E-Book, Deutsch, Band 8, 621 Seiten
Reihe: Joona Linna
Kepler Der Spiegelmann
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7325-9448-1
Verlag: Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Schweden-Thriller
E-Book, Deutsch, Band 8, 621 Seiten
Reihe: Joona Linna
ISBN: 978-3-7325-9448-1
Verlag: Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Eine Schülerin verschwindet auf dem Heimweg spurlos. Jahre später wird sie auf einem Spielplatz mitten in Stockholm ermordet aufgefunden. Das Mädchen wurde an einem Klettergerüst qualvoll gehängt. Eine Hinrichtung. Eine Machtdemonstration. Kommissar Joona Linna ist von der Kaltblütigkeit des Täters alarmiert und ermittelt unter Hochdruck.
Das Mädchen ist wahrscheinlich nicht das einzige Opfer. Als es gelingt, einen Mann aufzuspüren, der den Mord gesehen haben muss, ist der Zeuge nicht in der Lage, darüber zu sprechen. So traumatisch sind offenbar seine Erinnerungen. Jonna Linna bittet Erik Maria Bark, den Hypnotiseur, um Hilfe ...
Hohes Tempo und nervenaufreibende Spannung von der ersten bis zur letzten Seite! Der Spiegelmann war DER Jahresbestseller in Schweden 2020!
Lars Kepler ist das Pseudonym der Eheleute Alexandra und Alexander Ahndoril. Der Hypnotiseur, ihr Thrillerdebüt mit Joona Linna, war sensationell erfolgreich und wurde für das interantionale Kino verfilmt. Auch die anderen Thriller mit Joona Linna setzten die Erfolgsgeschichte fort und standen allesamt auf Platz 1 der schwedischen Bestsellerliste. Das Ehepaar lebt mit seinen Töchtern in Stockholm.
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8
DIE TÜR ZUM Patientenflur öffnet sich erneut, und Pamela hebt den Kopf. Ein Pflegehelfer trägt Martins Rucksack und begleitet ihn in den Tagesraum. Früher hing Martins blondes Haar bis auf den Rücken, er bewegte sich lässig und trug Lederhosen, schwarze Hemden und Sonnenbrillen mit rosa verspiegelten Gläsern. Inzwischen erhält er starke Medikamente und hat zugenommen, das kurzgeschnittene Haar ist strähnig und das Gesicht blass und ängstlich. Er trägt ein blaues T-Shirt, Adidas-Hosen und weiße Turnschuhe ohne Schnürsenkel. »Liebling«, sagt sie mit einem Lächeln und steht auf. Martin schüttelt den Kopf und betrachtet erschrocken den Mann im Rollstuhl. Sie geht zum Pfleger und nimmt ihm den Rucksack ab. »Alle hier sind stolz auf dich«, sagt der Pfleger. Martin lächelt nervös und zeigt Pamela, dass er sich eine Blume in die Handfläche gemalt hat. »Ist die für mich?«, fragt sie. Er nickt hastig und schließt die Hand wieder. »Danke«, sagt sie. »Ich kann keine echten kaufen«, sagt er, ohne sie anzusehen. »Ich weiß.« Martin zupft am Ärmel des Pflegers und bewegt lautlos den Mund. »Du hast schon in die Tasche gesehen«, sagt der Pfleger und wendet sich an Pamela. »Er möchte in den Rucksack sehen und kontrollieren, ob er alles dabeihat.« »Okay«, antwortet sie und gibt Martin die Tasche. Er setzt sich auf den Boden, holt seine Sachen heraus und legt sie in eine ordentliche Reihe. Mit Martins Gehirn ist alles in Ordnung, es hat unter dem Eis keinen Schaden genommen. Nach dem Unfall hat er allerdings fast aufgehört zu sprechen. Jedem Wort, das er sagt, folgt eine Welle der Angst. Alle scheinen sich sicher zu sein, dass es sich um eine Posttraumatisches Belastungsstörung handelt, die von paranoiden Wahnvorstellungen begleitet wird. Pamela weiß, dass er nicht heftiger über den Verlust von Alice trauert als sie selbst, denn das ist unmöglich. Auch wenn sie eigentlich eine starke Person ist und gelernt