E-Book, Deutsch, Band 3, 382 Seiten
Reihe: Mord in Cambridgeshire
Kelly Dunkler als ein Grab
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-98690-750-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman | Mord in Cambridgeshire 3 - Fesselnde Spannung inmitten Englands düsterer Moorlandschaften
E-Book, Deutsch, Band 3, 382 Seiten
Reihe: Mord in Cambridgeshire
ISBN: 978-3-98690-750-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Jim Kelly, geboren 1957, arbeitet seit vielen Jahren als Korrespondent der Financial Times in London. »Tod im Moor« war sein hochgefeiertes Krimidebüt, für das er unter anderem mit dem »Dagger Award«, dem größten britischen Krimipreis ausgezeichnet wurde. Jim Kelly lebt mit seiner Familie in Ely, Cambridgeshire, die auch Schauplatz seiner Krimireihe um Philip Dryden ist. Bei dotbooks veröffentlichte Jim Kelly seine Krimireihe »Mord in Cambridgeshire«: »Tod im Moor« »Kein Ort zum Sterben« »Dunkler als ein Grab« »Kalt wie Blut« »Spur der Knochen«
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Kapitel 3
Die Müllkippe von Ely war eine zweieinhalb Meter hohe Halde – ein eigener Tafelberg für das Fenn. Ununterbrochen umkreisten ihn Möwen auf der Jagd nach Nahrung, und immer wieder stürzten sie sich wie Kamikazebomber im Sturzflug auf den Kipper, der sich wie ein Sisyphusroboter mit einer neuen Ladung verrottenden Abfalls, Fischgräten und Mahd nach oben quälte. Selbst wenn die Kippe vom Nebel verhüllt war, wie es diesen Herbst mit deprimierender Regelmäßigkeit geschah, wusste man doch, dass es sie gab: Bis hin zum Marktplatz war sie zu riechen.
Am Fuße dieses künstlichen Hügels lebte die kleine Gemeinschaft von Leuten, die sich zwischen den aufgereihten, leuchtend grünen Recyclingtonnen und den Holzverschlägen mit altem Elektroschrott, vor FCKW strotzenden Kühlschränken und Altmetall ihren Lebensunterhalt zusammenkratzten. Die Geschäftsleitung war in zwei auf Ziegelsteinen aufgebockten Wohnwagen untergebracht. Die Arbeiterschaft bewohnte eine Ansammlung von Nachkriegsbungalows im angrenzenden Fenn: das weitläufige Dörfchen Dunkirk.
Humph parkte den Capri unmittelbar vor den Toren, da er sich der Gefahr bewusst war, sein Taxi nie mehr zurückzubekommen, wenn er hineinfuhr. Bis zum endgültigen Redaktionsschluss des Crow blieben Dryden noch eineinhalb Stunden, bis dahin spätestens musste er den Artikel über das ausgegrabene Skelett telefonisch durchgegeben haben. Die Zügelringe würde er sich für den dienstags erscheinenden Ely Express aufsparen, das Schwesterblatt des Crow – schließlich hatte es wenig Sinn, eine ganz brauchbare Geschichte an einem Tag zu verschenken, an dem es eine echte kleine Sensation zu vermelden gab.
Das Thema der Woche war allerdings der Smog über der Stadt. Der Nebel an der Halde war schmutzig weiß, mit purpurbraunen Flecken versetzt wie verseuchter Schleim – ein überdeutlicher Anhaltspunkt, dass die gängige Theorie über die Ursache der Schmutzwolke wohl korrekt war: Altlasten, so die Expertenmeinung, wurden aus der fünfzig Jahre alten Müllkippe ausgewaschen, um sich mit den Herbstnebeln über dem nahe gelegenen Fluss zu einem veritablen Chemiecocktail zu vermengen. Dryden hatte bereits einen Artikel für die dieswöchige Ausgabe des Crow verfasst, doch damit der auch wirklich aktuell war, musste er so knapp vor Redaktionsschluss wie möglich auf den neuesten Stand gebracht werden. Da der Smog praktisch jeden Einzelnen aus der schrumpfenden Schar von 17 000 Lesern unmittelbar betraf, durfte man davon ausgehen, dass dieser Artikel der Reißer der Woche würde – trotz des geheimnisvollen Funds bei den Ausgrabungen in California.
