E-Book, Deutsch, 173 Seiten
Kjelgaard Feuerjäger
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96127-120-7
Verlag: vss-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 173 Seiten
ISBN: 978-3-96127-120-7
Verlag: vss-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Als Falk, der Speermacher und die junge Frau Weide von ihrem Stamm verstoßen werden, müssen sie allein in einer Welt, in der Säbelzahntiger, Wölfe und Mammuts Quell ständiger Gefahr sind, um ihr Überleben kämpfen. Dann treffen sie auf ein noch gefährlicheres Raubtier, die Menschen eines anderen Stammes. Doch dem findigen Falk gelingt es, seine Waffen so zu verbessern, dass sie diesen Gefahren begegnen können. Doch ob sie ihr Überleben sichern können, bleibt ungewiss...
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Zum Geleit
Die Feuerjäger
Der Speerschaft
Dem Tode geweiht
Die Schwanzfeder
Die Mammutherde
Entronnen
Der Höhlenbär
Die Grasschlange
Die Belagerer
Der Bogen
Die Rückkehr
Die Feuerjäger
Der Stamm erklomm einen flachen Hügel, dessen Kuppe mit Felsblöcken übersät war. Einzelne Blöcke waren so groß, dass sie zu beiden Seiten über den Hügel hinausragten. Ein wechselnder Wind trug den starken widerlichen Geruch äsender Bisons über den Hügel und den Hang hinab.
Falk, der Oberspeermacher, fuhr mit der Zunge über die Lippen. Der Stamm war zwar in den letzten Tagen auf viel Wild gestoßen, aber die Tiere waren meist zu schnell oder zu gefährlich, als dass die Jäger sie hätten angreifen können. Selbst die Mammuts hatten gelernt, dass nur die Gemeinschaft Sicherheit gegen die Menschenjäger bot, und abgesehen von gelegentlichen kleinen Tieren hatte der Stamm nur Herden von großen, gefährlichen Tieren gesehen. Eine Herde von Mammuts aber mit Feuer anzugreifen, war glatter Selbstmord, denn ein einziges Tier allein machte sämtlichen Jägern des Stammes zu schaffen. Mit dem Riesenbison war es etwas anderes.
Falk fuhr sich wieder über die Lippen. Acht Tage lang hatten sie nur Samen und Früchte gegessen, welche die Frauen gesammelt hatten, und ein klappriges Kamel, das schon beinahe an Altersschwäche einging, als die Jäger es zur Strecke brachten. Samen und Früchte waren ja ganz gut, wenn es sonst nichts gab, aber ein Stamm auf der Wanderschaft brauchte Fleisch, um seine Kraft zu erhalten.
Je mehr sie sich dem Gipfel des Hügels näherten, desto stärker wurde der Geruch der Riesenbisons. Es war eine Herde von über 200 Tieren und sie hatten noch keine Gefahr gewittert. Das war gut, denn seit vier Jahren war der Stamm nicht mehr auf eine so große Herde gestoßen. Wenn ihnen diese Jagd Erfolg brachte, dann würden sie genug Fleisch zu essen haben und es blieb noch viel übrig für die wilden Hunde, die schrecklichen Wölfe und die Säbelzahntiger, die sich dort immer sammelten, wo ein Wild getötet war, und mit den Resten aufräumten.
Wolf, der Oberjäger, konnte sich noch an die Zeit erinnern, da so große Herden recht alltäglich waren, und er erzählte gern davon. Die Stammeslegende berichtete, dass die Erde unter den hämmernden Hufen unzähliger Riesenbisons gezittert hatte, aber diese Zeiten waren längst vorbei. Falk hatte nie darüber nachgedacht, warum.
Wie alle andern unterstand auch er den einfachen Stammesgesetzen und Verboten, die angesammelte Weisheit von Generationen darstellten. Es war Stammesgesetz, dass Falk der Oberspeermacher war, denn er war in der Kunst und in den Riten des Speermachens am geschicktesten. Genau so musste der Stamm einen Oberfeuermacher haben, der die magischen Eigenschaften ihres größten Schutzes, des Feuers, gründlich kannte. Abgesehen vom Oberfeuermacher und dem Oberspeermacher waren die übrigen Männer meistens Jäger, denn es musste immer Nahrung herbei geschafft werden. Und alles Essen, ob es nun Fleisch war, das die Jäger brachten, oder Samen und Beeren, die die Frauen sammelten, musste geteilt werden, gleich wer es fand. Wenn der Stamm in Gefahr war, dann trug jeder, auch Frauen und Kinder, zu seiner Verteidigung bei. Es war wichtig, dass der Stamm immer als eine Einheit lebte und wanderte. Ein Mensch allein war den wilden Tieren ausgeliefert.
