E-Book, Deutsch, 100 Seiten
Kölpin Wie dunkel die Schatten
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96817-702-1
Verlag: dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 100 Seiten
ISBN: 978-3-96817-702-1
Verlag: dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Sei vorsichtig! Zwischen den Schatten der Straße wartet der Tod …
Der beklemmende Thriller für Fans von Gerlinde Friewald
Ein belegtes Brot für die Obdachlose Frieda – das ist Paula ins Blut übergegangen. Jeden Morgen hält die Studentin an der Bushaltestelle inne und wechselt ein paar Worte mit Frieda. Bis diese eines Tages verschwunden ist. Zurück bleibt nur ihr verwaister Wollmantel und die Isomatte. Als einige Tage später ganz in der Nähe ein Obdachloser zusammengeschlagen wird, ist Paula sofort klar, dass Frieda ihren Stammplatz nicht freiwillig verlassen hat. Doch dann fühlt Paula sich auf einmal selbst verfolgt und bekommt Drohbriefe, die sie davor warnen, Friedas Verschwinden auf den Grund zu gehen. Und plötzlich steht die junge Studentin selbst im Mittelpunkt der Ermittlungen … Wem kann sie jetzt noch vertrauen?Erste Leserstimmen
„vielschichtiger Thriller, der mir sicherlich noch lange im Gedächtnis bleiben wird“
„spannend, intelligent, beklemmend“
„gesellschaftskritischer, wirklich gut recherchierter und realitätsnaher Krimithriller!“
„Ich habe das E-Book in einer Nacht verschlungen – so fesselnd!“
Regine Kölpin, geb. 1964 in Oberhausen (Nordrhein-Westfalen), lebt seit ihrer Kindheit in Friesland an der Nordsee. Sie hat für namenhafte Verlage zahlreiche Romane und Kurztexte publiziert und ist auch als Herausgeberin tätig. Regine Kölpin wurde mehrfach ausgezeichnet, z. B. mit dem Bronzenen Homer 2020. Mit ihrem Mann Frank Kölpin lebt sie in einem kleinen idyllischen Dorf an der Küste. Dort konzipieren sie gemeinsam Musik- und Bühnenprojekte und genießen ihr Großfamiliendasein mit fünf erwachsenen Kindern und mehreren Enkeln oder lassen sich auf ihren Reisen mit dem Wohnmobil zu Neuem inspirieren.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Tag 1
Montagmorgen Bushaltestelle P+R Marschweg Die Frau war nicht da. Paula sah es schon, als sie mit dem Fahrrad auf die Haltestelle zufuhr. Das Bushäuschen und die Straße davor wirkten wie leer gefegt. Lediglich der schwarze Mantel und die fleckig-blaue Isomatte in der Ecke zeugten von ihr, der Obdachlosen, der Paula seit dem Sommer jeden Morgen ein belegtes Brot in die Hand drückte. Eine Obdachlose, eine von vielen, die in der Stadt lebten und die sich vor allem am Abend und in der Nacht an der Hunte unter der Autobahnbrücke am Westfalendamm trafen. Tagsüber saßen sie am Netto-Markt an der Nadorster Straße oder gingen um die Ecke zur Obdachlosenhilfe. Ein paar sah Paula auch immer an der Lambertikirche. Der Wind pfiff unangenehm über die Straße, dunkle Wolken türmten sich auf. Paula kam sich beobachtet vor. Hier stimmte etwas nicht. Sie stellte das Rad ab und sah hinter die Haltestelle, ging dann um das Bushäuschen, blickte in Richtung Stadion. Die Metalltüren waren wie immer, wenn kein Fußballspiel war, fest verschlossen. Die bunten Toilettenhäuschen waren die einzigen Farbtupfer. Paula umrundete auch das hinter der Haltestelle liegende Gebüsch, doch außer einer leeren Schnapsflasche, einem benutzten Kondom und einer weggeworfenen Tabakpackung bemerkte sie nichts Auffälliges. Alles war wie immer. Die Frau aber war wie vom Erdboden verschluckt. Als Paula wieder bei ihrem Rad angelangt war, hatte sich das ungute Bauchgefühl noch verstärkt. Wo steckte die Frau, deren Namen sie nicht kannte, mit der sie noch nie im Leben ein Wort gewechselt hatte und die ihr doch irgendwie nahe war. Ich fühle mich verantwortlich, dachte Paula. Verdammt noch mal verantwortlich. Das Hupen eines Autos ließ Paula zusammenzucken und holte sie aus ihren Gedanken zurück. Sie sollte sich