E-Book, Deutsch, Band 1, 365 Seiten
Reihe: Mord in Cambridgeshire
Kelly Tod im Moor
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-98690-748-8
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman | Mord in Cambridgeshire 1 - »Das beste Krimidebüt seit Jahren!«, urteilt Val McDermid
E-Book, Deutsch, Band 1, 365 Seiten
Reihe: Mord in Cambridgeshire
ISBN: 978-3-98690-748-8
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Jim Kelly, geboren 1957, arbeitet seit vielen Jahren als Korrespondent der Financial Times in London. »Tod im Moor« war sein hochgefeiertes Krimidebüt, für das er unter anderem mit dem »Dagger Award«, dem größten britischen Krimipreis ausgezeichnet wurde. Jim Kelly lebt mit seiner Familie in Ely, Cambridgeshire, die auch Schauplatz seiner Krimireihe um Philip Dryden ist. Bei dotbooks veröffentlichte Jim Kelly seine Krimireihe »Mord in Cambridgeshire«: »Tod im Moor« »Kein Ort zum Sterben« »Dunkler als ein Grab« »Kalt wie Blut« »Spur der Knochen«
Weitere Infos & Material
Kapitel 1
Das Privattaxi von Humphrey H. Holt rückte über das Fenn vor wie ein Spielzeugauto auf einem gigantischen Monopolybrett. Dieser Ford Capri war eine Ikone – von den Plüschwürfeln am Rückspiegel bis zu den Holzperlen der Sitzbezüge. Unter der Heckscheibe stapelten sich eselsohrige Kinderbücher, die seine Tochter dort hortete – von der auch die rote Plastiknase am Kühlergrill und die Piratenflagge an der Antenne stammte. Verziert war die Mietkarosse mit einem dreifachen H und wurde daher, kaum verwunderlich, zu Hochzeiten eher selten nachgefragt. Einmal hatte sie einen Leichenzug vervollständigt – und die Hinterbliebenen hatten, ihrer Trauer zum Trotz, Geistesgegenwart genug gehabt, das Geld zurückzuverlangen.
Als der Bahnübergang bei Queen Adelaide hinter ihnen lag, rückte sich Philip Dryden auf dem Beifahrersitz zurecht, stellte den Kragen des riesigen, schwarzen Mantels auf und warf einen Blick auf das Taxameter. Er hustete und sog die Feuchtigkeit ein, die ringsum aus den Feldern kroch. Der angezeigte Preis war £ 2,95. Es waren immer £ 2,95 gewesen. Er sah die losen Drähte, die unter dem Armaturenbrett baumelten. Das Taxi fuhr auf einen Buckel, und der Auspuff schepperte auf dem Asphalt wie eine Kuhglocke.
Humph krümmte sich auf seinem Sitz zusammen, was dazu führte, dass der annähernd einhundertzehn Pfund schwere Oberkörper, den er so schmuck in der Nylon-Ips-wich Town-Trainingsjacke verstaut hatte, von konzentrischen Wellenbewegungen durchgeschüttelt wurde. Irgendwo tief im Inneren tanzte ein beträchtliches Stück Darmabschnitt.
Ein weiterer Buckel auf dem Viehweg ließ das Auto kurzzeitig abheben, dann donnerte es mit einem dumpfen Schlag, der einem alle Knochen stauchte, wieder auf den Boden. Die Federung, ein Netzwerk aus rostigem Stahl, war nicht so sehr verschweißt als vielmehr längst eingeäschert.
Durch den Stoß klappte der Schminkspiegel auf der Beifahrerseite herunter, so dass er Dryden direkt vor dem Gesicht hing. Verärgert starrte er sich an: Er hatte eine romantische Phantasie, der sein Gesicht auf dramatische Weise nicht gerecht wurde, was insofern seltsam war, als die meisten Menschen, darunter so gut wie alle Frauen, es als ansprechend, wenn nicht gutaussehend empfanden. Doch treffende Selbsteinschätzung zählte nicht zu seinen Stärken. Der Knochenbau war archaisch, und das Gesicht wirkte, als habe der Meißel eines normannischen Steinmetzes es mit einigen wohl platzierten Hieben aus einem Kalksteinblock gehauen. Das pechschwarze Haar orientierte sich an der architektonischen Anlage – kurz geschoren und schlicht. Es war ein Gesicht, wie man es in den Miniaturen einer angelsächsischen Chronik zu finden erwartet hätte.