Jetzt allerdings musste erst einmal der Artikel über das Skelett in Satz gehen. Ein Jahrzehnt in der Fleet Street hatte ihn gelehrt, schnell zu schreiben und sofort zu schreiben. Er hatte sich mit der Crow-Redaktion in Gestalt des verlässlich unzuverlässigen Nachrichtenredakteurs Charlie Bracken abgesprochen: Der hatte vor einer Stunde dreihundertfünfzig Worte haben wollen, aber angesichts der Umstände gehe es in zwanzig Minuten schon auch noch. Aus einem früheren Artikel, der damals nur ins Blatt gekommen war, um die Seite zu füllen, ließ Dryden sich von ihm ein paar Daten und Fakten zur Ausgrabung vorlesen.
Dann stieg er aus dem Taxi aus, hüllte sich in den schweren schwarzen Mantel, schloss die Augen, lehnte sich gegen das Dach und sagte sich den Artikel auf: »›In einem Tunnel unter dem ehemaligen Kriegsgefangenenlager von Ely wurde gestern ein männliches Skelett gefunden.‹ Wie hört sich das an?«, wollte er wissen und beugte sich zu Humph hinunter.
Der Taxifahrer ließ sich zu einem Gähnen hinreißen, versetzte ihn der bevorstehende Beginn seiner täglichen Siesta doch bereits in Hochstimmung. Er antwortete nicht, denn es grämte ihn noch immer, dass er bei dem Versuch, sich die zehn polnischen Wurstsorten einzuprägen, die – wie praktisch – allesamt in dem Sprachkurs vorkamen, unterbrochen worden war.
»Egal, das muss es tun«, beantwortete sich Dryden die Frage dann selbst und wählte auf dem Handy die Crow-Zentrale an. Innerlich rüstete er sich für die Tortur, Jean, der tauben Typistin des Blattes, etwas zu diktieren. Sein Hauptproblem bestand allerdings darin, die Geschichte auf dreihundertfünfzig Worte auszuwalzen; er würde sämtliche Fakten in der Einleitung verbraten müssen.
»Gut!«, bellte Jean, als er sie an der Strippe hatte. »Leg los.«
In einem Tunnel unterhalb des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers von Ely wurden gestern Gerippe und Schädel eines Mannes freigelegt.
Nach Angaben der Archäologen, die – im Zuge von Grabungen zur angelsächsischen Vergangenheit Elys – den grausigen Fund machten, befindet sich ein Einschussloch im Schädel.
Eine erste Inaugenscheinnahme der Polizei von Ely ergab, dass der Tote offenbar nicht bei einem Fluchtversuch ums Leben kam, sondern vielmehr in das Lager einzudringen versuchte.
Professor Azeglio Valgimigli, der Leiter des internationalen Grabungsteams von California, erklärt: »Das war ein Schock für die jungen Archäologen, die das Skelett freigelegt haben – dies ist ganz eindeutig kein Fund aus der Zeit der Angelsachsen.
Wir wollen den Tunnel jetzt weiter freilegen und sehen, ob er sich bis zu den Lagerbaracken und über den Zaun hinaus zurückverfolgen lässt. Vermutlich diente er während des Kriegs zur Flucht.«
Das Lager wurde im Oktober 1941 für italienische Kriegsgefangene eingerichtet, die bei der alliierten Invasion der Großen Sandwüste in Nordafrika gemacht wurden. 1944 wurden die Italiener in ein Internierungslager auf dem Fenn umgesiedelt, da das Lager nach dem D-Day für deutsche Gefangene gebraucht wurde.
Dryden textete noch weitere knapp zweihundert Worte Gewäsch zusammen und vertraute darauf, dass es ohnehin nur von den wenigen gelesen würde, die sich die Mühe machten, von der Titelseite auf Seite fünfzehn weiterzublättern. Dann ließ er sich den ganzen Artikel von Jean noch einmal vorlesen – und hätte dazu auch fünfzehn Meter entfernt stehen können. Humph hatte es sich auf ein Nickerchen bequem gemacht, und ein mattes Lächeln furchte sein überraschend hübsches Kindergesicht.
