Klappstein | Jakobs Weg. Verzweigungen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 120 Seiten

Klappstein Jakobs Weg. Verzweigungen

Eine Erzählung
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-6951-7496-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine Erzählung

E-Book, Deutsch, 120 Seiten

ISBN: 978-3-6951-7496-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Getrieben von einem unstillbaren Verlangen nach Weite und Klarheit, aber auch vertrieben von Internetcampagnen und öffentlichen Anfeindungen, lässt Jakob sein gewohntes Leben in Deutschland als Illustrator in einem Buchverlag und angehender Schriftsteller hinter sich. Dabei entzieht er sich nicht nur der Zivilisation, sondern auch den Erwartungen, Rollen und Sicherheiten, die ihn bisher definiert haben. Doch dieser Prozess fordert seinen Preis: Je länger er unterwegs ist, desto mehr fühlt er sich losgelöst - von Sprache, Kultur, von seinem früheren Ich. Denn Jakob trägt noch Schatten in sich, Erinnerungen und Ängste, über die er nicht spricht, die ihn aber leiten - manchmal als Warnung, manchmal als Versuchung. Die Wüste konfrontiert ihn mit diesen inneren Dämonen in brutaler Direktheit. Dort wird sein Blick schärfer - für die Natur, für andere Menschen, für sein Verhältnis zur Dichtung, aber vor allem für sich selbst. Am Ende steht eine tiefe Wandlung, eine neue Liebe und - ein Roman.

Ulrich Klappstein geb. 1952. Lebt in Horn-Bad Meinberg. Literaturwissenschaftler, Herausgeber und Autor; Mitarbeiter der Historisch-Kritischen Ausgabe der Werke Karl Mays. Veröffentlichungen von Lyrik, und Erzählungen sowie von Beiträgen in Literaturzeitschriften; zahlreiche Rezensionen auf der Internetplattform literaturkritik.de. Mehrere Buchpublikationen über Arno Schmidt; Übersetzungen aus dem Französischen, u. a. Memoiren der Kurfürstin Sophie von Hannover. Ein höfisches Lebensbild aus dem 17. Jahrhundert.Göttingen: Wallstein Verlag 2014 und Phantastischer Erzählungen im JMB-Verlag, Hannover. Mitglied der Schreibgruppe LipPen.
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Jakob stand in der Eingangshalle des Hostels Eva’s Backpackers in der Orwell Street, der Rucksack lastete noch schwer auf seinen Schultern, und er blickte sich um. Jetzt, in den letzten Tagen des Novembers, dem australischen Sommer, war es hier schon über 20 Grad, im Outback würden die Temperaturen über die 40 Grad-Grenze steigen.

Es roch nach Desinfektionsmittel, salziger Haut und der leichten Verheißung von Aufbruch. Ein Stimmengewirr aus verschiedenen Sprachen waberte durch den Raum wie warmer Dampf über einem Kochtopf. Irgendwo klacker-ten Flipflops über Linoleumböden, eine Kaffeemaschine fauchte, und an der Rezeption versuchte ein junger Mann mit sonnenverbranntem Nacken seinen Mitbewohnern sein verlorenes Ladekabel in vier Sprachen zu beschreiben.

Hier war sie also, die Infrastruktur des modernen No-madentums – ein Zuhause auf Zeit für jene, die sich von den vertrauten Koordinaten ihres Lebens gelöst hatten, um etwas zu suchen, für das sie außer vagen Vorstellungen noch keinen Namen hatten.

Jakob hatte sich vorbereitet – in Outdoor-Shops zwischen wetterfesten Gürteln und ultraleichten Schlafsäcken, in Foren mit pixeligen Profilbildern, die ein digitales Fernweh vermittelten. Australien war kein Ort mehr, sondern ein Code. Backpackerland. Hier wurde der Rucksack nicht nur getragen, er wurde zelebriert – als Zeichen eines Lebensentwurfs, wie eine tragbare Biografie.

