E-Book, Deutsch, Band 24, 367 Seiten
Klöckler Kommunale Fürsorge am Bodensee
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-381-13293-5
Verlag: UVK Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Konstanzer Jugendamt 1925 bis 2025
E-Book, Deutsch, Band 24, 367 Seiten
Reihe: Kleine Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz
ISBN: 978-3-381-13293-5
Verlag: UVK Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Stadtverwaltung Konstanz hat eine Besonderheit in ganz Baden-Württemberg aufzuweisen: Als einzige kreisabhängige Stadt verfügt sie seit genau 100 Jahren über ein eigenes Sozial- und Jugendamt. Dessen Geschichte wird hier kritisch aufgearbeitet, insbesondere auch die Zeit des Nationalsozialismus und die Jahre unter französischer Besatzung. 13 Autorinnen und Autoren liefern ein facettenreiches Bild einer städtischen Institution, ohne sich dabei einer trockenen Verwaltungssprache zu bedienen. Es werden durchaus intime Einblicke in die aktuelle Arbeit gegeben, auch zur Kindeswohlgefährdung, die aufgrund spektakulärer Fälle in den letzten Jahren verstärkt in den Medien und der Gesellschaft diskutiert wird.
Prof. Dr. Jürgen Klöckler leitet das Stadtarchiv Konstanz.
Autoren/Hrsg.
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Der Blick von außen: Interviews mit Vertretern des Städtetags, des Landratsamts Konstanz, der Arbeiterwohlfahrt und der katholischen Verrechnungsstelle
Rüdiger Singer Die nachfolgenden Fragen wurden an Benjamin Lachat, Dezernent im Dezernat III (Familie und Soziales) beim Städtetag Baden-Württemberg in Stuttgart, anlässlich des hundertjährigen Jubiläums des Jugendamtes der Stadt Konstanz gestellt. Zur Orientierung: Benjamin Lachat, geboren 1978 in Esslingen. Studium in Freiburg zum Diplom Sozialarbeiter, anschließend Masterstudiengang in Bildungsmanagement. Von 2002 bis 2013 Schulsozialarbeiter in Ehningen und Gründungs-Vorsitzender des Netzwerks Schulsozialarbeit in Baden-Württemberg. Seit 2013 beim Städtetag Baden-Württemberg, dort seit 2014 Dezernent für Familie und Soziales. © Städtetag Baden-Württemberg Singer: Guten Tag Herr Lachat. Sie sind Leiter des Dezernates III beim Städtetag Baden-Württemberg, also verantwortlich für den Bereich Familie und Soziales und somit auch für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Seit wann sind Sie in dieser Funktion? Lachat: Ich bin seit 2013 beim Städtetag und seit 2014, also seit zehn Jahren, Dezernent für Familie und Soziales, was, verglichen mit der Lebenszeit des Jugendamtes der Stadt Konstanz, sehr wenig ist – mir aber doch schon recht lange vorkommt. Singer: In Ihrer Funktion sind Sie somit städtetagseitig auch für das Stadtjugendamt Konstanz zuständig. Wie gut kennen Sie das Stadtjugendamt Konstanz? Sind wir Ihnen präsent? Lachat: Das Jugendamt der Stadt Konstanz ist mir vor allen Dingen deshalb sehr präsent, weil Sie mittlerweile das einzige Jugendamt im ganzen Land sind, das noch bei einer kreisangehörigen Stadt angesiedelt ist. Was ich persönlich ausgesprochen spannend und für das Handlungsfeld ausgesprochen wertvoll finde. Singer: Es gab bis vor Kurzem mehrere kreisangehörige Städte mit eigenem Jugendamt. Nach und nach haben diese Städte ihre Jugendämter an die Landkreise abgegeben. Somit sind wir das letzte Verbliebene. Wie bewertet der Städtetag oder Sie ganz persönlich diese Entwicklung? Lachat: Als Städtetag haben wir grundsätzlich die Auffassung, dass diejenigen, die vor Ort in den Städten und Gemeinden mit konkreten Problemen konfrontiert