E-Book, Deutsch, 144 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 200 mm
Kiechle Gott in allen Dingen
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-429-06692-5
Verlag: Echter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kurze Praxis der ignatianischen Exerzitien
E-Book, Deutsch, 144 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 200 mm
ISBN: 978-3-429-06692-5
Verlag: Echter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Ausdruck „Exerzitien“ klingt ein bisschen geheimnisvoll und mystisch. Nach alter Tradition suchen Menschen in geistlichen Übungen – so das deutsche Wort –, Gott zu begegnen, ihr Leben mit Christus zu gestalten und im Alltag spirituelle Wege zu gehen. Stefan Kiechle erläutert die Praxis heutiger Exerzitien – ihre Methoden und Inhalte – ganz aus der Tradition des Ignatius von Loyola. Das Buch gibt konkrete Hilfe sowohl für Menschen, die andere in Exerzitien begleiten, wie auch für jene, die selbst einen Exerzitienweg gehen. Wer geistlich übt, will Gott in allen Dingen, ja im ganzen Leben suchen und finden, und das in innerem Trost und in der Freude des Herzens.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2. Haltung der Begleiterin
Selbst beten. Die erste und wichtigste Haltung der Begleiterin wird sein, dass sie selbst einen Exerzitienweg gegangen ist und weiterhin geht und dass sie im Inneren so mit Gott verbunden ist, dass sie aus ihrer Gottesbeziehung lebt und auf diese Weise die geistlichen Wege des Exerzitanten erfassen und deuten kann. Während des Kurses, den sie begleitet, macht sie selbst nicht Exerzitien in jener Intensität, die die von ihr Begleiteten erreichen können. Allerdings geht sie betend und stützend mit: Sie ist wachsam gegenüber den Regungen, die die Erfahrungen der Exerzitanten in ihrer Seele hervorrufen, sie bringt diese Regungen betend vor Gott, und sie betet in den Anliegen der Exerzitanten, freilich mit der Freiheit, Gott die eigentliche Führung zu überlassen, so dass dieser den Exerzitanten jene Erfahrungen schenkt, die er ihnen schenken will. Betend übergibt sie die Exerzitanten Gott und seiner Führung – und enthält sich dadurch nochmals jeglichen Dirigierens oder gar Manipulierens der Exerzitanten. Dies gilt auch dann, wenn ein Exerzitant Wege geht, die ihr nicht behagen, oder Entscheidungen fällt, die sie für nicht zielführend oder für falsch hält. Die eigenen Fallen und Grenzen kennen. Seine Fallen sollte der Begleiter gut kennen: etwa seine narzisstische Bedürftigkeit, dass er anerkannt und geliebt werden und in seiner Arbeit erfolgreich sein will; seine zwanghaften Muster, die er oft unbewusst bedient und die dann beispielsweise das korrekte Abarbeiten von Regeln und Pflichten zum ersten Bewertungsmaßstab machen; seine depressiven Anteile, die ihn traurig, antriebsarm und hoffnungslos machen, usw. Allgemein sollte er sich fragen, ob und wo er in der Begleitung eigene Bedürfnisse stillen will. Begleitend ist er für andere da und nur für sie. Eigene Bedürfnisse sind legitim und wichtig – er darf ihnen an anderen Orten und im Zusammensein mit anderen Menschen nachgehen. Fragen soll er sich auch, wo er frühere eigene Erfahrungen – solche etwa seines geistlichen Weges oder seiner Beziehungen – zu einfach auf die begleitete Person überträgt und dadurch Situationen falsch einschätzt.13 Wahrnehmen soll er auch seine Grenzen, beispielsweise wo er spirituell oder psychologisch oder intellektuell überfordert ist – er kann