Knappe | Eigentlich | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

Knappe Eigentlich

Roman
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-95894-234-9
Verlag: Omnino Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

ISBN: 978-3-95894-234-9
Verlag: Omnino Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Wenn man nur noch Essen und Nieselwetter tröstlich findet – ist das dann Midlife-Crisis? Oder müsste man einfach mal raus aus der Kleinstadt, dem Job, dem gewohnten Einerlei? Als wenn die eigene Krise nicht schon lästig genug wäre, kommt auch noch die Weltkrise dazu: mit Benzinpreis-Schock und Hamsterkäufen. Was ist bloß los mit der Menschheit? Und was mit Ina Boerns?
Seit zwölf Jahren ist sie beim Steininger Tageblatt, dem Zentralorgan der Altmark, die in ganz Deutschland kein Mensch kennt. Bisher hat die Arbeit sie immer ausgefüllt. Aber der neue Chef und die Primel zum Frauentag machen ihr klar: So kann es nicht weitergehen! Wenn da nicht das urig-skurrile Panoptikum der Kleinstadt-Bewohner wäre: der kauzige Nörgel-Nolte, die traumdeutende Redaktionsassistentin, die allwissende Stadtarchiv-Leiterin und der dichtende Designer. Außerdem muss sie sich noch um Bank-Skandal, Ausgrabungen und Rosenvandalismus kümmern. Doch in ihr drinnen braut sich längst was zusammen …

