E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Kessler Verlorene Wahrheiten
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7562-8461-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Reise nach draussen
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
ISBN: 978-3-7562-8461-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Das Jahr 2058 - das Bevölkerungswachstum zwingt die Menschen in abgeriegelte Megastädte, in denen strenge Geburtenkontrolle und genetische Manipulation zur Kontrolle der Bevölkerungsentwicklung dienen. Ralf und Stefanie geraten in einen finanziellen Engpass und können sich die Pille nicht leisten, die ihren einjährigen Sohn Bobby vor der genetischen Degeneration bewahren soll. Ralf macht sich auf die Suche nach einer alternativen Heilmethode und begegnet Sarah, einer rätselhaften «Äusseren», die ihn zu einem Heiler bringen will. Eine abenteuerliche Reise durch eine verbotene Aussenwelt führt Ralf schliesslich zur schockierenden Wahrheit über die Medikamente und die Kontrollen der Regierung. In «Verlorene Wahrheiten - die Reise nach draussen» verschwimmen die Grenzen zwischen Freund und Feind, Wahrheit und Lüge. Eine ergreifende Geschichte über Liebe, Freiheit und den Mut, gegen die grausame Realität anzukämpfen.
Markus Kessler, geboren 1969, schreibt Science Fiction, Horror und Gruselgeschichten. Er ist bekannt für seine Kurzgeschichten, die auf wenigen Seiten viel Spannung und Gänsehaut erzeugen. 2006 veröffentlichte er seine erste Kurzgeschichte im Magazin "Kurzgeschichten". 2007 gehörte er zu den Gewinnern des Alfa-Literaturpreises, veröffentlicht in der Anthologie "Schwarze Büstenhalter". Zu Beginn seiner Autoren-Karriere, in den Jahren 2000 - 2002 veröffentlichte er vor allem Satire in der Schweizer Satirezeitschrift "Nebelspalter". Seine Geschichten drehen sich um die menschlichen Abgründe, düstere Visionen, aber auch um das Gute im Menschen, das trotz allem stärker ist. Immer wieder blitzt auch ein Hauch Satire oder auch mal schwarzer Humor auf, lässt den Leser schmunzeln und daran denken, wie gut es tut, auch mal zu lachen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 8
Nachdem er die Lösung des Rätsels gefunden hatte oder es zumindest glaubte, packte er seinen Rucksack. Er legte Ersatzwäsche hinein, Nahrungspaste, Verbandsstoff, ein paar Heftpflaster, eine Flasche Wasser. «Du willst also wirklich gehen?», fragte Stefanie. «Ich muss! Ich könnte mir das nie verzeihen, wenn Bobby sterben würde, weil ich so doof war, unser Geld zu verschenken, anstatt Bobbys Pille zu kaufen.» Er schnürte den Rucksack zu und schnallte ihn sich probehalber auf den Rücken. Eine schwere Last, als ob er auch noch alle seine Sorgen mit hineingepackt hätte. Stefanie konnte es kaum ertragen, ihren Mann so zu sehen. Dieser schmächtige Mann mit den hängenden Schultern und dem traurigen Ausdruck in den Augen. So mussten die jungen Männer aussehen, die immer wieder zu einem der zahlreichen Kriege unterwegs waren. Verloren, geschlagen, ohne Hoffnung. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals. «Gibt es denn keinen anderen Weg?» «Ich habe keine andere Idee. Du?» «Und wenn ich mehr arbeiten würde? Wenn wir beide Doppelschichten schieben, bis wir uns das leisten können?» Ralf seufzte. «Darüber haben wir doch schon gesprochen. Wir können nicht einfach mehr arbeiten. Wir müssten begründen, warum wir das tun wollen und dann müssten wir sagen, dass wir uns die Pille für Bobby nicht leisten können. Das könnte dazu führen, dass wir in eine billigere Wohnung ziehen müssen.» Die Zuteilung einer Wohnung war direkt vom