Knobel-Ulrich | Reich durch Hartz IV | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Knobel-Ulrich Reich durch Hartz IV

Wie Abzocker und Profiteure den Staat plündern
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-86414-352-6
Verlag: REDLINE
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Wie Abzocker und Profiteure den Staat plündern

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

ISBN: 978-3-86414-352-6
Verlag: REDLINE
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Millionen-Geschäfte mit Hartz-IV. Dass manche Hartz-IV-Bezieher versuchen, mehr Geld abzugreifen, als ihnen zusteht, ist bekannt. Dass aber auch Fortbildungsinstitute, Anwälte oder private Arbeitsvermittler mehr als gut von Hartz IV profitieren, wissen nur wenige. Um unser Sozialsystem ist eine ganze Industrie entstanden, die sich jährlich Millionen von den Steuergeldern abzweigt - das Geschäft mit der Armut ist zum boomenden Wirtschaftszweig geworden. Die Filmemacherin und Autorin Rita Knobel-Ulrich taucht tief ein in den Dschungel der beteiligten Firmen und Institute. Für die Recherche hat sie Monate bei Hartz-IV-Beziehern, in Arbeitsagenturen, Bildungseinrichtungen, Tafeln, Firmen, bei privaten Arbeitsvermittlern und Anwälten verbracht und den gezielten Missbrauch unseres Sozialsystems miterlebt. Herausgekommen ist ein Buch, das eindrucksvoll zeigt, warum bei den wirklich Bedürftigen immer weniger ankommt.

DR. RITA KNOBEL¬-ULRICH arbeitet als Autorin und Filmemacherin für ARD, ZDF und die Deutsche Welle im In- und Ausland. In ihren Reportagen setzt sie sich mit gesellschaftlich relevanten Themen auseinander. Im Jahr 2005 erregte ihr Film Arbeit? Nein danke! über Hartz-IV-Bezieher großes Aufsehen. In ihrem neuen Film Die Hartz-IV-Maschine, der 2011 in der ARD ausgestrahlt wurde, wirft sie einen kritischen Blick auf die Institutionen, die sich um die Versorgung der Langzeitarbeitslosen kümmern.
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Anstelle einer Einleitung


Als Jugendliche hörte ich die Antrittsrede des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy. Vor allem eine Aussage elektrisierte mich. »Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst!«, waren die berühmten Worte, die er seinen Landsleuten 1961 zurief. Diese Aufforderung wurde damals auch bei uns in Deutschland regelmäßig wiederholt. Sie passte in die Zeit des Aufbruchs nach dem katastrophalen Zweiten Weltkrieg. Alle versuchten rund um die Uhr, wieder auf die Beine zu kommen, etwas aufzubauen. Die vielen Kriegswitwen hängten ihren Kindern einen Schlüssel um und gingen arbeiten. Es gab noch nicht die Heerschar Kümmerer und Sozialpädagogen von heute, die voraussagte, dass aus Kindern nie etwas wird, wenn sie nicht von der Mutter, im Hort oder im Kindergarten ständig betreut würden.

Viele Mütter meiner Schulfreunde schlugen sich mit Putzen durch, und wenn ich sagte: »Gehen Sie doch zum Sozialamt, da hilft man Ihnen. Sie haben doch einen Anspruch auf Hilfe!«, entgegneten sie stets: »Ich gehe niemals zum Amt. Das schaffe ich allein!« Man wollte nicht, dass der Staat sich ständig in alles einmischte, sich um alles kümmerte, sich für die Befriedigung aller Bedürfnisse und Lösung aller Schwierigkeiten verantwortlich zeigte. Irgendwann in den Siebzigerjahren schlug diese Haltung um. Auf einmal sagten alle: »Ja, da habe ich einen Anspruch drauf!«, »Das steht mir schließlich zu«, »Da nehm’ ich doch, was ich kriegen kann!« Auch eine Variante: »Ich hol’ mir nur zurück, was der Staat mir nimmt!«

