E-Book, Deutsch, 57 Seiten
Kinkel Feueratem
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-96053-161-6
Verlag: jumpbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Eine Novelle
E-Book, Deutsch, 57 Seiten
ISBN: 978-3-96053-161-6
Verlag: jumpbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Tanja Kinkel, geboren 1969 in Bamberg, studierte in München Germanistik, Theater- und Kommunikationswissenschaft und promovierte über Aspekte von Feuchtwangers Auseinandersetzung mit dem Thema Macht. 1992 gründete sie die Kinderhilfsorganisation Brot und Bücher e.V, um sich so aktiv für eine humanere Welt einzusetzen (mehr Informationen: www.brotundbuecher.de). Tanja Kinkels Romane wurden in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt und spannen den Bogen von der Gründung Roms bis zum Amerika des 21. Jahrhunderts. 'Die Prinzen und der Drache' ist Tanja Kinkels erstes Kinderbuch, auf das mit 'Feueratem' eine weitere Drachengeschichte folgte'. An ein erwachsenes Publikum richten sich die Romane, die sie bei dotbooks veröffentlichte, dem Schwesterverlag von jumpbooks: 'Die Söhne der Wölfin', 'Die Schatten von La Rochelle' und 'Unter dem Zwillingsstern' sowie die Erzählungen 'Der Meister aus Caravaggio', 'Reise für Zwei' und 'Ein freier Mann'. Die Autorin im Internet: www.tanja-kinkel.de
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 1
Frühmorgens, ehe die letzten Nebelschwaden sich von den Bergen hoben, war die beste Zeit, um wilde Drachen zu beobachten. Die blasse Morgensonne genügte, um ihre Schuppen zum Strahlen zu bringen, so dass sie sich gegen die Dämmerung wie ein Feuerwerk aus Blau, Rot oder, sehr selten, Gold abzeichneten. Doch selbst am Morgen war es ein Glücksfall, mehr als einen fremden Drachen zu sehen. Es gab nur einen, auf dessen stete Anwesenheit man sich im Land Erised verlassen konnte. Womit er seine Tage und Nächte verbrachte, wussten die wenigsten, aber jeden Morgen, ohne Ausnahme, legte sich sein Schatten über den Berg des Clans Dekapa.
Teres hatte Drachen schon immer gehasst. Zumindest konnte sie sich nicht an eine Zeit erinnern, in der sie anders fühlte. Drachen waren für ihre Eltern und den gesamten Clan immer wichtiger gewesen als Teres oder eins ihrer beiden jüngeren Geschwister. Was die beiden älteren Brüder und ihre Schwester Anis anging, so gaben sie dem Drachen ebenfalls den Vorzug. Als Teres mit vier Jahren stürzte, sich einen Zahn ausschlug und mit aller kindlichen Gewissheit glaubte, verbluten zu müssen, drückte ihr Anis, die als Älteste auf die Geschwister achtete, nur hastig etwas Bittermoos in die Hand: »Kau das, dann wird es schon aufhören.« Teres schrie empört auf und spie Blut, bis ihr Anis das übel schmeckende Knäuel kurzerhand in den Mund stopfte.
»Den Zahn hättest du später ohnehin verloren«, erklärte sie unwirsch, als Teres’ Gejammer immer noch nicht verklingen wollte. »Und jetzt sei still. Du weißt doch, dass ich heute mit Guso an der Reihe bin, den Drachen zu pflegen.«
Jeden Morgen war es die Pflicht zweier Clanmitglieder, den Drachen von Dreck, Zweigen, Laub und allem, was sich sonst zwischen seinen Schuppen angesammelt haben mochte, zu befreien. Für Teres, die sich wie die meisten kleinen Kinder nicht gerne wusch, aber wusste, dass es Klapse auf die Hände gab, wenn sie es nicht tat, war dies eine weitere Ungerechtigkeit: Wieso erwartete niemand von dem gewaltigen Drachen, sich selbst in einem Fluss oder Wasserfall zu reinigen? Nein, stattdessen wurde er bedient, von ihren Geschwistern, ihren Eltern, ihren zahllosen Vettern, Onkeln, Tanten, Basen; zum Clan Dekapa gehörten fünf Familien, die alle in der alten, mächtigen Steinburg auf dem Berg siedelten, und jedes ihrer Mitglieder schien sich zu überschlagen, um den Drachen zu umsorgen. Gewiss wäre es für Anis ein Leichtes gewesen, Adeli zu bitten, für sie einzuspringen, dachte Teres bitter, und sich stattdessen um mich zu kümmern. Aber das tat sie nicht. Dabei war ihre Base Adeli ganz verrückt nach dem Drachen; immerzu schwärmte sie von seiner Stärke, Anmut und Schönheit, die Teres beim besten Willen nicht entdecken konnte.
