E-Book, Deutsch, 111 Seiten
Keser Antek und die ganze Welt
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-96053-142-5
Verlag: jumpbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 111 Seiten
ISBN: 978-3-96053-142-5
Verlag: jumpbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ranka Keser, 1966 in Rijeka (Kroatien) geboren, lebt seit ihrem dritten Lebensjahr in Deutschland. Sie arbeitet als Autorin und Journalistin in München und leitet Schreibseminare für angehende Autoren. Die Website der Autorin: www.ranka-keser.de Bei jumpbooks veröffentlicht sie: 'Rebeccas Freundin' 'Ein Sommer ohne Zimmer' 'Antek und die ganze Welt' 'Die Mitwisserin'
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Die Friseurin und der Tintenfisch
Beinahe hätte Pap die rote Ampel übersehen. Er tut furchtbar lässig und lehnt sich im Sitz zurück, aber Antek weiß, je lässiger Pap tut, umso aufgeregter ist er. Deshalb hat Pap das Bremspedal so kräftig durchgedrückt, dass der Wagen mit einem Ruck und quietschenden Reifen zum Stehen kommt. Schließlich kann auch Antek erleichtert aufatmen. Pap zwinkert ihm zu, hat dabei aber so einen angespannten Gesichtsausdruck, dass Antek am liebsten lachen würde.
Antek sieht zum Fenster hinaus und versucht sich diese komische Frau vorzustellen. Er hat kein gutes Gefühl bei der Sache. Alles hört sich ziemlich bescheuert an, was Pap von dieser Frau erzählt. Sie heißt eigentlich Doris, aber alle nennen sie Venus, weil sie sich für die Planeten und Sterne und so Zeug interessiert. Dabei arbeitet sie als Friseurin! Wahrscheinlich hat sie nicht nur lange rote Fingernägel und ein blondsträhniges Dauerwellchen, sondern auch einen Hang zu sinnlosem Geschwätz. Man sagt ja immer »Erzähl das deinem Friseur!«, weil die Leute da jeden unwichtigen Schmarrn loswerden können, der sonst keinen interessiert. Antek hat den starken Verdacht, dass das mit dem Weltraum und dem Kosenamen nur dazu da ist, um zu vertuschen, wie langweilig sie eigentlich ist. Aber Pap hat sich doch hoffentlich keine dumme Freundin zugelegt. Oder? Vielleicht ist sie hübsch und Pap will mit ihr angeben – aber Pap ist eigentlich kein Angeber. Oder sie hat ein tolles Haus – nein, Geld hat die Friseurin wahrscheinlich nicht. Oder Pap will sich durch sie das Geld für den Friseur sparen – aber Pap geht nicht oft zum Friseur.
»Wir sind da, Spätzchen.«
Seit Antek denken kann, ist das Paps Kosename für ihn. Er hört’s mit seinen 14 Jahren nicht mehr gern, aber wenigstens verwendet Pap es nicht mehr vor anderen Leuten, nachdem Antek ihm die Leviten gelesen hat. Ist Pap das doch glatt mal vor Lukas rausgerutscht! Lukas hat ihn eine Woche damit aufgezogen. Antek hat Pap damit gedroht, Oma Helga zu erzählen, dass Pap immer die Linken wählt – das wirkte! Pap hatte wohl keine Lust auf Oma Helgas Monolog über Politik. Pap sagt, ihre Meinung dazu hätte sich in den letzten 40 Jahren nicht geändert.
Pap macht sich ans Einparken, was immer ungefähr zehn Minuten in Anspruch nimmt, weil er den Wagen zwanzigmal vor- und zurückbewegt. Die Leute, die auf seine Parklücke warten, wenn er rausfährt, brauchen gute Nerven. Manchmal flippen sie dann doch aus und hupen oder zeigen ihm den Vogel. Pap sieht das meistens gar nicht, weil er aufs Lenken, Bremsen und Gasgeben konzentriert ist. Wenn er es dann geschafft hat, wirft er ihnen noch ein nettes Lächeln zu und die glauben dann wahrscheinlich, er hätte sich einen Spaß daraus gemacht.
