E-Book, Deutsch, Band 2, 250 Seiten
Reihe: Akademie Fortuna
Kempen Akademie Fortuna - Eine Vision zur richtigen Zeit
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-505-14463-9
Verlag: Schneiderbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 2, 250 Seiten
Reihe: Akademie Fortuna
ISBN: 978-3-505-14463-9
Verlag: Schneiderbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dunkle Machenschaften in der Wahrsagerschule
Sorry Fortune kann aufatmen: Bei der großen Prüfung hat sie alle an der Akademie Fortuna von der Kraft ihrer Alltagsvorhersagen überzeugt. Nun könnte das Schuljahr entspannt weitergehen. Doch die Zukunft hält das nächste Abenteuer bereit, denn die alte Fehde zwischen den Wahrsagerfamilien holt die Akademie ein und Mitschüler Ben wird von seinem eigenen Vater Mal Chievous entführt. Sorry und ihre Freunde setzen alles daran, Ben aus den Fängen des Vaters zu befreien - und machen eine Entdeckung, die die Wahrsagerwelt erschüttern wird.
Band 2 der neuen Serie voller Schulabenteuer und geheimnisvoller Vorhersagen
Mit viel Spannung und Humor perfekt geeignet für Jungs und Mädchen
»Visionär. Das macht Lust, mehr zu sehen!« , 02.09.2021
Sarah M. Kempen lebt in Hamburg und schreibt Geschichten für Kinder und die, die es noch werden wollen. So verfasst sie neben Kinderbüchern am liebsten Drehbücher für Kinofilme oder für Animationsserien, die vielfach ausgestrahlt wurden. 2022 wurde ihr der Literaturpreis der Hamburger Kulturbehörde in der Kategorie 'Kinder- und Jugendbuch' verliehen. Am meisten liebt sie es beim Schreiben, sich außergewöhnliche Namen auszudenken.
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Als Sorry beim Unterrichtsraum ankam, warteten ihre Mitschülerinnen und Mitschüler bereits davor. Es war das erste Mal, dass sie hier Unterricht hatten, und der Raum war noch schwieriger zu finden gewesen als alle anderen Räume bisher. Er lag als einziger Unterrichtsraum im Erdgeschoss. Vielleicht lag es daran, dass »Praktische Wahrsagerei« nicht zum regulären Stundenplan gehörte, sondern als Projekt nur ein paarmal im Schuljahr angeboten wurde.
Sorry erspähte Crystal Glass und die Zwillinge Arkana und Baton Pentacle. Schnell stellte sie sich zu ihnen.
»Hey Leute«, begrüßte sie die anderen und versuchte, betont lässig zu wirken. Sie durfte sich nicht anmerken lassen, dass sie schon wieder etwas Geheimes getan hatte.
»Hey, da bist du ja!« Baton fuhr sich durch die Haare, die wie gewohnt überall vom Kopf abstanden. »Wir haben dich gestern auf der Feier gar nicht mehr gesehen. Hast du Ben gefunden?«
Ben. Erneut legte sich dieses Gewicht um Sorrys Herz. Die Zwillinge hatten Ben gestern ebenfalls gesucht. Aber Sorry durfte ihnen auf keinen Fall erzählen, was sie herausgefunden hatte. Niemand durfte erfahren, dass Ben von den Chievous abstammte. Langsam schüttelte sie den Kopf. »Nein.« Dabei merkte sie, dass Arkana sie durchdringend anstarrte. Die junge Tarotkartenlegerin hatte Sorry überhaupt erst auf die Idee gebracht, dass mit Ben etwas nicht stimmte. Sie schob die Hand in die Tasche und fühlte die Karte des Einsiedlers, die Arkana ihr gestern gegeben hatte. Hatte sie Baton von ihrer Unterhaltung mit Sorry erzählt?
Crystal zog die Schultern hoch. »Hier ist er auch nicht.«
Baton sah sich um. »Stimmt. Komisch.« Obwohl Sorry klar gewesen war, dass die anderen Bens Fehlen bemerken würden, klopfte ihr Herz wild. Sie musste unbedingt auch weiterhin die Unwissende spielen. »Vielleicht hat er ja verschlafen«, sagte sie deshalb und lächelte. Hoffentlich wirkte es natürlich.
»Ja, vielleicht«, murmelte Crystal. Ihrer Stimme war nicht anzumerken, ob sie Sorry glaubte oder nicht. Allerdings war das normal für die Kristallkugelleserin. Sie gehörte nicht zu den Menschen, die ihre Emotionen zeigten.
