Kipling | Indische Erzählungen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 125 Seiten

Reihe: Classics To Go

Kipling Indische Erzählungen


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98744-565-1
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 125 Seiten

Reihe: Classics To Go

ISBN: 978-3-98744-565-1
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
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Verdankte Kipling den «Dschungelbüchern» und dem Roman «Kim» seinen Welterfolg, so waren es die hochkarätigen Kurzgeschichten, die bereits früh seinen literarischen Ruhm begründeten. In ihrer inhaltlichen Dichte, großen stilistischen Brillanz und heiter-ironischen Tonlage waren Kiplings Kurzgeschichten von bedeutendem Einfluss auf die Short story des 20. Jahrhunderts. (Amazon)

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Ein frommer Betrug.
Wenn Reggie Burke jetzt noch in Indien wäre, so würde er es übel vermerken, daß ich diese Geschichte erzähle; doch da er in Hongkong ist und sie nicht zu Gesicht bekommt, so kann ich sie ruhig berichten. Er war derjenige, der den großen Betrug bei der » Sind and Sialkote Bank« ins Werk setzte. Er war der Direktor der Filiale und ein praktischer, tüchtiger Mann, der große Erfahrung im Verkehr mit den Eingeborenen und dem Versicherungswesen besaß. Er verstand es, die Kleinlichkeiten des Alltagslebens mit seiner Arbeit zu vereinigen und doch noch Gutes zu thun. Reggie Burke ritt jedes Tier, das sich besteigen ließ, tanzte so gut, wie er ritt und war bei jedem Vergnügen in der Station gesucht. Wie er selbst sagte, und wie viele Leute zu ihrer Ueberraschung herausfanden, gab es zwei Burkes, die beide sehr diensteifrig waren; Reggie Burke, der von 4 bis 10 zu allem bereit war, von einem Zechgelage bis zu einem Picknick zu Pferde – und von 10 bis 4 »Mister Reginald Burke«, der Direktor der » Sind and Sialkote Bank«. Man konnte nachmittags mit ihm Polo spielen und ihn seine Ansichten aussprechen hören, wenn jemand eine falsche Bewegung machte, und man konnte am nächsten Morgen bei ihm vorsprechen, um ein Darlehen von 2000 Rupien auf eine Lebensversicherungspolice von 500 Pfund – 80 Pfund als Prämie zahlbar – aufzunehmen. Er würde uns wohl wiedererkannt haben, aber wir hätten Mühe gehabt, ihn wiederzuerkennen. Die Direktoren der Bank – sie hatten ihren Hauptsitz in Calcutta, und das Wort ihres Generaldirektors hatte Gewicht bei der Regierung – verstanden es, sich ihre Leute gut auszusuchen. Sie hatten Vertrauen zu ihm, soweit Direktoren zu Filialleitern Vertrauen haben. Der Leser soll selbst sehen, ob ihr Vertrauen unberechtigt war. Reggies Filiale lag auf einer großen Station und arbeitete mit dem gewöhnlichen Personal, einem Direktor, einem Buchhalter, die beide Engländer waren, einem Kassierer und einer Schar eingeborener Schreiber; außerdem war noch die Polizeipatrouille da, die den nächtlichen Dienst versah. Die hauptsächlichste Arbeit – denn die Filiale lag in einem aufblühenden Distrikt – bestand darin, sich den Leuten anzupassen. Ein Narr hat keine Ahnung von solchem Geschäft, und ein gescheiter Mann, der sich nicht um seine Kunden kümmert und wenig von ihren Angelegenheiten weiß, ist noch schlimmer, wie ein Narr. Reggie sah jung aus, ging stets sauber rasiert, lächelte freundlich und hatte einen Kopf, auf dem selbst eine Gallone von Gunners Madeira keinen Eindruck machen konnte. Eines Tages teilte er bei einem großen Diner mit, der Direktor hätte ihm von England