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E-Book, Deutsch, 142 Seiten
Klausfering / Klein / Thaleikis-Carstensen Sensible Trauma- und Erlebnispädagogik
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-497-61979-5
Verlag: Ernst Reinhardt Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 142 Seiten
ISBN: 978-3-497-61979-5
Verlag: Ernst Reinhardt Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ralf Klausfering, Diplom-Sozialpädagoge und Erlebnispädagoge be®, ist Bereichsleiter bei der Kiwo Jugendhilfe in Dülmen. Joachim Klein, Diplom-Sportwissenschaftler, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) und an der Katholischen Hochschule Mainz. Ute Thaleikis Carstensen, Diplom-Psychologin, systemische Familientherapeutin (DGSF) und Traumapädagogin / Traumazentrierte Fachberaterin (DeGPT / FVTP) ist Bereichsleiterin bei der Kiwo Jugendhilfe in Dülmen. Heiner van Mil, Euskirchen, Rehabilitations- und Erziehungswissenschaftler und Traumapädagoge / Traumazentrierter Fachberater (DeGPT / FVTP) ist Leiter des Institut Trauma & Pädagogik (Eifel) und Vorsitzender des Fachverband Traumapädagogik.
Zielgruppe
Fach- und Führungskräfte aus der Sozialen Arbeit sowie Lehrkräfte an Hochschulen und in Fort- / Weiterbildungsinstitutionen
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Inhalt
Vorwort 7
1 Sensible Trauma- und Erlebnispädagogik
- Theoretische Basis . 11
1.1 Traumapädagogik - eine Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.2 Erlebnispädagogik - eine Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1.3 Sensible Trauma- und Erlebnis-Pädagogik -
eine Zusammenführung (Synopse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2 Sensible Trauma- und Erlebnispädagogik
- Praxisangebote 69
2.1 Einführung in die STEP-Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
2.2 Mountainbike Academy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
2.3 Das grüne Haus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
2.4 In the River . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
2.5 Outdoorküche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
2.6 Auf dem Weg und in der Höhle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
2.7 Booster - STEP als Energieschub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
2.8 Blicke aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
3 Sensible Trauma- und Erlebnispädagogik
- Qualitätsrahmen 120
3.1 Wissenschaftliche Begleitung der STEP-Entwicklung -
Evaluationsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
3.2 Vertiefende Reflexion im Fallverstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
4 Literatur . 132
5 Autorinnen und Autoren . 139
6 Register 141
1Sensible Trauma- und Erlebnispädagogik – Praxisangebote
2.1Einführung in die STEP-Praxis
Von Ute Thaleikis-Carstensen und Ralf Klausfering
Wer wir sind
Die KIWO Jugendhilfe ist eine mittelgroße Jugendhilfeeinrichtung im Münsterland mit einem differenzierten, im Schwerpunkt stationären Jugendhilfeangebot nach §§ 27 ff SGB VIII (Hilfen zur Erziehung). Auf der Basis eines christlichen Weltbildes verpflichtet sie sich, insbesondere Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch benachteiligten und mehrfach belasteten Familien im Sinne einer Verringerung bestehender Chancenungleichheiten und einer Stärkung von sozialer Teilhabe zu unterstützen.
Wo STEP seinen Ursprung fand
Wie für viele andere Jugendhilfeeinrichtungen ist die Erlebnispädagogik seit Jahrzehnten eine tragende Säule der pädagogischen Praxis der KIWO Jugendhilfe, gleicht aus, bereichert und begeistert. Sie macht den Jugendhilfealltag bunter und wird zielgerichtet eingesetzt, differenziert sich zunehmend in allerlei benachbarte Gebiete, verfolgt Sicherheitskonzepte und kann Bedarfen von jungen Menschen adäquat begegnen (Michl / Seidel 2021, Baig-Schneider 2012).
Bereits seit den 1990er-Jahren gehört auch ein psychosoziales Traumaverständnis zu den Leitgedanken der Einrichtung. Die Traumapädagogik hat heute eine referenzielle Bedeutung für die gesamte Organisation und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Traumatisierten jungen Menschen in stationären Gruppen und Pflegefamilien gerecht zu werden und ihnen ein verstehendes und entwicklungsförderndes Milieu anzubieten, ist aus Einrichtungssicht eine Grundanforderung der stationären Jugendhilfe und stellt zugleich besondere Ansprüche an Pädagog:innen und Pflegeeltern (Weiß et al. 2016; Bausum et al. 2009).
