E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Klassen / Sacher / Scholz Leben mit dem Tod
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-641-29294-2
Verlag: Gütersloher Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Vier Essays gegen die Sprachlosigkeit
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-641-29294-2
Verlag: Gütersloher Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Auferstehung der Toten? Unsterblichkeit der Seele? Ewiges Leben? Die traditionelle religiöse Sprache in Bezug auf den Tod sagt heute vielen nichts mehr. Muss in einer Welt, in der die Menschen, Kirchenmitglieder inbegriffen, der naturwissenschaftlichen Erkenntnis zustimmen, dass der Tod das Ende des Menschen ist, die christliche Religion angesichts des Todes verstummen?
In vier Essays zeigen die Autor*innen dieses Bandes, dass und wie die religiöse Rede vom Tod ihre Bestimmung nicht in der Vertröstung des Menschen auf ein jenseitiges Weiterleben findet und wie dennoch in den Bildwelten religiöser Sprache ein Trost liegen kann.
Ein Werk, das angesichts des Todes eine neue Perspektive findet und zeigt: Man muss den Tod anerkennen und kann dennoch zuversichtlich leben.
- Eine Theologie des Todes für das 21. Jahrhundert
- Religiöse Orientierung angesichts von Sterben, Tod und Trauer
- Ein Buch das angesichts der Endlichkeit tröstet, ermutigt und sprachfähig macht
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
»1. Der Tod ist ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Er wird von ihr an den Rand gedrängt. 2. Der Tod ist ein Bestandteil unseres Lebens. 3. Es weiß ja niemand, was danach kommt. 4. Ich habe keine Angst, ich weiß ja, was danach kommt.«1 Diese Sätze habe ich in den letzten Jahren nicht selten zu hören bekommen, wenn es in einer Gesprächsrunde um das Thema Tod ging. Der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, von dem das Zitat stammt, bezeichnet sie als »Sätze, die Sie als Vollidiot zum Thema Tod unbedingt sagen müssen«2. In seinem posthum erschienenen Buch Arbeit und Struktur hat er sich mit seinem bevorstehenden Tod auseinandergesetzt. Dabei stellt er sich auch die Frage, was ihm bei dem Gedanken an den Tod hilft und was nicht. Ohne in den schroffen Tonfall Herrndorfs einstimmen zu wollen, lohnt es sich, über diese »Sätze«, die er ablehnt, nachzudenken. Sie klingen teilweise wie kirchliche oder theologische Gemeinplätze, aber: Sind sie so selbstverständlich, wie sie scheinen?
Wird der Tod wirklich verdrängt oder hat die Auseinandersetzung mit ihm schlicht andere Formen angenommen? Kann der Tod als Bestandteil des Lebens begriffen werden oder ist er dem Leben aus der menschlichen Erfahrung heraus nicht eher radikal entgegengesetzt? Wie bringe ich die Absurdität und Grausamkeit des Todes mit dem Glauben an ein ewiges Leben zusammen? Weise ich fatalistisch darauf hin, dass ja keiner weiß, was danach kommt, und der Tod deswegen ein Geheimnis bleibt? Oder rühme ich mich, dass ich keine Angst habe, weil ich sicher bin, dass ich bei Gott sein werde?
In der folgenden Betrachtung möchte ich versuchen, aus der Perspektive des christlichen Glaubens Antworten auf diese Fragen zu formulieren und dabei die Formen des Umgangs mit dem Tod in unserer Gegenwart produktiv mit einzubeziehen.
1. Die Mehrdeutigkeit des Todes
Zuerst entfalte ich die Bedingungen, unter denen die christliche Perspektive formuliert werden kann. Diese lassen sich in der wesentlichen Einsicht zusammenfassen: Der Tod ist mehrdeutig und der christliche Glaube kann ihn ebenso wenig abschließend erfassen wie alle anderen Perspektiven. Der kurze Blick auf den gegenwärtigen gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod (A) verstärkt diese grundsätzliche Einsicht, die sich schon aus dem Verhältnis des Einzelnen zum Tod (B) ergibt. Die christliche Rede vom Tod zeichnet sich dann dadurch aus, dass sie dieser Mehrdeutigkeit Raum lässt und auf abschließende Definitionen verzichtet (C).
