Klippel | Verdammt schönes Leben | E-Book | www2.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Klippel Verdammt schönes Leben


16001. Auflage 2016
ISBN: 978-3-522-62133-5
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-522-62133-5
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit einem Schuss, der sich als Fehlzündung einer Vespa entpuppt, landet Laura geradewegs im Paradies. Denn der himmelblaue Roller gehört zwei zwielichtigen, aber sehr charmanten Typen, Guido und Walter. Die drei und die Vespa, die angeblich fliegen kann, lassen sich durch den Tag treiben, baden im Meer, schlafen nachts inmitten einer Blumenwiese ... ein verdammt schönes Leben! Als Laura feststellt, dass sie am liebsten beide Jungs küssen würde und ein brutaler Carabiniere Jagd auf die Freunde macht, bleibt ihnen nur die Flucht aus dem Paradies. Kann die Vespa wirklich fliegen? Durchgeknallt und dramatisch - ein rasantes Roadmovie

Christian Klippel, Jahrgang 1955, studierte Geisteswissenschaften in Paris, Rom, Berlin und Amsterdam. Neben seiner Tätigkeit als Kreativdirektor und Inhaber mehrerer Werbeagenturen arbeitet er als Autor und Übersetzer. Zuletzt erschien von ihm bei Thienemann der Jugendroman »Verdammt schönes Leben«. Christian Klippel lebt in Hamburg. Er ist geschieden und hat zwei Kinder.
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Ich glaube nicht an Wunder.

Eine Vespa ist eine Vespa. Sie kann nicht fliegen. Auch die von Guido nicht. Da kann er viel erzählen. Sie kann vielleicht angefahren kommen, wenn er pfeift. So wie ein Hund. Oder sie kann von ganz allein fahren. Das habe ich schließlich selbst schon gesehen. Aber fliegen? Nee. Das kann sie nicht. Auch wenn er’s tausendmal behauptet. Ich gebe ja zu, dass sie toll ist, seine himmelblaue Vespa. Aber sie ist kein Flugzeug oder so. Sie ist und bleibt ein Motorroller. Na ja, aber das ist so ziemlich das Einzige, wo Guido und ich nicht einer Meinung sind. Mit Walter ist es schon schwerer. Er sieht immer alles ganz anders. Ziemlich extrem. Manchmal glaube ich, es macht ihm Spaß zu streiten. Das kann echt nerven. Aber am Ende vertragen wir uns dann doch wieder. Muss man auch. Wie könnte man sich hier lange böse sein?

Ich würde Walter ja fragen, was er dazu sagt. Aber er liegt im Bett und pennt. Siesta. Ich sitze alleine in der Sonne. Sie scheint mir auf die Schultern. Guido ist mit der Vespa losgefahren. Zum Fischen. Ihr solltet das mal sehen hier. Ihr würdet verstehen, warum keiner von uns wegwill.

Tja, zuerst mal das Haus: Wo Walter schnarcht, ist unser Schlafzimmer. Es ist ein bisschen schräg und klapperig. Oben sind Balken, in denen immer irgendwelche Spinnen nisten. Am Anfang fand ich das eklig. An der Wand hängt ein altes Kreuz. Auf dem Bett liegt eine riesige alte Steppdecke. Sie ist rosa und könnte mal wieder gewaschen werden.

Dann der Garten. Wir haben zwei Kirschbäume. Einer süß und einer sauer. Ein kleines Zitronenbäumchen und zwei Orangenbäume. Und einen Feigenbaum. Den will Guido demnächst abhacken, weil er sich mit seinen Ästen in die alte Mauer neben dem Schuppen krallt. Eines Tages, sagt Guido, sprengt er die ganze Bude auseinander, wenn er so weitermacht. Aber wer einmal von seinen Feigen gekostet hat, der wird verstehen, dass Walter und ich den kleinen Burschen mit allen Mitteln verteidigen.

Das Beste ist unsere Wiese! Nennt mir eine Blume, die ihr kennt. Ich wette, sie wächst hier. Es gibt Kornblumen, Klatschmohn, Tausendschönchen, Mutterkraut, Hahnenfuß, Kuckucksnelken und viele Blümchen, von denen ich nur die italienischen Namen kenne. Millionen von Schmetterlingen flattern um mich herum. Es duftet nach Minze, Basilikum und wildem Knoblauch. Fast alle Kräuter finden wir im Garten, wenn Guido seine berühmten Spaghettisoßen kocht.