Er klappte den Schminkspiegel hoch und wischte auf der angelaufenen Fensterscheibe ein Bullauge frei. Zehn nach vier. Ein eisiger Wolkenmantel lag bleiern über dem Fenn und wurde hin und wieder vom Rot und Grün halbherzig abgebrannter Feuerwerke erhellt. Den ganzen Tag über war die Temperatur nicht über den Gefrierpunkt gestiegen und nun, da das Tageslicht langsam zerrann, kroch aus den Abzugsgräben neben der Straße ein Nebel, der sich in die vorbeirollenden Taxireifen zu krallen versuchte.
Dryden sah auf die Uhr. »Wäre nicht schlecht, wenn wir langsam da wären«, meinte er. Wie die meisten Journalisten hatte er leidvoll erfahren müssen, dass Geduld ein Laster ist.
Humph nahm eine gehetzte Haltung ein, die aber keinerlei erkennbaren Tempogewinn mit sich brachte. Das Taxi rauschte weiter dahin, begleitet von einem Schwarm Kanadagänse, der sich eben in die Lüfte geschwungen hatte und sich nun an den langen, bedächtigen Aufstieg in den Himmel machte.
Zwei Meilen vor ihnen blinkte ein Blaulicht – ein Leuchtfeuer im Nebelmeer. Eine Meile im Osten zwinkerten verheißungsvoll die bunten Lichter eines Pubs durch das Zwielicht.
»Tesco-Einkaufswagen«, orakelte Dryden, der in den Manteltaschen nach einem Stift suchte. Stattdessen fand er eine Mini-Schweinefleischpastete, die Überreste eines Viertelpfunds Jungchampignons sowie ein nicht angebrochenes halbes Pfund Weingummi.
Anstelle einer Antwort verstellte Humph den Rückspiegel. Er kannte Dryden seit zwei Jahren, seit dem Unfall, durch den Drydens Frau, Laura, ins Koma gefallen war. In diesen ersten, kritischen Wochen hatte Humph ihn regelmäßig ins Krankenhaus gefahren. In jener Zeit hatte er gelernt, Dryden seine Sätze selbst zu Ende führen zu lassen. Sofern es denn überhaupt jemandem möglich war, ein Gespräch ausschließlich mittels rhetorischer Figuren zu führen, so diesen beiden.
Dryden, der sich ärgerte, dass das Taxi nicht mehr Beinfreiheit bot als jedes gewöhnliche Auto, stieß mit dem Fuß aus.
Hatte Humph ihm geantwortet? Er war sich nicht sicher.
»Was willst du wetten? Drei vollgeschlammte Tesco-Wagen und eine Radkappe. Wenn wir Glück haben. Du wirst schon sehen: Schon wieder ein Pulitzerpreis im Anmarsch.« Dryden trieb seinen Skeptizismus gewöhnlich bis zum Äußersten, was dann oft, fälschlicherweise, für Zynismus gehalten wurde.
Unvermittelt kamen sie an eine T-Einmündung. Die waren im Fenn weit verbreitet: Ohne Vorwarnung zwangen sie auf den schnurgeraden Viehwegen zur Vollbremsung. Tödliche Fallen. Urplötzlich sahen unvorsichtige Fahrer, eingelullt von sieben Meilen asphaltierter Anlaufstrecke, eine Böschung vor sich, dahinter einen Graben, angefüllt mit zehn Fuß eisigen Wassers.
Schräg zur Straße stand ein Schild: ABZWEIGUNG »FIVE MILES ANYWHERE« – Fünf Meilen von nirgendwo. Dryden lachte, hauptsächlich, weil es kein Scherz war.
Vor ihnen lag die Uferböschung des Lark, eines Zuflusses der Great Ouse – der Hauptlebensader des Fenn. Sie parkten vor einem schwarzgelben Polizeiabsperrband.
Dryden erklomm gerade die Böschung, als knatternd eine Industriebogenlampe ansprang und einen kreisrunden Abschnitt auf dem Eis in gleißendes Licht tauchte. Auftritt Torvill und Dean, dachte er.