beeilen, die Vorlesung an der Uni begann gleich, und sie war ohnehin spät dran. Um die Frau musste sie sich später Gedanken machen. Montagmorgen Schlosspark Oldenburg Sie war entkommen. Unter ihr war nur noch der Dreck auf dem Boden. Tiefer konnte man nicht sinken. Nicht mehr unterwegs, festgewachsen in der Stadt, die einen auch nicht haben will. So wie die Ratten. Frieda kauerte jetzt im Schlosspark hinter einer der Bänke, den Schal fest ins Gesicht gezogen. Besser, niemand sah ihr Gesicht. Falls sie kommen sollten. Sie holen. Noch einmal draufhauen. Sie töten wie den Mann gestern, der mit ihr an der Haltestelle die Nacht verbringen wollte, weil es unter der Brücke am Westfalendamm, wo sie in der Nacht meist auf Platte waren, Stunk gegeben hatte. Ein paar Berber, herumstreunende, die mal hier, mal dort in den Städten unterwegs waren, hatten Ansprüche angemeldet, weil sie in der Obdachlosenunterkunft keinen Platz mehr bekommen oder sie gar nicht erst gefunden hatten. Was auch immer. Frieda hatte nicht so genau hingehört. Jedenfalls war der Plastikkönig ausgetickt, hatte sich als Boss aufgespielt, und Frieda war gegangen. Die Haltestelle erschien ihr eine gute Idee. Aber nach dem Angriff hatte sie ihre Habseligkeiten dort liegen lassen. Bis auf die Alditüte, die hielt sie stets fest umklammert. Darin befand sich alles, was sie zum Leben brauchte: ihre Taschenlampe, eine Kerze mit einer halben Packung Streichhölzer, ein Dosenöffner. Dazu ihre Waschsachen, wie eine abgewetzte Zahnbürste mit Zahnpasta und eine Haarbürste, an der die meisten Borsten aber schon abgebrochen waren. Viel mehr brauchte man nicht, um auf der Straße zu überleben. Der Rest ergab sich jeden Tag neu. Manchmal ging sie ins »Bunte Kaufhaus« zum »Shoppen«, manchmal in den Tagesaufenthalt. Aber ihre Besuche dort wurden seltener. Sie kam sich danach immer besonders klein und niedrig vor. Auch wenn es ihr widerstrebte, musste sie die Isomatte und den Mantel später holen gehen. Letzte Woche hatte ihr jemand den Schlafsack geklaut, wie sollte sie da ohne den Mantel die immer kälter werdenden Nächte überstehen? Um einen Schlafsack mit Isofunktion musste sie sich auch noch kümmern. Dazu würde sie wohl die Diakonie noch einmal aufsuchen und fragen müssen. Noch wagte sie aber nicht, die Deckung zu verlassen, war froh, wenn sich Spaziergänger in die Anlage verirrten und sie sich dadurch sicherer fühlte. Ihr war, als würde sie noch immer verfolgt, wobei der Übergriff gestern bestimmt nicht ihr und dem Mann persönlich gegolten hatte. Sie kannte kaum jemanden. Die Menschen in ihrem Leben kamen und gingen. Ein paar blieben länger, andere nur einen Tag. Jeder mit einer Geschichte im Rucksack, die keiner kennen wollte, glichen sie sich doch zu sehr. Außerdem verbesserte es die Lage auch nicht. Sie war eine von denen ganz unten. Die anderen bezeichneten sich selbst als Stadtratten, aber das Wort mochte Frieda nicht, auch wenn es ihr eben selbst durch den Kopf geschossen war. Sie war ein Einzelgänger, ein Schatten. So wie die anderen auch. Aber keine Ratte. Dem Wort haftete so viel Negatives an. Obwohl Ratten intelligente Tiere waren. Ab und zu fütterte Frieda sie mit ein paar Krumen. Sie machten sogar Männchen. Trotzdem wollte sie keine von ihnen sein. Sie war ein Mensch. Aber jetzt hatte sie Angst. Angst, dass sie wiederkamen, weil sie Leute wie sie suchten. Weil sie für viele einfach nur Dreck waren. Weil sie »Sitzung machten«, Pfandflaschen aus Containern sammelten und viele von ihnen zu viel tranken. Weil sie ihre »Bombe«, eine Zwei-Liter-Flasche Wein, brauchten, oft schon morgens als »Klapperschluck«, damit der Tremor in den Händen vertrieben wurde. Frieda trank nicht. Nur ab und zu, wie normale Sesshafte auch. Frieda hatte nie gewagt sich hinzulegen, seit sie auf Platte war, also auf der Straße lebte. Im Freien nächtigte, weil sie keine Wahl hatte. Seit