E-Book, Deutsch, 293 Seiten
Klipphahn Paolo - Der GerümpelSchatzKlau
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-942258-66-1
Verlag: BOAS media e. V.
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 293 Seiten
ISBN: 978-3-942258-66-1
Verlag: BOAS media e. V.
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Es begann mit einem freiwilligen Jahr in einem christlichen Kinderheim. Seitdem liebt Anneli Klipphahn die Arbeit mit Kindern. Sie studierte Religions¬pädagogik und war als Gemeindepädagogin und Religionslehrerin tätig. Heute arbeitet sie ehren¬amtlich mit Kindern und Mitarbeitern in der Kirchgemeinde, verfasst Unterrichts¬materialien für das Fach Religion und schreibt Kinder¬bücher. Sie ist mit einem evangelischen Pfarrer verheiratet, Mutter von vier Kindern und bereits vierfache Oma. Jesus Christus gibt ihrem Leben in guten wie in schlechten Tagen Grund, Halt und Richtung. Davon will und muss sie immer wieder erzählen - insbesondere Kindern.
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„Dann lies dort weiter, wo Richard aufgehört hat!“
Natürlich wusste Paolo nicht, wo Richard aufgehört hatte. Er schielte zu seinem Nachbarn, versuchte die Seite zu erkennen und blätterte im Buch.
„Das dauert mir zu lange“, schimpfte der Lehrer. „Du kommst nach dem Unterricht zu mir! – Tim, lies bitte weiter!“
Als nach der letzten Stunde die Schulglocke läutete, warf Paolo seine Sachen in die Tasche und wollte verschwinden.
Doch Herr Sommer trat ihm in den Weg. „Ich hatte gesagt, du kommst nachher zu mir!“
Trotzig die Hände in die Hosentaschen schiebend, blieb Paolo am Lehrerpult stehen.
Endlich, nachdem alle anderen den Klassenraum verlassen hatten, fragte der Lehrer: „Was ist nur los mit dir? Deine Leistungen werden immer schlechter. Du schläfst mitten im Unterricht ein. Und dein Verhalten deinen Klassenkameraden gegenüber lässt auch zu wünschen übrig.“
Paolo biss die Zähne zusammen und schaute zum Fenster hinaus.
„Sieh mich an, Paolo!“
Widerstrebend wandte sich Paolo dem Lehrer zu. Er zog die Brauen zusammen und machte einen Schmollmund.
„Was ist los, Junge? Sprich mit mir!“
„Nichts ist los.“
„Irgendetwas stimmt doch da nicht“, seufzte der Lehrer. „Es muss doch einen Grund geben, warum deine Leistungen so abgesackt sind. Hausaufgaben machst du auch nicht mehr und ...“
„Lassen Sie mich doch einfach in Ruhe, Mann!“ Paolo drehte sich weg und versuchte zu entkommen.
„Hiergeblieben!“ Herr Sommer hielt ihn am Arm fest. „Richte deiner Mutter aus, dass ich mit ihr sprechen möchte! So geht das nicht weiter!“
„Meine Mutter hat keine Zeit.“
„Die Zeit wird sie sich aber nehmen müssen. Gib mir dein Hausaufgabenheft!“
Paolo kramte im Ranzen und schüttelte dann den Kopf. „Hab ich nicht mit.“
Der Lehrer seufzte erneut, legte Paolo die Hand auf die Schulter und schaute ihn an. „Du kannst jederzeit mit mir reden, wenn du Probleme hast. Ich möchte dir doch nur helfen, Junge!“
„Wenn Sie mir helfen wollen, dann lassen Sie meine Mutter in Ruhe“, murmelte Paolo, schluckte und schaute zu Boden.
„Das geht leider nicht“, antwortete Herr Sommer.
„Und wenn ich mich bessere?“, bettelte Paolo. „Wenn ich mir Mühe gebe? – Bitte! Ich verspreche es.“
Der Lehrer überlegte eine Weile. Dann nickte er und sagte: „Gut. Wir versuchen es noch einmal. Mach deine Aufgaben, gib dir Mühe, lass deine Mitschüler in Ruhe.“
„Danke“, sagte Paolo und ging mit gesenktem Kopf zur Tür hinaus.