ein naturgeschichtliches Wunder auf dem Gebiete der Buchhalterei geschickt. Er drückte sich durchaus richtig aus. Der Buchhalter, Mister Silas Riley, war in der That ein höchst merkwürdiges Tier – ein langer, tölpelhafter, eckiger »Yorkshireman«, der von jenem starken Selbstbewußtsein erfüllt war, das nur in Englands bestem Boden blüht. Arroganz wäre für das Benehmen des Mister S. Riley eine milde Bezeichnung gewesen. Er hatte sich nach 7 Jahren zu der Stellung eines Kassierers in Huddersfield emporgeschwungen, und seine ganze Erfahrung bezog sich auf die Faktoreien des Nordens. Vielleicht hätte er sich auf der »Bombay-Seite«, wo man mit einem halben Prozent Nutzen sich begnügt, und das Geld billig ist, besser geeignet. Für Vorderindien, einer Provinz mit Weizenbau, wo ein Mann schon einen tüchtigen Kopf und eine gewisse Phantasie besitzen muß, wenn er eine befriedigende Bilanz aufstellen soll, war er nicht zu gebrauchen. In geschäftlichen Angelegenheiten war er furchtbar beschränkt, und da er eben erst in die Gegend gekommen war, so hatte er keine Ahnung davon, daß das indische Bankwesen von dem heimatlichen vollständig verschieden ist. Wie die meisten Selfmademen hatte er die größte Meinung von sich selbst und sich in der einen oder andern Weise aus den üblichen höflichen Ausdrücken seines Engagementsbriefes die Ansicht herauskonstruiert, die Direktoren hätten ihn wegen seiner besondern glänzenden Talente ausgewählt und hielten große Stücke auf ihn. Diese Ansicht wurde immer stärker und krystallisierte sich förmlich im Verein mit seinem angeborenen heimatlichen Eigendünkel. Außerdem war er schwächlich, litt an Brustbeklemmungen und war aufbrausend. Man wird zugeben, daß Reggie recht hatte, wenn er den neuen Buchhalter ein naturgeschichtliches Wunder nannte. Die beiden Männer gerieten oft in Streitigkeiten. Riley betrachtete Reggie als einen hohlen, leichtsinnigen Idioten, den der Himmel nur für das Geschwätz am Stammtisch geschaffen, und der für den feierlichen und ernsten Beruf des Bankwesens völlig ungeeignet war. Er konnte Reggies jugendliches Aussehen und sein schneidiges Aussehen nicht vertragen; auch seine Freunde gefielen ihm nicht – elegante, sorglose Männer von der Armee – die zu den großen sonntäglichen Frühstücksschmausereien in der Bank herübergeritten kamen und gepfefferte Geschichten erzählten, bis Riley aufstand und das Zimmer verließ. Riley machte Reggie stets darauf aufmerksam, wie die Geschäfte geleitet werden müßten, und Reggie mußte ihn mehr als einmal daran erinnern, daß eine beschränkte siebenjährige Erfahrung zwischen Huddersfield und Beverley einen Mann nicht berechtigte, ein großes Geschäft im oberen Lande zu leiten. Dann knurrte Riley und bezeichnet sich selbst als einen »Pfeiler« der Bank und einen »lieben Freund« der Direktoren, während Reggie sich die Haare raufte. Wenn es einem in diesem Lande an englischen Hilfskräften fehlt, so gerät er in eine schlimme Lage, denn die Hilfe der Eingeborenen hat ihre bestimmten Grenzen. Im Winter war Riley sechs Wochen hintereinander lungenleidend, und Reggie hatte die doppelte Arbeit zu leisten, doch zog er das noch den ewigen Reibereien vor, wenn Riley gesund war. Einer der Reiseinspektoren der Bank entdeckte diese Zufälle und berichtete sie der Direktion. Nun war Riley aber der Bank von einem Parlamentsmitglied empfohlen worden, der der Unterstützung von Rileys Vater bedurfte, der wiederum bemüht war, seinen Sohn wegen des Lungenleidens in einem wärmeren Klima