hat, dass Menschen unterschiedlich reagieren, weil sie unterschiedliche Voraussetzungen haben. Martins gesamte Familie ist bei einem Autounfall gestorben, als er noch ein Kind war, und als Alice ertrank, wurde sein Trauma komplex. Durch das Fenster sieht Pamela, dass ein Krankenwagen vor der psychiatrischen Notaufnahme hält, aber ihre Gedanken wandern fünf Jahre zurück in die Intensivabteilung des Krankenhauses in Östersund. »Sie waren zusammen auf dem Eis«, schrie sie. »Sie war dort mit ihm zusammen, Sie können sie nicht einfach vergessen haben, sie ist doch noch ein Kind, Sie können doch nicht … können doch nicht einfach …!« Die sommersprossige Krankenschwester starrte sie an und öffnete den Mund, ohne ein Wort hervorzubringen. Die Polizei und der Rettungsdienst wurden sofort alarmiert, sie flogen zurück zum Kallsjön und setzten Taucher ein. Pamela konnte ihre Gedanken nicht zusammenhalten, sie ging rastlos im Raum hin und her, versicherte sich selbst, dass das alles nur ein Missverständnis war, dass es Alice gut ging. Sie sagte sich selbst, dass sie alle drei bald zusammen am Esstisch in Stockholm sitzen und über diesen Tag sprechen würden. Sie malte sich all das aus, obwohl sie wusste, dass es nicht passieren würde, obwohl ihr im Grunde schon klar war, was geschehen war. Sie stand neben Martins Bett, als er aus der Narkose erwachte. Er öffnete für ein paar Sekunden die Augen, schloss sie wieder für eine lange Zeit, bevor er schließlich mit einem schweren Blick zu ihr aufsah und versuchte, die Wirklichkeit zusammenzusetzen. »Was ist passiert?«, flüsterte er und befeuchtete sich die Lippen. »Pamela? Was ist los?« »Du bist durch das Eis gebrochen«, sagte sie und musste schlucken. »Nein, das war doch dick genug«, sagte er und versuchte den Kopf vom Kissen zu heben. »Ich habe gebohrt, es waren zehn Zentimeter … man hätte mit dem Motorrad darauf fahren können, das sagte ich auch zu …« Er verstummte und betrachtete sie mit einer plötzlichen Intensität. »Wo ist Alice?«, fragte er mit zitternder Stimme. »Pamela, was ist da passiert?« Er versuchte, aus dem Bett zu kommen, fiel heraus und landete mit dem Gesicht auf dem Kunststoffboden, sodass eine Augenbraue zu bluten begann. »Alice!«, rief er. »Seid ihr beide eingebrochen?«, fragte Pamela mit schriller Stimme. »Ich muss es wissen. Sie suchen mit Tauchern nach ihr.« »Ich begreife es nicht, sie … sie …« Schweiß rann die blassen Wangen hinunter. »Was ist passiert? Sprich mit mir, Martin!«, sagte sie hart und packte sein Kinn. »Ich muss wissen, was passiert ist.« »Bitte, ich versuche mich zu erinnern … Wir haben geangelt, so war es … es war perfekt, alles war perfekt …« Er rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. Seine Augenbraue begann wieder zu bluten. »Sag mir einfach, was passiert ist.« »Warte …« Er griff mit der Hand nach dem Bettgestell, seine Fingerknöchel wurden weiß. »Wir sprachen darüber, quer über den See zu einer anderen Bucht zu gehen, packten unsere Sachen und …« Seine Pupillen weiteten sich, und er begann schneller zu atmen. Sein Gesicht war so angespannt, dass sie ihn beinahe nicht wiedererkannte. »Martin?« »Ich bin eingebrochen«, sagte er und sah ihr in die Augen. »Es gab keine Anzeichen dafür, dass das Eis dünner war, ich verstehe es einfach nicht …« »Und was war mit Alice?