Vor der Schule schwang er sich auf sein Fahrrad und raste zur Stadt hinaus, Richtung Polenz.
Eigentlich war das Rad längst zu klein für ihn. Er hatte es zum Schulanfang bekommen. Papa hatte es damals ausgesucht. Jetzt ging Paolo in die 6. Klasse und fuhr immer noch damit.
Die anderen Jungen aus seiner Klasse hatten längst neue Räder. Paolo ließ sich vor ihnen natürlich nicht anmerken, dass er auch gerne ein neues hätte. Denn nie würde er ihnen verraten, dass Mama so wenig verdiente und deshalb an allen Ecken und Enden sparen musste.
Im Fernsehen wurden manchmal BMX-Stunts gezeigt. So ein BMX-Rad fand er besonders toll, aber er wusste, dass er nie eins bekommen würde. „Wenn schon ein neues Fahrrad, dann ein richtiges“, sagte Mama. Aber vorerst war überhaupt nicht daran zu denken. Er musste noch eine Weile mit dem alten zurechtkommen.
Wenn seine Klassenkameraden wieder einmal auf sein altes Rad zu sprechen kamen, spielte er den Überlegenen. „Pah, ein neues kaufen kann jeder! Mein Bike ist einmalig, das hat Charakter! So eins hat keiner!“
Eine Fernsehsendung hatte ihn auf die Idee gebracht, sein Bike aufzumotzen. Vom Sperrmüll hatte er sich nach und nach eine andere Gabel, einen Lenker und eine Stange zur Erhöhung des Sattels zusammen gesucht. Und sein letztes Taschengeld hatte er für breitere Reifen ausgegeben. Einmal war er sogar heimlich auf den Schrottplatz gegangen und hatte dort zwei kurze Rohre aus Aluminium gefunden. Die montierte er als Verlängerung der Achse außen an sein Hinterrad. Das nannte man Stunt Pegs. Manchmal standen auch Sprühdosen mit Farbresten beim Sperrmüll. Damit lackierte er den Rahmen von Zeit zu Zeit um. Jetzt musste er sich mit seinem Bike nicht mehr verstecken. Nun war es wirklich einmalig.
Paolo trat kräftig in die Pedale und radelte den Mittelweg entlang. Vor einem Haus stand ein kleines Mädchen und biss in ein Stück Kuchen. Paolos Magen krampfte sich zusammen, er hatte seit gestern Abend nichts Richtiges mehr gegessen.
Zu Hause stellte er sein Rad ab, klingelte und schloss die Augen. Gleich würde Oma die Tür öffnen und ihn ganz fest an sich drücken. „Willkommen daheim, mein Junge“, würde sie sagen. „Das Essen steht schon bereit! Rate mal, was es heute gibt!“ Doch nichts geschah.
Paolo drückte erneut auf den Klingelknopf, immer noch rührte sich nichts. Seine Oma öffnete nicht. Nie mehr würde sie ihm die Tür öffnen, nie mehr. Es war nur ein Traum, ein schöner Traum.
Seufzend kramte er in der Tasche, holte den Schlüssel heraus und schloss auf.
Im Haus war alles still. Langsam ging er in die Küche. Dort stapelte sich das schmutzige Geschirr. Paolo tappte über den klebrigen Fußboden zum Kühlschrank, öffnete ihn und nahm das letzte Stück Käse heraus. Brot gab es auch nicht mehr, nur eine aufgerissene Packung Knäckebrot. Heißhungrig stopfte er es zusammen mit dem Käse in den Mund, während er den Zettel las, der auf dem Küchentisch lag:
Komme heute später. Bitte wasch ab, räum auf und hole Jannik und Robin ab. Essen bringe ich mit. Danke, mein Großer! Mama
Paolo knüllte den Brief zusammen, warf ihn auf den Boden und trampelte wütend darauf herum. „Ich will nicht, ich will nicht, ich will das nicht mehr!“, schrie er. „Ich bin kein Großer, ich will leben, wie alle anderen Kinder auch!“
Dann rannte er aus dem Haus, in den Wald hinein. Er lief bis zum großen Felsen und blickte sich um. Weit und breit war niemand zu sehen. Schnell kroch er in sein Versteck. Vor langer Zeit, als er mit seinen Freunden Räuber und Gendarm gespielt hatte, war er hinter einen dichten Busch gekrochen und hatte den Eingang einer kleinen Höhle entdeckt. Niemand hatte ihn jemals dort gefunden, keiner kannte seinen Zufluchtsort.
