E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Koenig Amore in italiano
2. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8412-3746-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine deutsch-italienische Familiengeschichte
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-8412-3746-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Famiglia über alles.
Lucias Welt steht kopf. Statt im Familienurlaub am Strand zu entspannen, muss sie - frisch getrennt - ihrem Vater und ihrem pflegebedürftigen Bruder hinterherreisen, die allein nach Italien aufgebrochen sind, um die Asche ihrer geliebten Frau und Mutter in die Heimat zu bringen. Unterwegs erfährt Lucia, wie stark die Bande der Familie trotz aller Schwierigkeiten sein können. Und mit einem Mal scheint so vieles möglich ...
Ein abenteuerlicher Roadtrip durch Italien und eine warmherzige Familiengeschichte.
Tabea Koenig, geboren 1992, lebt mit ihrer Familie in Basel. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Bibliothekarin, später als Veranstaltungsreferentin im Verlagswesen. Parallel dazu begann sie, historischen Romane zu schreiben. Mit der Gründung ihrer eigenen Familie interessiert sie sich zunehmend für familiäre Themen und zeitgenössische Stoffe. Im Aufbau Taschenbuch sind die Romane 'Die Maskenbildnerin von Paris' und 'Die Verlegerin von Paris' lieferbar. Mehr zur Autorin unter autorin-tabea-koenig.ch.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Kapitel
Freiburg im Breisgau, 1999
Wenn Lucia eine Begabung an sich bemerkenswert fand, dann, wie mühelos sie lächeln und ihre Mitmenschen täuschen konnte. Wie sie in einer Millisekunde all den Kummer aus ihrem Gesicht bügelte, sich um den Haushalt kümmerte, die ganze Familie organisierte und zur Arbeit ging, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Dabei wusste sie seit Wochen nicht, woher sie die Kraft nahm, um überhaupt aus dem Bett zu kommen. Das Bett, das sich noch immer so ungewohnt groß anfühlte, seit sie allein darin schlief.
Sie stand in der Küche in ihrer Freiburger Viereinhalbzimmerwohnung und blickte um sich. Auf den schmutzigen Küchenboden, auf ihren wunderschönen, aber vollgestopften Esstisch, auf den Geschirrberg im Waschbecken, von dem eine bedrohliche Präsenz ausging. Und auf die Küchenuhr, die noch nicht einmal sechs Uhr anzeigte.
Früher hatte sie es geliebt, als Erste aufzuwachen, wenn alles schlief und wenn die Ruhe ihr allein gehörte. Dann fühlte sie sich produktiv, kochte Kaffee, bereitete das Frühstück für ihren Mann und die Kinder vor und setzte sich anschließend mit einem Buch und ihrem Terminkalender auf den Balkon.
Aber seit Till gegangen war, fürchtete sie sich vor der Stille. Sobald sie allein war, nahm das Gedankenkarussell seinen Lauf. Dann spürte sie, wie ein kleiner Dämon auf ihrer Brust hockte, ihr die Luft zuschnürte und ihr ohne Erbarmen die Probleme vor Augen führte. Der immer wieder durchlebte Schmerz, die Enge in ihrem eigenen Zuhause, die Geldsorgen und dieses eine Bild, das sie nicht aus dem Kopf bekam. Wie Till mit gepackten Koffern die Wohnung verlassen hatte. Wie er sie, die Frau, mit der er die letzten zwanzig Jahre seines Lebens verbracht hatte, nicht einmal angesehen hatte, weil er so außer sich gewesen war.
»Das ist wirklich dein Ernst, du schmeißt mich raus? Dann glaub aber bloß nicht, dass du weiterhin die Füße hochlegen kannst, weil ich dir Unterhalt zahle. Viel Spaß in der richtigen Welt.«
Nicht nur, dass seine Worte sie unglaublich verletzt hatten, es war auch diese unsägliche Wut, weil es nicht stimmte. Die Arbeit, der Haushalt, die Betreuung der Kinder und nun auch die ihres Vaters und ihres Bruders – Lucia tat vieles, doch ganz bestimmt legte sie nicht bloß die Füße hoch. Und dieser Konflikt, diese hässliche Trennung von einem geliebten Menschen, der sie nicht verstehen wollte, raubte ihr das letzte Fünkchen Kraft.
So ging das seit Wochen. Lucia schlief schlecht, wälzte sich in ihrem Bett, stand früh auf und war trotzdem viel zu erschöpft, um den Tag zu meistern.
Heute war die Nacht wieder besonders schlimm gewesen, denn sie hatte einen Entschluss gefasst, den sie ihrer Familie erst noch beibringen musste. Doch wie? Obwohl sie schon die ganze Zeit darüber grübelte, fehlte ihr eine Antwort.
Seufzend drehte sie sich zum Waschbecken und nahm das schmutzige Geschirr in Angriff.
Als sie mit dem Abwasch fertig war, schlurfte erst die eine, dann die andere Tochter in die Küche. Da standen sie vor ihr, Lucias ganzer Stolz. Blasse Haut, krummer Rücken, sprießende Akne.