« »Ich versuche mich zu erinnern«, sagte er mit seltsam gebrochener Stimme. »Ich ging vor ihr, als das Eis nachgab … es ging verdammt schnell, plötzlich war ich unter Wasser. Da waren jede Menge Eisschollen und Luftblasen und … ich schwamm nach oben, als ich das Krachen hörte … Alice stürzte ins Wasser, schräg unter das Eis … Ich kam nach oben und atmete, tauchte wieder und sah, dass sie die Orientierung verloren hatte, sich von der Öffnung entfernte … ich glaube, dass sie sich den Kopf angeschlagen hatte, denn sie war von einer roten Wolke umgeben.« »Großer Gott«, flüsterte Pamela. »Ich tauchte und dachte, dass ich sie noch erreichen könnte, als sie plötzlich aufhörte zu kämpfen und sank.« »Was soll das heißen? Sie sank?«, schluchzte Pamela. »Wie konnte sie denn sinken?« »Ich schwamm ihr nach, streckte die Hand aus und versuchte sie am Haar zu packen, aber ich erreichte sie nicht … und dann verschwand sie in der Dunkelheit, ich konnte nichts mehr sehen, es war zu tief, alles schwarz …« Martin starrte sie an, als würde er sie das erste Mal sehen, und das Blut rann von der Augenbraue durch sein Gesicht. »Aber du bist doch getaucht … du bist ihr doch hinterhergetaucht?« »Ich weiß nicht mehr, was dann passierte«, flüsterte er. »Ich verstehe es nicht … Ich wollte nicht gerettet werden.« Später erfuhr Pamela, dass eine Gruppe Schlittschuhläufer den gelben Eisbohrer und den Rucksack neben dem offenen Eis entdeckt hatten. Fünfzehn Meter entfernt davon fanden sie einen Mann unter dem Eis und schlugen ihn frei. Ein Hubschrauber brachte Martin nach Östersund ins Krankenhaus. Er hatte eine Körpertemperatur von siebenundzwanzig Grad, war bewusstlos und wurde sofort an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Sie mussten ihm drei Zehen am rechten Fuß amputieren, aber er überlebte. Das Eis hätte nicht brechen dürfen, aber die Strömung hatte dafür gesorgt, dass es genau an dieser Stelle dünner geblieben war. Das war das einzige Mal, dass er ausführlich von dem Unfall erzählte, direkt nachdem er aus der Narkose aufgewacht war. Danach stellte er das Sprechen beinahe vollständig ein und wurde immer paranoider. Am Jahrestag des Unfalls wurde Martin barfuß mitten auf der verschneiten Autobahn in Höhe des Hagapark aufgegriffen. Die Polizei brachte ihn zur psychiatrischen Notaufnahme des Sankt-Göran-Krankenhauses. Seitdem war er fast ununterbrochen in psychiatrischer Langzeitpflege. Mittlerweile sind fünf Jahre vergangen, und Martin hat immer noch keinen Weg gefunden, das zu akzeptieren, was passiert ist. Sein individueller Behandlungsplan ist in den vergangenen Jahren darauf ausgerichtet gewesen, ihn in die ambulante Betreuung zu überführen. Er hat gelernt, mit seiner Angst umzugehen, und es gelingt ihm wochenweise zu Hause leben, ohne dass er darum bittet, in die Abteilung zurückkehren zu dürfen. Und jetzt haben Pamela und Martin zusammen mit dem Chefarzt beschlossen, dass er ganz nach Hause ziehen soll. Sie finden alle drei, dass der richtige Zeitpunkt für diesen Schritt gekommen ist. Es ist auch aus einem anderen Grund sehr wichtig. Seit mehr als zwei Jahren arbeitet Pamela als ehrenamtliche Telefonberaterin für das Kinderhilfswerk BRIS und nimmt Anrufe von Kindern und Jugendlichen entgegen, die in Schwierigkeiten sind. So kam sie in Kontakt mit dem Jugendamt in Gävle und hörte von einem siebzehnjährigen Mädchen, das niemand haben wollte, Mia Andersson. Pamela ist inzwischen mit ihnen in Kontakt, um darüber zu sprechen, ob sie Mia als Pflegemutter in ihre Wohnung holen könnte, aber Dennis hat sie gewarnt, dass sie eine Absage bekommen würde, solange sich Martin in stationärer Pflege befindet. Als Pamela Martin von Mia erzählte, war er so froh, dass ihm die...