werden, mit konkreten Herausforderungen umgehen müssen, auch in der Lage sein sollten, konkrete Lösungen zu entwickeln. Vor Ort geht das am besten. Das heißt aber auch, dass es einen guten rechtlichen Rahmen dafür braucht, auch eine gute Finanzierung und eine strukturelle Absicherung. Da geht es um Kinder, um Jugendliche, die einen naturgemäß eingeschränkteren Radius und Handlungsrahmen haben, die voll fokussiert sind in ihrer Entwicklung auf das, was unmittelbar um sie herum passiert. Und deshalb halte ich es für wichtig, dass diese Rahmenbedingungen auch gut vor Ort gestaltet werden können und die Belange von Kindern und Jugendlichen in ihrer Gesamtheit, also ganzheitlich, angegangen werden können. Deshalb bin ich persönlich der Auffassung und hätte sogar die Erwartung, dass wir in Zukunft eher wieder mehr Jugendämter auch bei den kreisangehörigen Städten bekommen könnten, zumindest dass Aufgaben der Jugendhilfe verstärkt dort wahrgenommen werden. Schlicht deshalb, weil es den Bedarf gibt. Singer: Könnten die Städte das? Eigene Jugendämter einrichten? Lachat: Ja, können sie! Sowohl organisatorisch als auch rechtlich. Es ist Stand heute so: im § 5 Landesjugendhilfegesetz haben wir die Voraussetzung formuliert, dass der Landkreis zustimmen muss, wenn eine kreisangehörige Gemeinde einen Antrag auf Einrichtung eines eigenen Jugendamts stellt. Das ist sicherlich in der Umsetzung der Punkt, wo es am spannendsten werden dürfte, wenn sich da Städte auf den Weg machen, um selbst örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu werden, wie dann die Refinanzierung, die Aufgabenausgestaltung mit dem Landkreis verhandelt wird. Aber wenn eine kreisangehörige Gemeinde das für sich sagt: wir wollen das tun, dann können sie das beantragen. Ich habe es bis jetzt nicht erlebt, auch kenne ich keine Anträge in der Pipeline. Aber ich erwarte, dass es wieder dazu kommen wird, weil die Herausforderungen im Feld größer werden. Wir haben gleichzeitig die Situation, dass volkswirtschaftlich der finanzielle Spielraum kleiner wird. Da sind Kinder und Jugendliche und deren Familien häufig die Ersten, die von diesen Auswirkungen betroffen sind. Und somit auch die Ersten, die Hilfe brauchen. Dazu verpflichtet uns nicht nur das SGB VIII, sondern auch das Grundgesetz, dass wir Kinder, Jugendliche und Familien in besonderer Weise schützen. Dann ist die Frage: wer kann das machen? Dann landen wir bei der Kinder- und Jugendhilfe und vor Ort im Sozialraum, im Quartier. Hier Lösungen zu entwickeln, das wird echt eine enorme Herausforderung sein. Aber das wird am ehesten ganz konkret vor Ort gelingen. Deshalb bin ich mir nahezu sicher, dass es diese Tendenz in den nächsten, ich sage jetzt mal, zehn Jahren geben wird und dass ich das am Städtetag sicherlich in den nächsten Jahren noch begleiten kann. Singer: Wie schätzen Sie da die Stellung des Jugendhilfeausschusses ein? Anders als ein Kreisjugendhilfeausschuss, der für viele Kommunen, bei uns sind es im Landkreis 24 weitere Kommunen, zuständig ist, haben wir einen eigenen Jugendhilfeausschuss. Lachat: Sagen wir es mal so: Ihren Jugendhilfeausschuss kenne ich aus der Innensicht gar nicht, aber ich würde mal wie bei jedem lokalpolitischen Gremium annehmen, dass auch hier dasselbe gilt, was ich vorher sagte: Je näher die Menschen an den Themen dran sind, desto konkreter, desto praktischer oder pragmatischer werden die Diskussionen um Lösungsfindungen geführt. Dafür haben wir die Hauptorgane, also den Gemeinderat, dafür haben wir