E-Book, Deutsch, Band 2425, 130 Seiten
Reihe: Beck'sche Reihe
Klinger Die Hethiter
3. Auflage 2025
ISBN: 978-3-406-83279-6
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 2425, 130 Seiten
Reihe: Beck'sche Reihe
ISBN: 978-3-406-83279-6
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
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Jörg Klinger lehrt als Professor für Altorientalistik an der Freien Universität Berlin. Die Erforschung der Sprache, Geschichte und Kultur der Hethiter bildet einen Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit.
Autoren/Hrsg.
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2. Kleinasien bis zur Entstehung einer hethitischen Großmacht
2.1. Die erste Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.
Bereits aus dem ersten Viertel des 2. Jahrtausends v. Chr. besitzen wir eine umfangreiche textliche Überlieferung aus Anatolien, die wir dem Umstand verdanken, dass zwischen Nordmesopotamien und Kleinasien intensive wirtschaftliche Beziehungen bestanden. Assur war damals eine wichtige Stadt – aber nicht, weil sie Sitz eines überregional bedeutenden Königtums, geschweige denn Metropole eines assyrischen Reiches gewesen wäre, sondern weil von hier aus unter königlicher Patronage eine sehr agile, kooperativ organisierte Kaufmannschaft operierte. Am Ende des 3. Jahrtausends wurde Assur noch von einem Gouverneur regiert und gehörte zum Einflussgebiet der Könige der III. Dynastie von Ur (ca. 2112–2001 v. Chr.), erlangte aber nach dem Untergang des Großreiches der Könige von Ur seine Selbständigkeit zurück. Bereits die ersten assyrischen Könige haben den Handel besonders gefördert, so dass die Stadt einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte. Aufgrund ihrer geographischen Lage war die Stadt Assur besonders geeignet als zentraler Umschlagplatz für den überregionalen Handel zwischen Ostanatolien und Obermesopotamien. Der Warentausch beruhte hauptsächlich auf der Ausfuhr von Fertig- und Halbfertigprodukten, in erster Linie Textilien, aus Babylonien sowie dem für die Bronzeherstellung so wichtigen Zinn im Tausch gegen Edelmetalle, meist Silber und Gold. Im Laufe der Zeit entstand ein auf Verträgen beruhendes System, das die Rechte und Pflichten der assyrischen Händler auf der einen Seite und der vor allem durch die Paläste der verschiedenen politisch unabhängigen Fürstentümer vertretenen Einheimischen auf der anderen Seite regelte. Die lokalen Fürsten im Gebiet zwischen dem Taurusgebirge und Zentralanatolien, die oft nur ein relativ kleines Territorium beherrschten, konnten Einfuhrzölle erheben und hatten ein Vorkaufsrecht; die Händler ihrerseits durften sich dafür bei den Siedlungen außerhalb der Mauern niederlassen und genossen den Schutz des jeweiligen Herrschers. Dies war ein lukratives Geschäft, von dem beide Seiten profitierten und das in den ersten Jahrhunderten des 2. Jahrtausends sehr gut funktionierte. Es führte dazu, dass an zahlreichen lokalen Fürstensitzen in Kleinasien größere (akkadisch karum, eigentlich «Hafen») oder kleinere (akk. wabartum) Handelskontore entstanden, in denen die Händler wohnten und manchmal über Generationen hinweg ihre Geschäfte mit den Einheimischen abwickelten. Die «Zentrale» der assyrischen Händler, in der sich auch die offizielle Vertretung des «Gesandten der Stadt (Assur)» befand, lag bei der anatolischen Stadt Kanes, beim heutigen Kültepe, nordöstlich von Kayseri. Bei den Ausgrabungen stieß man auf die schriftliche Hinterlassenschaft dieser Händler – bis heute sind rund 20.000 Tontafeln und Tontafelfragmente gefunden worden und nach wie vor kommen jährlich meist einige Hundert hinzu. Ihr Inhalt ist überwiegend geschäftlicher Art, d.h. Dokumente über die Abwicklung verschiedener Transaktionen wie Leih- oder Verkaufsurkunden, aber es finden sich auch zahlreiche Briefe, die zwischen den Händlern vor Ort und ihren Familien zu Hause in Assur gewechselt wurden und so vielfach ganz private Themen behandeln – von Familienstreitigkeiten über gespannte Vater-Sohn-Beziehungen bis zu Ehekrisen. Die Details über die Organisation des Handels und die Abwicklung der Geschäfte, die man aus diesen Quellen erfährt, enthüllen ein kompliziertes System, in dem Preise, Steuern, Zinsen und vieles mehr juristisch so feinsinnig aufeinander abgestimmt waren, dass es fast schon modern anmutet. In den letzten Jahren wurden auch verschiedene Verträge gefunden, die wiederum einen Einblick in die politischen Hintergründe der Organisation des Handels und in das Verhältnis unter den einheimischen Fürsten geben. Was dagegen weitgehend fehlt, sind literarische oder sonstige Traditionstexte, wie sie sonst in keilschriftlichen Archiven, zu denen ja meist auch Schreiberschulen gehörten, in der Regel vertreten sind.
