E-Book, Deutsch, 206 Seiten
Reihe: Kisch bei Null Papier
Kisch Wagnisse in aller Welt
Überarbeitete Fassung
ISBN: 978-3-96281-889-0
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 206 Seiten
Reihe: Kisch bei Null Papier
ISBN: 978-3-96281-889-0
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Egon Erwin Kisch (eigentlich Egon Kisch; 1885-1948) war ein deutschsprachiger Schriftsteller, Journalist und Reporter. Er gilt als einer der bedeutendsten Reporter in der Geschichte des Journalismus. Nach dem Titel eines seiner Reportagebände ist er auch als 'der Rasende Reporter' bekannt.
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Ritt durch die Wüste und über den Schott
Stundenlang begegnet man keinem Lebewesen, außer einem sandfarbenen, stelzenden Vogel, der, vor Mensch und Pferd nicht erschreckend, seinen Monolog fortsetzt.
Felsiger Boden wechselt mit sandigem, man schlägt die Steigbügel nach arabischer Manier dem Gaul in die Flanken, auf dass er galoppiere; zwar hat man nichts weniger als Eile, aber die Luft wird kühler, wenn sich das Tempo erhöht.
Ein Weg ist da, ein deutlicher Weg, doch schwer zu sagen, wodurch er sich vom übrigen Terrain unterscheidet. Ist er anders als graubraun, ist er nicht steinig, ist er nicht sandig wie alles ringsumher, was man seit Sonnenaufgang durchritten hat und was man durchreiten wird bis zum Sonnenuntergang? Nein, er ist durchaus nicht anders, es sei denn, dass er im Sandgebiet etwas härter erscheint als seine Umgebungsflächen, dass im Felsengebiet weniger Blöcke auf ihm als neben ihm liegen; wo er eine Furche überquert (ein Rinnsal vielleicht in der Regenzeit), stützt ein Palmenstamm seinen Rand, ein versandeter, verstaubter, halb versteinter Palmenstamm, wer weiß, wer ihn hierherbrachte.
Gegen Mittag sprengt man eine Sanddüne hinauf und sieht in der Ferne einen kleinen See. Die Straße durchschneidet ihn als Damm, Palmen stehen an seinem Ufer und nicht weit von ihnen das quadratisch gemauerte Grabmal eines Marabut,1 eines Heiligen aus Mohammeds Nachkommenschaft. Menschen singen, ist’s auch nur eine gutturale Elegie, sie erfrischt, so wie der Anblick des salzigen Wassers erfrischt, obwohl sich keine noch so kleine Brise erhebt, von seiner Kühle etwas ins Gesicht zu fächeln. Die Sänger sitzen in der Palmerei und achten darauf, dass die Bäume ihr Wasserquantum bekommen, der Esel trabt im Kreise, um es aus dem Brunnen zu pumpen.
Am Saum der Oase fünfzehn Häuser, der Hain zählt etwa dreihundert Bäume. Den günstigsten Fall vorausgesetzt, dass jedes Familienoberhaupt Besitzer von Palmen ist und jeder Baum achtzig Kilo Datteln trägt von je fünf Franken Kaufwert, so ergibt das im Durchschnitt einen Jahresverdienst von achttausend Franken (etwa tausend Reichsmark) pro Familie, wovon die Steuer abgeht, ein Franken fünfzig pro Baum. Ziemlich leicht ist die Arbeit, immerhin muss sie in flammender Glut geleistet werden und ohne Unterbrechung, die Palme bringt (wie das afrikanische Mädchen) in ihren ersten neun Lebensjahren überhaupt keine Frucht, und der artesische Brunnen, vom Tuggurter Schlossermeister Obach (aus Straßburg) hergestellt, kostet dreitausend Franken.
Verzeihung – aber zu solchen Berechnungen verführt die Oase; lang reitet man über Sand und Stein, der keinen Gedanken eingibt, und plötzlich sieht man sich einer deutlichen Vermögensaufstellung gegenüber.
Die übrigens nicht vollständig ist. Mit Dattelnüssen ernährt man das Kamel, aus Palmzweigen werden Körbe und Matten geflochten, mit den dürren Blättern der Küchenherd geheizt.