Während Sandra, die Ältere, beim Anblick des Müslis das Gesicht verzog, schaufelte Vanessa geräuschvoll das Essen in sich rein und steckte dabei ihre Nase in Sofies Welt, das Buch, das sie zurzeit überall las. Wie immer trug sie ein viel zu großes Bandshirt, das ihr bis zu den Oberschenkeln reichte, sowie eine Choker-Kette aus Kunststoff. Eine einzelne wasserstoffblonde Strähne zierte ihr schulterlanges kastanienbraunes Haar.
Sandra hingegen hatte blondes Haar und kam in Flip-Flops, Shorts und einem engen Shirt daher, aus dem ihr hormongeladener Busen quoll. Die Augenbrauen hatte sie zu hauchdünnen, hochgeschwungenen Linien gezupft, die ihr einen konstanten Ausdruck der Überraschung ins Gesicht brannten. Um den Hals trug sie eine überlange Halskette aus Plastikschnullern. Da hatte Lucia ihrer Tochter vor fünfzehn Jahren mit Zeter und Mordio den Schnuller abgewöhnt, nur damit sie sich jetzt wieder freiwillig wie ein Baby schmückte.
»Guten Morgen, ihr Lieben, habt ihr gut geschlafen?«, fragte Lucia ihre Mädchen.
Sandra verzog das Gesicht. »Das hätte ich, wenn Vanessa nicht die halbe Nacht gelesen und stattdessen das Licht ausgemacht hätte.«
»Ist ja auch mein Zimmer. Dafür stinkst du alles mit deinem Parfüm voll«, wehrte sich die Jüngere.
Seufzend sah Lucia zu Vanessa. »Schätzchen, darüber haben wir doch gesprochen. Jetzt, da ihr euch ein Zimmer teilt, müsst ihr Rücksicht aufeinander nehmen.«
Vanessa sagte nichts mehr dazu und wechselte das Thema. »Fährst du heute in die Stadt?«, fragte sie ihre Mutter, da sie eine Mitfahrgelegenheit witterte.
»Ja, aber erst später. Ich habe euch ein paar Mark für den Bus beiseitegelegt. Was erwartet dich in der Schule?«
»Eine Prüfung in Erdkunde und eine in Mathe. Die letzten für dieses Schuljahr. Danach gehen wir mit der Klasse ins Freibad. Gott, bin ich froh«, antwortete Vanessa und ächzte.
»Und du, Sandra?«
»Och, keine Ahnung. Im Betrieb ist kaum was los. Sommerloch.«
»Und in der Berufsschule?«, hakte Lucia nach. »Hast du für das Fach gelernt, bei dem es nicht so gut lief?«
»Mach ich noch.«
»Sandra! Es ist wichtig. Herr Hasenböhler war beim letzten Gespräch ziemlich deutlich. Du musst dich anstrengen, wenn du die Lehrstelle behalten willst.«
»Das ist mir auch klar«, antwortete ihre Älteste mit kaum vorhandener Überzeugung. »Da fällt mir ein, kannst du mir den letzten Eintrag unterschreiben? Ich habe doch diese Absenz, als ich so Kopfschmerzen hatte.«
»Reden wir von jenen Kopfschmerzen, als du bis am späten Abend mit Saskia unterwegs gewesen bist?«
»Na ja, ob ich zu Hause oder bei ihr Migräne habe, spielt doch keine Rolle.«
Lucia stemmte die Hände in die Taille. »So funktioniert das nicht, Sandra. Wenn du krank bist, dann bist du krank und nicht fit genug, um mit deiner besten Freundin bummeln zu gehen. Ich denke nicht, dass ich das unterschreiben soll.«
»Aber Mama!«, rief Sandra aus. »Wenn du das nicht machst, fliege ich von der Schule!«
»Was ohnehin nur eine Frage der Zeit ist«, stichelte ihre kleine Schwester, während sie eine Seite in ihrem Buch umblätterte.
Lucia stieß ein Knurren aus. Es überraschte sie nicht, dass die Kinder ihre Grenzen neu austesteten, jetzt, wo kein Vater mehr im Haus war. Aber mit welcher Hartnäckigkeit sie es versuchten, und wie viel Energie es Lucia kosten würde, konsequent zu bleiben, damit hatte sie nicht gerechnet. »Das ist das letzte Mal, dass ich dir das durchgehen lasse. Im nächsten Lehrjahr weht ein anderer Wind, junge Dame.«
Wenig später öffnete sich die Küchentür erneut.
»Buongiorno, ragazze«, erklang die gutturale Stimme von Alberto. Auch im Alter zeugte sein Auftreten von Autorität und einer gewissen Unantastbarkeit. Obwohl er ein einfacher Mann der Arbeiterklasse gewesen war, gab es an seiner Kleidung nichts auszusetzen. Sein Rasierwasserduft war unverkennbar und breitete sich in der Küche aus.
»Morgen, Nonno«, erwiderten die Mädchen.
»Ist der Kaffee fertig?«
»Soeben frisch aufgebrüht.« Lucia stand auf und nahm die Espressokanne vom Herd, die Alberto sogleich entgegennahm.
»Ah, herrlich, dieses Aroma. Wie Till den wässrigen Getreidekaffe diesem hier vorziehen konnte, werde ich nie verstehen. Dov’è...