Sobald der Artikel durchgegeben war, wandte Dryden seine Aufmerksamkeit der Müllkippe zu. Von den Recyclingtonnen aus wand sich ein Pfad die Flanke des künstlichen Berges hinauf, und als Dryden ihn entlangstapfte, hörte er Stimmen durch den Nebel schallen. Am Gipfel stieß Dryden auf Garry Pymoor, den Nachwuchsreporter des Crow, ein halbes Dutzend Arbeiter in reflektierenden Westen, einen Mann im Anzug mit einem Klemmbrett und einen jungen Polizisten. Die Redaktion hatte Garry losgeschickt, damit er die Müllgeschichte im Auge behielt und den Fotografen der Zeitung alarmierte, sobald sich jemand von der Stadtverwaltung blicken ließ. Der Anzugträger sah aus, als habe er einen schlechten Geruch in der Nase, was natürlich auch der Fall war. Dryden vermutete allerdings, dass dieser Gesichtsausdruck gar nicht auf der Tatsache beruhte, dass der Mann gerade auf einem gigantischen Komposthaufen stand, sondern seine Visage vielmehr permanent so war.
Und da war Ma Trunch. Dryden kannte sie, seit er vor nunmehr fünf Jahren, nach Lauras Unfall, beim Crow angefangen hatte. Nach Fenn-Maßstäben galt Ma als bizarr – und das hieß, dass man sie überall sonst weggesperrt hätte. Sie war ein Berg von Frau, das menschliche Ebenbild jener Erhebung, der sie – angeblich – ihren Reichtum verdankte. Sie trug etliche Schichten schlabberiger T-Shirts und Pullis und dazu offenbar gleich zwei Skihosen, die allerdings nie die Alpen gesehen hatten. Um die Hüfte hatte sie stets ein Seil geschlungen, an dem ein imponierendes Arsenal von Schlüsseln baumelte, und dazu eine Leine mit einem Hund am anderen Ende – ein Windhund mit verträumten, grauen Augen. Die grellroten Haare hatte sie sich mit einer Art Traktormotor-Wischlappen zu einem Dutt hochgebunden. Ihr Gesicht setzte sich aus etlichen Fleischlappen zusammen, von denen mehrere – freiluftbedingt – kirschrot leuchteten. Die Städter waren es durchaus gewohnt, sie von ihrem Hund umkreist mit einem Metalldetektor über die Felder streifen zu sehen.
»Ma«, grüßte Dryden mit skeptischem Blick auf den Hund. Der Reporter war ein Feigling von beeindruckender Vielseitigkeit, und seine Angst vor Hunden belegte zusammen mit seiner Höhenangst einen Spitzenplatz. Er versuchte, das Sabbern des Hundes und seine gefletschten Zähne zu übersehen.
Ma beachtete Dryden nicht und wandte sich an den Anzügler. »Das ist doch ein Scherz?« Der Akzent wollte so gar nicht zu ihrem Aussehen passen. Die Schärfe ihrer Diktion sprach unverkennbar von Upperclass und dem Selbstbewusstsein, das viel Geld mit sich bringt.
Der Mann warf einen Blick auf das Klemmbrett, an dem, wie Dryden vermerkte, kein einziges Blättlein klemmte. »Nein. Leider nicht, Mrs. Trunch. Der Zugang zur Halde wird gesperrt bleiben müssen, solange wir uns die Sache genauer ansehen. Das ...« – er deutete auf eine giftig aussehende, aufsteigende Dampfwolke, die die Müllhalde regelrecht aus ihrer Flanke blähte – »das«, wiederholte er, »gibt, wie Sie zugeben müssen, berechtigten Anlass zur Sorge.«
Garry hörte gespannt zu und machte sich Notizen – ein deutliches Anzeichen, dass er keine Ahnung hatte, was hier vorging. Der Mund stand ihm offen wie die Ladeklappe einer Autofähre, und seine Pickel glühten.
»Herrgott«, sagte Ma und wandte sich an Dryden. »Was willst du denn?«
»Ich schau nur«, verteidigte er sich.
»Und es gibt...