Mit pointiertem Zynismus, gewitzten Dialogen und hier und da aufflackernden magischen Momenten schickt die Autorin ihre Protagonistin auf eine herausfordernde Gratwanderung zwischen Resignation und Rebellion. Nora Knappe schafft ihr eigenes Genre des „Befremdeten Realismus“.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Ein grauer Januartag
Auf der Museumsbaustelle
Bei Gelegenheiten wie diesen war Ina Boerns geneigt, ihren Beruf zu verfluchen. Wie konnte man denn mitten im hässlichsten, trübsten Winter einen Draußentermin mit allem offiziellen Brimborium ansetzen? Das hätte man mit ein bisschen Bautrödelei doch gut ins Frühjahr geschoben bekommen. Und jetzt: Alle fröstelten, allen war klamm, alle wollten möglichst schnell wieder nach drinnen. Aber nun standen sie hier wie eine handlungsunfähige Herde Schafe, die man nicht in den warmen, behaglichen Stall ließ. Und glotzten alle in dieselbe Richtung, als ob da gleich ein Weltwunder geschehen würde. Ina verkroch sich, so gut es ging, in sich selbst, wovon ihr allerdings auch nicht wärmer wurde. An den Füßen fing es immer an. Gegen kalte Füße war man machtlos, da half die beste Wandersocke nicht. Aber wer wollte es der Socke auch verübeln, es war ja eine Wandersocke und keine Draußenrumstehsocke. Endlich begann die Zeremonie, wegen der sie alle hier waren. Interessant war das nicht, aber ja, die Chronistenpflicht … ?wie dieses Wort schon klang: so müde und willenlos. Und irgendwie alt. Wie ging dieser Spruch noch mal? Nichts ist so alt wie die Zeitung von morgen … ?Oder nee, so alt wie die Zeitung von gestern? Ina kam nicht drauf. Sah aber aufmerksam-gelangweilt zu, wie jetzt die Zeitung von heute, das Steininger Tageblatt, in eine kupferglänzende Metallröhre gesteckt wurde. Der Typ von der anderen Zeitung sprang schon aufgeregt drum herum, links, rechts, vorn schräg unten, und machte Bilder. Ina nicht. Ein Foto davon brauchte sie nicht. Sollte sie nicht. So was ging jetzt nicht mehr. Der Chef wollte es gern dynamisch, originell. Grundsteinlegung dynamisch, Ina hatte verächtlich geschnaubt und in sich hineingegrummelt. Wieder so eine neue Linie, mal sehen, wie lange das durchgezogen wurde. Mit den Spendenübergaben hatte es angefangen. Machen wir nicht mehr, hatte es geheißen. Das Resultat war: Das Tageblatt ging nicht mehr hin, also schickten die Leute selber ein Foto, von – der Spendenübergabe. Das wurde dann unter der Rubrik „Leserpost“ versteckt. „… ?freuen wir uns umso mehr, nach langen, aber fruchtbaren Diskussionen …“ Die vernuschelte Rede des Stadtbauleiters war immer noch nicht zu Ende, es begann zu nieseln. Das kleinkarierte Papier in Inas Notizbuch fing einige der Tropfen auf, an den Aufprallstellen begann es sich zu wellen. Sie klappte das Büchlein zu, es gab noch nichts mitzuschreiben … ?Die Hülse lag jetzt im offenen Grundsteingeviert und wurde nass. Wie oft war die Zeitung auf diese Weise schon beerdigt worden, dachte Ina, totgesagt wurde sie ja ohnehin längst, aber immer wieder diese offiziellen Beerdigungszeremonien, das war schon makaber. Heute durfte sie also Augenzeugin sein, wie die Zeitung bestattet wurde. Wie würde man das eigentlich künftig machen, mit diesen Grundsteinhülsen, ein E-Paper reinlegen ging schlecht. Ein Tablet einmauern? Irgendwann würde es vermutlich einfach keine Grundsteinhülsen mehr geben, Rituale einer alten Zeit. „… ?sind wir auch zutiefst überzeugt von dem visionären Entwurf des Architekturbüros Brinkhoff & ?Clausen, der uns die künftige Gestalt dieses für Steiningen einmaligen, und ich möchte sagen: zeitgenössisch avantgardistischen Anbaus schon heute vor Augen stehen lässt …“ Ina merkte auf, das hat der doch nicht selber geschrieben … ? Wie viele Pressetermine es für den Museumsanbau wohl noch geben würde, wäre sie dann noch hier? Als Nächstes wären Richtfest und Baustellenrundgang dran, dann Erklärungen zu Bauverzögerung und Kostensteigerung, danach Fertigstellung und Einweihung mit Rede, Trara und Häppchen, bald die erste große Ausstellung mit Besuchern, dann im Jahresturnus dies und das und später käme noch die Widmung als besondere Traustätte. Und wenn einer vom Steininger Tageblatt es draufhätte, würden sie zwischendurch noch Finanzschummelei und Auftragsgemauschel aufdecken, bevor die ersten eklatanten Baumängel ans Licht kamen. „… ?übergebe ich nun das Wort an unsere Vize-Oberbürgermeisterin, Frau Blumwies, bitte schön.