Er spürte, wie sich seine Erwartungen mit der Müdigkeit seiner langen Anreise vermischten. Er ließ den Rucksack von seinen Schultern gleiten. Er war gespannt – auf diese Menschentypen, die sich mit Blasen an den Füßen und Salzrändern unter den Augen ihre Grenzerfahrungen erschrieben. Auf die, die das Outback mit einem Bewerbungsschreiben verwechselten, und auf jene, die im Rausch des Andersseins ihre Start-Ups planten. Manche würden scheitern – erschöpft, ohne große Geste. Andere würden das Nomadentum romantisieren, ihre Unruhe mit Freiheit verwechseln. Jakob wusste noch nicht, auf welcher Seite er selbst einmal stehen würde. Aber er war angekommen. Irgendwo zwischen Betonfassade und Gemeinschaftsküche, zwischen Zweckmöbeln und Weltkarte an der Wand. Immerhin ein Anfang.

Jakob hatte in der ersten Nacht kaum geschlafen – nicht wegen des Lärms, sondern wegen der Geschichten, die man sich hier erzählte und die in seinem Kopf herumschwirrten. In der Gemeinschaftsküche hatten sie zusammen gesessen, wie Nomaden in der Oase, schmale Silhouetten, Tattoos, Stimmen aus Dutzenden Ländern. Ein junger Franzose kochte Reis in Mango-Saft, eine Kanadierin erzählte von Schlangenbissen in Darwin. Ein Australier auf Zwischenstation spielte sich vor den anderen auf. Die Fenster standen offen, draußen glühte das Abendlicht wie flüssiges Kupfer. Nicole, eine junge Frau, begegnete ihm beim Wäscheaufhängen im Trockenraum. Sie fluchte leise, weil ihre einzige Jeans im Trockner eingelaufen war, lachte dann aber über sich selbst. Ihre Haare rochen nach Euka-lyptus und Rauch, ihre Haut war von der Sonne gezeichnet, als trüge sie die Landkarte ihrer Wege auf sich.

„Und du? Frisch angekommen oder schon entwurzelt?“ fragte sie ihn, während sie ein paar Kleidungsstücke mit bunten Wäscheklammern aufhängte.

„Eher … in einem Zustand zwischendrin“, antwortete Jakob, etwas zu ehrlich.

Die junge Frau musterte ihn, als könne sie in seinem Gesicht lesen. „Klingt kompliziert. Aber hey – Australien ist gut für solche Zwischenzustände!“

Sie war 28, halb Schweizerin, halb Deutsche, barfuß, und strahlte eine Reiselust aus, die weniger nach Abenteuer als nach Flucht klang. Sie erzählte von Indien, von Laos, von einer Nacht im Dschungel mit einem Frosch auf der Stirn. Sie redete schnell, als müsse sie etwas einholen, das immer schon fünf Schritte voraus war. Und Jakob hörte zu. Das konnte er gut.

In den Tagen, die folgten, saßen sie oft gemeinsam auf der Holzveranda hinter dem Hostel. Er schrieb in sein Notizbuch, sie rollte Zigaretten mit der Leichtigkeit eines Menschen, der nie irgendwo war, wo er bleiben wollte. Manchmal streiften sich ihre Blicke wie Zugvögel, die kurz denselben Wind nutzten. Eines Abends, als das Licht wie gebrochenes Gold durch die Mückennetze fiel, erzählte Jakob ihr von seinem Leben in Deutschland – von den Jahren der Stille, von all dem Lärm, der sich plötzlich gegen ihn gewendet hatte. Nicole hörte still und aufmerksam zu.

Dann sagte sie: „Ich hab auch mal gedacht, man könne irgendwo einfach still leben. Aber die Welt findet einen. Immer.“ Er fragte nicht, was sie meinte. Aber er spürte in ihr einen innerlichen Widerstand, wenn man ihr zu nahe kam. Und doch fühlte er sich zu ihr hingezogen. Vielleicht, weil sie das verkörperte, wovor er selbst geflohen war – den Drang, allem zu entkommen, selbst dem eigenen Ich. So kamen sie sich näher und verbrachten die Nächte nun zusammen, als müssten sie etwas nachholen, was sie lange vermisst hatten.

Eine Woche war vergangen als sie ihn fragte, ob er mit ins Outback wolle: „Ein paar von uns wollen mit einem alten Geländewagen losfahren. Rotes Land. Nichts als Horizont. Komm doch mit.“

Jakob war überrascht. Sollte er Nicole schon wieder verlieren, wo er sie doch gerade kennen gelernt hatte? Er sagte zu, ohne zu wissen warum. Vielleicht, weil er hoffte, dass der Staub der Wüste etwas in ihm auslöschen könnte. Vielleicht, weil er spürte, dass er Nicole nicht festhalten, aber sie wenigstens ein Stück begleiten konnte. Es war der Anfang eines Weges, der ihn weiter führen sollte, als er ahnte.