Diese Felshöhle war gerade groß genug, dass er darin sitzen oder ausgestreckt liegen konnte. Den Boden hatte er mit Stroh und Moos gepolstert. Er ließ sich darauf fallen und heulte und heulte.
Warum nur war alles so ungerecht? Warum ging es gerade ihm so schlecht, warum hatte er so viele Probleme? Warum musste seine liebe Oma sterben? Ausgerechnet sie, die allerbeste Oma der Welt! – Oma war tot und sie fehlte ihm jeden Tag.
Früher waren sie eine glückliche Familie. Wenn Paolo aus der Schule kam, empfing Oma ihn mit einem fröhlichen Lächeln. Sie hatte ein leckeres Mittagessen gekocht und schaute nach ihm, wenn er seine Hausaufgaben erledigte. Nebenbei kümmerte sie sich um seine jüngeren Brüder. Es gab immer genug zu essen, nie musste Paolo mit knurrendem Magen ins Bett gehen.
Und morgens weckte sie ihn wieder. Während er frühstückte, schmierte sie für ihn Pausenbrote und schnitt ihm Obst oder Gemüse zurecht. Jederzeit durfte er seine Freunde mitbringen. Sie hatte ein großes Herz für alle Kinder und verwöhnte sie mit ihren Leckereien. So, wie er es heute geträumt hatte, als er in der Schule eingeschlafen war.
Als Oma noch lebte, war er nie so müde. Mama kam rechtzeitig am Nachmittag von der Arbeit und Papa am Abend. Zu Hause war es sauber und ordentlich. Manchmal fuhren sie am Wochenende gemeinsam weg. Sehnsüchtig erinnerte sich Paolo an ihre Wanderungen mit Picknick, an gemeinsame Radtouren, lange Nachmittage in Schwimmbädern und das Judotraining, zu dem ihn Papa oft begleitet hatte.
Doch dann überstürzten sich die Ereignisse. Oma starb, und Mama schaffte die Hausarbeit nicht mehr, weil sie jetzt alles allein machen musste. Die Eltern fingen an zu streiten. Papa kam oft spät nach Hause. Und eines Tages zog er aus.
Seitdem musste sich Paolo selbst um sein Essen kümmern, wenn er aus der Schule kam. Zu Hause war es unordentlich und ungemütlich. Die Geschwister zankten sich und Paolo traute sich nicht mehr, seine Freunde einzuladen.
Um seiner Wut Luft zu machen, ärgerte er die anderen und verlor einen Freund nach dem anderen. Am schlimmsten war es, als seine Freundschaft mit Tim zerbrach.
Auch mit dem Judo-Training war es bald vorbei, weil Mama sparen musste. Dabei hätte er gern noch andere Kampfsportarten gelernt. Ein kostenloser Schnupperkurs für Kickboxen sollte der Einstieg sein. Aber auch damit war es nun endgültig vorbei.
Eines Tages fand er beim Sperrmüll einen alten Kartoffelsack und nahm ihn mit. Es war zwar ein großes Loch darin, aber das machte nichts. Er band es einfach zu und stopfte den Sack mit Stroh aus. Dann hängte er ihn in die Mitte des Kellers, wo genügend Platz war. Dagegen hatte Mama nichts einzuwenden. Der Kartoffelsack kostete nichts und im Keller störte er niemanden. So konnte er allein weitertrainieren.
Paolo probierte alles aus, was er beim Kickboxen gelernt hatte. Außerdem holte er sich aus der Bibliothek Bücher über Kampfsport und übte auch andere Techniken, die darin erklärt wurden.
Bald hatten alle Kinder Angst vor ihm, denn durch sein Kampfsporttraining war er stark und gewandt. Niemand ahnte, wie einsam er sich fühlte.
Paolo dachte an Herrn...




