Kleist Wenn der Wecker nicht mehr klingelt
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-86284-166-0
Verlag: Links, Christoph, Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Partner im Ruhestand
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Lebenswelten & Lebenshilfe
ISBN: 978-3-86284-166-0
Verlag: Links, Christoph, Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie ändert sich das Selbstbild, wenn die alten Rollen nicht mehr tragen? Wie lassen sich gesundheitliche und finanzielle Einschränkungen bewältigen?
Bettina von Kleist hat Paare befragt, wie sie mit diesen Herausforderungen umgehen. Die Modelle für den neuen Lebensabschnitt sind, so zeigt sich, erstaunlich vielfältig. Neben den Erfahrungsberichten hat die Autorin zahlreiche Langzeitstudien ausgewertet und Ratschläge von Fachleuten eingeholt. Auf diese Weise werden nicht nur die Probleme sichtbar, sondern auch die vielfältigen Chancen, die der Ruhestand für Paare bietet.
Jahrgang 1949, Studium der Theaterwissenschaften, Psychologie und Amerikanistik, freie Journalistin und Mitarbeiterin überregionaler Zeitungen, schreibt vorrangig über psychologische Themen. Sie hat zwei erwachsene Söhne und lebt in Berlin.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Beruf als Stützpfeiler der Identität
Karriere oder Broterwerb?
»Metro, boulot, dodo« – »Pendeln, Malochen, Pennen«: Lakonisch beschreiben die Franzosen den Rhythmus, der im berufstätigen Alter von montags bis freitags das Leben bestimmt, vorausgesetzt, man ist nicht arbeitslos. Für die meisten Männer der heutigen Rentnergeneration bestand kein Zweifel, dass nach Lehre, Ausbildung, Studium ihr Arbeitsplatz die »Hauptbaustelle« in ihrem Leben war. Anders als für Frauen, die beruflich zugunsten der Familie oft zurücksteckten, war für Männer ihre Berufstätigkeit so selbstverständlich wie der Wechsel von Tag und Nacht. Im günstigen Fall bot der Beruf ihnen Gelegenheit, Gestaltungs- und Einflusswünsche zu befriedigen, gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, Kontakte und Freundschaften zu knüpfen, und war so die Quelle von Selbstbewusstsein und Glück.
Die Unausweichlichkeit der männlichen Berufsrolle hat den Vorzug, dass sie Fähigkeiten fördert und Kräfte mobilisiert. Die Höhe des Gehalts, die beruflichen Aufstiegschancen und der damit verbundene gesellschaftliche Status spielen in der Lebensplanung von Männern eine größere Rolle als bei Frauen. Fehlten die Voraussetzungen für ein befriedigendes Berufsleben jedoch, hatten Männer keine gesellschaftlich akzeptierte Alternative. Nicht einer geregelten Arbeit nachzugehen, bedeutete für sie geringes Ansehen und wenig Einkommen. Je nach Vermögensverhältnissen wurden Männer ohne Beruf abgestempelt zum »Playboy«, »Loser« oder Pantoffelhelden, dessen Frau die Hosen anhat, weil sie die Familie ernährt.
Der dauerhafte Leistungsdruck führte dazu, dass Männer oft ein »halbiertes«, privat oft ein »halbsozialisiertes« Leben führten. Männer riskierten, den Anschluss an die Familie, Frauen dagegen, den Anschluss an den Beruf zu verlieren, pointieren kritische Frauen- und Männerstimmen eine geschlechtsspezifische Prioritätensetzung, die auf beiden Seiten Defizite erzeugt. Die Verurteilung misslicher Arbeitsumstände, die Kräfte verschleißen, Verzicht erfordern und den Blick auf die nächste Stufe der Karriereleiter fixieren, geht bei Männern im Unterschied zu Frauen selten bis zur Verwerfung der Berufsrolle überhaupt. Während in früheren Generationen (gesunde) Männer klar die Rolle des Familienernährers einnahmen, brachen im Berufsleben der jetzigen Rentnergeneration solche Rollenmuster auf. Die Infragestellung ihrer beruflichen Vorrechte und Verpflichtungen löste vermutlich bei vielen Männern ähnlich ambivalente Gefühle aus, wie sie der 1936 geborene Psychoanalytiker Horst Petri schildert: Als Angehöriger einer Kriegsgeneration, die mit autoritären Leitbildern groß wurde, erlebte er die 68er-Bewegung einerseits als »Befreiung«, andererseits aber widersprach die Sehnsucht des zweifachen Vaters, mehr Freiraum für Partnerschaft(en) und Freundschaften zu haben, »den verinnerlichten Idealen von arbeitsam sein, zielstrebig, ehrgeizig, erfolgreich sein, kämpferisch sein«5.