Die Hitze stand schwer über dem Wellblechdach, es war Anfang Dezember. Alte Werkzeuge lagen verstreut auf der Werkbank, wie Zeugnisse eines früheren Lebens. To-ny, der Australier, zog einen ölverschmierten Lappen durch seine Hände und starrte auf den rostigen Toyota Land Cruiser, der neben der Halle parkte, ausgeborgt von irgendeinem Backpacker-Kollektiv aus dem Süden. Sie wollten morgen aufbrechen. Ins rote Herz des Landes. Tony, Nicole, Jakob und noch zwei andere. Er hatte sich bereit erklärt, „noch schnell nach dem Wagen zu schauen“, wie er es genannt hatte. Zur Sicherheit. Niemand fragte groß nach, man kannte ihn. Der Typ, der früher Bass in einer Indie-Band gespielt hatte, der jetzt Zylinderköpfe austauschten konnte und über japanische Dieselmotoren referierte wie andere über Philosophie. Der Mechaniker mit der Seele. Und doch: Irgendetwas in ihm war über die Jahre hart geworden. Nicht sichtbar, aber für alle spürbar. Wie eine Schraube, die man zu oft nachgezogen hatte. Wie er sie anschaut! Dieser Deutsche. Tony tat so, als hätte er es nicht bemerkt. Jakob – mit seinen ruhigen Augen, diesem stillen Ernst, der Frauen wie Nicole einfing wie der Morgennebel die Felder. Und sie? Sie lachte anders, wenn Jakob da war, als könnte nur er verstehen, was in ihr vorging. Tony öffnete die Motorhaube, ließ den Blick über die Schläuche und Leitungen gleiten. Alles okay. Fast zu okay. Die Batterie war neu, der Tank voll. Das Fahrzeug war bereit für Tausende Kilometer Fahrtstrecke. Vielleicht muss man den Dingen nur eine Richtung geben. Kein Schaden. Nur … ein kleiner Eingriff. Es war eine impulsive Tat. Er lockerte eine Schelle am Kühlschlauch – kaum merklich, nur so, dass unter der Hitze des Outbacks der Druck steigen würde. Irgendwann würde der Schlauch platzen, das Kühlmittel würde sich verflüchtigen und der Motor heißlaufen. Kein Unfall, nur ein kleiner Zwischenfall, der die Fahrt stoppen und die Gruppe zum Umdrehen zwingen sollte. Zurück in die Zivilisation, und Nicole würde wieder bei ihm sein. Man wird denken, das sei nur ein unglücklicher Zufall. Oder einfach nur Pech. Er schob den Lappen zurück in die Tasche. Das Geräusch des sich schließenden Motorhaubenriegels klang wie ein stilles Urteil. Er hatte nur einen Plan korrigiert, um den Lauf der Dinge zu stoppen. Und vielleicht, dachte er, würde Nicole ja bei ihm bleiben, wenn sie das Outback nicht mehr lockte. Er trat zur Seite, die Hände in den Taschen, als hätte er nichts getan. Nur ein bisschen geschaut. Nur ein Freund und Fachmann, der sich mit der Autotechnik auskannte.

Zur gleichen Zeit saß Jakob in einem kleinen Café in einer Nebenstraße, nicht weit vom Hafen. Straßenlärm, schwüle Hitze, der Geruch von Abgasen und Salz. Das Firmenschild war verwittert, das Logo ausgebleicht und die Kaffeemaschine zischte wie ein gereiztes Tier. Er wollte eigentlich nur ein bisschen schreiben, zur Ruhe kommen. Dann hörte er, wie jemand auf Deutsch sagte „Du brauchst keinen Whisky, du brauchst erst mal Wasser und Schlaf.“ Dies war offenbar an einen Gast gerichtet, der schon zu viel getrunken hatte. Die Stimme kam von der Frau hinter der Theke. Sie war sechzig vielleicht, hatte kurze Haare, wettergegerbte Haut und eine Nikotinstimme. Auf ihrem Namensschild stand: „Brückner. Seit 1994.“ Jakob schaute überrascht auf. Die Frau grinste und setzte sich zu Jakob an den Tisch. „Was glotzt du so? Ja, ich bin echt. Eine von den Verirrten. Die hier geblieben ist. Hab’...



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