sich ihr Leben weit unter dem Nullpunkt abspielte. Mit den Jahren hatte sie das Schlafen in der Hocke gelernt. Tiefschlaf konnte tödlich sein. Auch unter der Huntebrücke. Jeder war sich selbst der Nächste. Das Sprichwort galt überall und in jeder Lebenslage. Es gab nur ein Wort, das sie durch den Tag trieb: überleben. Einfach irgendwie überleben. Sie ärgerte sich oft über den Plastikkönig. Er spielte sich ständig als Boss auf, weil er ein »Lebenskünstler« war. Der Plastikkönig hielt sich für was Besseres, obwohl er genauso ein Stadtstreicher war wie sie alle hier. Die Haltestelle am Marschweg war für Frieda eine gute Alternative gewesen, denn dort bekam sie Morgen für Morgen ihr Almosen von diesem jungen Mädchen, das sie immer freundlich, wenn auch ängstlich ansah. Das Brot half ihr, über den Tag zu kommen. Vielleicht hatte der Mann neben ihr das beobachtet und gehofft, etwas abzustauben. Gesprochen hatten sie nicht miteinander, aber doch hatten sie sich gegenseitig das Gefühl gegeben, nicht völlig allein zu sein. Sie hatte seinen regelmäßigen Atemzügen gelauscht und selbst die Augen geschlossen. Der Überfall kam plötzlich, wie aus dem Nichts. Dunkle, verhüllte Gesichter, mit Hass im Blick. Kein Schrei hatte ihre Lippen verlassen, als der erste Hieb auf sie niedergesaust war. Dennoch war sie entkommen. Der Mann nicht. Frieda rieb ihre schmerzende Schulter, wo sie getroffen worden war. Die Wunde an der Stirn war schon verkrustet. Montagmorgen Stadt Oldenburg Weg zur Carl von Ossietzky Universität Das Bild der Frau verließ Paula auch auf dem Weg zur Uni nicht. Sie überquerte die Bloherfelder Straße, als Reifen quietschten und ein Auto abrupt stoppte. »Mensch, Mädchen, pass doch auf! Das ist hier keine Spielstraße!« Der schwarze Audi entfernte sich mit durchdrehenden Rädern. Paula stützte sich auf den Fahrradlenker und atmete langsam ein und aus. Das war ja gerade noch mal gut gegangen. Sie musste sich zusammenreißen, aber die Gedanken an die Frau schmerzten sie. Die Erinnerung daran, wie sie jeden Morgen an die Plastikumrandung gelehnt dagesessen hatte, den Kopf auf die Knie gesenkt und den Mantel leicht hochgezogen, damit er ihren hageren Rücken wärmte. Vor sich eine Untertasse und auf ein Almosen wartend. Sie bedankte sich auch für herabgeworfene zwei Cent. Sie trug Handschuhe, solche, an denen man die Fingerspitzen beiseiteklappen konnte. Sie hatte sie selbst im Sommer an. Ihre Habseligkeiten passten in eine Plastiktüte von Aldi, Lidl oder Netto. »Sie hat ihren Mantel und die Matte liegen lassen. Ohne das würde sie doch nicht einfach so verschwinden«, murmelte Paula. Sie bestieg ihr rot bemaltes Hollandrad wieder und strampelte gegen den Wind an. »Das ist sicherlich fast alles, was sie hat. Merkwürdig.« Paula fröstelte, obwohl ihr der Schweiß über den Rücken lief. Sie hatte sich den Schal dreimal fest um den Kopf gewickelt, weil sie sich gegen den Wind schützen wollte. Doch diese Kälte kam von innen. »Warum beschäftigt mich das so? Ich kenne ihren Namen nicht, gar nichts.« Sie hatten nie ein Wort miteinander gewechselt. Ein freundliches Lächeln, ein verlegenes Nicken, und das war es. Mittlerweile war sie an der Kreuzung Ammerländer Heerstraße/Uhlhornsweg angekommen, und das Universitätsgebäude hob sich gegen den düster wirkenden Himmel ab. Die Studenten schoben sich in Strömen in Richtung Campus. »Ich muss mich jetzt zusammenreißen. Die Vorlesung gleich ist wirklich wichtig«, murmelte Paula, fuhr zum Fahrradstand und schloss ihr Rad ab. »Ich als Studentin kann ohnehin nichts für diese Menschen tun. Außer ihr eben dieses Brot zu schenken oder immer mal was in ihre Hüte zu werfen. Immerhin ist das mehr, als andere tun. Sie wird schon wieder auftauchen. Oder sie ist wieder ihrer Wege gegangen. Neue Stadt, neues Glück.« »Hallo«, wurde Paula angesprochen. »Redest du mit dir selbst oder lernst du...