Arkana dagegen blickte Sorry immer noch an, und ihr lief ein Schauer den Rücken hinunter. Wenn jemand bemerkte, dass etwas nicht stimmte, dann Arkana. Sie erkannte sofort, wenn man etwas vor ihr verbarg. An der Mimik, an der Körperhaltung, an den kleinen Gesten. Wahrscheinlich lag es daran, dass Arkana gehörlos war und mehr auf Visuelles achtete als Hörende. Es war nicht auszuschließen, dass sie auch jetzt merkte, dass etwas faul war.
Endlich wandte sie sich von Sorry ab und gebärdete etwas in Richtung ihres Bruders. Sorry wusste nicht, was es bedeutete. Bisher war sie nicht dazu gekommen, sich mit der Gebärdensprache zu beschäftigen, auch wenn sie es sich gestern fest vorgenommen hatte. Sie beschloss, das sehr bald nachzuholen. Zum Glück übersetzte Baton sofort. »Stimmt, Estrella ist auch noch nicht da.«
Jetzt war Sorry ehrlich überrascht. Sie sah sich um. Er hatte recht. Es fehlte jede Spur von Estrella Astra.
»Traut sich wohl nicht mehr her. Würde ich auch nicht«, bemerkte Crystal.
Ihre Worte lenkten Sorry ein bisschen von ihren Sorgen um Ben ab. Bisher hatte sie noch keinen Gedanken daran verschwendet, was nun aus Estrella wurde. Gestern Morgen noch war die Sterndeuterin die beste – und wahrscheinlich auch beliebteste – Schülerin der Klasse gewesen. Doch dann war herausgekommen, was ihr Vater Taurus und sie getan hatten. Unter anderem hatte Estrella Sorrys ältere Schwester Merry eine Treppe hinuntergestoßen, sodass diese sich ein Bein gebrochen und eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Ein Vergehen, das Taurus Ben in die Schuhe hatte schieben wollen. Und auch, wenn Estrella von ihrem Vater dazu gedrängt worden war, änderte es doch nichts an der Tatsache, dass Estrella Merry gestoßen hatte, und es machte sie schuldig.
Als Taurus gestern das Amt des Familienoberhaupts und damit die Aussicht, Schulleiter zu werden, verloren hatte, war er wütend davonmarschiert und seine Tochter mit ihm. Hatte sie vielleicht die Akademie verlassen? Der Gedanke war nicht so abwegig.
Mit einem Mal war die Stimmung in der kleinen Gruppe unerträglich gedrückt, als alle sich daran erinnerten, was passiert war. Sorry räusperte sich. »Und, seid ihr schon aufgeregt auf unsere erste Praxisübung?«, versuchte sie, das Thema zu wechseln.
Baton strahlte sie dankbar an. »Ich freu mich riesig!«, sagte er und reckte angeberisch das Kinn in die Höhe. »Ich habe schon einige Erfahrung darin, Menschen die Zukunft vorherzusagen. Es ist quasi mein Spezialgebiet.« Damit auch seine Schwester ihn verstand, hatte er seine Worte mit Gebärden begleitet. Arkana zog nun die Augenbrauen hoch und lachte so laut, dass es durch den ganzen Gang schallte. Sorry hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, dass Arkana nicht einschätzen konnte, wie laut sie war. Schnell gebärdete sie eine Antwort, und Sorry las aus ihrem Gesicht, dass es wohl eine schnippische Bemerkung war.
Baton machte ein trotziges Gesicht, während er, begleitet von Gebärden, antwortete: »Ich habe die Karten nur ein Mal fallengelassen. Und es war ja wohl nicht meine Schuld, dass dann ›Der Tod‹ ganz oben lag und alle gleich ausgeflippt sind, obwohl das gar nichts Schlimmes ist!«
Sorry musste grinsen, und offensichtlich war sogar Crystal ein wenig belustigt.
In dem Moment schlurfte ein hagerer Mann auf den Unterrichtsraum zu. Er war sehr blass, hatte einen Dreitagebart und war deutlich gemütlicher gekleidet als die anderen Lehrer: Über einem roten T-Shirt und Jeans trug er eine lange, braune Strickjacke. In seiner Hand hielt er eine Tasse mit der Aufschrift »Kaffee, schwarz wie Ihre Zukunft.«
Umständlich und die umstehenden Schülerinnen und Schüler ignorierend, versuchte er, einen Schlüssel ins Schloss der Tür zu stecken. Aber der Schlüssel passte nicht. »Verfluchter Mist«, murmelte der Mann und probierte sich durch die Schlüssel an seinem Bund.