Manchmal pflücke ich einen Blumenstrauß und stelle ihn ins Wohnzimmer oder ans Fenster in der Küche. Aber die beiden Jungen interessieren sich nicht dafür. Grünzeug nennen sie das. Sie würden vergessen, die Rosen zu gießen, wenn es mal wieder vier Wochen nicht geregnet hat. Wir haben sogar einen Hund. Er gehört eigentlich nicht uns. Wir haben ihn am Strand gefunden. Weil wir nett zu ihm waren, kommt er uns manchmal besuchen. Er ist auf einem Auge blind. Die Leute im Ort nennen ihn Talpinella. Das heißt kleiner Maulwurf. Wir sagen Avvocato zu ihm. Guido hat ihn so getauft. Es heißt Anwalt, und Guido meint, es passt, weil die Justiz ja auch auf einem Auge blind ist. Sonst hätten sie ihn nicht in den Knast gesteckt.

Ihr seht: Wir haben fast alles. Außer Mamas und Papas, Opas und Tanten.

Guido kommt zurück. Ich höre die Vespa schon knattern. Er stellt den Roller neben den Holzstoß am Schuppen. Dann kommt er auf mich zu.

»Wo ist Walter«, fragt er.

»Pennt«, sage ich.

»Pennt? Um diese Zeit? Er soll aufstehen. Ihr müsst mir helfen.«

»Was ist denn los?«

»Ich habe ihn wieder gesehen.«

Jetzt weiß ich, was als Nächstes kommt: Guidos Riesenkrake.

»Lass mich raten«, sage ich, aber Guido winkt ab.

»Schon gut!«, sagt er ziemlich laut. »Wenn du mir nicht glaubst, komm halt mit runter. Du wirst schon sehen!«

Guidos Problem ist nicht, dass er zu viel Fantasie hat. Aber er hat einfach so viel Scheiße erlebt. Deshalb muss er immer alles besser und größer machen, als es eigentlich ist. Wenn er eine gut genährte Motte sieht, macht er einen Quetzalcoatlus draus. Und wenn er im Wasser was mit Fangarmen findet, dann muss es mindestens ein Monsterkrake sein. Am besten einer, der gestern noch ein halbes Fischerboot mit Mannschaft verdrückt hat.

»Geht’s wieder los?«, sage ich nur.

Guido verdreht genervt die Augen und blafft: »Geht’s wieder los! Geht’s wieder los! Ihr habt doch alle keine Ahnung!« Wütend schüttelt er den Kopf.

»Uaselo …?«, kommt es plötzlich von der Tür.

Walters Stimme hat mich total überrascht. Guido genauso. Walter steht in der Tür und reibt sich die Brillengläser an seinem Unterhemd sauber. Das macht die Gläser nicht gerade durchsichtiger. Seine blonden Haare zeigen in alle Richtungen. Sein »Uaselo« sollte vermutlich. »Was geht los?« heißen.

»Was glotzt ihr?«, fragt Walter und gähnt noch mal. »Wenn ihr aus dem Bett steigt, seht ihr auch nicht besser aus.« Dann sagt er: »Fahren wir doch hin und sehen uns dieses Viech an. Dann hört das Gerede wenigstens mal auf.«

Guido schwingt sich auf die Vespa. Ich setze mich hinter ihn und halte mich an seinem Bauch fest. Walter kommt als Letzter und hält sich an mir fest. So sitzen wir, wenn wir auf Tour gehen. Am Anfang hatte ich Angst, Vespa zu fahren. Aber jetzt kann ich mir einen Tag ohne dieses Kribbeln unterm Hintern gar nicht mehr vorstellen. Der Motor vibriert und das geht durch und durch. Guido lässt den Roller über den Waldweg tanzen. Hier liegen überall Steine und dicke Äste. Wenn er hier zu schnell fährt, fliegen Walter und ich aus dem Sattel. Oder unsere Köpfe knallen aneinander. Einmal ist Walter hinten runtergefallen. Guido hat nichts gemerkt. Ich habe geschrien. Aber der Motor war so laut. Erst unten an der Straßenkurve, wo wir jetzt auch gerade ankommen, hat Guido es gemerkt. Hier gibt es einen uralten Brunnen, wo wir uns immer Wasser holen. Die Steine sind total vermoost. Ein kleiner Frosch lebt seit drei Monaten darin. Aber im Augenblick ist er nicht da. Guido bockt die Vespa am Brunnen auf und spritzt sich das Gesicht voll Wasser. Dann schleudert er mir plötzlich eine Handvoll ins Gesicht.

