Klippel | Hoffnung kostet extra | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Klippel Hoffnung kostet extra


17001. Auflage 2017
ISBN: 978-3-522-62151-9
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-522-62151-9
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Roadmovie der Extraklasse: ungewöhnlich, fantasievoll und etwas verrücktMark, Franka und Penny wollen weg – am liebsten auf die Kapverdischen Inseln. Doch woher sollen sie das Geld nehmen? Durch Zufall finden sie heraus, dass es sich mit dem Vorhersagen der Zukunft leicht verdienen lässt. Ihr "Delphi Miracle Zukunftslabor" floriert auf Anhieb. Mit einem Traktor ziehen die drei durchs Land, erleben die verrücktesten Situationen und die skurrilsten Typen. Ein verdammt genialer Roadtrip! Doch jeder der drei hat ein großes Geheimnis und Schiss, dass es ans Tageslicht kommt. Denn dann würde sich alles ändern ...
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Erstens | Wilde Dinger


»Hau ab. Spiel woanders! Los, verschwinde!«

Jetzt hörst du dich schon an wie so ein beknackter Hausmeister.

Einer dieser grau gekittelten Tatter-Typen, die dir auf dem Gehweg auflauern, wenn du mit dem Fahrrad vorbeikommst. Die mit ihren Gehstöcken hinter dir hergreinen, dass du hier nichts zu suchen hast. Kein Rücklicht am Rad. Oder sonst ein Scheiß, der ihnen nicht passt. Franka beißt sich auf die Lippe. Das hat sie nicht gewollt.

Dass dieser Bengel nervt, ist aber klar. Vielleicht noch kein Grund, jetzt den Vollspießer auszupacken. Loswerden muss sie ihn allerdings. Das ist Tatsache.

Also versucht sie es noch mal. »Hau ab, Zwerg. Spiel woanders. Hier ist nur für Große.«

Gregor bleibt stehen. Er schaut hoch, als hätten sie ihm keine Ohren gegeben. Vielleicht sind die zwei Kohlblätter da links und rechts am Schädel ja bloß so was wie Zierleisten. Dazwischen rattert es knisternd. Der kleine Computer arbeitet auf Hochtouren. Das kann man förmlich sehen.

Die Sonne steht hoch. Krass heiß, die Luft.

Der Kleine hebt die Patschhand als Sonnenschirm an die Stirn und blinzelt. »Was maddu da oben, Franka?«

»Was machst du, Gregor.«

»Ich hab zuerst gefragt.«

»Aber grottig. Du hast gefragt …«

»Du bist voll glöd!«

»Blöd! Es heißt blöd! Voll blöd. Du bist ja auch nicht glond sondern blond.«

Dem Knirps wuchern die Haare wie vertrocknetes Gras aus dem Kopf. Seine huskyblauen Augen blitzen angriffslustig daraus hervor. »Ich weiß, dass es glond heißt! Ich bin ja nich glöd. Gleibdu lange da oben?«

»Ffffffft.« Franka lässt die Luft durch die Lippen zischen und verdreht die Augen. »Bleib … Ach, vergiss es. Jetzt schwirr schon ab.«

»Was maddu da oben?«

»Buchführung. Rote Autos zählen. Ich zähle sie, mache für jedes einen roten Strich und gebe das dann an meine Auftraggeber weiter. Das ist mein Job. Ich arbeite für den Geheimdienst. Sehr spannend. Willst du auch mal für den Geheimdienst arbeiten? Hier ist dein Auftrag: Geh heim! Los, mach schon.«

Fast bis es blutet – so fest beißt sich Franka auf die Lippe. Ihn wegschicken ist das eine. Den Bengel so zu verarschen, ist was anderes. Echt nicht die feine Art. Aber egal. Sieht nicht aus, als hätte Gregor irgendwas kapiert. Und wenn, dann kümmert es ihn nicht.

Er glotzt Franka an und sagt: »Darf ich zu dir hoch?«

»Nein. Darfst du nicht!«

»Warum nich? Du kannst mir gar nichts sagen. Das Feld gehört Papa. Der hat gesagt, du darfst da gar nicht sitzen. Und das da gehört der Frau Merkel.«

Gregors Hand zeigt auf die Plakatwand, auf der Franka sitzt. Ihre Gummistiefel reichen dem Kandidaten genau bis zum Scheitel. Die Beine verdecken teilweise den Spruch, den die Wahlkämpfer haben aufdrucken lassen. Z…k…nft für Rheinland-Pfalz!, würde Gregor lesen, wenn er es könnte.