Darüber hinaus gab es nur wenige Gesetze, aber diese wenigen waren unverrückbar. Der Stamm war eine Einheit, und jedes Mitglied musste seinen Teil beitragen. Versagte einer oder fiel einer aus, so konnte das den Tod aller bedeuten.
Falk hielt einen Augenblick inne und schaute zurück, um im Geist die Frauen und Mädchen zu zählen. Die Söhne der Jäger, mit Speeren und Keulen ihrer Größe entsprechend bewaffnet, folgten ihren Vätern auf den Fersen und waren an der Spitze des Zuges. Aber als Oberspeermacher war sein Platz nicht bei den Jägern. Er musste bei den Frauen und Kindern bleiben und das behagte ihm nicht.
Eine Sekunde lang ruhten seine Augen auf Weide, der Tochter Wolfs, und sein Gesicht leuchtete auf. Weide war geschmeidig und flink, sie war schon eine geschickte Korbmacherin und kannte Samen, Wurzeln und Früchte. Der einzige Grund dafür, warum sie noch unbemannt, war, dass sie seit Monaten keinen andern Stamm getroffen hatten. Alle Stämme waren unterwegs und suchten verzweifelt nach dem rasch aussterbenden Riesenbison.
Falk stieß ein unzufriedenes Grunzen aus. Er war ein ausgewachsener, vollgültiger Mann; er war 16 Jahre alt. Acht Jahre war er zu Füßen seines Vaters gesessen, um die handwerksmäßigen Einzelheiten, die Riten und den Zauber zu lernen, die zum Speermachen gehörten. Jetzt war er selbst Oberspeermacher, denn vor kaum einem Monat war sein Vater einem Säbelzahntiger zum Opfer gefallen. Aber obwohl Falk die Rechte und Pflichten eines Mannes besaß, konnte er Weide nicht zur Frau nehmen, da sie selbstverständlich nur einen Mann von einem andern Stamm freien durfte.
Plötzlich richtete sich Falk auf und sog eine Witterung ein, die von Norden kam. Eine Schar wilder Hunde folgte dem Stamm; sie hofften auf ihren Anteil an der Beute, wenn die Jäger Wild erlegt hatten. Aber die Hunde schienen nur zu folgen; nichts ließ darauf schließen, dass sie angreifen würden. Falk wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Bisons zu.
Sie ästen auf einer Wiese und waren immer noch arglos. Wolf, der Oberjäger, wandte sich um, hob die Hand zum Zeichen, dass die andern halten sollten, und ging allein weiter. Er schien mit der Erde zu verschmelzen, als er sich einem der großen Felsblöcke näherte und hinter ihm hervor spähte. Falk beobachtete ihn genau.
Es war ihm nie in den Sinn gekommen zu fragen, warum es einmal zahllose Riesenbisons gegeben hatte und warum sie jetzt so selten waren. Er wusste nur, dass seine Leute Bisonjäger waren, und dass sie hauptsächlich von Bisonfleisch lebten. Und weil der Stamm nur den einzigen Gedanken hatte, auf jede mögliche Weise genug zu essen zu beschaffen, hatte auch Falk nie daran gedacht, dass die Jäger vergeudeten, da sie oft mit einem einzigen Feuerband eine ganze Bisonherde ausrotteten. Sie töteten hunderte von Tieren, wenn sie auch nur zehn verbrauchen konnten. Aber so war ihr Leben.
Eine Stunde lang blieb Wolf schweigend in seiner Stellung, während die Sonne ihre Mittagshöhe erreichte. Er beobachtete die Bisons, und weil er den Jägern noch kein Zeichen gegeben hatte, wusste Falk, dass die Herde noch nicht in einer Stellung war, die eine Feuertreibjagd gestattete. Er wandte sich, um den Frauen und sieben Mädchen ihren Platz anzuweisen.
Als Oberspeermacher durfte er nicht jagen, aber er konnte doch zur Verteidigung der Gemeinschaft die Keule oder den Speer führen. Wenn die Jäger auf die Jagd zogen, war es seine Pflicht, die hilfloseren Mitglieder des Stammes zu beschützen. Falk witterte nach allen Richtungen, aber er konnte keine fremden Gerüche entdecken außer denen der Riesenbisons, der wilden Hunde und, ganz schwach, den Geruch eines zottigen Rhinozerosses. Es bestand keine unmittelbare Gefahr.