sich Hilfe holen in einer Intervision mit anderen Begleitern oder in einer Supervision. Im Grenzfall sollte er eine Begleitung, der er auf Dauer nicht gerecht werden kann, beenden. All dies braucht Demut und gehört zu dem, was Ignatius „Klugheit“ (discernimiento) nennt – der Zusammenhang mit der Unterscheidung der Geister liegt auf der Hand.14 Und doch darf der Begleiter vertrauen, dass Gott auch durch unvollkommene Werkzeuge Gutes wirkt und dass er manche Einseitigkeiten und Fehler ausgleicht. Übungen geben. Ignatius hat für die Person, die man heute als „Begleiterin“ bezeichnet, nur den einen Ausdruck „der/die die Übungen gibt“ (EB 6 u. a.). Damit ist das Vorschlagen konkreter Übungen – Phantasieübungen, Schrifttexte, Gebetsweisen usw. – die erste und wichtigste Aufgabe der Begleiterin und nicht etwa das Besprechen und Deuten intimer Regungen, das Reflektieren von Lebensentscheidungen oder gar das Belehren über religiöse oder andere Zusammenhänge. Indem die Begleiterin nur Übungen gibt, bleibt sie einerseits persönlich zurückhaltend und enthält sich aller Direktiven und Belehrungen. Andererseits nimmt sie durch die Auswahl der Übungen – etwa der Schrifttexte und ihrer Themen – sehr wohl Einfluss. Hierfür braucht sie die Haltung der Achtsamkeit und des Respekts, und sie braucht ein gutes geistliches Gespür, so dass sie solche Übungen auswählt, die dem Exerzitanten auf dessen Weg helfen und nicht auf dem, den die Begleiterin als den richtigen gelernt hat oder den sie selbst für besonders wichtig hält. Wie eine Waage. Wo es um Entscheidungen geht, beschreibt Ignatius die Haltung der Begleiterin mit dem Bild der Waage (EB 15): Er meint jene altmodische Einrichtung, bei der zwei Waagschalen an einer Querstange hängen; diese ruht in der Mitte auf einer Stütze und bleibt dabei beweglich. Nun sinkt die schwerer belastete Schale nach unten und zieht die andere Waagschale nach oben. Also soll bei zwei Entscheidungsalternativen die Begleiterin neutral bleiben und mit dem Exerzitanten prüfen, welche Schale – durch das Gewicht besserer Argumente und Gefühle – schwerer ist und sich nach unten neigt. Die Begleiterin gibt keine Meinung oder Präferenz kund, sie gibt keinen Rat und schon gar nicht drängt sie den Exerzitanten in eine Richtung – dies wäre bald übergriffig oder missbräuchlich. Der Exerzitant soll selbst wägen und unterscheiden und entscheiden. Gott soll dem Exerzitanten „unmittelbar“ seinen Willen kundtun (EB 15), indem dieser über seine Empfindungen und Gedanken den guten, zielführenden Geist vom bösen, ihn in die Irre führenden Geist unterscheidet. Von der Begleiterin braucht dies die hohe Kunst der Zurückhaltung, der Demut und der Diskretion – Letztere im doppelten Sinn der Verschwiegenheit und der Gabe, die Geister zu unterscheiden. Bei der Unterscheidung der Geister helfen. Wenn die Exerzitantin ihre Geister unterscheidet, darf und soll freilich der Begleiter ihr darin helfen, insbesondere in komplexen Situationen: durch Rückfragen die Exerzitantin auf Aspekte bringen, die sie noch nicht sieht; sie einladen, sich von frühen Festlegungen, von übermäßigen Ängsten oder von Anhänglichkeiten zu lösen, also indifferenter zu werden; ihr bei Entscheidungen mögliche Alternativen aufzeigen; sie ermuntern, ihre Gefühle wahr- und ernst zu nehmen; sie mit Hinweis auf einige Regeln der Unterscheidung dazu ermutigen, ihre Regungen – im umfassenden ignatianischen Sinn: Gefühle und Gedanken, Konkretes und