Knauss | Die 11 Erzählkonzepte | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 316 Seiten

Knauss Die 11 Erzählkonzepte

Narration von Filmen entwickeln und verstehen
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8463-5449-0
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Narration von Filmen entwickeln und verstehen

E-Book, Deutsch, 316 Seiten

ISBN: 978-3-8463-5449-0
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Anwendungsbuch über die Verbindung von individueller Kreativität mit dem Handwerk des Storytelling und wie daraus funktionierende Narration für Filme werden kann. Die 11 Erzählkonzepte sind neben Genre und Masterplot ein neuartiges System zur Kategorisierung von Filmen. Dazu wird die einer jeden filmischen Erzählung innewohnende narrative Substanz betrachtet. Damit individuelle Kreativität zu Ideen und Geschichten führen kann, braucht man in jeder Phase der Stoffentwicklung neben dem Handwerk des Storytelling die Fähigkeit zur Analyse, Abgrenzung und Erkenntnis und den Mut zum fundierten Werturteil. Dieses Lehr- und Anwendungsbuch richtet sich an alle Filmstudierenden, alle Profis, die in der Filmbranche inhaltlich arbeiten, und an alle Filminteressierten, die schon immer wissen wollten, warum es gute und schlechte Filme gibt.

Philipp Knauss ist Dozent, Drehbuchautor und Produzent von Kino-, Fernseh- und Dokumentarfilmen.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Einführung
Alle wollen: Die Zukunft
Auf der Blümchenwiese
Was, Wie, Wann
Das Erzählkonzept
Blaue oder rote Pille?
Eine neue Systematik
Begriffe. Was ist ein Erzählkonzept?
Erzählen
Konzept
Erzähltheorie
Erzähltechnik
Von Magie und erzählerischer Substanz
Plot und Motiv
Erzählerische Substanz und die Endlichkeit der Dinge
Genre und Genrefilm
Von Zutaten für Wurst und Themen für Filme
11 Erzählkonzepte
1. Die Gewusst-Wie-Geschichte: Das schafft der nie! – Doch
2. Die Plausibilisierung: Was zur Hölle ist hier los? – Aha
3. Die Liebesgeschichte: Zwei Menschen. – Ach
4. Die Hermetische Welt: Ich muss hier raus! – Nein
5. Worldbuilding: Wir machen eine Reise in ein fernes Land. – Au ja
6. Whodunit: Da wäre ich nie drauf gekommen! – Ich schon
7. Die Was-Wäre-Wenn-Prämisse: Stell dir vor… – Ok, mache ich
8. Der Historische Film: Es war einmal… – Das interessiert mich
9. Die Exploitative Geschichte: Ich will es sehen! – Ok, ich zeige es dir
10. Filme mit übergeordnetem Zweck: Kann man machen. – Oder lassen
11. Synthetische Narration: Los hier ist Hölle zur was? – Oh
Zum Schluss
Literatur


1. Die Gewusst-Wie-Geschichte


Das schafft der nie! – Doch.


„Man muss nicht nur mehr Ideen haben als andere, sondern auch die Fähigkeit, zu entscheiden, welche dieser Ideen gut sind.“

Linus Pauling

Bei einer läuft die Narration auf eine oder mehrere Situationen hinaus, in denen Protagonisten Probleme lösen müssen. Dabei geht es konkret oder im übertragenen Sinn um TECHNISCHE Probleme. In der Narration ist ein TECHNISCHES PROBLEM das Gegenstück zu einem SOZIALEN oder einem MORALISCHEN Problem.

Ein WIE.

Das zentrale Problem löst sich nicht alleine durch eine mutige Entscheidung und eine damit verbundene Charakterentwicklung, sondern durch das KÖNNEN, durch eine KOMPETENZ.

Planung und Vorbereitung oder Training können dabei ein wesentlicher Teil der Handlung sein.

Das Erzählkonzept der ist sehr wirkmächtig und weit verbreitet. Unter den imdb-Top-250 Filmen finden sich mindestens 30, die in erster Instanz nach diesem Konzept funktionieren. Und die TV-Kanäle sind mit -Serien und -Reihen gut gefüllt.

Der erste Held des ist Herkules. Für die zwölf Aufgaben, die er bewältigen muss, um Buße zu tun für seinen im Wahn begangenen Mord an der eigenen Frau und den eigenen Kindern, braucht er mehr als seine Super-Körper-Kraft und Ausdauer. Er muss „wissen“, „Wie“ er die Herausforderungen jeweils schafft, also eine Idee entwickeln und diese in die Tat umsetzen. Auch Odysseus ist von Troja zurück nach Ithaka meist nicht im Kampf- sondern im -Modus unterwegs. Nicht umsonst gilt er als „der listige Odysseus“.