Von der neuen Haltung erzählt dieses Buch. Es ist entstanden aus Eindrücken der letzten zehn Jahre, als ich zusammen mit einem Team aus Kameramann und Toningenieur Dokumentarfilme machte. Beispielsweise ging es um die verzweifelte Suche eines Bauern, der 3500 Erntehelfer auf seinen Salat- und Kohlfeldern beschäftigt, darunter trotz drei Millionen Arbeitsloser nicht ein einziger Deutscher. Ich berichtete über die Hartz-IV-Reformen, und als wir unser Stativ im Jobcenter aufbauten, stellte ich verblüfft fest, dass es ein Mythos ist, alle Arbeitslosen suchten verzweifelt und dringend einen Job. Vielmehr hat sich eine nicht unbedeutende Anzahl von Arbeitslosen – natürlich nicht alle – mit Hartz IV gut eingerichtet. Ich vernahm den Alarmruf: »Armut in Deutschland«, las und hörte von Jugendlichen, die angeblich Hunger litten, begleitet von dem empörten Aufschrei »und das mitten im reichen Deutschland«. Ich fuhr zusammen mit dem Kamerateam zu Suppenküchen und fand viele Kinder vor, deren Eltern nicht arm, aber überfordert waren. Wir besuchten Jugendliche, die nie einen Schulabschluss gemacht, aber die Verantwortung für sich selbst schon lange abgegeben hatten. Und wir entdeckten eine florierende Hartz-IV-Maschinerie, die nicht nur Arbeitslose am Laufen hält, sondern auch die »Fürsorgekonzerne« quer durch die Republik. Denn das Heer der Kümmerer und Anbieter von Maßnahmen, jene Fürsorgekonzerne und die »Arbeitslosenindustrie« können ja nur so lange existieren, wie ihre Klientel bedürftig ist – und es vor allem bleibt. Also werden unsinnige Bildungsmaßnahmen für Arbeitslose angeboten, die nichts bringen, schon gar keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, die aber aus Steuergeldern gut bezahlt werden.

Auch Firmen und Konzerne haben entdeckt, dass die Hartz-IV-Industrie für sie lukrativ ist. Sie bilden Arbeitnehmer nicht mehr im eigenen Betrieb aus, sondern lassen sich die Ausbildung ihrer Arbeitskräfte vom Staat finanzieren. Auch hier lautet das »Argument«: »Darauf haben wir doch einen Anspruch, das können wir doch mitnehmen, wenn der Staat es sowieso bezahlt oder bezuschusst.« Es gibt Unternehmen, die an ihrer Wohltätigkeit sogar verdienen, und manche von ihnen kassieren wiederum Kopfprämien für die Vermittlung von Arbeitslosen, die ein halbes Jahr später erneut auf der Matte stehen, damit das Spiel wieder von vorne losgehen kann. Davon später mehr.

Haltungen wie diese sind gefährlich, weil sie in naher Zukunft dazu führen werden, dass der Staat den Karren an die Wand fährt. Wir sind zu Recht stolz auf unser leistungsfähiges Sozial- und Gesundheitssystem. Es garantiert, dass niemand sterben muss, weil Krankenhäuser sich weigern, einen Menschen aufzunehmen, der die Kosten nicht tragen kann. Niemand muss obdachlos auf der Straße sitzen, wenn er das nicht will. Für jeden wird gesorgt mit einer Grundsicherung, die Nahrung, ein Dach über dem Kopf, etwas zum Anziehen und kostenlose Schulbildung für Kinder garantiert.

Doch über diese Grundsicherung hinaus bestehen weitere Begehrlichkeiten: Da ist der Ruf nach »sozialer Teilhabe«, unter der der eine Theater- und Kinobesuche versteht, der andere einen gelegentlichen Restaurantbesuch oder die Möglichkeit, Geburtstagsgeschenke zu machen. Die Diskussion kulminiert in der Regel in der Behauptung, wer das alles nicht könne, sei »ausgegrenzt«; der Staat, die Gesellschaft nähme diesen Menschen so die Würde, die nur durch höhere Zuwendungen wiederhergestellt werden könne. Durch Diskussionen in Talkshows entsteht auch oft der Eindruck, der Wohlfahrtsstaat schraube seine Leistungen zurück. Es ist dann die Rede von zunehmender Armut, einer angeblich tief klaffenden Gerechtigkeitslücke. Auch sehr beliebt ist das Bild von der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen »Arm und Reich«.

Dabei gibt der Staat jährlich rund 160 Milliarden Euro für Sozialleistungen aus. Das ist mehr als die Hälfte des gesamten Bundeshaushalts. Und die Reichen werden längst zur Kasse gebeten: Die zehn Prozent der Steuerzahler mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von mehr als 63 478 Euro tragen laut Statistischem Bundesamt rund 60 Prozent (58,1 Prozent) des Lohn- und Einkommensteueraufkommens. Auf 50 Prozent der steuerpflichtigen Bevölkerung gehen gerade mal rund vier Prozent (3,6 Prozent) des Steueraufkommens zurück.