“ Verhaltener Applaus, einige der Anwesenden waren damit beschäftigt, erst mal ihre Schirme aufzuspannen. Ina auch. Das war jetzt echt blöd, Schirm halten, mitschreiben, und dann noch fotografieren. Früher gab es ja eigene Fotografen in den Lokalredaktionen. Dieses Früher kannte Ina noch. Da konnte man sich aufs Zuhören und Mitschreiben konzentrieren. Also ihre eigentliche Arbeit. Seit Jahren schon mussten sie nun selbst fotografieren. Bald würden sie auch Videos drehen sollen. Und demnächst während des stattfindenden Termins schon mal was posten, einen Onliner fertig machen, das Wichtigste einfach schon mal raushauen, damit wir das als Erste haben. Zum Glück hatte Ina kein Smartphone, da ging das schon mal nicht. Und Diensttelefone gab es nicht. Eine Weile würde sie hoffentlich noch drum herumkommen. Falls das noch nötig war, denn wahrscheinlich würde sie selbst in absehbarer Zeit überflüssig sein. Kulturthemen waren nicht mehr gefragt, das hatten sie ihnen schon angedeutet, interessiert keinen, hatten sie gesagt. „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Kulturinteressierte und geschätzte Bauverantwortliche …“ Oh, die Vize fing an, Ina hielt den Stift in Schreibbereitschaft, den Schirm hatte sie sich wie einen Telefonhörer links zwischen Schulter und Kinn geklemmt und stand nun etwas verbogen. Die Kamera hatte sie unter ihren Mantel geschoben, damit sie nicht nass wurde. „… ?der Kultur Raum geben, Raum zur Entfaltung, Raum in der Stadt und in der öffentlichen Wahrnehmung …“ Die Stellvertreterin des Oberbürgermeisters formulierte ihre Reden immer frei, spontan, aber mit Tiefgang und ohne ein einziges Äh. Alexa Blumwies – schöner Name, fand Ina, nur in der heutigen Zeit schon auch kurios. Machten sie im Rathaus damit Witze? „Alexa, übernimm meinen Termin!“ Oder: „Alexa, wie geht die Wahl aus?“ Und heute dann: „Alexa, leg den Grundstein!“ Das erheiterte Ina. Sie hatte nichts gegen Frau Blumwies, im Gegenteil, endlich mal eine Frau mit an der Spitze. Mit ökologischem Bewusstsein, modernem Denken und Veränderungswillen. Noch war sie nur Vize, aber wer weiß. Kulturaffin war die Blumwies auch und tat nicht nur so. Alle dachten, sie hätte was mit Herrn Friedländer von der Kulturstiftung. Das erheiterte Ina noch mehr. Der war Junggeselle aus Überzeugung, und die Blumwies, na … ?Ina war sich eigentlich sicher, sie hatte da ein Gespür für und dachte, das sieht man doch, ihre ganze Art, der Habitus, die war doch garantiert … ?War ja auch egal, aber wenn das erst mal die Runde machte, na, das gäbe ein Getratsche und Getuschel. Oder auch nicht. Bei den Steiningern konnte man nie wissen. Ina hatte die Menschen hier immer noch nicht ganz verstanden, das Etikett weltoffen klebte man sich gern mal an, aber wehe, die Welt kam dann wirklich. Wobei sie sich manchmal fragte, ob die Welt überhaupt von Steiningen wusste, von der Altmark allgemein. Für sie selbst war beides ja auch nicht-existent gewesen, bevor sie die Stelle hier bekommen hatte und nach ihrer Großstadt-Rastlosphase hergezogen war. Die Altmark: so ein unscheinbarer Landstrich, nein, mehr so ein Landfleck, ausgeblichen und ausgefranst, ein Fleck, an dem man zu doll herumgerubbelt hatte. Und nun fiel er umso mehr auf, jedenfalls bei Google Earth View. Und das war doch schon mal was. Den Tourismus-Leuten schien das zu genügen. Sie nannten es den „Charme unberührter Natur“. Na, wenn man ausgedörrtes plattes Land, in dem der Algenbewuchs auf den Entwässerungsgräben manchmal das einzige Grün weit und breit war, als Natur bezeichnen wollte. Und Steiningen? War ganz in Ordnung, Ina hatte es liebgewonnen. Eine von diesen Eigentlich-Städten. Eigentlich lebt es sich doch ganz gut hier. Eigentlich hat Steiningen doch alles, was man braucht. Eigentlich ist es doch ganz schön hier. Als ob man sich dafür schämen und rechtfertigen müsste, dass man in einer Kleinstadt lebte. Aber so hörte Ina die Leute immer mal schüchtern aufbegehren, wenn irgendwer sich wieder darüber beklagte, dass hier nichts los wäre. Manchmal hörte sie sich schon selber so reden: Eigentlich mag ich es hier. „… ?freue ich mich ganz persönlich schon sehr auf die Eröffnung der ersten Ausstellung in diesem faszinierenden und für unsere Stadt wohl wegweisend-markanten neuen Museum und hoffe sehr, dann auch unsere lokale Presse wieder hier begrüßen zu können.“ Ina fühlte sich angeguckt und lächelte höflich. Ihr Bauch gluckerte und ihr war ein wenig flau, zum Glück war bald Mittag. Da setzte das 12-Uhr-Geläut der Hedwigskirche ein. Und am Haus gegenüber, bemerkte Ina, öffnete sich im dritten Stock ein Fenster, eine Frau mit Brille war zu sehen, sie lehnte sich ein wenig heraus, stützte sich mit den Händen draußen auf den Sims und schaute...


Knappe, Nora
Nora Knappe (geb. 1978) wuchs in Wernigerode auf. Nach ihrem Sinologie-Studium in Leipzig und Nanjing/China arbeitete sie 14 Jahre lang im Lokaljournalismus. Seit 2022 ist sie freiberufliche Autorin. Sie lebt in der Altmark, wo die Liebe sie Wurzeln schlagen ließ. Zu diesem Leben gehören viel Literatur, ein Garten und vier Fahrräder.

Nora Knappe (geb. 1978) wuchs in Wernigerode auf. Nach ihrem Sinologie-Studium in Leipzig und Nanjing/China arbeitete sie 14 Jahre lang im Lokaljournalismus. Seit 2022 ist sie freiberufliche Autorin. Sie lebt in der Altmark, wo die Liebe sie Wurzeln schlagen ließ. Zu diesem Leben gehören viel Literatur, ein Garten und vier Fahrräder.



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