E-Book, Deutsch, 578 Seiten
Kleger Gedankensplitter III
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7578-3622-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Normalität in der Krise, Demokratiepolitik, Krieg und Frieden
E-Book, Deutsch, 578 Seiten
ISBN: 978-3-7578-3622-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gedankensplitter lll enthält die Blog-Artikel der Jahre 2020, 2021 und 2022, die alles verändert haben. Nach dem »schwarzen Montag" am 9. März 2020 schien es sinnvoll, die Kontakte wieder vermehrt über das Internet zu suchen. Freunde schlugen mir vor, einen Blog einzurichten, eine »kleine Zeitung« zur Zeit, um auf dem Laufenden zu bleiben. Mit dem Bundestagswahlkampf ging es los: mit der Kampfansage der neuen Grünen an die CDU. Kurz darauf ging Olaf Scholz als einzig möglicher Kanzlerkandidat der SPD ins lange Rennen, das er schließlich mit den prägnanten Versprechen von Respekt und Mindestlohn knapp gewann. Corona und seine Folgen blieben ebenfalls präsent, doch schwanden allmählich die Corona-Angst und die Befürchtung vor Lockdowns, die, für uns alle zu überraschend plötzlichen Schließungen aller Art führten - : von Grenzen, Schulen, Kitas, Gastronomie, Theatern, Kinos usw., die zum Teil im Nachhinein als verfassungswidrig festgestellt werden. Am 24. Februar 2022 veränderte sich noch einmal buchstäblich und zur Gänze die Welt: als wir die flächendeckende Invasion der Ukraine durch das russische Militär gesehen haben. Zwar hat sich Putin mit seiner »Spezialoperation« verkalkuliert, der Krieg indessen hat sich zu einem fürchterlichen Zerstörungskrieg ausgeweitet und verstetigt. Derweil trat die Klimakrise, die keine Pause kennt, objektiv in den Hintergrund, was wiederum die Klimaproteste der »Letzten Generation« befeuert hat. Nicht alle legitimen Proteste sind jedoch gut. Gerade auch beim facettenreichen schwierigen Widerstandsbegriff, den auch die revolutionären Rechten auf der ganzen Welt gerne in Anspruch nehmen, ist genau hinzusehen und begrifflich zu differenzieren. Seriöse politische Theorie erweist sich als nötiger denn je. Alles scheint möglich - im Schlimmen wie im Guten.
Heinz Kleger, Prof. Dr. phil., geb. 1952 in Zürich, Philosoph und Politikwissenschaftler, lehrte von 1993-2018 Politische Theorie an der Universität Potsdam, 2004-2008 auch an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.
Autoren/Hrsg.
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Die Jahre, die alles verändert haben: 2020, 2021, 2022
Nach dem „schwarzen Montag“ am 9. März 2020 schien es sinnvoll, die Kontakte wieder vermehrt über das Internet zu suchen. Freunde schlugen mir vor, einen Blog einzurichten, eine „kleine Zeitung“ zur Zeit, um auf dem Laufenden zu bleiben – Blogs als wenig wirksame Flaschenpost. Corona, Wahlkampf, Krieg
Mit dem Bundestagswahlkampf ging es los: Mit der Kampfansage der neuen Grünen an die CDU. Kurz darauf ging Olaf Scholz als einzig möglicher Kanzlerkandidat der SPD in das lange Rennen, das er schließlich mit den prägnanten Versprechen von Respekt und Mindestlohn knapp gewann. Die CDU/CSU erlitt eine Niederlage nicht nur, weil Söder zu lange Laschet als Kanzlerkandidaten in Frage stellte. Es genügte ohnehin nicht mehr, lediglich Kanzlerpartei zu sein, wie zweimal rekordverdächtige 16 Jahre lang mit Kohl und Merkel. Das ideenpolitische Programm der Bürgerlichen war durch zu langes Regieren ausgedünnt, wenn man es mit dem frischen neuen grünen Grundsatzprogramm und der SPD, die allerdings auch nicht mehr die Partei der Jungen war, verglich. Mit rot oder schwarz in eine grüne Republik hieß die Alternative, wenn auch nicht überschwänglich. Die Liberalen (FDP), welche die längste Zeit die BRD mitregierten, wollten ebenfalls wieder in die Regierung, von Anfang