die Ausschüsse, auch den Jugendhilfeausschuss, um ganz konkret Lösungen zu entwickeln und den Rahmen für Lösungen zu setzen. Diese Zweigliedrigkeit des Jugendamts halte ich für eine sehr wertvolle, grundsätzliche Einrichtung, weil wir da unterschiedlichste Beteiligte sehr intensiv einbinden können. Dass wir die öffentliche und die freie Jugendhilfe haben, die im Gremium gemeinsam an den Dingen arbeiten, diese miteinander planen und gemeinsam Konzepte und Maßnahmenangebote entwickeln, das halte ich für ausgesprochen wertvoll. Je näher der Jugendhilfeausschuss an den Menschen dran ist, desto besser. Singer: Wo sieht der Städtetag aktuell die größten Herausforderungen für die Jugendhilfe? Lachat: Wir haben seit der Einführung des SGB VIII ein sehr wirksames, breit aufgestelltes System der Hilfe entwickelt. Nach meiner Wahrnehmung von außen ist das auch in Konstanz der Fall. Und jetzt stellen wir fest, dass der Bedarf steigt. Das hat Corona nun mal deutlich befeuert, aber auch davor war das wahrnehmbar. Also wir müssten rein quantitativ ausbauen. Das passiert auch. Aber nehmen wir den Kita-Bereich als Beispiel. Man stellt schnell fest, dass man Gebäude bauen kann, dass man Konzepte skalieren kann. Aber wenn es darum geht, diese Konzepte umzusetzen, sie zu leben, fehlen die Menschen, die es machen. Ich kenne viele Städte, wo genehmigte Kita-Gruppen nicht eröffnet werden, weil die Erzieherinnen fehlen. Ich erlebe regelmäßig, dass attraktive Stellen nicht nachbesetzt werden können, mangels geeigneter Bewerber. Im Bereich der stationären Hilfen haben wir das auf Landesebene gerade als großes, großes Thema in der Kommission Kinder- und Jugendhilfe. Wir haben Leistungsbereiche oder andere Angebote, wie beispielsweise die Inobhutnahme, die an einigen Stellen im Land nicht mehr gewährleistet ist. Das ist ein staatlicher Schutzauftrag, der dahinter liegt. Wir kriegen ihn nicht mehr ohne Weiteres realisiert. Das ist die Entwicklung. Aber ein „Mehr“, wie wir es in der Vergangenheit erlebt haben, ist nicht möglich. Ein „Weniger“ verbietet sich aus dem Schutzauftrag heraus. Also müssen wir überlegen und Antworten finden auf die Frage: wie können wir es anders machen? Also wirklich innovative Ansätze entwickeln, die beispielsweise nicht exklusiv oder schwerpunktmäßig auf Fachkräfte setzen, die ganz gezielt in den Sozialraum, ins Quartier gehen und schauen, was dort an Ressourcen verfügbar ist. Und auch da gilt: da sind nicht wir auf Landesebene, nicht wir als Verbände die Fachleute, die solche Konzepte passgenau entwickeln können. Sondern das sind Sie, das sind Sie vor Ort in den Jugendämtern, das sind Sie in Konstanz in der Verwaltung, zusammen mit den freien Trägern und den politisch verantwortlichen Akteuren. Unsere Aufgabe als Städtetag sehen wir darin, Sie zum einen bei den Prozessen zu unterstützen, gemeinsames Lernen mit anderen Städten zu ermöglichen, und die Dinge, wo Sie sagen, das sind Erfolgsfaktoren, auf Landesebene zu heben. Um da eine gute Lösung abzusichern, braucht es eine Veränderung im rechtlichen Rahmen durch das Land oder in der Finanzierung durch das Land. Und dafür setzen wir uns ein und streiten auch das ein oder andere Mal. Singer: Da gab es mit dem Erprobungsparagraf ein erfolgreiches Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit. Lachat: Ja, in der Tat sehen wir das selbst auch so und sagen da ganz selbstbewusst, dass der Erprobungsparagraf, der auf eine Initiative des Städtetags zurückgegangen ist und auch innerhalb des Städtetags –...