Ideales, Individuelles und Soziales15 – recht zu deuten; sie immer wieder ins Gebet zurückschicken, damit sie sich Gott anbiete; sie am Ende zu einem mutigen Ja zum Gewählten und zu einem klaren Nein zu nicht Gewähltem einladen. Priesterlicher Dienst. Zu Ignatius’ Zeiten konnte man sich Seelsorge und Begleitung – die Jesuiten sprachen von animas iuvare, „den Seelen helfen“ – nur als Dienst von Priestern vorstellen. Deswegen ließen sich Ignatius und seine Gefährten bald zu Priestern weihen.16 Heute ist deutlich, dass dieser Dienst nicht an das geweihte Amt, etwa an dessen Auftrag, Sakramente zu spenden, gebunden ist. Daher kann er von allen Christinnen und Christen erbracht werden. Man darf ihn als geistlichen Auftrag des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen deuten, ermöglicht durch die Taufgnade, durch den persönlichen geistlichen Weg und durch Begleit-Kompetenz. Dass es heute vielen Christgläubigen – älteren und jüngeren, evangelischen und katholischen, Frauen und Männern, Familienmenschen und Zölibatären – gegeben ist, in diesem Sinne priesterlich zu begleiten, bereichert die Kirche. Ausbildung? Früher wurde Exerzitienbegleitung vor allem als Charisma gesehen: Wer selbst ignatianisch geformt war, etwa durch ein Ordensnoviziat mit 30-tägigen Exerzitien, wer außerdem im Gebet lebte und gutes Gespür für Seelsorge hatte, lernte das Begleiten by doing, oft mit supervisorischer Hilfe eines älteren, erfahrenen Begleiters. Heute gibt es dafür eigene Ausbildungen, die lange und intensiv und oft sehr aufwändig sind – im Zuge der Professionalisierung aller seelsorglichen Dienste und der Missbrauchsprävention verlangt man Schulungen und Zertifikate. Nun sind Ausbildungen wichtig und hilfreich, haben allerdings Vor- und Nachteile: Vorteile sind, dass man reflektiert und achtsam die Exerzitienwege wirklich kennenlernt; dass man lernt, Gespräche im ignatianischen Stil zu führen; dass man die Unterscheidung und Begleitung mit guter Hilfe einübt; dass man Missgeschicke und Fehler, etwa ein zu direktives oder abhängig machendes Begleiten, erkennt und zu vermeiden lernt; dass man sich Grundwissen über die Schrift und über das Exerzitienbuch und die entsprechenden Methoden aneignet. Nachteile könnten sein: Die persönlich-spirituelle Seite tritt hinter die erlernte professionelle Funktionalität zurück; man meint, einen Handwerkskoffer zu erwerben, aus dem man nur das passende Werkzeug auszuwählen und präzise anzuwenden hat, um dann mit Gewissheit die gesuchten Resultate zu erzielen; das Zertifikat behauptet Erfahrung und Kompetenz, belegt aber zunächst nur die Bildung, nicht die Begabung. Die Ausbildung zur Exerzitienbegleiterin ist – zusammengefasst – empfehlenswert und hilfreich, ersetzt freilich nicht das Charisma. Dieses ist das Fundament, gleichsam der Keim: Die Schulung hilft, das Pflänzlein zu gießen und es mit Gottes Hilfe erblühen zu lassen. Vielleicht sagt man statt „Ausbildung“ oder „Lehrgang“ besser „Kurs“ oder „Seminar“17, denn damit bleibt offener, was und wie viel die Absolventin lernt und nach Abschluss kann. Wie ein Exerzitienkurs zeitigt auch das Begleitseminar keine gesicherten Ergebnisse, sondern es gibt Gott Raum, dass er wirke und segne in dem Maß und in der Weise, wie er will. Theologische Kenntnisse sind übrigens wichtig, aber nicht das Fundament des Begleitens: Wer kein entsprechendes Studium mitbringt, kann sich im Rahmen des Seminars und durch Eigenarbeit genügend Kenntnisse über die...