Gabor Steingart, bis 2012 Chefredakteur des Handelsblatts und seit dem 1. Januar 2013 Herausgeber und Mitglied der Geschäftsführung der Verlagsgruppe Handelsblatt, unterstreicht dies eindrucksvoll in seinem Buch Das Ende der Normalität: »Wahr ist, der Wohlfahrtsstaat verdreifachte seine Ausgaben allein in den vergangenen 25 Jahren … Deutschland wird also immer sozialer. Die Steuer hat man den Armen nahezu komplett erlassen, das Arbeiten zum Teil auch. Jeder zweite Deutsche geht keinerlei Beschäftigung nach, sei es, dass er zu jung oder zu alt oder zu krank ist. Oder sich auch nur so fühlt … 80 Prozent der Einnahmen aus der Lohn- und Einkommensteuer stammen vom ›oberen Drittel‹ der Steuerbürger. Es handelt sich um jene Menschen, die man vorwurfsvoll die ›Besserverdiener‹ nennt. Die Wahrheit verhält sich also umgekehrt proportional zur Wahrnehmung: Täglich findet in Deutschland eine Umverteilung von oben nach unten statt. Die Kundschaft des deutschen Sozialstaats erfährt eine Fürsorglichkeit, wie wir sie sonst nur bei den Großfamilien der Urvölker antreffen, wo einer den anderen füttert.«

In Diskussionen wird gerne die These beschworen, der soziale Frieden stehe auf dem Spiel, sollte nicht umgehend der Hartz-IV-Satz erhöht und Menschen mehr »soziale Teilhabe« gewährt werden. Aber was genau ist soziale Teilhabe? In den meisten Theatern und Opernhäusern sind verbilligte Karten für Schüler, Studenten und Arbeitslose zu haben. Das gilt auch für städtische Schwimmbäder, in die der Eintritt oder für Bibliotheken, wo die Ausleihe von Büchern ermäßigt ist. Und was ist mit dem Cappuccino im Café, dem Geschenk für die Freundin oder dem Urlaub? Hartz IV bedeutet jedoch Grundsicherung und kann nicht heißen: Es gibt ein Rundum-sorglos-Paket. Denn das wäre ungerecht denen gegenüber, die jeden Tag zur Arbeit zuckeln und die »Grundsicherung« für andere mit ihren Beiträgen erarbeiten.

»Soziale Gerechtigkeit« lautet der Schlachtruf nicht nur der Linken, sondern auch der etablierten bürgerlichen Parteien. Und das bedeutet stets: die Forderung nach weiterer Umverteilung, ein ständiges Drehen an der Steuerschraube zugunsten der angeblich Zurückgebliebenen und Zukurzgekommenen. Menschen in Deutschland müssen für ihr Leben keine Verantwortung mehr übernehmen, sich nicht klar machen, dass es schwierig wird mit einer Lehrstelle, wenn sie die Schule ohne Abschluss verlassen. Und dass es wenig Aussicht auf einen Arbeitsplatz gibt, falls sie keinen Beruf erlernen. Oder dass eine Schwangerschaft ohne Partner eine schwere Belastung ist, ebenso wie es schwer werden könnte, zwei Haushalte zu finanzieren, wenn man sich scheiden lässt. Bei Problemen im Leben findet sich stets staatliche Unterstützung: ein Familienhelfer, Sozialpädagoge oder Jobmanager, der für die Erfüllung aller Bedürfnisse die Verantwortung übernimmt und auch gleich eine Entschuldigung dafür liefert, warum es bisher nicht klappen konnte mit dem Schulabschluss oder einer Berufsausbildung. Die schwere Kindheit, der verständnislose Lehrer, die kleine Wohnung, die bildungsferne Umgebung usw., usw.

Jeder zweite Langzeitarbeitslose hat keine Berufsausbildung. Und diese werden nicht mit Nachdruck ermuntert oder gar aufgefordert, einen Schulabschluss oder eine Ausbildung zu machen, weil sonst die Unterstützung gestrichen würde. Stattdessen wird eine breite Diskussion über bedingungsloses Grundeinkommen und Grundsicherung geführt. Davon völlig abgekoppelt wird die Frage, wer die erforderlichen Mittel eigentlich erarbeiten soll. Wenn dann aber doch mal danach gefragt wird, lautet die wohlfeile Antwort in der Regel: »Einkommensmillionäre und Wohlhabende müssen eben mehr abgeben.« Dabei...


DR. RITA KNOBEL¬-ULRICH arbeitet als Autorin und Filmemacherin für ARD, ZDF und die Deutsche Welle im In- und Ausland. In ihren Reportagen setzt sie sich mit gesellschaftlich relevanten Themen auseinander. Im Jahr 2005 erregte ihr Film Arbeit? Nein danke! über Hartz-IV-Bezieher großes Aufsehen. In ihrem neuen Film Die Hartz-IV-Maschine, der 2011 in der ARD ausgestrahlt wurde, wirft sie einen kritischen Blick auf die Institutionen, die sich um die Versorgung der Langzeitarbeitslosen kümmern.



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