Ihr liefen die Tränen über die Wangen, während das Bittermoos seine Wirkung tat und ihre Blutung stillte. Später mahnte Vetter Guso sie, sich das Gesicht zu waschen, weil es völlig verschmiert sei, und ihre kleine Schwester, die gerade erst das Sprechen gelernt hatte, gluckste und kicherte bei Teres’ Anblick, als wäre sie eine der buntbemalten Rumpfpuppen von den Familienfesten. Das Leben war wirklich ungerecht!
Mit dem Beginn ihres siebten Lebensjahres wurde es schlimmer für Teres, denn nun erwartete der Clan von ihr, dass sie sich selbst an der Pflege des Drachen beteiligte.
»Was kann ich denn schon für ihn tun?« Natürlich wusste sie, dass es sinnlos war, sich zu wehren. Trotzdem wollte die Stimme in ihr, die sich über die Ungerechtigkeit beklagte, nicht verstummen. »Er ist doch so riesig!«, beschwerte sie sich und wurde belehrt, gerade der Umstand, dass sie klein genug sei, um sich noch zwischen zwei Klauen des Drachen klemmen zu können, sei ein Vorzug.
»Aber …«
»Es gibt kein Aber, Teres. Du bist eine Dekapa, und je früher sich der Drache an dich gewöhnt, desto besser«, schloss ihr Vater und schickte sie an jenem kalten Wintermorgen mit ihren älteren Geschwistern in die Höhle des Drachen unter der Burg.
Anis hielt Teres’ Hand, als sie die Worte des Rituals sprachen, dem sich alle Clanmitglieder unterzogen, wenn sie die Höhle des Drachen betraten.
»Wir sind Dekapa«, intonierte Anis, und obwohl ein Teil von Teres rebellisch genug war, um schweigen zu wollen, konnte sie nicht leugnen, dass ein anderer Teil das Ganze auch aufregend fand, wie alles, was die älteren Clanmitglieder taten und bei dem sie früher nicht hatte dabei sein dürfen.
»Wir sind Dekapa«, murmelte sie also mit.
»Du bist Dekapa.«
»Du bist Dekapa … Anis, warum muss eigentlich der Drache das nicht selbst sagen?«
»Weil es sich so gehört«, sagte Anis streng. Als Teres den Mund öffnete, um eine weitere Frage zu stellen, kniff ihre ältere Schwester sie schmerzhaft in die Wange; eine Geste, die Teres von niemandem mochte, und Anis wusste das genau. »Und nun sprich mir nach: Wir sind Dekapa. Du bist Dekapa. Du dienst. Wir kommen, um zu dienen.«
Mit einer anmutigen Bewegung ließ sie sich auf die Knie sinken – und zog Teres mit einem Ruck ebenfalls auf den Boden. Das Mädchen sah, dass seine große Schwester die Augen geschlossen hatte und stumm die Lippen bewegte; vermutlich wiederholte sie die rituelle Formel noch einmal, was Teres denkbar unlogisch erschien, denn welchen Sinn machte es, wenn niemand – nicht einmal der verdammte Drache – es hören konnte?
Anis erhob sich wieder. Teres war froh, dem Beispiel folgen zu dürfen, denn der harte Stein hatte unter ihren Knien geschmerzt. Und während sie noch darüber nachdachte, warum man keine Kissen vor die Höhle legte, um das unsinnige Spruch-Aufsagen wenigstens ein bisschen angenehmer zu gestalten, betrat sie an der Hand ihrer Schwester zum ersten Mal die Drachenhöhle.