Falk spielte müßig mit einem Speerschaft, den er geformt hatte. Es war ein ausgewogenes, sorgsam abgeschabtes Stück Holz, mit einem seltsam abgeflachten Knopf an einem Ende. Aber der Schaft war ein wenig zu schlank und biegsam für einen Jagdspeer. Gerade das hatte ihn irgendwie davon abgehalten, den Schaft wegzuwerfen.
Vor vier Tagen hatte er ganz zufällig das knotige Ende des Schafts in einen Haufen lockerer Kieselsteine gestoßen und sich darauf gelehnt. Der Schaft hatte sich unter seinem Gewicht gebogen und dann war das untere Ende plötzlich aus dem Steinhaufen geschnellt. Falk erinnerte sich noch lebhaft, was da geschehen war. Es blieb ihm ein Rätsel.
Als das Schaftende wegschnellte, hatte es einen kleinen Stein mitten in einen Teich geschleudert. Nachher hatte Falk einen ähnlichen Stein aufgehoben und versucht, ihn in den Teich zu werfen. Er konnte aber einen so leichten Gegenstand nicht halb so weit werfen wie der Schaft ihn geschnellt hatte. Es musste irgendetwas, eine geheimnisvolle Kraft, in diesem biegsamen Holz sein, die ihm fehlte, und er hatte lange darüber nachgedacht.
Nach eineinhalb Stunden hob Wolf die Hand, so langsam, dass die Bewegung kaum sichtbar war. Sofort ging Kar, der Oberfeuermacher, zu ihm. Falk zitterte vor Eifer.
Jetzt war es so weit. Die Bisons waren offensichtlich in eine günstige Stellung gegangen und die Feuertreibjagd sollte beginnen. Einer nach dem andern gingen die Jäger zu Wolf und Kar und die Knaben ahmten genau nach, was sie vormachten. Falk wand sich vor Ungeduld, als er zusah. Auch er wäre gern bei den Jägern gewesen, aber er wagte nicht, sich ihnen anzuschließen. Wer das Stammesgesetz verletzte, wurde ausgestoßen und Ausstoßung bedeutete den sicheren Tod. Denn kein menschliches Wesen konnte sich in dieser Wildnis allein am Leben erhalten.
Kar und Wolf verschwanden über dem Gipfel des Hügels. Wie die Erfahrung sie gelehrt hatte, krochen die Jäger und ihre Söhne einer nach dem andern an den Felsblöcken vorbei und auf der andern Seite hinunter. Und sofort waren sie alle samt ihren Keulen und Speeren verschwunden.
Falk warf noch einen Blick auf die Frauen und Mädchen, die im hohen Gras saßen und lagerten. Sie waren sicher, denn die wilden Hunde waren noch weit weg im tiefen Wald und warteten geduldig. Die Hunde wussten, dass sie kaum Aussicht hatten, ein Tier zu töten, wenn sie die Riesenbisons angriffen. Aber es war ein erfahrenes Rudel und kannte die Menschen. Nach jeder Feuertreibjagd gab es zahlreiche tote Tiere, die die Jäger nicht brauchten. Die Hunde konnten es sich leisten zu warten.
Da augenscheinlich keine Gefahr die Frauen bedrohte, konnte Falk sich nicht länger zurückhalten. Er durfte an der Jagd nicht teilnehmen, aber er konnte sie beobachten. Wenn Gefahr im Anzug war, konnte er Frauen und Kinder rechtzeitig erreichen. Er kroch auf den Hügel und legte sich flach hinter einen Felsblock. Vorsichtig lugte er hinter ihm vor.
Er sah hinunter auf eine weite Flusswiese, wo das starke Gras schulterhoch wuchs. Aber man sah keinen Menschen. Falk wusste, dass die Jäger durch das Gras krochen und sich in strategischen Zwischenräumen verteilten, um jedes Bison aufzuhalten, das ihren Kreis zu durchbrechen versuchte. Nichts wies auf ihre Anwesenheit hin, wie sie so vorrückten. Nur ein vereinzelter Luftzug, der ihren Geruch zu den Bisons trug, konnte sie jetzt verraten.
Falk wandte seinen Blick zu den Bisons. Die ganze Herde, Bullen, Kühe und Kälber, graste nach dem Fluss zu. Falk schaute zum Fluss und stieß ein verwundertes Grunzen aus.