Beide Ansätze entwickelten sich in den vergangenen Jahrzehnten in unserer Einrichtung parallel. Zwar gab es Berührungspunkte, gemeinsame Akteure und erste Versuche in der Praxis, beide Ansätze zu verbinden, nicht aber ein konsequentes Zusammendenken oder gar einen konzeptionellen Rahmen. Auch diese Beschreibung dürfte für viele Jugendhilfeträger in ähnlicher Weise gelten.
Angeregt von der Fachtagung „Traumasensible Erlebnispädagogik“ im Jahre 2018 (Kremer) machte sich die KIWO Jugendhilfe auf den Weg, die beiden pädagogischen Schwerpunkte systematisch miteinander zu verbinden (Van Mil / Thaleikis-Carstensen / Klausfering 2023). Es entstand die Idee eines Projekts zur Entwicklung eines beide Fachrichtungen integrierenden Konzepts und so startete im Jahr 2021 das von der Stiftung Wohlfahrtspflege des Landes NRW geförderte und vom Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) wissenschaftlich begleitete Modellprojekt „Traumasensible Erlebnispädagogik (TSE)“. Aus dem Arbeitstitel wurde im dreijährigen Projektverlauf „STEP – Sensible Trauma- und Erlebnis-Pädagogik“. Das Projektdesign zeichnete sich insbesondere aus durch die wechselseitige Verknüpfung von Orten bzw. Formaten der Planung, Fortbildung und Vertiefung von Fachwissen und -kompetenz, der Praxiserfahrungen inklusive deren Reflexion, der Konzeptentwicklung sowie des Transfers in alltagspädagogische Kontexte der Einrichtung.
¦Die STEP-Praxis beinhaltete 19 trauma- und erlebnispädagogische Angebote für Kinder und Jugendliche unserer Einrichtung und deren Familien, die in den meisten Fällen als Reihe mehrerer Veranstaltungen aufgebaut waren.
¦Die Entwicklungs- und Fortbildungsreihe ‚pädagogische Werkstatt‘ verband 25 Pädagog:innen, die vierteljährlich als feste Gruppe an der Zusammenführung der Konzepte und Methoden von Trauma- und Erlebnispädagogik arbeiteten.
¦In fünf Halbtagsmodulen wurde zum Thema des vertiefenden Fallverstehens an der Schnittstelle von Erlebnispädagogik und Traumapädagogik reflektiert und geforscht (Kap. 3.2).
¦In einem internen Qualitätsdialog entwickelten wir aus dem Projekt heraus Kriterien, die die Qualität einer Sensiblen Trauma- und Erlebnis-Pädagogik in einer Jugendhilfeeinrichtung beschreiben (KIWO Jugendhilfe 2024c).
¦Nicht zuletzt unterstützte die wissenschaftliche Begleitung des IKJ mit seiner Evaluation und Konzeptlegung unsere Praxisentwicklung (Klausfering et al. 2023).
Mit den folgenden Beiträgen geben wir einen Einblick in die Projekt-Praxis der STEP-Angebote für Kinder, Jugendliche und ihre Familien. Insgesamt gab es in den drei Projektjahren 19 Angebote unterschiedlichster Gestalt, verbunden über das gemeinsame Ziel, erlebnispädagogische und traumapädagogische Methoden und Inhalte zusammenzubringen und zu verstehen, an welchen Stellen und in welcher Art die beiden Fachdisziplinen sich sinnvoll ergänzen oder vielleicht konfligieren.
Die in dieser Publikation vorgestellte Auswahl von sechs Angeboten aus dem Kontext der zumeist stationären Kinder- und Jugendhilfe soll für die eigene pädagogische Praxis und Haltung anregen, begeistern und vielleicht nachdenklich machen. Vieles von dem, was wir (als KIWO-Jugendhilfe) uns vorgenommen haben, ist richtig gut gelaufen. Wir sind aber auch an Grenzen gekommen, die wir transparent machen möchten. Die Vorstellungen sind sicher keine Blaupausen, doch lassen sich methodische Vorgehensweisen bestimmt an andere Rahmenbedingungen und Bedürfnislagen adaptieren. (Weitere Einblicke in die praktische Arbeit des STEP-Projektes finden Sie unter https://moodle.ikj-online.de.)