Vermögen abhängig. Nur wer es sich leisten konnte, durfte in einer der schönen Vorstadtwohnungen leben. Wer seine Arbeit verlor oder Schulden machte, musste sofort umziehen in eine billigere Wohnung. Das hatte sich anfangs ja total gut angehört, als die Regierung dieses Gesetz eingeführt hatte. Die Nachbarschaft passte zum eigenen Einkommensstandard. Ihre Nachbarn waren ebenfalls alle Handwerker wie Ralf. Aber wie immer, wenn etwas ins Gesetz geschrieben wurde, führte es irgendwann zu weit. Und jetzt war es so, dass man jederzeit Angst um seine Wohnung haben musste. Ein einziger Fehler konnte dazu führen, dass man umziehen musste in ein Quartier, wo nur noch die einfachen Arbeiter lebten: Abwasserwarte, Müllsammler, Gebäudereiniger und natürlich Menschen, die für keine Art von Arbeit zu gebrauchen waren. Aus diesem Quartier wieder aufzusteigen, war schier unmöglich. «Lass uns jetzt gehen», sagte Ralf, «es wird nicht besser, wenn wir hier nur herumstehen und darüber reden.» Stefanie schnallte sich das Tragetuch um, in das sie Bobby betten würde auf dem Weg in den Süden der Stadt. «Und du willst wirklich mitkommen bis zum Schwarzmarkt?», fragte Ralf noch einmal. «Das ist gefährlich für dich und Bobby.» «Ich muss doch mitkommen. Wer sonst soll dein Handy wieder mit zurück nehmen. Wenn die Polizei es ortet, kann ich sagen, du seist krank zu Hause.» «Stimmt. Aber das ginge doch auch, wenn ich es jetzt schon zu Hause lassen würde.» Stefanie nahm Bobby aus seinem Bettchen und wickelte ihn in das Tragetuch. Der Kleine grunzte unwillig und schloss sofort wieder die Augen. Er war die letzten Tage immer so müde gewesen. War das vielleicht schon der Anfang der Degeneration? «Du kannst doch nicht U-Bahn fahren ohne Handy. Und den ganzen Weg zu Fuß gehen kannst du auch nicht, das ist viel zu weit.» Ralf nickte. Das hatte er selbst längst herausgefunden. Aber es widerstrebte ihm, seine Familie noch tiefer hineinzuziehen. Es war schon schlimm genug, dass sie für ihn lügen mussten. Er zog die Riemen seines Rucksacks straff, was ihm etwas mehr Mut verlieh. «Dann lass es uns hinter uns bringen.» Die Fahrt in den Süden verlief ganz einfach, niemand nahm Notiz von der jungen Familie, die da so steif und mit verkniffenen Gesichtern in der U-Bahn saß. Und wenn, dann hätte ein zufälliger Beobachter bestimmt den Eindruck bekommen, dass sich die beiden gerade gestritten hätten. Und der Junge im Tragetuch schlief friedlich, schnarchte nur manchmal laut durch seine verstopfte Nase. Vielleicht hätte dieser zufällige Beobachter auch gesehen, dass der Mann vorsichtig nach der Hand der Frau griff und sie drückte. Dann wäre ihm aufgefallen, dass sich die Frau noch mehr versteifte. Ein weiteres Zeichen für einen Krach, der unter der Oberfläche schwelte. Dabei fühlte sich Stefanie weder wütend noch aufgebracht, sondern entsetzt über den waghalsigen Plan, den sie zusammen ausgeheckt hatten. Da konnte so viel schiefgehen. Vielleicht war diese kurze Fahrt in der U-Bahn das letzte, was sie gemeinsam unternahmen. Vielleicht würde Ralf nie wieder zurückkommen. Dann würde der zufällige Beobachter sehen, wie Tränen über das Gesicht der jungen Mutter rieselten und auf das Tragetuch tropften, in dem das Kind lag. Bei der Haltestelle Hirschengraben stiegen die beiden aus und verschwanden aus dem Bild des Beobachters, der die beiden über die Überwachungskamera beobachtet hatte. Und damit erlosch auch sein Interesse an ihnen. Sie waren jetzt sehr nahe an der südlichen Stadtmauer. Es wimmelte von bewaffneten Soldaten und Polizisten. Die junge Familie wirkte hier so fehl am Platze. Trotzdem