A. Die Gesellschaft und der Tod: Vielfalt entdecken
Von verschiedenen Seiten wurde und wird dem Menschen und der Gesellschaft unterstellt, dass sie den Tod verdrängen: Statt sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, orientieren sie sich am diesseitigen Leben. Sie glauben sogar daran, sich durch wissenschaftlichen Fortschritt selbst unsterblich machen zu können. Auch Theolog:innen nutzen zuweilen diesen Vorwurf, um auf dessen Grundlage ihre eigenen Thesen zu entfalten. Sie nehmen die Todesverdrängung als Zeichen dafür, dass die Gegenwart ›gottvergessen‹ ist und ›der sündige Mensch‹ seine Endlichkeit nicht wahrhaben will. Der Mensch versuche den Tod zu bezwingen, indem er ihn beschönigt, verdrängt oder mit Lebensoptimierung und Unsterblichkeitsbestrebungen bekämpft.3
Alternativ dazu wird seit einiger Zeit in der Soziologie, Philosophie und Theologie folgende Annahme vertreten: Für unsere Gegenwart kann man nicht pauschal von einer Todesverdrängung sprechen.4 Eher ist davon auszugehen, dass die Auseinandersetzung mit dem Tod andere Formen angenommen hat. Sie sucht sich andere als die traditionellen Räume. In den sogenannten ›gesellschaftlichen Systemen‹ – Wirtschaft, Wissenschaft, Recht, Politik, Religion, Erziehung, Medien, Kunst, Gesundheit5 – kommt der Tod je anders zur Sprache, je nachdem, nach welcher Logik gedacht und gehandelt wird. So unterscheidet sich z.?B. der strikt medizinische Umgang mit dem Tod von dem religiös-seelsorglichen. Medizinisch gilt der Grundsatz, den Tod möglichst zu vermeiden, der Tod wird unter Umständen als Versagen betrachtet. Seelsorglich geht es demgegenüber unter anderem darum zu lernen, mit der eigenen Begrenztheit umzugehen, die von Gott unwiderruflich gesetzt ist.
Der Umgang mit dem Tod ist so vielfältig wie unsere Gesellschaft, in der verschiedene Logiken, Weltanschauungen, Überzeugungen und Religionen nebeneinanderstehen, sich überlagern und unter Umständen miteinander konkurrieren. Er tritt in vielfältigen, sich zum Teil widersprechenden Gestalten auf. Er ist einerseits öffentlich höchst sichtbar, im digitalen Raum, in ausufernder Ratgeberliteratur, in medialer Inszenierung, in gesellschaftlichen Diskursen über Organspende, Patientenverfügung und Sterbehilfe. So kann ich z.?B. in einem digitalen Trauerportal Kerzen anzünden, letzte Grüße hinterlassen und mich mit anderen Zugehörigen relativ unverbindlich austauschen. Oder das Thema ›assistierter Suizid‹ wird nicht nur in ethischen Fachkreisen diskutiert, sondern mit einem Fernsehfilm massenwirksam aufbereitet, bei dem ich im Anschluss darüber abstimmen kann, wie ich selbst zum Thema stehe, und mich vielleicht sogar mit Freunden und Familie darüber austausche.6 Oder Bestatter:innen betreiben viel beachtete Social Media Accounts, auf denen sie über ihre Arbeit, das Thema Tod und mögliche Formen von Bestattungen posten und damit »zum Abschiednehmen ermutig[en]«7. Andererseits wird der Umgang mit dem Tod oft zurückgezogen gestaltet, ausgerichtet am Bedürfnis von Intimität und Diskretion. Beispiele dafür sind Beisetzungen im ›engsten Familienkreis‹ oder anonyme Bestattungen. Diese müssen nicht unbedingt nur wirtschaftlich motiviert sein, sondern können auch das Bedürfnis danach, sich den Blicken der Nachwelt zu entziehen, ausdrücken.8
Der Umgang mit dem Tod tritt – z.?B. juristisch und medizinisch – in versachlichter Form auf und ist zugleich sehr emotionalisiert, weil der Tod Nahestehender im persönlichen Erfahrungshorizont eher der Ausnahmefall ist und deswegen unter Umständen umso intensiver erlebt wird. Der Umgang mit dem Tod bewegt sich zwischen der Absage an traditionelle und institutionell bereitgestellte Rituale und der aufwändigen privaten Inszenierung neuer Formen des Abschieds und der Erinnerung. Der Umgang mit dem Tod ist professionalisiert, d.?h. es gibt verschiedene Experten, die ihren je eigenen, systemspezifischen Zugang zum Thema haben und den Tod auf je eigene Art und Weise zu deuten und damit zu bewältigen versuchen.