Am Rand des Seeufers rasten Nomaden. Überall, wo Wasser ist oder eine Siedlung, schlagen Bohemiens der Wüste ihre Wanderstäbe in die Erde, einen größeren in die Mitte und zwei kleinere rechts und links davon, eine zerfetzte dunkle Decke darüber – fertig ist die Laube; nicht angebunden wird das Maultier, es fühlt sich rassenzugehörig, stammesbewusst, fällt ihm gar nicht ein, in das Désert zu fliehen, zu desertieren. Das Zelt ist offen, drei Frauen glotzen, alle mit Tand behängt und schmutzig und in Lumpen. Mehr als ein Dutzend Kinder und ein Mann. Niemand bettelt – das ist das einzige, was die Arbi Sahara von den europäischen Zigeunern unterscheidet, äußerlich würde keiner auffallen unter den wandernden Kesselflickern, Wahrsagerinnen, Pferdehändlern und Jahrmarktakrobaten in Braun. Auf der einen Seite der Wüstendörfer wohnen ständig und abgesondert die Aussätzigen, auf der anderen: unbeständig und abgesondert die mit der Lepra der Freizügigkeit Behafteten.
Hinter dem See: der Schott, eine silberglänzend-trügerische Fläche. Der Weg, beiderseitig durch breite Gräben von ihr geschieden, führt festgestampft entlang, doch ist die aufregende Jugendlektüre von Verfolgungen davonjagender Wüstenräuber über Salz- und Sandgelände nicht ohne nachhaltigen Eindruck geblieben, und man muss die Gefahr verkosten. Der Hengst scheint gleichfalls seinen Karl May gelesen zu haben, er will nicht über den Graben, er bockt, ihm das Zauberwort »Rih« ins Ohr zu flüstern oder die Sure des Todes aufzusagen würde kaum etwas fruchten, selbst die wütendsten Fersenhiebe fruchten ja nichts, er bockt nur.
Erst die niederklatschende Nilpferdpeitsche zwingt ihn zum Sprung. Jetzt saust er mit dampfenden Nüstern, als befürchte er, die Geister, die da unten wohnen und ihre silbergrauen Köpfe emporstrecken, könnten ihn an den Fesseln packen und hinabziehen in den schlammigen Sand, den sandigen Schlamm. Ohnehin sinken trotz des tollen Galopps die Pferdehufe tief, tief in den Boden.
Den zweiten Satz über den Straßengraben, den auf den sicheren Weg zurück, tut der Gaul willig, es bedarf keines Fersenhiebs und nicht der Nilpferdpeitsche, noch weiterhin bebt Unruhe unter dem Sattel, sie legt sich erst, bis das Reich der Flittergespenster auch rechts und links verschwunden ist und die vertraute Wüstenebene wieder beginnt.
Nach einer Stunde sprengen von der Welle am Horizont zwei Reiter heran. Das Pferd des einen ist ein Schimmel, prachtvoll aufgezäumt, die Steigbügel sind Häuschen aus getriebenem Silber, Turban und Haïk des Reiters aus Seide und der Burnus aus goldbesticktem blauem Stoff.
Er grüßt und fragt, wohin man reite. Denn er ist der Kaid der nächsten Stadt und besorgt, man könnte ein Inspektor der Verwaltung oder ein Steuerkontrolleur sein. Man ist weder ein Inspektor der Verwaltung noch ein Steuerkontrolleur, was der Kaid erleichtert hört. Er hat beim Militärkommandanten zu tun, deshalb der rassigste Schimmelhengst und das festlichste Zaumzeug, die Offiziere werden alles neidisch mustern, dieweil sein Daira das Ross vor dem Tor am Zügel hält. Im Übrigen wünscht er gute Reise, worauf man erwidert, ihn (der sich sowieso bereichert) möge Gott bereichern, Allah jerzekek.
Rast im Negerdorf. Die Kinder haben kaum jemals einen Weißen gesehen, wie es scheint, nur selten ein Pferd. Sie schreien einander ihre Bemerkungen über den Fremdling zu, unbekümmert darum, dass man sie verstehen könne – versteht doch nicht einmal ein Araber die Sprache...