Herkules und Odysseus, zwei sehr Führungspersönlichkeiten, denen wir bei der täglichen Arbeit zusehen.

Im Weltall: Der Marsianer, Apollo 13 und Gravity

Der Inbegriff der modernen, guten und erfolgreichen ist DER MARSIANER – RETTET MARK WATNEY von Ridley Scott aus dem Jahre 2015.

Ein von Matt Damon gespielter Astronaut ist durch eine unglückliche Verkettung von Umständen alleine und verletzt zurückgelassen worden auf einem lebensfeindlichen Planeten, dem Mars. Er hat zum kurzfristigen Überleben zwar eine Menge technisches Zeug dabei, aber vor allem hat er seinen Verstand und eine ausgesprochen gute Psyche. Sonst wäre es eine kurze und traurige Geschichte geworden. Ich mag durchaus kurze und auch traurige Geschichten. DER MARSIANER aber ist das Gegenteil. Und er könnte nach meinem Geschmack noch eine Runde länger sein. Ich kann nicht genug davon kriegen, wie dieser Typ sich mit allem, was er – verletzt, hungrig und mutterseelenalleine – aufzubieten hat, den Problemen, die ihn erdrücken und buchstäblich umbringen wollen, entgegenstellt.

Am Ende, wenn er gerettet ist und wieder auf der Erde vor Studenten steht und über seine Erfahrungen berichtet, spricht er es offen aus: „Sie lösen ein Problem und dann lösen Sie das nächste und dann das nächste und immer so fort.“ So einfach ist es. So einfach ist es eigentlich auch, eine zu machen. Eigentlich.

Ist DER MARSIANER ein Science Fiction-Film? Er landet auf jeden Fall in dieser Schublade, wenn es um den Vertrieb geht. Da haben Menschen Raumanzüge an und fliegen durchs Weltall, Technik allerorten, auch Technik, die es so noch nicht gibt. Aber nichts mutet wie Zauberei an. Das ist alles denkbar mit dem heutigen Stand in den Naturwissenschaften. Es wurde nur ein bisschen extrapoliert. Schließlich wollen wir wirklich auf den Mars fliegen in absehbarer Zeit. Es zweifelt also niemand daran, dass wir es können irgendwann. Das Empfinden von uns Filmeguckern, die wir keine Raketentechnik oder Astrophysik studiert haben, ist eher ein wohlwollendes: Wir könnten das bereits heute, wenn wir mehr Geld bereitgestellt hätten. Wenn uns die alltäglichen Troubles wie Krebs, Klima, Terrorismus und Pandemien nicht so viel Zeit und Mühen kosten würden, wir wären längst da oben auf dem Mars.

In diesem Sinne ist DER MARSIANER also gar kein Science Fiction-Film, keine Technikspekulation. Er bedient sich eines Szenarios, das wir bereits visuell und erzählerisch kennen durch eine Reihe von viel schlechteren Filmen mit sehr ähnlichem Setting von der Eroberung des Mars wie RED PLANET (Regie: Antony Hoffman, 2000) und MISSION TO MARS (Regie: Brian De Palma, 2000). Beides übrigens eindeutig Science Fiction. Der Marsianer kann also schnell in die Vollen gehen und sein ungeheuer klares und reichhaltiges Überlebens- und Rettungstableau aufklappen und abfeiern. Kein erster Akt mit Planen, Abfliegen, Ankommen, Aufbauen. Keine Routine. Danke an Ridley Scott, Danke vor allem an Drew Goddard, den Autor des Drehbuchs.

DER MARSIANER ist der bessere, schnellere, intelligentere, witzigere, und – weil er nicht historisch ist – auch moralisch-emotional völlig unbefangene APOLLO 13. Der Regisseur von APOLLO 13, Ron Howard, hat damals im Jahre 1995 alles richtig gemacht. Der Film war zu seiner Zeit das Beste, was das für eine Weltallrettungsmission hergab. Und ebenso keine Science Fiction, sondern ein , trotz Raumschiff!

Auch APOLLO 13 folgt der Spur: Sie lösen ein Problem, und dann das nächste, und dann das nächste, und immer so fort. DER MARSIANER ist dabei aber nicht nur aberwitziger, als es APOLLO 13 jemals sein konnte, sondern bietet über die technische Problembewältigung hinaus noch zwei weitere Szenarios. Da ist zuerst ein maximaler moralischer Konflikt innerhalb der Crew des Raumschiffes, das auf dem langen Weg zurück zur Erde ist. Zum Zweiten gibt es einen geschickt gebauten sozialen Konflikt auf der Erde innerhalb der Nasa.

