E-Book, Deutsch, 196 Seiten
Koch / Bähring / Voderholzer Ratgeber Zwangsstörungen
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8444-3012-7
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Effektive Strategien zur Bewältigung von Zwängen
E-Book, Deutsch, 196 Seiten
ISBN: 978-3-8444-3012-7
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zwangsstörungen sind eine häufige und besonders hartnäckige Form der psychischen Erkrankung. Auch wenn wirksame Behandlungsansätze vorliegen, werden diese oftmals nur unzureichend in der Praxis angewandt. Der Ratgeber liefert eine fundierte Einführung in die Behandlungsmöglichkeiten von Zwangsstörungen. Er eignet sich insbesondere dazu, therapiebegleitend eingesetzt zu werden, und ist zudem für Personen geeignet, die sich auf die Behandlung ihrer Zwangsstörung gründlich vorbereiten möchten.
Der Ratgeber stellt zunächst aktuelle Erklärungsansätze zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Zwängen dar und veranschaulicht diese anhand von Fallbeispielen. Anschließend werden die einzelnen Schritte der Vorbereitung und Durchführung der Behandlung einer Zwangsstörung beschrieben: Hierbei geht es u.a. um die Klärung von Sicherheits- und Vermeidungsverhalten, die Erarbeitung einer individuellen Zwangshierarchie und um die Bearbeitung der psychischen Funktionen der Zwänge. Zentrales Element der Behandlung von Zwangsstörungen ist die Durchführung von Expositionen. Wie in der Therapie dabei vorgegangen wird und welche Fallstricke dabei auftauchen können, wird verständlich erläutert. Da der Umgang mit Zwangsgedanken und gedanklichen Ritualen besonders herausfordernd ist, wird das Vorgehen bei dieser Gruppe der Zwangsstörungen in einem separaten Kapitel abgehandelt. Im Ratgeber wird auch darauf eingegangen, wie Patientinnen und Patienten mit einer Störung aus dem Zwangsspektrum behandelt werden können, wenn sie zusätzlich unter einer weiteren psychischen Störung, z.B. einer Depression oder einer Traumafolgestörung, leiden. Zahlreiche Fallbeispiele, vertiefende Übungen, Arbeitsmaterialien und Verweise auf hilfreiche Kontaktadressen machen den Band zu einem wertvollen Arbeitsbuch für Betroffene, Angehörige sowie Therapeutinnen und Therapeuten.
Zielgruppe
Betroffene, Angehörige, Ärztliche und Psychologische Psychotherapeut_innen, Psychiater_innen, Pflegekräfte, Psychologische Berater_innen.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Sachbuch, Ratgeber
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete Psychiatrie, Sozialpsychiatrie, Suchttherapie
Weitere Infos & Material
|18|2 Welche Arten von Zwängen gibt es?