Antek befreit sich vom Gurt und beugt sich nach vorne, um zu betrachten, wo die Friseurin wohnt. O Gott, ein spießiges Reihenhäuschen! Der Albtraum jedes Stiefkindes!
»Da!« Pap zeigt auf das Spießerhäuschen. »Nummer 34, da wohnt sie.«
Über dem Balkon hängen rosafarbene Blumen und hinter jedem Fenster stehen mindestens zwei Pflanzen. Nee, die scheint keine langen roten Fingernägel zu haben, wohl eher eine Schürze und Pantoffeln – und Haare schneiden tut sie nur alten Weibern, die kein Trinkgeld geben und über ihre Rente und ihr Rheuma jammern.
Sie steigen aus.
Wie lange wird er es hier aushalten müssen? Bitte nicht länger als eine Stunde. Er kann sagen, er hätte vergessen, dass er sich später noch mit jemandem trifft. Pap wäre sauer, weil der Tag für ihn so wichtig ist (genauso hat er’s gesagt). Also keine gute Idee. Antek hat einfach keine Lust, sich mit dem hier zu befassen. Jetzt, wo er das Jacqueline-Problem hat. Die ganze Zeit muss er an sie denken und er kommt zu keiner Lösung.
Die Tür geht auf und da steht Doris oder Venus oder wie auch immer sie heißt. An der Tür steht Biermann, Doris Biermann also. Bei dem 08/15-Namen hätte Antek sich auch was Originelleres einfallen lassen.
Doris Biermann sieht furchtbar normal aus. Sie hat kurze braune Haare, kleine Glubschäuglein, ist mittelgroß und steckt in nagelneuen Jeans. Wahrscheinlich trägt sie sonst keine Jeans, hat sich für den Anlass aber welche gekauft. Das wird ja immer schlimmer…
Man kann nicht gerade behaupten, dass sie sich wahnsinnig-unendlich freut, Antek kennen zu lernen. Ihr Glück kennt Grenzen, denn sie streckt ihm nur die Hand entgegen und nickt mit dem Ansatz eines Lächelns. »Hallo.«
»Tag«, antwortet Antek.
»Das ist Venus und das hier …« Pap klopft ihm kräftig auf die Schulter. »Das ist mein ganzer Stolz, mein Sohn Antek.« Pap macht es etwas zu feierlich, aber Antek will darüber hinwegsehen, weil die Situation auch so blöde genug ist.
»Schön, dich kennen zu lernen, Antek«, sagt die Friseurin leise. Sie hat eine warme, angenehme Stimme. »Dieter hat viel von dir erzählt; ich war sehr gespannt auf dich.« Sie hält immer noch seine Hand fest und er entzieht sie ihr vorsichtig. Hat sie vor, den ganzen Abend seine Hand zu halten? »Jetzt kommt erst mal rein, das Essen ist gleich fertig.« Ach, Essen hat sie also auch gekocht, um sich ordentlich einzuschleimen. Das funktioniert vielleicht bei Pap, aber nicht bei ihm.
Die beiden gehen voraus und Antek sieht sich im Flur um. Kein Zweifel: Er hat es hier mit einer Verrückten zu tun. An den Wänden hängen nicht etwa Bilder von Freunden und Verwandten, sondern nur von irgendwelchen Planeten und Sternen. Antek geht ins Wohnzimmer und da ist es noch viel schlimmer: Die Bilder hier sind größer. Sie scheint nicht ganz dicht zu sein. Fällt Pap das nicht auf Wieso hat er sich in die verknallt? Antek beobachtet die beiden: Sie erzählt irgendetwas über Rezepte und Kochen und Pap hört ihr zu, nickt und streicht ihr zärtlich über die Wange. Antek dreht genervt den Kopf weg und so fällt sein Blick auf das Bücherregal. Voll mit Büchern über Kosmos, Planeten und den ganzen Mist. Wenn er jetzt Bauchschmerzen Vortäuschen würde, müsste er nicht mitessen und könnte den Bus nach Hause nehmen …
»Wir essen im Wohnzimmer, Antek, in der Küche ist nicht genug Platz. Für zwei reicht es gerade, aber nicht für drei.«
Drittes Rad am Wagen, aha.