Denn moralische und soziale Konflikte gab es nicht für Mark Watney auf dem Mars. Er ist alleine und alles ist uns Zuschauern und ihm in der Wahl der Mittel recht. Alles. Wenn er unter seinem Hintern eine Atombombe hätte zünden müssen, um wieder zur Erde zu kommen, und damit alles, was er auf dem Mars zurücklässt, auf ewig strahlenverseucht wäre: Go for it! hätten wir gesagt, und mit uns alle Figuren der Geschichte. Daher finden wir die Idee auch so toll, das Problem der Kälte in seinem Rover mit vor sich hin strahlendem Atommüll zu lösen. Atommüll rettet Menschenleben! Verrückt.

Das Raumschiff, das Mark Watney aus Versehen zurückgelassen hatte, ist also auf dem Weg zur Erde. Dort arbeitet die gesamte Nasa unter großer Anteilnahme der Weltöffentlichkeit an der Rettung ihres verschollenen Astronauten. Nun muss aber die Besatzung dieses Raumschiffes ein gefährliches Manöver fliegen, um zurück zum Mars zu gelangen und damit selber zur Rettungsarche für Mark Watney zu werden. Wie dieser Plan auf der Erde entwickelt wird und gegen verschiedenste innere und äußere Widerstände in die Tat umgesetzt wird, ohne dass Mark Watney davon viel mitbekommt, geschweige denn es beeinflussen kann, ist in der Zurschaustellung reiner Intelligenz der handelnden Figuren und damit ihrer filmischen Schöpfer großes Entertainment.

Da liegt auch die Krux des Erzählkonzepts. Sie müssen als Autor so intelligent sein, wie die Figuren, deren Intelligenz sie zur Schau stellen wollen. Bei einem Film, der qua Figurensetting bereits die naturwissenschaftliche Geisteselite der gesamten Menschheit bespielt, ist das verdammt schwer. Andy Weir, der Autor der Romanvorlage von DER MARSIANER, scheint diese Voraussetzung zu erfüllen.

Doch auch jedes andere Überlebensdrama folgt dem . Das ebenso gute und filmisch sogar Maßstäbe setzende Weltraumüberlebensdrama GRAVITY von Alfonso Cuarron aus dem Jahre 2013 hält zwar eine erzählerische Frage parat, die streng genommen nicht verhandelt wird im . Nämlich ob hier überlebt wird beziehungsweise wer hier überlebt. Sie? Er? Beide? Es ist bei näherer Betrachtung und unter dramaturgischen Gesichtspunkten aber ziemlich klar und naheliegend, dass sicher einer der beiden Protagonisten sich für den anderen wird opfern müssen. Und da es sich hier nicht um ein Feel-Good-Movie handelt, sondern um einen nervenaufreibenden und den Zuschauer psychisch und sogar physisch belastenden, ernsten Film, ist auch klar, wer von den beiden Kandidaten die Hauptfigur sein muss. Sie ist im Gegensatz zu ihm weniger cool, weniger erfahren, sogar traumatisiert, eine Frau und ganz entscheidend: sie ist etwas jünger als er. Frauen und Kinder zuerst!

Ich will damit nicht kategorisch ausschließen, dass man die Story auch so hätte erzählen können, dass sich die Sandra-Bullock-Figur als Hauptfigur irgendwann für ihren von George Clooney gespielten Kollegen opfert. Aber es wäre ein erzählerisches Wagnis gewesen, ein Gegen-den-Strich-Bürsten, das hier schlicht unnötig ist. Es geht um etwas Anderes in der Geschichte:

Es geht in GRAVITY darum, dass sich die beiden Figuren erst gemeinsam, dann sie alleine, mit technischem Wissen und Ideenreichtum und dem Mut der Verzweiflung an die Lösung von Problemen machen.

Improvisation ist Planung unter Druck. Meist ist es Zeitdruck, der unsere Helden unter Zugzwang setzt und uns Zuschauern dabei solches Vergnügen bereitet, wenn wir diesen Improvisationskünstlern bei der Arbeit zuschauen.

Diese Geschichten können so sperrig und konzeptionell konsequent...


Knauss, Philipp
Philipp Knauss ist Dozent, Drehbuchautor und Produzent von Kino-, Fernseh- und Dokumentarfilmen.



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