Franka schüttelt den Kopf und lächelt. »Glödsinn. Die Merkel sitzt in Berlin. Das da, das ist – ach, was soll’s. Willst du jetzt endlich verschwinden?«

»Du darfst das nich! Komm runter da! Komm runter oder lass mich hoch! Du darfst das nich! Du darfst gar nix. Gar nix darfst du!«

Jetzt reicht es Franka. Sie droht mit der Hand. »Soll ich mal runterkommen und dir zeigen, was ich darf? Vielleicht …« Erschrocken schluckt sie die letzten Worte runter.

Das war nicht mehr Kategorie normaler Hausmeister. Das war krasser. Eher schon Hausmeister mit Nazivergangenheit.

Sie nimmt sich vor, nichts mehr zu sagen. Stattdessen zieht sie die Blockflöte aus der Tasche und fängt an zu spielen. Nach ein paar Tönen hält sich Gregor die Ohren zu. Sind also doch zu was gut. Nach weiteren zehn Takten schreit der Kleine wütend auf. Er tritt gegen die Pfeiler der Plakatwand. Wo sie im Acker versinken, rupft er Halme und schleudert sie auf Frankas Stiefel. Höher kommt er nicht. Dann dreht er sich um und rennt weinend übers Feld zum Haus.

Ja, heul doch. Franka steckt die Blockflöte weg. Endlich allein.

Flennen tut sie jetzt erst mal selbst eine Runde. Wie jeden Nachmittag, sobald sie ihren Hochsitz eingenommen hat. Ihr Hochsitz ist derzeit ein CDU-Plakat am Rand einer Landstraße. Das Gerüst ist morsch. Das Plakat riecht nach nassem Papier. Aber Franka ist froh, dass die Partei es mitten in der Pampa aufgestellt hat. Was die Politiker dazu treibt, ist ihr allerdings ein Rätsel. Vermutlich brauchen sie die Stimmen von Fuchs und Hase, die sich hier Gute Nacht sagen. Franka grinst, obwohl sie Rotz und Wasser heult. Ihre Lippen zittern, ihre Schultern werden durchgeschüttelt. Es kommt aus ihrem Zwerchfell wie ein Lachkrampf, ist aber keiner. Sie krallt sich mit den Nägeln ins moosige Holz, lehnt sich nach hinten und streckt die Gummistiefel aus, um das Gleichgewicht zu halten. Sie schluchzt. Die Tränen, die ihre Zunge links von der Nase wegschleckt, schmecken wie Hühnerbrühe. Ihre lagunenblauen Augen werden von Salzwasser geflutet. Franka kann nichts mehr sehen. Ein dunkelroter Zafira rauscht vorbei, ohne dass sie ihn registriert. Die Hügel und Felder verschwinden hinter Nebeln aus Wasser. Am Waldrand wagt sich ein Reh zwischen den Bäumen hervor, kriegt dann aber Schiss und legt den Rückwärtsgang ein. Über den Hügeln ballen sich die Wolken um einen Elefantenhintern aus blaugrauer Watte herum, der direkt über Franka hängt. Angefangen hat er als flockiges Seepferdchen, das immer fetter wurde. Der Rüssel des Dickhäuters schlingt sich einmal um den Kopf und löst sich auf. Aus den Fetzen werden neue Wolken, die komische Formen bilden, aus denen nicht einmal Frankas Fantasie etwas machen kann. Die Luft ist feucht. Es ist so heiß, dass jeder, der jetzt ihr Gesicht sieht, denken wird, dass Franka schwitzt. In der Tasche ihrer schwarzen Weste sucht sie ein Taschentuch, findet aber nur noch ein paar hellgraue Brösel. Also wischt sie den Rotz in den blau karierten Flanell ihres Hemdes und atmet tief durch. Geht schon wieder. Aus der Seitentasche ihrer fleckigen Cargohose zieht sie die Blockflöte und bläst drei Takte. Die sind so schnieftraurig, dass es Franka gleich wieder durchrüttelt. Sie seufzt.

Wie soll diese Scheiße nur weitergehen? Irgendwas muss passieren.

