eine Gänsehaut. Mutter hatte es geschafft! Mein neuer Bruder ist da! Heute wusste Konrad nicht mehr, ob er damals glücklich oder nur erleichtert war, dass diese schreckliche Geburt endlich hinter ihm lag: die erste, die er bewusst miterlebt hatte. Neugierig und voller Erwartung näherte er sich der Kammer. Das Bild, welches sich ihm bot, brannte sich für immer in sein Gehirn. Gretel kniete vor den noch geöffneten Schenkeln seiner Mutter und hielt einen winzigen, blutverschmierten Leib an der Ferse in die Höhe. »Du hältst meinen Bruder ja wie ein geschlachtetes Huhn«, protestierte Konrad aufgebracht. Die Blutlache, in der Gretel kniete, unterstrich seinen Eindruck noch. Es roch übel im Raum. Das Leintuch, das den Strohsack...