an mit einem eigenen Finanzminister. Schließlich kam eine überraschende „Fortschrittsregierung“ zustande zwischen drei Parteien mit grundsätzlich verschiedenen Ansätzen. Das ist an sich schon eine parteipolitische Leistung, die seitdem durch eine überraschend neue und gravierende Krisenrealität auf eine außergewöhnliche Belastungsprobe gestellt wird. Das Regieren wird schwieriger. Um diese zweite Leistung neben Wahlkampf und Regierungsbildung beurteilen zu können, wird allerdings mehr zeitlicher Abstand nötig sein. Von „Regierung der Taten“ spricht Scholz nach zwölf Monaten Ampelkoalition, Merz von „miserablem Regierungshandeln“ und Weidel von „Deutschland am Abgrund“ (im Bundestag am 23. November 2022). Politische Rhetorik ist vornehmlich und größtenteils Polemik. Wer verzerrt die Wirklichkeit am stärksten? Und wer schafft wie Zustimmungsbereitschaft? Das sind die eigentlichen Fragen. Wenn man sich mit Demokratien befasst, muss man sich eingehend auch mit ihren Parteien und Parteiensystemen beschäftigen, obwohl sie ephemer sein mögen. Schon deshalb war dieses Jahr aufschlussreich, in dem zum ersten Mal in Deutschland eine Dreierkoalition für das demokratische Regieren nötig wurde. Die Grünen wollten in die Regierung mit dem ambitionierten, historisch begründeten Ziel, eine „Klimaregierung“ zu bilden, die Sozialdemokraten wiederum wollten ihr traditionelles Verständnis von „Fortschritt“ unter neuen technologischen Bedingungen umsetzen: neue industrielle Revolution, Wirtschaftswachstum, Sicherung der Arbeitsplätze. Ob daraus ein „neues sozialdemokratisches Zeitalter“ (Klingbeil) entsteht, wollen wir dahingestellt sein lassen. Man wird jedenfalls zwischen Fortschritt im großen geschichtsphilosophischen Singular (seit der Neuzeit) und buchstäblichen Fortschritten im Kleinen und verschiedenen Bereichen (medizinisch, wissenschaftlich, Politikfelder u. a.) unterscheiden müssen. Ebenso muss man zwischen spontaner, bürgerlich-persönlicher, zivilgesellschaftlicher Solidarität und verrechtlichter Solidarität, die strukturell über den Staat läuft, unterscheiden. Kann aber die sozialdemokratische Fortschrittsregierung heute noch eine politische Klammer für die Gestaltung der Globalisierung bilden? Was alle drei Parteien, einschließlich der Liberalen eint, ist ihre liberale Gesellschaftspolitik mit vielen überfälligen Punkten, zum Beispiel der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts (siehe Blog vom 20. September 2022). Auffällig ist hingegen die gemeinsame Betonung des starken funktionalen Staates, der nicht zufällig am Anfang des neuen Koalitionsvertrages steht: ein Artikel 1, der ideenpolitisch wenig reflektiert ist. Notgedrungen sind wir Staatsgläubige geworden. Als Verwaltungsstaat soll er effizienter funktionieren und als Sozialstaat muss er in den Krisen (Corona, Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation, Preissteigerungen) viel leisten (Bazooka, Doppelwumms) und sich auf Kosten künftiger Generationen verschulden. Beides bekannte deutsche Stärken, die in der multiplen Krise noch stärker hervortreten, selbst im europäischen Vergleich, wobei für den Organisationsweltmeister kränkend auch sehr viel elementares Organisations- und Verwaltungsversagen zutage tritt. Derweil tritt die Klimakrise, die keine Pause kennt, objektiv in den Hintergrund, was wiederum die Klimaproteste der Letzten Generation befeuert, die bereits in den Anfängen hysterische Reaktionen wie „Präventivhaft“ und „grüne RAF“ hervorruft: „Die Klimajugend wird gefährlich“ (NZZ, 12.11.2022, S. 1). Der Widerstand reicht über zivilen Ungehorsam hinaus bis zur gefährlichen Sabotage, wenn etwa Landebahnen des Hauptstadtflughafens besetzt werden. Sabotage bedeutet bewusste Unterbrechung und Störung von normalen Kreisläufen