In der einsetzenden Dunkelheit tat ihm der grelle Lichtkreis in den Augen weh. Die Kanadagänse, die inzwischen zu ihnen aufgeschlossen hatten, flatterten erschreckt durch den Lichtstrahl wie von Flakscheinwerfern erfasste Bomber im Krieg. Sie versuchten ein Stück flussabwärts auf dem Eis zu landen – ein Tohuwabohu aus wild rudernden Schwimmfüßen, in düsteres Zwielicht gehüllt.
Dryden fing an, das aufgefahrene Gerät in seinem Notizbuch aufzulisten – er wusste sehr wohl, es könnte ihm letztlich an Fakten mangeln, und er brauchte etwas, womit der Artikel sich ein bisschen strecken ließe. Am Fuß des Lark-Deichs standen sechs Einsatzfahrzeuge. Zwei Streifenwagen der örtlichen Polizei, Ford Fiestas mit blauen Streifen an den Seiten; die Tauchereinheit der Polizei von Cambridgeshire, ein schicker Cavalier mit Purpurstreifen und Anhänger; das Spezialbergungsfahrzeug der Feuerwehr; ein Ford-Van des Three Rivers-Wasseramts und ein ziviler, blauer Rover, dessen Nummernschild auch den Hinweis Kriminalpolizei in leuchtender Neonschrift hätte tragen können.
Auf dem Fluss versuchten vier Froschmänner das Eis zu durchbrechen, um ein Etwas, das sich unmittelbar unter der Oberfläche befand, mit Stahltrossen zu sichern. Einer verlangte nach Schneidbrennern, und kurz darauf zischten diamantblaue Flammen, und pilzförmige Dampfwolken stiegen in die eisige Luft auf.
Was Dryden brauchte, war ein Aufhänger für seinen Artikel – und dazu brauchte er jemanden, an dem er sich festmachen ließ. Was ihm fehlte, war Zeit. Der definitive Redaktionsschluss des Crow war um 17 Uhr.
Er betrachtete die kleine Runde. Den Einsatzleiter der Feuerwehr konnte er ausschließen – der war, vorsichtig ausgedrückt, als »den Medien nicht freundlich gesonnen« bekannt –, selbiges galt für den PR-Menschen des Wasseramts, der gerade damit beschäftigt war, den silbrig glitzernden Anzug unter dem bodenlangen Cashmere-Mantel glatt zu streichen.
Erleichtert entdeckte er auf dem anderen Flussufer einen Kriminalpolizisten in Zivil. Detective Sergeant Andy Stubbs war mit einer der Krankenschwestern verheiratet, die Drydens Frau pflegten. Sie waren sich gelegentlich im Krankenhaus über den Weg gelaufen, wobei beide eine professionelle Distanz gewahrt hatten. Dryden entschied sich für den sachlich-distanzierten Ansatz: »Detective Sergeant.«
Es war beinahe eine Frage – aber eben nicht ganz. Die Einladung zum Schwatz.
Detective Sergeant Stubbs schlug sie aus. »Dryden.« Er zog den Reißverschluss der orangerot-phosphoreszierenden Schutzjacke hoch. Misstrauen, schrie seine Körpersprache förmlich.
Mit einer Begeisterung, die gut auf die Zuschauerränge von Old Trafford gepasst hätte, sah Dryden auf den in Flutlicht getauchten Fluss. Er grinste, rieb sich freudig erregt die Hände und startete dann seinen Konter. »Weshalb denn nun der ganze Aufwand hier, Mr. Stubbs?« Genau die Mischung aus Respekt und Unbekümmertheit, die Dryden für Erfolg versprechend hielt. Die Unbekümmertheit war mehr als nur Fassade. Er litt unter dem Gegenteil einer klinischen Depression – einer Art irrationalem Überschwang.
»Die Behörden haben einen totalen Informationsstopp verhängt, Dryden. Wir wissen nicht genau, womit wir es zu tun haben. Wir sind schon seit drei Stunden hier zugange. Lassen Sie mir noch zehn Minuten. Wenn sich bis dahin nichts ergeben hat, kriegen Sie ein Statement von mir.«
»In zwanzig Minuten muss es bei der Redaktion sein, damit es noch in Satz geht.«
DS Stubbs nickte fröhlich. Das störte ihn nicht im Geringsten.
In der Ferne sah Dryden Humphs Taxi. Das Leselicht war angeknipst, und undeutlich konnte er den Taxifahrer wild gestikulieren sehen. Mit Sprachkassetten hatte...