Nachdem wir im ersten Kapitel die Kennzeichen von Zwangsstörungen näher beleuchtet haben, soll es in diesem Kapitel um die häufigsten Arten von Zwängen gehen und deren charakteristische Zwangsgedanken und -handlungen. Um einen anschaulichen Eindruck von den verschiedenen Erscheinungsbildern von Zwängen zu vermitteln, werden wir mehrere Fallbeispiele aus unserer Praxis etwas ausführlicher darstellen. Namen, Alter und weitere identifizierende Informationen wurden zu diesem Zweck selbstverständlich geändert (und die jeweiligen Personen somit anonymisiert). In den weiteren Kapiteln werden wir zur Veranschaulichung der dort dargestellten Inhalte gelegentlich auf diese Fallbeispiele zurückkommen. Viele Betroffene entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung unterschiedliche Formen von Zwängen, deren Ausprägung sich über die Zeit durchaus verändern kann. Auch bleiben viele Zwänge längere Zeit unerkannt oder werden fehldiagnostiziert. Die folgende Übersicht mag daher nützlich sein, um eigene Zwänge als solche zu erkennen und besser einordnen zu können. Zwänge können sehr individuell ausgeprägt sein. Aber es gibt bestimmte Themen, die sich häufig wiederholen. Unsere Patientinnen und Patienten sind oft erstaunt, wenn sie – nicht selten zum ersten Mal in ihrer Krankheitsgeschichte – andere Personen mit einer Zwangsstörung während der stationären Therapie kennenlernen. Viele haben jahrelang in der Überzeugung gelebt, komisch, nicht normal oder sogar verrückt zu sein. Daher kann die Begegnung mit anderen Betroffenen und die Erfahrung, mit seinen Zwängen nicht allein zu sein, sehr erleichternd sein. Vielleicht fragen Sie sich auch, warum sich die Zwänge von einander völlig unbekannten Menschen so sehr ähneln können? Dann müssen wir Sie an dieser Stelle um etwas Geduld bitten. Die biologischen und psychologischen Mechanismen, die zur Entstehung einer Zwangsstörung beitragen, werden im Kapitel 3 erklärt. Wenn Sie möchten, dann können Sie natürlich schon jetzt einen Blick in das Kapitel werfen. Bei Zwangserkrankungen wird üblicherweise zwischen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen unterschieden (vgl. Kasten zu den Kennzei|19|chen einer Zwangsstörung auf Seite 14). Möglicherweise finden diese Zwangshandlungen jedoch nur in Gedanken statt und sind deswegen nicht offensichtlich. Auch finden sich bei einem primär durch Zwangshandlungen geprägten Krankheitsbild in aller Regel ebenfalls auslösende Zwangsgedanken. Es kann auch sein, dass sich die Zwangshandlungen im Laufe der Zeit derart automatisiert haben, dass der ursprünglich auslösende Gedanke gar nicht mehr bewusst ist. Merke Wenn wir im Folgenden von Zwangsgedanken sprechen, dann meinen wir jeden aufdringlichen, ungewollten Gedanken oder Impuls, der eine Zwangshandlung auslöst. Als Zwangshandlungen bezeichnen wir jene willkürlichen, ritualisierten Handlungen, die der kurzfristigen Erleichterung von der erlebten Beunruhigung durch auslösende Zwangsgedanken dienen – egal, ob diese Handlung in Gedanken stattfindet oder sich durch tatsächliches Verhalten äußert. Zwangshandlungen werden daher auch als „neutralisierende Handlungen“ bezeichnet. 2.1 Arten von Zwangsgedanken
Zwangsgedanken widersprechen zumeist eigenen moralischen Vorstellungen, Werten und der Persönlichkeit des Betroffenen. Die Tatsache, dass jemand einen aggressiven oder sexuellen Gedanken hat und diesen als bedrohlich erlebt, heißt also, dass er oder sie diesen auf keinen Fall ausführen möchte und es deswegen auch nicht tun wird! (Weitere Merkmale von Zwangsgedanken werden ausführlicher in Kapitel 5 dargestellt.) Im Folgenden werden die häufigsten Arten von Zwangsgedanken aufgelistet (sortiert nach Häufigkeit, beginnend mit den häufigsten). Merke Als bedrohlich erlebte Zwangsgedanken werden erfahrungsgemäß nie ausgeführt. Es besteht keine reale Gefahr! Aufgrund dieser Gedanken werden Sie weder