unterzubringen. Das Parlamentsmitglied hatte wohl Einfluß auf die Bank, aber einer der Direktoren wollte einen seiner Günstlinge hineinschieben, und als Rileys Vater gestorben war, machte er seine Kollegen darauf aufmerksam, daß ein Mann, der sechs Monate im Jahr krank war, besser thäte, seine Stelle einem Gesunden abzutreten. Hätte nun Riley die wirkliche Geschichte seiner Ernennung gewußt, so hätte er sich wohl anders benommen, doch da er nichts wußte, so wechselten seine Krankheitsanfälle mit ruhelosen, beharrlichen Behelligungen und Zänkereien ab, und er benahm sich, wie nur ein eingebildeter Subalternbeamter sich benehmen kann. Reggie schimpfte, um seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, hinter seinem Rücken tüchtig darauf los, doch nie sagte er ihm etwas ins Gesicht, denn er meinte: »Riley ist solch schwächlicher Kerl, daß die Hälfte seines ekelhaften Hochmutes sicherlich von seiner Lungenkrankheit stammt.« Im April vorigen Jahres wurde Riley wirklich sehr krank. Der Doktor behorchte und beklopfte ihn und sagte ihm dann, er würde in kurzer Zeit besser werden. Dann ging der Doktor zu Reggie und sagte: »Wissen Sie, wie krank Ihr Buchhalter ist?« »Nein,« versetzte dieser. »Aber je schlimmer, desto besser; hole ihn der Teufel! wenn er gesund ist, so ist er überhaupt nicht zu ertragen. Ich gestatte Ihnen, die Bankkasse auszurauben, wenn Sie ihn während der heißen Jahreszeit zum Schweigen bringen können.« Aber der Doktor lachte nicht, sondern sagte: »Lieber Freund, ich scherze nicht; ich gebe ihm noch drei Monate in seinem Bett und eine Woche zum Sterben. Auf Ehre und Gewissen, das ist alles, was er in der Welt zu erwarten hat. Die Schwindsucht hat ihn bis aufs Mark ausgezehrt.« Reggies Gesicht verwandelte sich sofort in das Gesicht des Mister Reginald Burke, und er erwiderte: »Was kann ich thun?« »Nichts,« entgegnete der Doktor, »für alle praktischen Arbeiten ist der Mann jetzt schon tot. Halten Sie ihn ruhig und vergnügt, und sagen Sie ihm, er würde bald wieder gesund werden. Das ist alles; ich werde natürlich bis zum Schluß nach ihm sehen.« Der Doktor ging fort, und Reggie setzte sich nieder, um die Abendpost zu öffnen. Der erste Brief, der ihm in die Hände fiel, war von der Direktion; man teilte ihm mit, Mister Riley hätte laut den Bedingungen des Vertrages mit einmonatlicher Kündigung seine Stellung niederzulegen; außerdem erhielt Reggie die Nachricht, ein Brief an Riley würde folgen; und ferner wurde er von dem Eintreffen eines neuen Buchhalters unterrichtet, eines Mannes, den er kannte und schätzte. Reggie steckte sich eine Cigarre an, und bevor er sie noch ausgeraucht, hatte er bereits den Plan zu einem Betruge entworfen. Er beseitigte den Brief der Direktion und ging zu Riley, der so ungenießbar wie gewöhnlich war und sich den Kopf zerbrach, wie die Bank während seiner Krankheit bestehen konnte. An die Extraarbeit, die auf Reggies Schultern lastete, dachte er nicht, sondern nur an den Schaden, der seinem eigenen Fortkommen erwachsen könnte. Reggie versicherte ihm, alles ginge gut, und er würde täglich mit Riley die Geschäfte der Bank besprechen. Riley war ein bischen besänftigt, gab aber in vielen Worten zu verstehen, er halte nicht viel von Reggies Geschäftstüchtigkeit. Reggie schwieg bescheiden, und doch hatte er Briefe von der Direktion im Pult, auf die ein jeder stolz sein konnte. Die Tage vergingen in dem großen, dunklen Hause, Rileys Entlassungsbrief...



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