Die Akzeptanz eigener Grenzen und das Abwägen, ob sich das berufliche Engagement auszahlt, führen jedoch nicht selten dazu, dass auch Männer im fortgeschrittenen Alter Berufliches relativieren und sich darauf besinnen, was das Leben sonst noch bietet. Die Autoren Hans Georg Berg und Eva Renate Schmitt beschreiben die Entwicklung männlicher Identität in vier Phasen. Nach ihrer Analyse nimmt der hohe Stellenwert von Beruflichem im Laufe der Zeit ab, während private Beziehungen und Wohlbefinden wichtiger werden. Mit dem Vorbehalt, dass Verallgemeinerungen stets Ausnahmen implizieren, scheint mir das Vier-Stufen-Modell der Autoren durchaus zutreffend zu sein:
- In der ersten Phase der Internalisierung orientieren sich Männer eng an klassischen Rollenmustern. Vorausgesetzt, sie haben eine Arbeitsstelle, streben viele nach zunehmender beruflicher Verantwortung. Finanzielle Sicherheit, ein geregeltes Einkommen sind wichtig. Die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen wird trotz des gelegentlichen Leidens daran akzeptiert. Berufliche Anforderungen haben Vorrang vor Familienaufgaben, denn diese übernimmt die Frau. Zugespitzt: Männer sind Familienerhalter, Frauen Familiengestalter.
- In der zweiten Phase der Differenzierung findet eine Verunsicherung statt. Die Anstöße, herkömmliche Rollenmuster zu modifizieren, erfolgen durch äußere Umstände, weniger durch eine veränderte Einstellung. Beziehungen, auch Männerfreundschaften, werden zum wichtigen Thema. Die Bereitschaft, im Wettbewerb der Leistungsgesellschaft mitzumachen, sinkt.
- In der dritten Phase der Neuorientierung werden andere Beziehungsformen ausprobiert. Gefühle, der aufmerksamere Umgang mit dem Körper gewinnen an Bedeutung. Die partnerschaftliche Kooperation mit Frauen wird verstärkt geübt. Es gilt die Formel: »Weniger Mann, mehr Mensch.« Ein neuer Lebensstil wird gesucht. Der Verlust von gesellschaftlichen männlichen Vorrechten wird jedoch auch bedauert. Neues kann als bedrohlich empfunden werden.
- In der vierten Phase der Komplexität hat das Bedürfnis nach Anerkennung durch Machtspiele, Hahnenkämpfe, Selbstdarstellung abgenommen. Unterschiedliche Lebensformen werden zugelassen, auch in der Sexualität. Während der Beruf an Wichtigkeit verliert, gewinnt die Familie an Bedeutung. Die Entwicklung von Frauen und Männern gleicht sich an. Trotz bestehender Unterschiede gibt es oft auf einer tieferen seelischen Ebene Annäherungen.6
Der erste Tag im Ruhestand
»Meine Frühverrentung war das Ende einer Leidenszeit.« »Im letzten halben Jahr habe ich mich manchmal in den Dienst geschleppt, weil ich dachte: Wer weiß, was heute wieder für Klopse kommen.« Deprimierende Sätze, vor allem deshalb, weil sie so häufig fallen. Wie ein roter Faden zieht sich durch meine Interviews das Bedauern darüber, dass ein einstmals geliebter Beruf von einem unguten Ende überschattet wurde.