»Oje«, murmelte Sorry.
»Ich habe schon gehört, dass Mr Gelatine ein wenig speziell ist«, flüsterte Crystal.
Etwas, was im Prinzip auf alle ihre Lehrer zutraf, fand Sorry.
»Ich glaube, es ist der hier!«, rief Thea Leaf fröhlich und deutete auf einen Schlüssel an dem Bund. Der Lehrer hörte auf zu suchen und drehte sich zu ihr um. »Nein«, sagte er nur und suchte weiter, wobei er diesen Schlüssel absichtlich nicht ausprobierte.
Thea war offensichtlich überrascht von seiner Antwort. »Doch, sehen Sie, der würde genau passen.«
»Nun, ich bin der Lehrer und ich sage, dass er falsch ist.«
»Aber …«
Mit einer blitzschnellen Bewegung zog Mr Gelatine eine weiße Papiertüte hervor und hielt sie der Teesatzleserin hin. »Nehmen Sie eins.«
Jetzt war Thea noch verwirrter. »Was?«
»Das sind Süßigkeiten. Sehr lecker. Habe ich vorhin am Kiosk gekauft. Nehmen Sie eins.«
Zögerlich griff Thea in die Tüte und zog ein großes grünes Gummibärchen hervor. »Oh, sehr gute Wahl«, sagte Mr Gelatine mit einem sarkastischen Unterton. »Das bedeutet, dass Sie in Zukunft ziemlich große Probleme bekommen werden, wenn Sie nicht respektieren, dass der Lehrer recht hat, auch wenn er falsch liegt. Herzlichen Glückwunsch, Sie dürfen es behalten.«
Thea starrte das Gummibärchen an und schien den Tränen nahe. Anscheinend war ihr vorher nicht klar gewesen, was Mr Gelatine für eine Wahrsagekraft hatte. Denn sonst hätte sie mit Sicherheit nicht in die Tüte gegriffen.
Mr Gelatine war ein Glukomant, ein Süßigkeitenorakel. Er sagte einem die Zukunft voraus anhand der Naschereien, die man aus einer Tüte zog. Eine Fähigkeit, die besonders bei Kindern sehr beliebt war.
»Sind Sie sicher, dass Sie Lehrer sind?«, fragte Rune Smoke skeptisch.
Mr Gelatine hielt nun ihm die Tüte hin. »Wollen Sie auch mal ziehen?«
Rune trat einen Schritt zurück und schüttelte vehement den Kopf.
»Na bitte«, sagte Mr Gelatine. »Da das geklärt ist, können wir ja reingehen.« Er steckte die Tüte weg und schloss die Tür mit dem Schlüssel auf, auf den Thea gedeutet hatte.
»Das ist überhaupt nicht lecker«, jammerte Phil Chlore und starrte auf das angebissene grüne Gummibärchen in seiner Hand. Offensichtlich hatte Thea es ihm überlassen. »Und voll hart.«
»Natürlich ist es das«, sagte Mr Gelatine, ohne sich umzudrehen. »Ich habe gelogen. Ich trage die Tüte schon ewig mit mir rum. Ich esse niemals Zucker.«
Der Unterrichtsraum verfügte wie jeder Raum an der Akademie über holzvertäfelte Wände. Rustikale Tische für jeweils zwei Schüler standen im ganzen Zimmer verteilt. Im Gegensatz zu den anderen Räumen gab es hier nur kleine, längliche Fenster, die sich nicht öffnen ließen. Dementsprechend stickig war die Luft.
Mr Gelatine stellte seine Tasse auf dem Lehrerpult ab, ließ sich auf den Stuhl dahinter fallen und legte die Füße auf den Tisch. »Weil es Ihnen sowieso auffallen wird: Ich weiß, dass meine Kollegen ihre Räume sonst wie dekorieren. Aber ich hab’s nicht so mit dem Gestalten, ist ja auch irgendwie egal. Setzen Sie sich hin, wo Sie wollen, auch neben Ihre Freunde.«
Alle begannen, sich Plätze zu suchen. Sorry setzte sich neben Crystal, während die Zwillinge am Tisch hinter ihnen Platz nahmen.
Mr Gelatine nahm einen Schluck aus seiner Tasse, dann blickte er zur Tür. »Auch Sie bitte.«
...