Das wird es auch. Der Lebensumkrempelservice ist schon unterwegs. Das weiß Franka aber nicht. Und so flötet und flennt sie abwechselnd weiter, bis sie vor Müdigkeit fast von der Plakatwand kippt.

»Hey, Penn! Renn mal nicht so! Das bringt einen ja um …«

In der flimmernden Luft, die über der Landstraße blubbert, tauchen zwei Köpfe auf. Die von Mark und Penny. Franka kann nicht hören, was sie reden. Sie kommen näher, bleiben jetzt stehen. Wind kommt auf. Er meint es gut mit Frankas Ohren.

»Dich bringt überhaupt nichts um. Davon hat sie nichts gesagt.«

Penny steht breitbeinig auf der Fahrbahn, zu Mark gedreht, die Fäuste an den Hüften.

Auch der hält sich die Seite und keucht. »Wieso ist die scheiß Eifel eigentlich so steil? Dauernd geht alles irgendwie bergauf. Und diese Dreckshitze. Wenn ich eine Sauna brauche, fahr ich nach Finnland.«

»Ist halt so eine Hügellandschaft. Das waren mal Vulkane, glaub ich.« Penny scannt die Gegend vage mit den Augen.

Mark reißt ängstlich die Hände hoch. »Vulkane? Ganz sicher?«

»Chill mal. Alle tot. So wie ich bald …«

»Blödsinn, das hat die doch nur so gesagt. Weil sie einen Hass hat auf dich. Sie hat dir ja noch nicht mal aus der Hand gelesen. Mir schon. Die Band kann ich jedenfalls jetzt knicken. Gitarre wird nie was, hat sie gesagt. Hey, Penny, hör mal! Klingt wie Flöte. Blockflöte. Hier in dieser beknackten Eifel sind sogar die Vögel bekloppt.«

»Du hättest da nicht reingehen sollen. Wahrsagerinnen erzählen einem immer Scheiß. Krebs mit 80. Jackpot mit 90. Tod durch Grippe mit 110. Und immer alles ganz anders als geplant. Mir liest keiner aus der Hand. Nur über meine Leiche.«

»Sag ich doch. Ohne Gitarre kann ich mich aufhängen. Am besten an dem Baum da. Siehst du den? Buche oder Eiche oder Ahorn oder Linde oder so. Hinter dem CDU-Plakat.«

»Wir können auch einfach stehen bleiben. Das Gewitter, das gleich abgeht, macht uns alle. Dann hat die Alte recht. Ich bin tot und du und deine Karriere auch. Lass mal da rüber gehen zu dem Hof. Vielleicht sind da ja Leute, die –«

»Da sitzt was.« Mark richtet die gießkannengrünen Augen angestrengt nach oben. Er geht auf Penny zu, zieht an ihr vorbei und bleibt stehen. »Ein Vogel oder so. Elster. Nee. Pinguin. Ein fetter Pinguin mit Hut. Seit wann können –«

»Ich sehe hier bloß einen Vogel. Der bist du!«, tönt es von oben.

Franka steckt die Blockflöte ein, trommelt dem Politiker unter sich mit den Gummistiefeln gegen das gegelte Haar und sagt: »Und zwar ein ganz hässlicher. Was bist du überhaupt? Skinhead? Afroeuropäer? Wenn ich du wär, würd ich mich mal entscheiden. Oder bist du schizo? Vielleicht so ein komischer Zwischen-allen-Stühlen-Freak?«

Mark und Penny schauen sich an. Ungläubig kratzt Mark sich die Stoppeln. Er drückt ein Auge zu und blickt zu Penny. »Kneif mich mal. Hab ich das wirklich gehört?«

»Ich fürchte ja. Das ist kein Traum.«

»Lass uns verschwinden. Hab kein gutes Gefühl. Die tickt nicht richtig.«

»Ja, hau ab, kleiner Nazineger. Und nimm die Oma mit.«

...


Klippel, Christian
Christian Klippel, Jahrgang 1955, studierte Geisteswissenschaften in Paris, Rom, Berlin und Amsterdam. Neben seiner Tätigkeit als Kreativdirektor und Inhaber mehrerer Werbeagenturen arbeitet er als Autor und Übersetzer. Zuletzt erschien von ihm bei Thienemann der Jugendroman »Verdammt schönes Leben«. Christian Klippel lebt in Hamburg. Er ist geschieden und hat zwei Kinder.



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