musste Stefanie ihren Mann so weit wie möglich begleiten, um sein Handy im letzten Moment zu übernehmen. Es war ein offenes Geheimnis, dass die Handys aller Bürger überwacht wurden und das Gerücht, dass alle Bewegungen der Handys verfolgt wurden, hielt sich hartnäckig. Sie gingen in ein Wirrwarr von schmalen, dunklen Gassen hinein. Es roch nach Urin und nach vergammelten Lebensmitteln. In der Ferne schrie eine Frau um Hilfe und kurz darauf peitschte ein Schuss. Immer wieder heulte eine Polizeisirene, eine Hubschrauberpatrouille flog über sie hinweg und Hundegebell trieb ihnen Angstschweiß auf die Stirn. Das war wirklich keine Gegend für eine junge Familie. Und bei dem Gedanken daran, dass Stefanie und Bobby alleine hier wieder weg mussten, drehte sich Ralf der Magen um. Eine dunkel gekleidete Gestalt löste sich aus einem Hauseingang und kam direkt auf sie zu. «Braucht ihr Bargeld?», fragte der Mann, in dessen Gesicht offene Wunden von seiner Drogensucht berichteten. Stefanie wandte sich angewidert ab und hob schützend die Hand über Bobby. Ralf nahm sie am Arm und führte sie schnell weg von dem Fremden, der ihnen etwas Unverständliches hinterherschrie. Schließlich erreichten sie den Durchgang, der in den engen Innenhof führte, wo Sarah auf ihn warten sollte. Es roch nach Erbrochenem und den seltsamen Gerüchen des Schwarzmarktes. Kräuter und Gewürze, die es sonst nirgends gab, Rauch aus den unzähligen kleinen Brennern, auf denen Äußere ihre seltsamen Tinkturen und Tränke zubereiteten. Hier drehte sich Ralf zu Stefanie und umarmte sie ein letztes Mal. «Es ist Zeit, dass wir uns trennen.» Er übergab ihr sein Handy. «Lauf auf dem schnellsten Weg zurück zur U-Bahn und sprich mit niemandem, bis du zu Hause bist.» «Du kommst doch zurück», schluchzte Stefanie. «Natürlich. Übermorgen bin ich wieder da.» Er hoffte, dass sie in seinem Gesicht nicht den Zweifel sah, der ihn schon plagte, seit er diesen wahnwitzigen Plan gefasst hatte. Aber sie blickte ihm nicht ins Gesicht, sondern auf seine Schuhe. Sie konnte ihn nicht gehen lassen, wenn sie in seine Augen sah. Ihr Körper wurde steif, als sie sich mechanisch von ihm wegdrehte, noch ein letztes Mal seine Hand drückte, ohne ihm in die Augen zu sehen. «Ich verlasse mich darauf, dass du gesund zurückkommst», sagte sie. «Ich verspreche es», sagte er und wusste, dass er dieses Versprechen vielleicht nicht halten konnte. Dann drehte auch er sich um und stürzte sich in das Getümmel, das auf der anderen Seite der schmalen Gasse tobte. In Lumpen gekleidete Äußere mit auffälligen Narben im Gesicht und an den Händen starrten ihn an und schienen sich zu fragen, ob sie ihn lieber überfallen oder ihm etwas Fremdartiges verkaufen sollen. Ralf ging schnell an den verschiedenen Marktständen vorbei, stets darauf bedacht, nicht die Aufmerksamkeit eines Zivilpolizisten zu erregen, der sich in die Menge versteckte. Er steuerte die südöstliche Ecke an, wo Sarah ihn erwarten sollte. Der Besuch dieser Märkte war nicht illegal, Kräuter und Gewürze gehörten durchaus zu den Dingen, die man von Äußeren kaufen durfte. Abgesehen von einzelnen berauschenden Substanzen oder solchen, die als Heilmittel wirkten, jedoch nicht von der staatlichen Aufsicht freigegeben waren. Legale von illegalen Kräutern zu unterscheiden, war die große Schwierigkeit, nicht nur für die Kunden, sondern auch für die Polizei. Es gab sogar Ladenbesitzer aus noblen Stadtvierteln, die sich hier mit seltenen Gewürzen versorgten. Die kamen jedoch nicht selbst her zum Einkaufen, sondern schickten Kuriere und Mittelsmänner. Und wie einer dieser Kuriere versuchte Ralf...