»Lass das, Spaghettifresser«, schimpfe ich und spucke ihm eine volle Ladung ins Gesicht.

»Was hast du da oben eigentlich getrieben. Ich mein, das Heft, dieses Geschreibsel …«

»Nichts«, sage ich. Guido muss ja nicht wissen, dass ich euch von uns erzähle. Er denkt dann höchstens, ich habe Heimweh und will weg. Das ist natürlich Quatsch. Oder er kriegt es mit der Angst, dass unser Versteck irgendwann auffliegt.

Aber Guido interessiert sich schon für was anderes. Er lauscht in den Wald.

»Hört ihr das? Was ist das? Was kann das sein?«

Jetzt höre ich es auch. Ein seltsames Rumpeln, das immer lauter wird. Plötzlich blitzt es gelb zwischen den Blättern. Dann donnern sie auch schon vorbei: Drei fette Lkws mit Baugeräten und Männern drauf. Auf einem Anhänger steht eine Walze.

»Was haben die vor?«, fragt Guido.

»Ich würde tippen, die bauen was.«

»Schlaumeier. Aber was.«

»Vielleicht ’ne Straße?«

»Super. Dann fahren wir darauf Vespa.«

»Hauptsache, sie lassen unsere Hütte in Ruhe.«

Wir schwingen uns wieder auf den Sattel. Guido lenkt die Vespa geschickt aus dem Wald heraus, wo uns die Nachmittagshitze entgegenschlägt, als würden wir die Köpfe in einen Backofen stecken. Die Straße führt in hundert Kurven runter zum Meer. Hier schaltet Guido den Motor aus. Wir schieben die Vespa auf dem Fußweg zum Wasser. Dann verstecken wir sie im Schatten der Felsen und klettern weiter runter.

Wir haben hier unseren eigenen Badefelsen. Er gehört natürlich nicht wirklich uns. Aber für uns ist es, als ob ihn außer uns niemand kennt. Auf unserem Hausfelsen ziehen wir uns einfach aus und springen ins Wasser. Am Anfang haben wir immer die Unterhosen angelassen. Aber eines Tages hat Guido erklärt, dass es ihm zu doof ist, mit nassen Sachen rumzurennen. Für mich war es zuerst nicht drin, mich vor Guido und Walter auszuziehen. Aber Guido hat gesagt, er interessiere sich sowieso nicht für Mädchen.

Es ist so heiß, dass Guido die Sache mit dem Tintenfisch vergessen hat. Wir auch. Er springt sofort ins Wasser. Ich springe auch rein. Guido taucht, zieht mich an den Beinen und spielt, dass er der Riesenkrake ist. Als er wieder auftaucht, spritze ich ihm einen Schwung Wasser ins Gesicht. Er hustet und prustet. Walter schaut uns von den Klippen aus zu. Er geht fast nie ins Wasser. Als wir genug haben, legen wir uns auf den heißen Felsen. Die Tropfen fallen von unserer Haut auf den Stein und verdunsten in wenigen Minuten. Ich liege so gern auf unserem Felsen mit der Nase auf den Armen. Ich höre das Meer zwischen den Klippen glucksen und rieche das Salz und die Rosmarinsträucher. Guido kramt in seinen Sachen nach einer Zigarette.

»Na, alter Albaner, immer noch Schiss vor Wasser?« Guido spritzt Walter nass und reibt ein Streichholz an der Klippe in Brand.

»Quatsch«, sagt Walter und tritt nach dem Streichholz, als Guido damit seine Zigarette anzünden will.

»Aua. Bist du blöd, Mann? Jetzt hab ich mir wegen dir das Maul verbrannt.«

»Dann lösch es. Aber schnell!«

Walter gibt Guido einen zweiten Tritt. Guido ringt mit dem Gleichgewicht. Er steht auf der Kante der Klippe. Weil er sich nicht mehr halten kann, springt er mit zappelnden Beinen und einem geschraubten Kopfsprung ins Meer. Ziemlich albern. Er taucht wieder auf,...


Klippel, Christian
Christian Klippel, Jahrgang 1955, studierte Geisteswissenschaften in Paris, Rom, Berlin und Amsterdam. Neben seiner Tätigkeit als Kreativdirektor und Inhaber mehrerer Werbeagenturen arbeitet er als Autor und Übersetzer. Zuletzt erschien von ihm bei Thienemann der Jugendroman »Verdammt schönes Leben«. Christian Klippel lebt in Hamburg. Er ist geschieden und hat zwei Kinder.



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