Die Friseurin legt eine CD ein. »Magst du Tracy Chapman?«, fragt sie.
»Klar!« Er hat den Namen schon mal gehört, aber kennt keinen einzigen Song von ihr. Es ist ihm egal, was sie in ihren blöden CD-Player steckt. Er will das hier nur hinter sich bringen.
»Komm doch, Antek, warum stehst du da rum?«, sagt Pap ungeduldig. Sein Mundwinkel zuckt.
Antek zieht sich einen Stuhl heran und setzt sich widerwillig. So widerwillig, dass Pap und die Friseurin es nicht übersehen können.
Es duftet köstlich. Gebratener Tintenfisch, Petersilienkartoffeln und Salat. Er bekommt jetzt doch ein bisschen Appetit. Mam hat auch immer toll gekocht. Pap kann nicht besonders lecker kochen, obwohl er sich Mühe gibt.
»Greif zu, Antek!«, sagt die Friseurin. »Magst du Tintenfisch?«
»Ja.« Und wenn nicht? Jetzt wäre es sowieso zu spät gewesen. Sie hätte ja vorher Pap fragen können, was Antek gerne mag.
Das Essen schmeckt prima, aber Antek will das nicht sagen. Mit Komplimenten hat er es nicht so. Mam hat ihn immer gelobt und gesagt, wie sehr sie ihn liebt. Irgendwann war sie weg, vier Jahre ist das jetzt her. Es war zwei Tage nach seinem zehnten Geburtstag.
Antek betrachtet die Friseurin. Ihr Gesicht ist eigentlich recht hübsch, aber man muss schon genau hinsehen, um das zu merken. Es hat einen eigenartigen Ausdruck. Ihr Gesicht sieht aus, als wäre sie ein bisschen traurig oder gekränkt.
Antek ist froh, dass sie ihn beim Essen in Ruhe lassen. Sie unterhalten sich gerade über die neue Frau von irgendeinem TV-Moderator.
»Ich bin fertig«, murmelt Antek. »Ich geh ein bisschen raus auf die Terrasse.« Er steht auf, der Stuhl quietscht beim Wegrücken.
»Magst du keinen Nachtisch?« Die Friseurin blickt zu ihm auf und sieht ihn freundlich an.
»Nein, danke.«
Pap sagt: »Nimm deine Limonade mit. Wir kommen gleich nach.«
Antek nimmt sein Glas und geht nach draußen. Er setzt sich auf die Gartenbank, stellt sein Glas auf dem runden Holztisch ab. Er spürt so eine leise Hilflosigkeit, vermischt mit etwas Wut. Eltern machen mit einem, was sie wollen. Mam ist längst abgehauen und jetzt präsentiert Pap ihm seine neue Freundin. Ihn fragt niemand.
»Findest du das gut, Antek? Was hältst du davon? Wie ist deine Meinung dazu?« Solche Fragen werden bei ihm zu Hause nicht gestellt. Er wird nur immer vor vollendete Tatsachen gestellt. Und jetzt hat er gefälligst die Friseurin toll zu finden, sonst wird Pap niedergeschlagen seufzen, traurig von der Arbeit kommen und ihm Schuldgefühle reindrücken. Antek hat keine Lust auf so eine Stimmung, deshalb wird er einfach sagen: »Venus ist echt toll drauf und super nett.« Pap muss ja nicht erfahren, dass er sie langweilig findet.
Antek hört die beiden hinter sich. Die Friseurin kichert, Pap lacht laut. Es interessiert Antek nicht, was die beiden so lustig finden. Sie setzen sich zu ihm auf die Bank, Pap links, die Friseurin rechts. Wie ein kleines Kind sitzt er zwischen den beiden. Merken sie denn nicht, wie lächerlich das aussehen muss?
»Eine klare Sternennacht, gell, Venus?«, seufzt Pap. »Wie für dich gemacht.«
Sie lacht leise auf. »Ja, wolkenlos und klar.«
Antek blickt in den Himmel. Er kommt ihm vor wie immer. Ein dunkler Hintergrund mit weißen Punkten. »Ist das so ’n Hobby von Ihnen?«
»Du musst mich nicht siezen. Nein, es ist...