straffällig noch sexuell übergriffig oder verrückt! |20|Kontamination. Bei Zwangsgedanken im Bereich der Kontamination drehen sich die Befürchtungen oder Vorstellungen darum, durch den Kontakt mit einer als gefährlich wahrgenommenen Substanz kontaminiert oder infiziert zu werden. Dabei kann es sich um Schmutz, Keime, Bakterien, Viren (häufig HIV), Parasiten (z.?B. ein Fuchsbandwurm), Blut, Urin, Kot oder auch Gift, Asbest oder (radioaktive) Strahlung handeln. Auch befürchten einige Betroffene eine Kontamination durch Berührung von Objekten, welche eine andere Person zuvor berührt hat. Diese Befürchtungen können sich sowohl auf die eigene Person beziehen als auch darauf, eine Verschmutzung oder Erkrankung an andere Menschen oder (Haus-)Tiere weiterzugeben. Menschen, die unter einer Kontaminationsangst leiden, haben häufig ein sehr sensibles „Radar“ für mögliche Bedrohungen und ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten. Viele Betroffene versuchen, Türklinken, Knöpfe, Geländer, Tasten oder Haltegriffe möglichst nicht oder nur mit dem Ellenbogen oder Handschuhen zu berühren. Das Verzichten auf Händeschütteln ist durch die Corona-Pandemie zum neuen Normverhalten geworden. Früher waren es insbesondere Patientinnen und Patienten mit einer Zwangsstörung, die Händeschütteln vermieden haben. In schweren Fällen ist die Angst vor Kontamination so ausgeprägt, dass die eigenen vier Wände gar nicht mehr verlassen werden. Oft stehen nicht allein Befürchtungen vor einer Erkrankung bzw. einer Infektion im Vordergrund. Stattdessen leiden sie unter einem quälenden Ekel und einem Gefühl der Beschmutzung oder „mentalen Kontamination“. Solche Fälle können vor dem Hintergrund eines Traumas entstehen oder sie sind die Folge von zwischenmenschlichen Problemen, negativen sozialen Erfahrungen wie Mobbing oder schwierigen Erfahrungen mit bestimmten Personengruppen. Ein typischer Zwangsgedanke könnte dann zum Beispiel sein: „Diese Person (oder eine Eigenschaft an ihr) ekelt mich an. Ich halte das nicht aus!“ Wenn sich die Zwangsgedanken vor allem um den Bereich Kontamination drehen, dann ist die neutralisierende Zwangshandlung meistens Waschen oder Putzen, manchmal zusätzlich auch die (optische) Kontrolle des eigenen Körpers und wichtiger Gegenstände. Aggression.Aggressive Zwangsgedanken betreffen vor allem Befürchtungen, anderen oder sich selbst durch körperliche oder psychische Gewalt schaden zu können oder von anderen geschädigt zu werden (bzw. in der |21|Vergangenheit etwas Derartiges getan zu haben). Typische Beispiele sind Befürchtungen wie: „Ich könnte den Radfahrer mit dem Auto überfahren haben“, „Ich könnte diese Person beim Vorbeigehen vor den einfahrenden Zug schubsen“ oder „Ich könnte meine Freundin mit dem Küchenmesser erstechen“. Fallbeispiel: Tobias (aggressive Zwangsgedanken) Tobias ist 43 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Kinder im Grundschulalter und arbeitet als Koch in der Kantine eines großen Unternehmens. Er leidet seit seinem achten Lebensjahr unter Zwängen. Damals befürchtete er vor allem, dass anderen Menschen etwas Schlimmes zustoßen und er nicht helfen könnte. Seit einer Krebserkrankung und dem Tod seiner Mutter vor vier Jahren haben sich die Zwänge deutlich verstärkt. Aktuell quält ihn vor allem der Zwangsgedanke, dass er die eigenen oder benachbarten Kinder verletzen oder gar töten könnte. Tobias versucht, alle ihm in diesem Zusammenhang gefährlich erscheinenden Situationen zu vermeiden. Außerdem versichert er sich so oft wie möglich bei seiner Frau, dass er nichts Gefährliches getan hat. Wenn dies nicht möglich ist, kontrolliert er seine Handlungen so lange, bis er sich hinreichend sicher fühlt. Beispielsweise geht Tobias immer häufiger in den Fahrradschuppen der Wohnanlage, um zu überprüfen, ob er eine Schraube bei einem Kindersitz gelöst hat. Zusätzlich versucht er, die unangenehmen Gefühle...