In der jüngeren Vergangenheit wurden zahlreiche dieser Texte veröffentlicht, die einen einzigartigen Schatz von kulturgeschichtlichen Informationen über das Leben der Menschen vor nahezu vier Jahrtausenden darstellen. Allerdings bringt es die Natur dieser Dokumente mit sich, dass Informationen über historisch-politische Zusammenhänge nur sehr partiell und eher zwischen den Zeilen zu finden sind, so dass auch Hinweise auf die hethitische Frühgeschichte weitestgehend fehlen.
Überhaupt ist es eine Frage der Definition, wann eigentlich die hethitische Geschichte beginnt. Und so geht gerade in diesem Punkt die Terminologie der Archäologen und der Philologen auseinander; dabei handelt es sich nicht allein um einen formalen Aspekt, sondern vielmehr liegt die Ursache in einem bemerkenswerten Unterschied im Forschungsmaterial. Es gibt weder im archäologischen Befund eine erkennbare Zäsur, die mit der Einwanderung neuer Bevölkerungsgruppen in Verbindung zu bringen wäre, noch lassen sich charakteristische Veränderungen in der Entwicklung der materiellen Hinterlassenschaften beobachten, die auf die Anwesenheit von etwas Neuem schließen lassen könnten. Dennoch bezeichnet man spezielle Formen der Keramik als frühhethitisch, die in Schichten aufzufinden sind, die noch deutlich vor dem Auftreten erster Schriftzeugnisse in hethitischer Sprache liegen, also älter sind als die eigentliche hethitische Geschichte im engeren Sinne. Solche frühhethitischen Keramikfunde sind in einer ganzen Reihe von Fundorten nachzuweisen – vom Ikiztepe im Bereich der Mündung des Kizilirmak ins Schwarze Meer in Nordanatolien bis zu den Fundorten im Halysbogen in Zentralanatolien und in Hattusa selbst.
In den Texten der altassyrischen Handelskontore in Anatolien erscheinen unter den Tausenden von Eigennamen einheimischer Anatolier erstmals auch solche, die mit sprachlichen Elementen des Hethitischen oder des Luwischen gebildet sind. Diese und einige wenige Glossen, d.h. nicht übersetzte Begriffe aus der lokalen Umgangssprache, in den sonst im altassyrischen Dialekt des Akkadischen geschriebenen Urkunden, Briefen oder Dokumenten, die die Händler mit Einheimischen, aber auch Einheimische untereinander austauschten, sind die allerersten konkreten Hinweise auf die Anwesenheit von Sprechern einer ursprünglich nicht hier heimischen Sprache. Sie belegen, dass bereits zu dieser Zeit, d.h. im 19. Jahrhundert v. Chr., im Bereich der zentralanatolischen Hochebene neben den traditionellen einheimischen Sprachen auch das Hethitische und das Luwische gesprochen wurden. Über die politische Rolle, die die Sprecher dieser Sprachen in ihrer neuen Umwelt spielten, und über ihr Verhältnis zu der alteingesessenen Bevölkerung schweigen die Quellen weitestgehend. Man kann dies durchaus so deuten, dass der Prozess der Akkulturation der Neuankömmlinge weitestgehend friedlich verlaufen ist. Eine militärische Unterwerfung, eine Art indogermanische Herrscherschicht, die sich die Einheimischen unterworfen hat, gehört in den Bereich der Phantasie und hat mehr mit den romantischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts über die sogenannte Völkerwanderungszeit zu tun als mit der Realität. Als erkennbare Gruppe treten «Hethiter» jedenfalls in dieser Phase der kleinasiatischen Geschichte nicht auf. Überhaupt spielten solche an ethnischen Zuordnungen orientierten Vorstellungen in dieser Epoche keine Rolle, wie die Einheitlichkeit des materiellen Befundes unterstreicht. Allein auf der Ebene der sprachlichen Zuordnung könnte man von einer multiethnischen Gesellschaft und Kultur sprechen, zu der größere Gruppen der von Nordsyrien aus nach Kleinasien eingewanderten Hurriter, die ebenfalls hier heimisch geworden waren, ebenso gehören wie die vor allem in Zentral- und Nordanatolien heimischen autochthonen Gruppen der Hattier mit ihrer ganz eigenen Sprache, die mit keiner anderen bekannten Sprache verwandt ist und deshalb bis heute völlig isoliert steht.
Der einzige bisher bekannte historiographische Text, der in chronologischer Abfolge mit der...