Das Erste, was ihr auffiel, war, dass es hier selbst im Winter angenehm warm war, weil der Drache große Hitze zu verströmen schien. Immerhin, dachte Teres bockig und schnüffelte argwöhnisch. Der Drache stank nicht, obwohl sie das befürchtet hatte; er roch ein wenig wie die Asche der Kaminfeuer, die ihre Zimmer auf der Burg wärmten. Aber verglichen mit den anderen Tieren, die sie kannte und deren Pelz nach dem Regen stets einen so scharfen Geruch ausströmte, dass man die Luft anhalten musste, nahm man ihn kaum wahr. »Das liegt daran, dass er kein Fell hat, kleiner Dummkopf«, sagte Anis später. Als ob Teres das nicht schmerzlich wüsste! An jenem Morgen berührte sie zum ersten Mal eine der Schuppen, die sogar ein wenig größer als ihre Handfläche waren. Die spitz zulaufenden Enden waren so scharf, dass sie sich prompt in die Hand schnitt, nicht tief, aber genug, um ihre Finger hastig zurückzuziehen. Ein paar ihrer Blutstropfen perlten über die verdammte Schuppe, aber man erkannte sie kaum, denn die war rostbraun. Im Vergleich zu einigen der silbrigen, blauen oder goldenen Drachen, die schon über den Berg hinweggeflogen waren, wirkte die Farbe des Drachen auf Teres alltäglich. Wie altes Laub, dachte sie verächtlich.
Der Drache atmete kaum. Anfangs dachte Teres, er müsse nie Luft holen, aber mit der Zeit fiel ihr auf, dass sich der Staub um seine Nüstern während der Zeit, in der sie und die anderen mit seiner Pflege beschäftigt waren, schwarz färbte. »Er ist sehr vorsichtig, wenn Menschen um ihn sind«, erklärte ihre Mutter. »Richtig ein- und ausatmen kann er nur während des Fliegens, weil die oberen Lüfte so kalt sind, dass sein Atem dort nicht gleich zu Feuer wird.«
»Du meinst … er könnte uns alle verbrennen?«, fragte Teres schaudernd. »Einfach so?«
»Er könnte. Aber er will es nicht. Der Drache weiß, wie gefährlich der Feueratem ist – und welche Macht er ihm verleiht.«
Ihre Mutter hatte jetzt, wo Teres alt genug war, um bei der Pflege des Drachen mitzuhelfen, mehr Zeit für sie. So kam es dem Mädchen jedenfalls vor. Teres wurde nicht länger mit den jüngeren Geschwistern in den Turm geschickt, wo die Kinder des Clans Dekapa untergebracht waren, sobald die Sonne unterging. Nein, sie durfte noch eine Weile länger in dem großen ovalen Raum bleiben, wo die Erwachsenen und die älteren Sprösslinge des Clans sich zu den Mahlzeiten versammelten, wo die alten Lieder gesungen wurden und manchmal auch Tänze stattfanden.
»Hätten wir uns nicht einen anderen Drachen aussuchen können?«, platzte Teres heraus, als ihre Mutter ihr einschärfte, dem Drachen nach der morgendlichen Reinigung zu danken, ehe sie ging. »Einen schöneren?« Sie dachte an die bunten Blitze, die sie manchmal über das Gebirge hinwegziehen sah; nicht sehr oft, und keinen im letzten Jahr, aber genügend, um zu wissen, dass es viel schönere Drachen gab als den rostbraunen Koloss, der in der Höhle lag.
»Unser Drache ist ein Wunder«, entgegnete ihre Mutter tadelnd. »Und so müssen wir ihn behandeln. Du darfst nie anders als mit Achtung und Respekt zu ihm sprechen, Teres, und ich will nicht hoffen, dass du dergleichen Gedanken äußerst, wenn du bei ihm bist.«
»Ich glaube nicht, dass er mich überhaupt hört«, gab Teres zurück. »Er sagt nie etwas.«
Dass der Drache sprechen konnte, wusste sie, weil es die Mitglieder des Clans gelegentlich erwähnten; sie selbst hatte seine Stimme noch kein einziges Mal gehört. Wahrscheinlich ist er selbst dafür zu faul, dachte sie.
»Er spricht zu denen, die er für würdig befindet«, sagte ihre Mutter.
»Und wie viele Male muss man Vogeldreck von ihm abkratzen, bevor man würdig wird?«, fragte Teres laut, was Vetter Guso zum Lachen brachte. Teres’ Vater gab ihm einen sanften Klaps auf den Kopf.
»Anis hat ihn auch noch nie gehört!«, setzte Teres...