Der einzelne Mensch ist damit ein Kreuzungspunkt verschiedenster Deutungsmuster, die er für sich in Einklang zu bringen versucht. Er entwickelt dabei unter Umständen eine höchst individuelle Sichtweise auf den Tod. Gleichzeitig findet er sich als einer unter vielen wieder: Jeder Mensch muss sterben, so auch ich. Erfahrbar wird diese Einsicht gegenwärtig vor allem in dem Gefühl der kollektiven Bedrohung durch alle möglichen Arten von Krisen. Außerdem spielt der einzelne Mensch dort weniger eine Rolle, wo der Tod versachlicht wird, damit das entsprechende System funktionstüchtig ist. So ist er z.?B. nach ausschließlich ökonomischer Logik ein Einzelfall unter vielen – der Tod bedeutet das Freiwerden finanzieller und personeller Ressourcen.
Die Beobachtungen können so zusammengefasst werden: Der gegenwärtige Umgang mit dem Tod ist vielfältig. Der Tod wird aus verschiedensten Perspektiven zur Sprache gebracht. Er wird nicht abschließend definiert, sondern die unterschiedlichen Erfahrungen, die der Mensch mit ihm macht, werden gedeutet. Der Tod ist mehrdeutig.
Problematisch wird die Kommunikation über den Tod meiner Meinung nach, wenn sie die Mehrdeutigkeit des Todes zu umgehen versucht und die eigene Position zur einzig Gültigen erhebt. So wird z.?B. in der Diskussion um die Sterbehilfe der mögliche Ökonomisierungsdruck kritisiert: Werden Sterben und Tod allein aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet, wäre das für unseren Umgang miteinander fatal. In dem Fall würde man z.?B. die Entscheidung, ob man lebenserhaltende Maßnahmen durchführt, allein daran messen, ob das Kosten-Nutzen-Verhältnis das rechtfertigt. Dass eine in ihrem Bezugssystem angemessene Deutung zur allein gültigen erhoben wird, passiert auch da, wo einem System die Deutungshoheit gleichsam überlassen wird: wenn z.?B. Sterbende keinen anderen Bezugsrahmen mehr haben als das System Krankenhaus. Das passiert beispielsweise dann, wenn die Corona-Patientin im isolierten Krankenhauszimmer ihrem Tod entgegensieht und keinen Besuch empfangen darf. Auch ansonsten hat sie wenig Kontakt zu Menschen, weil es zu umständlich ist, unter den Hygienemaßnahmen ständig in ihr Zimmer zu kommen. Dass der Tod über die ausschließlich medizinische Perspektive hinaus bedeuten kann, Abschied zu nehmen, mit meinen Mitmenschen ins Reine zu kommen, die Unverfügbarkeit des Lebens anzunehmen; dass er dann kein Versagen sein muss, dass sie sich auch im Sterben noch als Mensch angenommen fühlt, das kann die Patientin vielleicht gar nicht bearbeiten, wenn ihr der direkte Kontakt zu Menschen derart eingeschränkt ist.
Angesichts der problematischen Seiten einer zu eindeutigen Kommunikation über den Tod ist es eine gesellschaftliche und damit auch christliche Aufgabe, sowohl im Umgang mit Sterbenden, Verstorbenen und Trauernden als auch im Diskurs die Mehrdeutigkeit des Todes offenzuhalten.
B. Der einzelne Mensch und der...