Fusionen, Umstrukturierungen, Konkurse, die kränkende Erfahrung, am Arbeitsplatz unerwünscht zu sein, sowie das Gefühl, mit den rasanten Umwälzungen nicht mehr mithalten zu können, sind neben gesundheitlichen Problemen Gründe, weshalb etwa 60 Prozent der 55- bis 65-jährigen Arbeitnehmer in den Vorruhestand gehen, die meisten unfreiwillig.7 Auch aus Angst, dass sich Arbeitsbedingungen massiv verschlechtern könnten und die Konditionen für einen vorzeitigen Ausstieg später womöglich ungünstiger werden, ziehen viele es vor, künftig Rente statt Gehalt zu beziehen.
Für die meisten bringt die Frühverrentung spürbare finanzielle Einbußen. Im Jahre 2003 hatten Vorruheständler im Schnitt monatlich 174 Euro weniger im Portemonnaie als in ihrer letzten Gehaltsstufe.8 Wie Umfragen ermittelten, wirkt es sich erheblich auf die Einstellung zum Ruhestand aus, unter welchen Umständen der Abschied aus dem Erwerbsleben erfolgt. Ob sich damit gute oder schlechte Erinnerungen verbinden, ob es ein freiwilliger oder unfreiwilliger Abschied war, beeinflusst noch mehr den Grad an Zufriedenheit im Ruhestand als die Frage, wie gern jemand seine Arbeit tat.9
Wer plötzlich dauerhaft arbeitslos wird, fühlt sich entwertet und verliert nicht selten das Vertrauen in sich selbst. Zu materiellen Sorgen kommt das Gefühl, versagt zu haben, das durch (vermeintlich) abfällige Bemerkungen der Umwelt oder des Partners noch verstärkt wird. Auch wenn Arbeitslosigkeit vor keiner Branche und keiner Etage mehr Halt macht, fühlen sich Betroffene oft stigmatisiert. Auf die Kündigung reagieren manche wie gelähmt. Andere lehnen sich gegen ihr Schicksal auf. Auf den Schock folgt häufig eine optimistische Phase mit der intensiven Suche nach einer neuen Anstellung. Schlagen die Bemühungen jedoch fehl, nistet sich allmählich die Überzeugung ein, die Situation aus eigener Kraft nicht mehr verändern zu können. Wut und Resignation wechseln einander ab.10 Fatalistisch schicken sich einige in ihr Los. Nach einer Phase des Haderns richten sich andere in den Gegebenheiten ein.
Der jähe Abriss des Erwerbslebens erschwert es, sich im Ruhestand zurechtzufinden. Wie auch in anderen Lebensbereichen gelingt der Aufbruch zu Neuem am leichtesten, wenn Altes innerlich abgeschlossen ist. Andernfalls rumoren womöglich Gefühle des Scheiterns, oder man gibt sich Illusionen hin, was man noch alles geleistet hätte, wäre einem der Weg nicht abgeschnitten worden.
Bedenklich viele meiner Interviewpartner beklagen den rauen Wind, der in die Arbeitswelt einzieht. Einige fühlen sich im Vorruhestand wie Vertriebene. Andere äußern sich erleichtert, dass sie den verschärften Anforderungen entronnen sind. Die Erinnerung an eine schöne Abschiedsfeier setzt hinter Missliches oft einen versöhnlichen Schlusspunkt. Auch wenn die Ehrung als Ritual relativiert wird, klingt die persönliche Würdigung oft lange nach und wirkt sich auf die Einstellung zum Ruhestand positiv aus.
Wechselwirkung von Selbstbild und Fremdbild
Seit den 60er Jahren befassen sich Studien mit der Lebenszufriedenheit im Ruhestand – vor allem von Männern. Doch was die Berufsaufgabe für Frauen bedeutet, wird in Erhebungen weitgehend vernachlässigt.
Zum einen aus sachlichen Gründen, vermutet Ursula Lehr, Jahrgang 1930 und zweifache Mutter mit steiler Karriere: von 1988 bis 1991 war sie Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit; die emeritierte Professorin für Psychologie und Gerontologie ist Mitbegründerin des Deutschen Zentrums für Alternsforschung in Heidelberg. Die geringe Zahl der weiblichen Beschäftigten und die methodische Schwierigkeit, unter den individuell...