des Funktionierens. Auch diesbezüglich gibt es unterschiedliche Stufen und Mittel, von milden bis hin zu militärischen, etwa beim Sprengstoffanschlag auf eine Pipeline. Endlich sieht man auch, durch leidvolle Erfahrung belehrt, die kritische Infrastruktur kritischer. Die moderne Zivilisation wird immer verletzlicher, und wir als Einzelne immer abhängiger von ihren Strukturen. Nicht alle legitimen Proteste sind gut (siehe Blog vom 8. November 2022). Auch hier, gerade beim facettenreichen schwierigen Widerstandsbegriff, den auch die revolutionären Rechten auf der ganzen Welt gerne in Anspruch nehmen, ist genau hinzusehen und begrifflich zu differenzieren. Diesbezüglich ist seriöse politische Theorie nötig, mehr denn je. Corona und seine Folgen verschwinden ebenfalls nicht, aber doch weitgehend die Corona-Angst und die Befürchtung von Lockdowns, die historisch für uns alle zu überraschend plötzlichen Schließungen aller Art führten: von Grenzen, Schulen, Kitas, Gastronomie, Museen, Theatern usw., was zum Teil im Nachhinein als verfassungswidrig festgestellt wird. Experten sprechen bei uns inzwischen vom Übergang von der Pandemie zur Endemie, während in China ein Fünftel der Wirtschaft am 25. November 2022 aktuell im Lockdown steckt. Diese strenge Covid-Politik hat ebenso schlimme Auswirkungen für die Menschen dort, wogegen es Proteste gibt, wie weltweit für die Wirtschaft und ihre Lieferketten. Krisennormalität
Die Corona-Krise führte zur buchstäblichen Rückkehr in den Nationalstaat, zur Schließung des öffentlichen Lebens und das Zurückgeworfensein auf die eigene kleine Familie, die viel (oft zu viel) tragen musste, vor allem Frauen und Alleinerziehende. Solidarität wird zum wenig geklärten ubiquitären Hauptwort, auch einer liberalen, vornehmlich wirtschaftlich geprägten Gesellschaft, vor allem im permanenten Appell der Regierung an die eigene Bevölkerung („nationaler Notstand“ und „nationale Kraftanstrengung“), die wiederum eine erstaunliche Disziplin zeigte und zugleich spontane erfindungsreiche Solidarität an den Tag legte. Die Systemrelevanz von Kräften wurde gefeiert, die bisher nicht nur unsichtbar blieben, sondern nach wie vor unterbezahlt sind und deren Arbeitsbedingungen schwer. Wahrnehmung und Wertschätzung sind im hektischen gesellschaftlichen Konkurrenz- und Anschlussbetrieb tatsächlich wieder zu lernen. Wert ist nicht nur ein ökonomischer Begriff, da käme vielmehr die Würde ins Spiel. Buchstäblich in einer neuen Welt sind wir am 24. Februar 2022 aufgewacht, als wir die Invasion der Ukraine durch die russische Armee gesehen haben. Die militärische Invasion, die als „Spezialoperation“ bezeichnet wurde, flächendeckend in das größte Land Europas schien schon rein militärisch absurd. Unter einer erfolgreichen Spezialoperation hätte man sich etwas anderes vorgestellt, die CIA hat es vielfach vordemonstriert. Von Anfang an wurde zurecht gesagt, dass sich Putin verkalkuliert hatte – das schien offensichtlich. Die schwerfällige veraltete Kriegsführung musste schon vor Kiew scheitern, was sich von Charkiv bis Cherson im Herbst in der Ost-und Südukraine wiederholte, während im Donbass sich ein zermürbender Artillerie- und Stellungskrieg über eine lange Frontlinie hinweg festsetzte. Die Annexion der Oblaste Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson durch die russische Föderation „für immer“ bildete einen Höhepunkt des sichtbaren Fanatismus von Putin und führte zugleich zu einer neuen Eskalationsstufe. Russland befindet sich in einem Krieg mit der NATO, vor allem mit den USA, wie die 45minütige antiamerikanische Wutrede von Putin am 30. September im Kreml deutlich offenbarte. Kann man eine Atommacht besiegen, ohne dass es zum Weltkrieg kommt? Das ist der schwierige Balanceakt der NATO,...