2.2Mountainbike Academy
Über das Wagnis zur Resilienz
Von Kevin Roth
Die Idee
Das Mountainbiken erfreut sich bei Kindern und Jugendlichen großer Beliebtheit. Ich selbst betreibe den Sport seit gut 20 Jahren in sämtlichen Disziplinen. Über die Zeit, die ich in der KIWO Jugendhilfe arbeite, bin ich immer wieder mit verschiedenen Kindern und Jugendlichen Mountainbike gefahren. Das mit diesem Sport verbundene Wagnis in Kombination mit der Bereitschaft, etwas für ein höheres Ziel zu leisten und sich selbst damit zu belohnen, macht diesen Sport für die Kinder und Jugendlichen so interessant.
Die vielseitigste und damit für die Jugendhilfe relevanteste Variation des Mountainbikesports ist Enduro: Man bewegt sich gemeinsam den Berg hinauf und schnellstmöglich den Berg wieder herunter. Ein Enduro Mountainbike (MTB) mit seiner abfahrtsorientierten Geometrie, einer großen Anzahl an Gängen sowie viel Federweg an Vorder- und Hinterachse ermöglicht es, weite Distanzen wie beim Cross Country (Ausdauerdisziplin) zurückzulegen und technisch schwierige Abfahrten wie beim Downhill (schwierige Bergabstrecke) zu meistern. Die Bauart des Mountainbikes lässt es somit zu, mehrere Disziplinen miteinander zu verbinden.
Die Wahl der Enduro-Disziplin hat auch geologische bzw. sozialraumorientierte Gründe. Unsere Region ist eher flach und besitzt in unmittelbarer Nähe keine Lifte. Somit müssen sämtliche Anstiege von den Kindern und Jugendlichen aus eigener Kraft bewältigt werden. In technisch schwierigem Gelände ist die aktive Auseinandersetzung mit selbst gewählten Wagnissen gefragt. In Bergauf-Passagen haben die jungen Menschen die Möglichkeit, ihre Kondition und Leistungsbereitschaft zu steigern, um ein im wahrsten Sinne des Wortes höheres Ziel zu erreichen. Dies ist mit dem Enduro gut möglich.
Die Übertragbarkeit traumapädagogischer Ideen und Haltungen auf das erlebnispädagogische Handlungsfeld „Mountainbike” schien schlüssig, denn in der Praxis zeigten sich immer wieder spannende Ansatzpunkte, die vertieft sein wollten, z. B. Momente des völligen Aufgehens (Loslassen aller störenden Gedanken) bei einer Bergabfahrt oder der Selbstwirksamkeit in der Balance oder beim Spurhalten.
Traumatisierte Kinder und Jugendliche weisen oftmals einen erhöhten Adrenalin- und Cortisolspiegel auf (Grawe 2014). Dieser ruft Anspannung, Unruhe und eine generell beeinträchtigte Stimmung hervor, die Kinder sind verhaftet in ihren aus den Erfahrungen resultierenden negativen Gedanken. Durch die körperliche Herausforderung und die Konzentration auf das Hier und Jetzt haben sie die Möglichkeit, ihren Adrenalin- und Cortisolspiegel zu senken und das belastende Denken für den Moment (und vielleicht auch darüber hinaus) zu unterbrechen.
Beim Mountainbiken haben die jungen Menschen die Möglichkeit, den gezielten Einsatz von Körperkraft, -dosierung und -spannung zu erlernen. Zudem erfordert es Konzentration, Fokussierung, die Fähigkeit, schnell eine richtige Entscheidung zu treffen, und Mut. Grenzerfahrungen in Bezug auf Wagnisse und das Erbringen von körperlicher Leistung dienen dazu, die eigenen Grenzen zu erkennen und sich aktiv mit diesen auseinanderzusetzen. Damit einher gehen der evtl. Erfolg bzw. Misserfolg und die Bewältigung dessen. Der bewusste Umgang mit Erfolg und Misserfolg erhöht das Selbstwertgefühl sowie die...